Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 449 vom 30. September 2000
Inhalt
VENEZUELA
PERU
ARGENTINIEN
URUGUAY
CHILE
MITTELAMERIKA
EL SALVADOR
GUATEMALA/MEXIKO
MEXIKO
HAITI
VENEZUELA
OPEC-Gipfel in Caracas – Venezuela beharrt auf „gerechten Preisen für Förderländer“
Von Laura Barros
(Caracas, 25. September 2000, npl).- Venezuelas Staatchef ist bekannt für provokante Aussagen. Während in Europa angesichts buchstäblich explodierender Benzinpreise bereits von der „Ölkrise 2000“ gesprochen wird, hat Hugo Chavez den Industrieländern den Preiskampf angesagt. „Gerechte Preise für unser Öl“, forderte er im Vorfeld des Gipfels der Organisation ölexportierender Länder (OPEC), der am Mittwoch (27.09.) und Donnerstag (28.0.9.) in Venezuelas Hauptstadt Caracas stattfinden wird. „Einheit der OPEC und eine für die Förderstaaten würdige Preispolitik“ sind aus der Sicht von Chavez die zentralen Themen des Treffens.
Die internationale Beunruhigung über den sprunghaften Anstieg des Rohölpreises bis an die „symbolische Barriere“ von 30 Dollar pro Barrel (etwa 159 Liter) sowie anhaltend vehemente Forderungen der Importstaaten an die OPEC, der Preisexplosion entgegen zu wirken und die Förderquoten zu erhöhen, werden zweifellos im Mittelpunkt der Zusammenkunft jener 11 Länder stehen, auf die sich 40 Prozent der weltweiten Ölvorkommen konzentrieren.
Der bevorstehende Gipfel ist bereits das zweite Treffen der OPEC-Länder in diesem Monat. Anfang September waren Regierungsvertreter der Mitgliedsstaaten des Kartells bei einer Konferenz in Wien der erhöhten Nachfrage in den Abnehmerländern nachgekommen und hatten eine Förderausweitung von 800.000 Barrell pro Tag ab dem ersten Oktober beschlossen. Angesichts anhaltender Forderungen nach einer weiteren Erhöhung der Rohölproduktion – vor allem seitens der USA und der EU – prognostizierte der venezolanische Energieminister Ali Rodriguez Mitte September bei einer Pressekonferenz in Caracas jedoch eine „schwere Krise“.
Moderater als Chavez signalisierte er zwar Bereitschaft, die Förderung erneut auszuweiten: Bis zu zwei Millionen Barrel Rohöl täglich könne die OPEC zusätzlich kurzfristig auf den Markt pumpen. Allerdings erinnerte der Energieexperte und OPEC-Vizepräsident daran, dass Saudi Arabien und Venezuela die einzigen OPEC-Mitgliedsländer seien, die ihre Kapazitäten überhaupt noch spontan ausweiten könnten. „Eine Zerreißprobe der Organisation steht bevor“, warnte Rodriguez.
Im Grunde ist die derzeitige Marktsituation für die OPEC außerordentlich günstig. Das Wirtschaftswachstum in den mächtigen Abnehmerstaaten Nordamerikas und Europas führte zur aktuell sehr hohen Nachfrage an Rohöl. Außerdem steht in diesen Ländern der Winter bevor. Die OPEC wäre also nicht unbedingt zu größeren Kompromissen bezüglich ihrer Preis- und Förderpolitik gezwungen. So hat auch Chavez gute Aussichten, sich mit seiner konfrontativen Haltung gegenüber den „Industriestaaten des Nordens“ auf dem Gipfel durchzusetzen. Venezuela ist zweitwichtigster Rohöllieferant für die USA.
Im venezolanischen Fernsehen rechtfertigte Chavez seine Losung der „gerechten Preise“ mit dem Profit, den die Importländer durch den Verkauf von Raffinerieprodukten und deren Besteuerung machen: „Die industrialisierten Länder verdienen an jedem Barrel, den sie uns abkaufen, mehr als hundert Dollar. Was erwarten sie? Dass wir ihnen den Barrel Rohöl für acht Dollar verkaufen, wie es vor eineinhalb Jahren war?“ Chavez geht es jedoch nicht vorrangig um Konfrontation mit den Importländern. Er versucht vor allem eines seiner wichtigsten Wahlversprechen einzulösen, das ihn im Dezember 1998 zum höchsten Amt im Staate verhalf. „Eine Politik der Preisstärkung“ für das schwarze Gold hatte er damals angekündigt.
Die Haltung Venezuelas erscheint umso verständlicher, wenn man bedenkt, dass der Andenstaat aus den Gewinnen des gigantischen staatlichen Förderunternehmen „Petroleos de Venezuela“, die Hälfte seiner Steuereinnahmen und mehr als 80 Prozent seiner Devisen bezieht. Chavez trat 1998 sein Amt inmitten einer der tiefsten Wirtschaftskrisen an, die das Land jemals erlebt hatte. Im Dezember 1998 erreichte der Preis für einen Barrel Rohöl kaum 10 Dollar, während zur Deckung des Staatshaushaltes ein Preis von mindestens 11,5 Dollar veranschlagt worden war. Außerdem hatte Venezuela mit einem drastischen Exportrückgang in diesem Sektor zu kämpfen, der sich auf ein Defizit von über fünfhundert Millionen Dollar belief.
Der neue Präsident begann umgehend eine nationale Politik der Preisstabilisierung einzuleiten. Nach verschiedenen Maßnahmen zur Drosselung der Förderquoten ist der der Rohölpreis beständig angestiegen. Inzwischen hat er die als „traumatisch“ geltende Barriere von 30 Dollar pro Barrell erreicht. Das Einvernehmen der OPEC-Länder bei wichtigen Entscheidungen, wie sie derzeit anstehen, sieht Chavez als wichtige Elemente seiner „politischen Strategie und Integrationspolitik“ an. Ein unzweideutiger Schritt in Richtung Stärkung und Unabhängigkeit des Zusammenschlusses ölexportierender Länder von den mächtigen Importnationen war seine Reise vor einem Monat in die beiden „Petrostaaten“ Libyen und Irak. Ungeachtet der Kritik aus den USA, traf sich Chavez dort mit den Staatschefs Mohamar al Gaddafi und Saddam Hussein.
Mit höchster Spannung werden nun die Ergebnisse des OPEC-Gipfels in Caracas erwartet: Vor allem für die USA und Europa wird folgenreich sein, ob sich die Vertreter der OPEC-Länder, dem Kurs anschließen, den Venezuela eingeschlagen hat, oder ob sie den Empfehlungen internationaler Wirtschaftsexperten nachkommen, einen sogenannten „Spielraum des Dialogs mit den Industrieländern des Nordens zu schaffen. Am 11. November ist ein weiteres OPEC-Ministertreffen geplant. Während sich Chavez unnachgiebig zeigt, räumte sein Energieminister Rodriguez jedoch schon ein, dass dann Gelegenheit sei „die starken Marktschwankungen zu korrigieren.“
PERU
Lobreden auf einen Top-Agenten – Fujimori verabschiedet offiziell seinen Geheimdienstchef
Von Stefanie Kron
(Berlin, 26. September 2000, npl).- „La Mosca“ – die Fliege – ist eine der zahlreichen Bezeichnungen für Vladimiro Montesinos, den berüchtigten Chef a.D. des peruanischen Geheimdienstes (SIN): Die Fliege hört und spürt man, bekommt sie aber nicht zu fassen, sagt man in Peru.
Mitte September tauchte ein Video auf, das den bislang omnipräsenten, aber lichtscheuen Präsidentenberater mit einem Abgeordneten der Opposition „in flagranti“ bei dem Versuch zeigt, letzteren zu bestechen, um ihn auf die Seite von Staatschef Fujimori zu bringen. „Doktor Montesinos“ verschwand zunächst von der Bildfläche. Seitdem ringen Fujimori und die Spitze der Streitkräfte um Schadensbegrenzung. Denn alle delikaten Informationen über das politische System Perus, laufen bei Montesinos zusammen. Tausende von Akten, Filmen und Tonbändern soll der ehemalige Hauptmann der Armee gesammelt haben, die die gesamte politische und militärische Elite des Andenlandes zu Fall bringen könnten.
Montesinos wurde von Fujimori bei seinem Amtsantritt 1990 aus dem Gefängnis geholt. Dort saß er wegen des Vorwurfs, für die CIA spioniert zu haben und mit der Drogenmafia unter einer Decke zu stecken. Montesinos wurde zum alter ego Fujimoris. Er soll das Bündnis zwischen Armee und Präsident geschmiedet, den allmächtigen Geheimdienstapparat SIN aufgebaut und Chefredaktuere, Generäle und Richter wie Marionetten angeführt haben. Mit dieser Unterstützung der Streitkräfte löste Fujimori 1992 das Parlament auf und ließ sich eine Verfassung „maßschneidern“, die ihm nahezu uneingeschränkte Machtbegfugnisse verlieh.
Nach dem Auftauchen des Videos erklärte Fujimori am 16. September überrraschend den Geheimdienst für aufgelöst. Außerdem kündigte er Neuwahlen an, für die er nicht mehr kandidieren werde. Am Montag (25.09.) gab Fujimori im peruanischen Fernsehen offiziell den Rücktritt Montesinos bekannt. Er stritt ab, dieser sei seines Amtes enthoben worden und dankte dem Top-Agenten aussweifend für seine „hervorragenden Dienste im Kampf gegen den Terrorismus, den Drogenhandel und im Bereich der öffentlichen Sicherheit“. Am gleichen Tag erklärte die Regierung Panamas, Montesinos sei am Vortag in dem mittelamerikanischen Land eingetroffen und habe dort Asyl beantragt.
Noch am Samstag (23.09.) hatte Panama ein von der peruanischen Regierung eingereichtes Asylverfahren für Montesinos abgelehnt. Nun prüft die panamesische Regierung einen Antrag, der von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterzeichnet wurde, „um“, wie es OAS-Generalsekretär Cesar Gaviria ausdrückte, „die Demokratie in Peru zu retten“.
Die linke Opposition in Lima ist mehr als verwundert. Sie unterstellt Fujimori, die Lobesrede auf Montesinos habe einzig dem Zweck gedient, seine Auslieferung an Peru unmöglich zu machen. Auch die OAS wurde scharf kritisiert. „Ihr Asylantrag kommt einer Amnestie Montesinos gleich“, so die Journalistin Anabel Quijano, „dem von Menschenrechtsorganisationen Korruption und schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden“.
Legenden ranken sich um Montesinos, der oft als Architekt des autoritären „Fujimorismo“ bezeichnet wurde. Legenden ranken sich jedoch auch um das Ausmaß der Staatskrise in Peru und die eigentlichen Hintergründe des plötzlichen Verschwindens von „La Mosca“. Dafür sollen allerdings nicht die dubiosen Filmaufnahmen ausschlaggebend gewesen sein, von denen im übrigen vermutet wird, dass sie unter seiner Regie entstanden sind, um später bestechliche Oppositionelle erpressen zu können.
Ein viel folgenschwerer Skandal, gegen den der Inhalt des Videos wie ein Lippenstiftdiebstah erscheint, kam schon Ende August kurz ans Tageslicht, bevor die Massenmedien zum Schweigen angehalten wurden. Montesinos selbst machte öffentlich, er habe einen Waffendeal zwischen Jordanien, peruanischen Ex-Offizieren und der kolumbianischen FARC-Guerilla auffliegen lassen. Diese Aussage sollte sein vor allem im internationalen Ausland angekratztes Image aufpolieren. Insbesondere die USA hatten nach dem letzten systematischen Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen im Mai gefordert, dass sich Fujimori von Montesinos „trennt“. Jordanien erklärte daraufhin jedoch, hohe – amtierende – peruanische Generäle hätten im Auftrag ihrer Regierung den Deal abgeschlossen.
Damit schien die Spitze eines Eisberges aus Desinformation und Korruption abzutauen, die nicht nur Montesinos, sondern auch die gesamte Armeespitze und nicht zuletzt Fujimori selbst, in eine delikate Situation katapultierten.
Anabel Quijano vermutet, dass dieser Vorfall den Bruch zwischen Montesinos und Fujimori – der unter zunehmenden Druck aus dem Ausland stand – besiegelte. Allerdings büßte der Präsident auch den für ihn „überlebensnotwendigen“ Rückhalt im Generalstab der Armee ein. Fernando Olivera erwähnte gegenüber npl, dass Montesinos schon Anfang September eine Militäraktion gegen den Präsidenten plante, „um eine provisorische Regierung einzusetzen, die mit dem gemäßigten Teil der Opposition die Straflosigkeit der Militärmafia und des Geheimdienstes aufgrund des Waffendeals mit der FARC aushandeln sollte.“ Fujimori habe von den Putschgerüchten Wind bekommen, fährt Olivera fort, „schob das Video vor und gab die Auflösung der SIN bekannt.“ So verwundert es auch kaum, dass sich die gemäßigte Opposition mit der Regierung in Lima am vergangenen Freitag auf die offizielle Entlassung Montesinos einigte, um seine Auslieferung zu verhindern.
Montesinos soll – laut Olivera – zudem vor seiner Ausreise nach Panama mit den ihm nahestehenden Generälen vereinbart haben, die Spitze der Streitkräfte bis Ende des Jahres zu erneuern. Deren Oberbefehlshaber, General Jose Villanueva Ruesta, wiederholt bei Pressekonferenzen zwar notorisch, Militär und Nationalpolizei bildeten eine „monolithische Organisation“. Trotzdem sind in den letzten Tagen drei hochrangige Generäle, die nicht direkt zum engeren Kreis um Montesinos gehörten, auf einen niedrigeren Rang versetzt worden. „Sie sollen den Weg für zwei Offiziere frei machen, die zu den engsten Vertrauten Montesinos zählen“, vermutet Olivera. „Juan Yanqui Cervantes, Instruktionschef der Armee und Luis Cubal Portal, ein Schwager Montesinos, werden allgemein die besten Aussichten gegeben, die Streitkräfte in den nächsten Jahren zu führen“.
Da Montesinos das Informationsmonopol der SIN besaß, die fast alle Geheimstrukturen der Streitkräfte und der Nationalpolizei kontrollierte, „kann er die offiziell aufgelöste Geheimorganisation vom Ausland steuern“, befürchtet Olivera.
Fujimori verliert Parlamentsmehrheit
(Lima, 26. September 2000, pulsar-Poonal).- Die Unterstützung für das Fujimori-Regime bröckelt weiter ab. Jetzt ist auch die durch Bestechung erreichte Abgeordnetenmehrheit verloren. Drei Mandatsträger des Regierungsbündnisses 2000 traten zurück und folgen damit zwei Abgeordneten, die diesen Schritt direkt nach der Veröffentlichungs des Videos unternahmen. Darüber hinaus wachsen die Spannungen unter den verbliebenen Abgeordneten. Erstmals in zehn Jahren Fujimorismo scheint es möglich, dass die Regierungsbänkler die Vorschläge des Präsidenten nicht einfach nur im Parlament absegnen.
Kardinalsvakuum
(Lima, September 2000, na-Poonal).- Nach dem Tod des 77-jährigen Kardinals Augusto Vargas Alzamora Anfang des Monats wird über die Nachfolge gerätselt. Alzamora war der einzige peruanische Kirchenmann mit Kardinalsrang. Er gehörte zum Jesuitenorden und war in Armenvierteln tätig. 1989 trat er das Amt des Erzbischofs von Lima an, vor zwei Jahren trat er bei Erreichen der Altersgrenze zurück. Sein Nachfolger als Erzbischof, Juan Luis Cipriani, gilt als einer der heißesten Anwärter auf die Ernennung zum neuen Kardinal und Primas von Peru. Der regierungsnahe Cipriani ist Mitglied des Opus Dei.
BOLIVIEN
Konflikte fordern Tote
(La Paz, 25. September 2000, copress-Poonal).- Die verschiedenen Streiks und Blockaden im Land (vgl. Poonal 448) haben inzwischen mindestens fünf Tote und mehrere Dutzend Verletzte gefordert. Trotz des Einsatzes von Polizei und Militärs gelang es der Regierung bis Anfang der Woche nicht, die Straßen dauerhaft frei zu halten. Die Hauptstadt La Paz und die Stadt Cochabamba befinden sich praktisch im Belagerungszustand.
BRASILIEN
Indigenas machen Strommasten windanfällig
(Brasilia, 22. September 2000, comcosur-Poonal).- Indigenas aus dem Urwaldgebiet der Region Gran Sabana haben zum vierten Mal Strommasten einer Leitung umgelegt, die von Venezuela nach Brasilien führt. Sie protestieren damit gegen verursachte Umweltschäden durch den Leitungsbau. Die kündigten den Einsatz der Polizei an, um „Delikte solcher Art“ zu verhindern. Direkte Attentate auf die Strommaste können den Indigenas nicht vorgeworfen werden. Sie lockerten lediglich das Fundament der Masten, der starke Wind in der Zone erledigte den Rest.
ARGENTINIEN
Reiseangst unter Militärs
(Buenos Aires, 22. September 2000, comcosur-Poonal).- Argentinische Militärs im Ruhestand haben gegenüber der aktuellen Streitkräfteführung ihre Sorge ausgedrückt, bei Reisen ins Ausland über keine Rechtsgarantien zu verfügen. Viele ehemalige Mitglieder der Militärdiktatur wissen nicht, ob in anderen Ländern Anklagen gegen sie vorliegen, die bei einem Aufenthalt außerhalb Argentiniens zu ihrer Verhaftung führen könnten. General Brinzoni versprach, die Situation jedes einzelnen zu klären. Nach den jüngsten Fällen des zeitweise in Italien festgesetzten Major Jorge Olivera und des Korvettenkapitäns Ricardo Miguel Cavallo, der als ehemaliger Folterer in Mexiko entlarvt und von Interpol verhaftet wurde, ist die Unruhe unter den argentinischen Militärs gewachsen.
URUGUAY
Prostitution steht vor Legalisierung
(Montevideo, 25. September 2000, comcosur-Poonal).- Das älteste Gewerbe der Welt wird in Uruguay bald legalisiert. Die Parteien räumten in der Menschenrechtskommission der Abgeordnetenkammer ihre Meinungsverschiedenheiten zum Thema Prostitution weitgehend aus. Diese hatten im Wesentlichen darin bestanden, welche Behörde dafür zuständig sein sollte, ein Verzeichnis der Sexarbeiter*innen zu führen. Nach einem Kompromiss werden dafür zukünftig sowohl das Innenministerium über die Polizeistellen sowie das Gesundheitsministerium über die Polikliniken für Geschlechtskrankheiten verantwortlich sein. Nach jüngsten Erhebungen arbeiten allein in der Hauptstadt Montevideo 6.500 Frauen und 1.500 Männer im Prostitutionsgewerbe. Abgesehen davon, dass ihre Arbeit in der Vergangenheit als illegal angesehen wurde, gibt es weitere Diskriminierungen. Wer den Behörden als ProstituierteR bekannt ist, erhält beispielsweise keinen Reisepass und kann somit nur illegal aus Uruguay ausreisen.
CHILE
„La Funa“ belästigt die Schergen der Diktatur
(Santiago, 26. September 2000, na-Poonal).- Eine als „La Funa“ bekannte Gruppe ist seit einem Jahr den ehemaligen Mitgliedern der Geheimpolizei der Pinochet-Diktatur (1973-90) auf der Spur. Auf friedliche Weise stellt sie Agenten vor ihren heutigen Wohnsitzen und Büros bloß. Mit Plakaten, Schreien und Pfiffen machen die Aktivisten von „La Funa“ die Identität derjenigen öffentlich, die unter der Diktatur an Entführungen, Folter, Mord und dem Verschwindenlassen von Personen beteiligt waren und sich aufgrund der von dem Pinochet-Regime verabschiedeten Amnestiegesetze der Justiz entziehen konnten. Seit ihrer Gründung hat die Gruppe bereits neun Geheimpolizisten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, öffentlich angeklagt. „Funar“ bedeutet in der Umgangssprache „langweilen, belästigen, überhäufen“, in der Mapuchesprache, dem Mapudungun, steht es für „verfaulen“. Der rechtsgerichtete Senator Maximiliano Errázuriz hat gegen „La Funa“ eine Gerichtsklage eingereicht, weil es sich um eine „unerlaubte Vereinigung“ handeln soll. „Was wir machen, ist kein Verbrechen, zumindest nicht nach den chilenischen Gesetzen. Es ist eine Form, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen“, sagt Yuri Gaona, Sprecherin der Gruppe. In Uruguay und Argentinien gibt es bereits seit einigen Jahren Gruppen, die auf die gleiche Art und Weise auf die schmutzige Vergangenheit vieler zu Biedermännern gewandelten Kollaborateure der Militärdiktaturen hinweisen.
MITTELAMERIKA
Drogenpolitik unter Kontrolle der USA – Ein Land nach dem anderen in der Region unterschreibt bilaterale Verträge
(26. September 2000, na-Poonal).- Angesichts des Scheiterns der zentralamerikanischen Regierungen, ein regionales Abkommen zur Drogenbekämpfung zu erreichen, akzeptiert nun jede einzelne bilaterale Vereinbarungen. Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua haben eine Kooperation verschiedenen Ausmaßes mit den USA begonnen. In Panama ist die Drogenbekämpfung wegen der Meinungsverschiedenheiten der wichtigsten politischen Parteien blockiert. Kritiker werfen den Ländern vor, mit den Abkommen zum einen ihre Souveränität aufgegeben und – bedeutender noch – den USA einen Vorwand geliefert zu haben, mit Militär in der Region präsent zu sein.
Nachdem die Verhandlungen über die Einrichtung einer Drogenbekämpfungsbasis in Panama 1998 scheiterten, unterschrieben die USA insgesamt zehn Abkommen, die ihnen zumindest die befristete Nutzung von Militärstützpunkten in Curazao und Aruba, auf den holländischen Antillen und in Manta, Ecuador, sicherten. „Wenn in den 80-er Jahren die Rechtfertigung des US-Interventionismus in der Aufstandsbekämpfung bestand, so ist es nun das Vorgehen gegen die Drogen“, sagt Celia Medrano, Generalkoordinatorin der Kommission zur Verteidigung der Menschenrechte in Mittelamerika (CODEHUCA). Sowohl die US-Streikräfte wie die einheimischen Armeen sind stärkstens in jüngsten Regionalabkommen einbezogen.
Im vergangenen Jahr verabschiedeten die costarikanischen Abgeordneten einen Vertag mit den USA, der gemeinsame Patrouillen auf dem Territorium und in den Küstengewässern Costa Ricas erlabut. Die Patrouillen werden seit Anfang März im Pazifik und der Karibik durchgeführt. Innerhalb der ersten zehn Tage durchsuchten die Agenten 104 Schiffe, ohne allerdings fündig zu werden. Ein Boot der Küstenwache und eine Raketenfregatte der USA operieren vor dem costarikanischen Hafen Limón an der Karibikseite des Landes.
Obwohl das Ziel der USA der Einsatz gegen die Drogen ist, arbeitet ihre Küstenwache bei Rettungsaktionen und Maßnahmen zum Meeresschutz mit. Das costarikanische Sicherheitsministerium gab bekannt, dass die 30 Agenten und 60 einheimischen Polizisten unterstützt von US-Helikoptern bisher mehr als eine Million Marihuanapflanzen zerstört und 67 Kilo Kokain in dem südöstlichen Indigena-Reservat Talamanca beschlagnahmt haben. Minister Rogelio Ramos erklärt, zukünftig könnten die von den USA ausgebildeten costarikanischen Polizisten solche Aktionen unabhängig durchführen.
Honduras und die USA unterschrieben am 29. März eine Vereinbarung, um gemeinsame Operationen im honduranischen Land-, Luft- und Seeraum zu realisieren. Der Vertrag überlässt Honduras die Rechtsprechung über Ladung, Besatzungen und jede beschlagnahmte Substanz sowie die Autorität bei Verhaftungen und Gerichtsverfahren. Am 14. Juni begann ein 15-tägiges Militärmanöver mit gemeinsamem Kommando der beiden Länder.
Mitte April stimmte ebenfalls der guatemaltekische Kongress einem Abkommen mit den USA zu. Es autorisiert die Teilnahme von US-Truppen an einer Aktion zur Drogenbekämpfung, die unter dem Namen „Maya Jaguar“ laüft. Bisher gab es eine Beschränkung auf 99 nordamerikanische Soldaten. Bereits am 18. April kamen drei Helikopter und 450 Soldaten, Piloten, Techniker und Sonderagenten im Land an. Ein Funktionär der einheimischen Anti-Drogeneinheit der Nationalpolizei gab die Beteiligung der guatemaltekischen Seite mit 125 Agenten an. Die Operationen starteten am 10. Mai.
Nicaragua hat einen Vertrag mit der Großmacht, der deren Drogenbehörde DEA erlaubt, in dem mittelamerikanischen Land zu agieren. Das nicaraguanische Parlament verabschiedete kein formales Abkommen, das gemeinsame Aktion vorsieht. Doch nach einer USA-Reise im März verkündete Streitkräftechef Javier Carrión, ein solches Abkommen werde diskutiert.
Ende März setzte El Salvador seine Unterschrift unter ein Dokument, dass die USA ermächtigt, vom salvadorianischen internationalen Flughafen Comalapa aus verdächtige Flugzeuge zu stoppen. Im Juli verabschiedete das Parlament den Vertrag mit einfacher Mehrheit. Am selben Tag stimmten die Abgeordneten zudem für ein Gesetz, dass gemeinsame Ausbildungsmanöver von US-Soldaten und der salvadorianischen Zivilen Nationalpolizei absegnet. Doch die oppositionelle Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) legte Einspruch beim Obersten Gericht des Landes ein. Für sie ist der Vorgang verfassungswidrig, da das Abkommen mit der nationalen Souveränität zu tun habe. Solche Angelegenheiten verlangen aber laut Verfassung eine Dreiviertel-Mehrheit im Parlament.
Diese Stimmen wird die regierende rechte ARENA-Partei kaum zusammen bekommen. FMLN-Fraktionsführer Jorge Schafick Handal bezeichnet den Pakt als „tiefgehende Schädigung der nationalen Souveränität“. Schafik weist darauf hin, dass über die Flughafenbenutzung hinaus das US-Personal Waffen und Uniformen tragen und verschiedene weitere Regierungseinrichtungen betreten darf. Zahlenmäßig ist das US-Kontingent nicht begrenzt, was Schafik sogar zu der Befürchtung veranlasst, es könne einer US-Besetzung der Weg geebnet werden. Anderen Kritikern bereitet es mehr Sorge, dass den USA mit dem Vertrag die Kompetenz gegeben wird, ausführende Gesetzesautorität zu sein. Der gerichtliche Kampf der FMLN gegen das Abkommen mit den USA könnte sehr bald aktuell werden.
Unterdessen arbeitet Panama daran, die Anti-Drogenkräfte zu ersetzen, die bis zu ihrem endgültigen Abzug am 31. Dezember 1999 von den USA gestellt wurden. Der Justiz- und Innenminister Winston Spadafora will im Rahmen eines neuen Plans der Nationalen Sicherheit eine eigene Politik der Drogenbekämpfung realisieren. Im Außenministerium dagegen wird noch die Möglichkeit multilateraler Abkommen sondiert.
Selbst wenn alle Welt darin übereinstimmt, dass der Drogenfluss in Richtung USA gestoppt werden muss, machen Aktivisten wie Medrano von der CODEHUCA Einschränkungen. Die US-Hilfe müsse sich darauf konzentrieren, die demokratischen Institutionen in Zentralamerika zu stärken und die Korruption zu beenden anstatt den Grad der Militärintervention zu erhöhen. „Wir stimmen der Notwendigkeit der Drogenbekämpfung zu, aber nicht auf diese Weise“, sagt Medrano.
ANTI-DROGENHILFE DER USA (1.000 US-Dollar)
Land 1997 1998 1999
Belice 224 296 379
Costa Rica 133 210 509
El Salvador 279 271 318
Guatemala 806 869 1,310
Honduras 418 665 675
Panamá 2,799 2,843 1,404
MILITÄR- UND POLIZEIHILFE DER USA (1.000 US-Dollar)
Land 1997 1998 1999
Belice 432 554 629
Costa Rica 333 451 709
El Salvador 734 783 818
Guatemala 2,221 2,847 4,150
Honduras 843 2,920 4,150
Panamá 2,949 2,591 2,504
(Quelle: Center for International Policy)
EL SALVADOR
Hilfe aus Kuba
(San Salvador, 26. September 2000, alpress-Poonal).- Eine Brigade von 20 kubanischen Ärzten ist in El Salvador eingetroffen, um bei der Bekämpfung des Denguefiebers zu helfen. Bei der Vermittlung zwischen dem sozialistischen Inselregime und der rechtsgerichteten ARENA-Regierung des mittelamerikanischen Landes half offenbar die linke Stadtregierung San Salvadors. Diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Staaten bestehen nicht. Ein Mitglied des Stadtrates ließ durchblicken, dass die Kubaner ihre „uneingeschränkte Hilfe“ bereits früher angeboten hätten, aber „anscheinend gewartet werden musste, bis die Angelegenheit sich verschärfte“. Ab jetzt wird die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) die Kommunikation zwischen Kubanern und salvadorianischem Gesundheitesministerium übernehmen.
Strafen für sexuelle Belästigung
(San Salvador, 19. September 2000, alpress-Poonal).- Ab dem 1. Oktober wird in San Salvador die sexuelle Belästigung von Personen in der Öffentlichkeit mit Geldstrafen belegt. Als Alternative zur Bußzahlung kann auch Gemeindedienst geleistet werden. Bereits in diesem Monat werden die Strafen verteilt, aber noch nicht vollzogen. Die Regelung ist Bestandteil einer neuen Gemeindeordnung für die Hauptstadt
GUATEMALA/MEXIKO
Flüchtlinge gehen erneut über die Grenze
(Guatemala-Stadt, 26. September 2000, na-Poonal).- Während der 80er Jahre flüchteten etwa 45.000 Guatemalteken (diese Zahl wurde offiziell anerkannt, die wirkliche Zahl lag bei etwa 200.000; d. Red.) vor dem Bürgerkrieg nach Mexiko. Mitte 1999 war nach mehreren Rückkehrkarawanen die Hälfte von ihnen wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt. Doch gleichzeitig traten ungefähr 500 Familien die erneute Rückkehr in den mexikanischen Bundesstaat Chiapas an. Viele von ihnen siedelten sich in Gemeinden an, die unter dem Einfluss der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) stehen.
Die guatemaltekischen Flüchtlinge sagen, ihre Regierung habe die Versprechen auf Wohnungen und Wiederansiedlungshilfe nicht eingehalten. In ihren abgelegenen Gemeinden fehle es an der Grundversorgung. Dagegen sei Mexiko ein „Paradies“. Dies betrifft vor allem die besseren Löhne. Statt nicht einmal 40 US-Cents in Guatemala können sie in Mexiko zumindest knapp zwei Dollar verdienen. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge hat die guatemaltekische Regierung aufgefordert, die Lebensbedingungen im Land zu verbessern, um den Migrationsfluss zu bremsen.
MEXIKO
Fox rückt nach rechts
Von John Ross
(Mexiko-Stadt, 26. September 2000, na-Poonal).- Als Kandidat führte sich der gewählte Präsident Vicente Fox extravagant und extrovertiert auf. Mit einer pfannengroßen Gürtelschnalle, die seinen Namen trug und handgefertigten Cowboy-Stiefeln reiste er durchs Land, seine politischen Gegner mit rüden Worten bedenkend. Ein Malboro Man, der sein Image so verkaufte, wie er es 16 Jahre lang mit der Marke Coca-Cola in ganz Mexiko und Mittelamerika tat.
Jetzt sind die Stiefel weg beziehungsweise diskret unter den eleganten marineblauen präsidentiellen Anzügen versteckt und der plötzlich reservierte Fox teilt keine Hiebe mehr gegen die Konkurrenz aus. Seine öffentlichen Erklärungen strotzen vor Zerknirschung und schließen sogar Entschuldigungen gegenüber den geschlagenen Kandidaten Cuauhtémoc Cárdenas und Francisco Labastida ein.
Seit dem 2. Juli ist Fox der wirkliche Präsident in den Augen der Leute und läuft dem scheidenden Ernesto Zedillo den Rang ab. Auf internationalen Reisen Richtung Norden und Süden gibt er Erklärungen über die Außenpolitik ab, die die Titelseiten füllen. Das Wirtschaftsteam von Fox bereitet den kommenden Haushalt vor und sein Schattenkabinett trifft sich regelmäßig mit den Ministern Zedillos.
Doch das Bild, das sich aus informellen Gesprächen mit Menschen aus Fox Umgebung und Funktionären seiner Mitte-Rechtspartei der Nationalen Aktion (PAN) herausschält, ist das eines Regimes, das sehr viel mehr zur Rechten als zur Mitte neigt. Die 15 Millionen, die am 2. Juli für den Wechsel stimmten, könnten auf einmal merken, dass dieser Wechsel sich in eineRichtung bewegt, die sie nie erwarteten. Zudem wird es Fox schwer haben, seine vielen – und oft nicht besonders kongruenten – Versprechen zu erfüllen.
Während seiner dreijährigen Kampagne für das Präsidentenamt äußerte Fox häufig seine Entrüstung über die Armut, in der die breite Mehrheit der Mexikaner lebt. Jetzt spricht sein wahrscheinlich zukünftiger Finanzminister Ernesto Derbez, ein ehemaliger Weltbankfunktionär, davon, die Steuern für die ärmsten Mexikaner zu erhöhen. Sein Vorschlag besteht in einer Mehrwertsteuer von 15 Prozent für Lebensmittel und Medikamente. Bei der 1995 nach dem Währungszusammenbruch von Abgeordneten der PAN und der noch regierenden Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung waren diese beiden Sparten noch ganz von Steuern befreit gewesen. Eine 15-prozentige Besteuerung der Grundbedürfnisse überträfe den Anstieg der Mindestlöhne und würde besonders die Arbeiterklasse und die verarmten Familien treffen. Mit dem Argument, Mexiko erreiche nur die Hälfte der Steuereinahmen anderer lateinamerikanischer Länder besteht Derbez auf der neuen Steuer, auch wenn er die Forderung in der Öffentlichkeit zuletzt nicht mehr vorgebracht hat.
Die Zusage von Fox, die einheimische Ölindustrie nicht zu privatisieren, lässt er durch schwammige und interpretierbare Äußerungen immer wieder auf schwachen Füßen stehen. Die von Ernesto Zedillo vorbereitete „Öffnung“ des Öl- und Stromsektors, will der gewählte Präsident fortsetzen. Sind Hindernisse einmal aus dem Weg geschafft, könnte sich in einigen Jahren doch der gesamte Energiebereich des Landes in privater Hand befinden.
Auch in der Außenpolitik scheint sich Fox nach Rechts zu bewegen. Während die PRI vier Jahrzehnte lang die kubanische Revolution bedingungslos unterstützte, erklärte der gewählte Präsident auf seiner Südamerikareise gegenüber der argentinischen Zeitung „Clarín“, er werde bei seinem Umgang mit der bedrängten Inselnation kritischer sein. In einer Antwort auf jüngste Anschuldigungen von Kubas Präsident Fidel Castro, bei einem Sieg des US-Präsidentschaftskandidaten George W. Bush im November würden die USA Mexiko wirtschaftlich annektieren und Fox gegen Kuba manipulieren, bezeichnete der gewählte Präsident Castro als „Träumer“.
Im Mittelamerika machte Fox Versprechen, die bei den Politikern der Region schwerlich in Vergessenheit geraten werden. Während seiner Aufenthalte im September in Guatemala, Honduras, Costa Rica, El Salvador und Nicaragua verkündete er, seine Regierung werde Zentralamerika als Handelspartner Vorrang geben und ganz Lateinamerika einbeziehen. Nach seinem Amtsantritt wolle er eine Entwicklungsstrategie für die südöstlichen mexikanischen Bundesstaaten und die fünf mittelamerikanischen Nationen fördern.
Trotz der während seiner im Wahlkampf geschürten Erwartungen, er werde das Problem im Bundesstaat Chiapas „in 15 Minuten“ lösen, haben die Initiativen von Fox bisher zu nichts geführt. Ein Kontakt mit dem aufständischen Zapatisten ist bisher nicht zustande gekommen. Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) hält ihr Schweigen aufrecht. Aber selbst wenn die EZLN entscheiden sollte, mit dem neuen Präsidenten Fühlung aufzunehmen, wird der Friede noch nicht nah sein. Die offiziellen Streitkräfte, deren Machtquote im neuen Regime noch in der Luft hängt, zeigen wenig Bereitschaft, sich aus der Konfliktzone zurück zu ziehen. Das ist aber eine der Hauptbedingungen der Zapatisten, um wieder an den Verhandlungstisch zu kommen.
Der Sieg der PAN hat zu Moralkampagnen im Land geführt. Schon zuvor hatten von der PAN regierte Städte und Bundesstaaten damit Aufsehen erregt, ihren weiblichen Angestellten beispielsweise das Tragen von Miniröcken bei der Arbeit zu untersagen oder Plakatwerbungen für Büstenhalter entfernen zu lassen, weil dies angeblich gegen die Moral verstieße. Seit dem 2. Juli haben Lokalregierungen der PAN in der Stadt Juarez ein Gesetz verabschiedet, das „obzöne Gesten“ in ein Delikt verwandelt, in Cordoba die Homosexuellen von der Straße vertrieben und in Guadalajara dafür gesorgt, dass aus einer von dem weltweit anerkannten Künstler José Luis Cuevas organisierten Ausstellung 13 „erotische“ Bilder zurück gezogen wurden. Nachdem Cuevas protestierte kamen die Bilder wieder in die Ausstellung. Doch eines davon – „La Patrona“, das die Jungfrau von Guadalupe als nackte Marilyn Monrö darstellte – wurde bald darauf im ausstellenden Museum von Mitgliedern der militanten Anti-Abtreibungsgruppe Pro Vida heimgesucht und zerstört. Ein weiteres Signal für eine Zukunft unter Fox.
Der drastischte Schwenk nach Rechts geschah im Bundesstaat Guanajuato, wo Fox geboren wurde und wo er bis zum vergangenen Jahr Gouverneur war. Mit ihrer Ein-Stimmenmehrheit verabschiedeten die örtlichen PAN-Abgeordneten im August Haftstrafen zwischen sechs Monaten und drei Jahren für Vergewaltigungsopfer, die eine Abtreibung vornehmen lassen. Erst nach landesweiten Protesten legte der Gouverneur von Guanajuato sein Veto gegen das Gesetz ein – offenkundig nicht aus Überzeugung, sondern aus Imagegründen.
Dem Gesetz voraus ging eine Skandal in einem anderen PAN-Bundesstaat, Baja California Norte. Dort wurde vor einigen Monaten ein 13jähriges vergewaltigtes Mädchen gezwungen, schwanger zu bleiben, nachdem die Ärzte in einem öffentlichen Krankenhaus es ablehnten, die Abtreibung durchzuführen, obwohl das örtliche Gesetz diese Möglichkeit ausdrücklich vorsah. Die Weigerung wurde von dem Gesundheitsminister der PAN unterstützt. Wenig später fand er sich im Übergangsteam von Vicente Fox wieder.
Die Vergewaltung gehört zu den wenigen Rechtfertigungen, die das Bundesgesetz für eine Abtreibung vorsieht. Aber in besonders orthodoxen mexikanischen Bundesstaaten wie Guanajuato fallen Vorschläge für Gesetzesverschärfungen auf fruchtbaren Boden. Sehr zu Freude der katholischen Hierachie des Land, die ihre Befriedigung über den Triumpf von Fox nicht verhehlt hat. Sowohl Norberto Rivera, der machtnahe Erzbischof von Mexiko-Stadt wie auch Pro Vida treten dafür ein, schärfere Abtreibungsgesetze auf alle Bundesstaaten auszudehnen.
Während seiner Aufsehen erregenden Kampagne wickelte sich der gewählte Präsident in die Standarte der Jungfrau von Guadalupe ein und seit seinem Sieg geht er jeden Sonntag in die Messe – seit 60 Jahren der erste mexikanische Staatschef, der das tut. Bisher sträubt sich Fox nur, wenn die katholische Kirche ihm vorschlägt, sich zu verheiraten. Zwar wurde seine Ehe mit Liliana de la Concha, mit der er vier Kinder adoptierte, vor neun Jahren annulliert. Doch im Bulletin der Erzdiözese von Mexiko-Stadt wird Fox ermuntert, sich zum Wohle der Familie mit ihr zu versöhnen. Dann wäre er ein Präsident vollständig nach dem Sinn des konservativen Teils des Klerus.
HAITI
Demonstration gegen Lavalas
(Port-au-Prince, 18. September 2000, sicrad-Poonal).- Zum ersten Mal in zehn Jahren hat eine Demonstration gegen die von Ex-Präsident Jean-Bertrand Aristide geführte Regierungspartei „Lavalas Familie“ mehr als 8.000 Menschen mobilisiert. In der östlichen Provinz Hinche protestierten Mitglieder der Bewegung MPP gegen die sozio-ökonomische Lage im Land und riefen zu zivilem Ungehorsam auf. MPP-Chef Chavannes Jean-Baptiste, eine wichtige Figur im Kampf gegen die Militärregimes bis 1986 und früherer Vertrauter von Aristide, nannte die Regierung von Präsident Rene Preval eine „Diktatur“ und wiederholte die Kritik an den Wahlen vom Mai und Juli. „Wir werden an keiner Ernennungs-Maskerade teilnehmen, weder mit Preval noch mit dem Wahlrat“, rief er unter dem Applaus der Demonstranten. Nach den offiziellen Wahlergebnissen wird „Lavalas“ 18 von 19 neuen Senatoren und 72 von 83 Abgeordneten stellen. Damit verfügt sie in beiden Parlamentskammern über eine Zweidrittel-Mehrheit.
OEA-Mission zur Krisenbewältigung
(Port-au-Prince, 26. September 2000, pulsar-Poonal).- Die Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) hat eine Delegation nach Haiti geschickt, die zwischen den verschiedenen politischen Parteien zu vermitteln soll. Die Parlaments- und Regionalwahlen vom Mai und Juli dieses Jahres werden von der Opposition nicht anerkannt. Die OEA selbst stellte das Wahlverfahren in Frage, die die Partei „Famile Lavalas“, die von Ex-Präsident Jean-Bertrand Aristide geleitet wird, klar bevorteilte.
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