von Gerold Schmidt
(Berlin, 29. September 2015, npl).- Sie lassen bei ihrer Forderung nach Aufklärung nicht locker. Ende September befanden sich die finnische Parlamentsabgeordnete Satu Hassi (Grüne) und die deutsche EU-Parlamentarierin und Vizepräsidentin der europäischen Grünen-Fraktion Franziska Keller zu ihrem achten bzw. im Falle Kellers siebten Kurzbesuch seit 2010 in Mexiko. Beide drängen bei Bundes- und Landesbehörden auf Ermittlungserfolge bezüglich der Morde an der mexikanischen Aktivistin Beatriz „Bety“ Alberta Cariño und dem finnischen Beobachter Jyri Jaakkola am 27. April 2010 im Ort San Juan Copala, Bundesstaat Oaxaca. Cariño und Jaakkola hatten damals an einer Menschenrechtskarawane teilgenommen, die dort eine paramilitärische Blockade der Organisation Ubisort durchbrechen wollte. Die Karawane wurde von den Paramilitärs unter Feuer genommen. Diesmal fiel der Besuch der Abgeordneten mit dem ersten Jahrestag des gewaltsamen Verschwindenlassens der 43 Studenten von Ayotzinapa zusammen. Gerold Schmidt sprach mit Satu Hassi.
Sie lassen bei Ihrer Forderung nach Aufklärung nicht locker. Wie wurden Sie diesmal von den mexikanischen Autoritäten empfangen?
Ich glaube, wir können von Desinteresse sprechen. In Mexiko-Stadt trafen wir mit dem in Oaxaca mit dem Fall befassten Staatsanwalt Samuel Alfonso Castellanos zusammen. Ein Termin mit dem Büro des Menschenrechtsbeauftragten des Bundesstaates Oaxaca kam nicht zustande. Anders als im Februar dieses Jahres war Gouverneur Gabino Cué nicht zu sprechen. Die Bundesregierung schickte zu den Gesprächen unterrangige Funktionäre der Staatsanwaltschaft sowie des Innen- und Außenministeriums.
Womit erklären Sie sich das?
Die Behörden können und wollen möglicherweise keine Fortschritte vorweisen. In mehr als fünf Jahren sind nur zwei Tatverdächtige der verantwortlichen paramilitärischen Organisation Ubisort verhaftet worden. Und zwar direkt vor unserem letzten Besuch im Februar 2015. Zehn Haftbefehle wurden bisher nicht ausgeführt, obwohl der Aufenthaltsort der Beschuldigten bekannt ist. Der versprochene Zeugenschutz ist immer noch nicht eingeführt. So wurden bei einer Voranhörung zwei Zeugen in Anwesenheit der mutmaßlichen Mördern befragt und gleich danach von diesen bedroht. Angesichts des fehlenden Schutzes bedeutet das ein Risiko, das andere Zeugen von Aussagen abhält. Das ist unverständlich und unakzeptabel. Der Täterkreis aus den Reihen der Ubisort ist eingrenzbar, das ist kein Mysterium. In Finnland wurden 99 Prozent der 2013 dort geschehenen Mordfälle gelöst, in Mexiko ist dies praktisch umgekehrt. Es ist traurig, sehr traurig.
Ihr Besuch fiel mit dem Jahrestag des gewaltsamen Verschwindenlassens der 43 Studenten von Ayotzinapa zusammen. Was ist ihr Eindruck?
Ich finde die Situation schockierend. Ayotzinapa und Copala sind für mich bei aller Unterschiedlichkeit ein Symptom für dieselbe Krankheit.
Wie meinen Sie das?
Ich sehe viele gemeinsame Elemente: In beiden Fällen griffen Regierungsbehörden trotz Kenntnis der Attacken nicht ein, überließen die Opfer ihrem Schicksal. Es gab Verzögerungen und Passivität beim Ermittlungsbeginn. Das führte zu Beweisverlusten, Beweisvernichtung. Es gab offenbar Beweisfälschungen an den Tatorten, es wurden falsche Beweise präsentiert. Annäherung an die Wahrheit und Ermittlungsergebnisse hat es vor allem auf Druck der Familienangehörigen, externen Akteuren wie der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und Anwälten gegeben.
Sehen Sie irgendeine Verbindlichkeit auf höchster Regierungsebene, den Fall lösen zu wollen?
Ich frage mich inzwischen, was Verbindlichkeit überhaupt bedeutet. Kurz nach den Morden in Oaxaca war es noch der damalige Präsident Felipe Calderón, der gegenüber seiner damaligen finnischen Kollegin Tarja Halonen Aufklärung zusicherte. Im Fall Ayotzinapa spricht Präsident Peña Nieto von Aufklärung. Er hat auch gegenüber dem amtierenden finnischen Präsidenten Sauli Niinistö die Aufklärung des Mordes an Bety Cariño und Jyri Jaakkola garantiert. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Mir ist das nur mit fehlendem Willen erklärlich.
Werden Sie weiter insistieren?
Ja. Im Falle Jyris gibt es so etwas wie ein internationales Mandat. Von seinen Eltern kann nur noch seine Mutter den Fall begleiten. Der Vater ist im Sommer an einer Herzattacke gestorben. Ich glaube, der Mord an seinem Sohn und die fehlende Aufklärung haben ihm das Herz gebrochen.
Interview: Die Morde von San Juan Copala und an den Studenten von Ayotzinapa sind „Symptom derselben Krankheit“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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