Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 370 vom 29. Januar 1999
Inhalt
GRENADA
MEXIKO
GUATEMALA
HONDURAS
BRASILIEN
KOLUMBIEN
URUGUAY
ECUADOR
ARGENTINIEN
VENEZUELA
GRENADA
Haushoher Sieg des bisherigen Premiers
(Saint Georges, 25. Januar 1999, na-Poonal).- Die Neue Nationalpartei von Premierminister Keith Mitchell hat die Wahlen vom 18. Januar in allen 15 Wahlbezirken der Insel haushoch gewonnen. Nachdem Mitchell bei einem Mißtrauensvotum im Parlament unterlag, hatte er sich gezwungen gesehen, 18 Monate früher als vorgesehen, Neuwahlen auszuschreiben. Die mit neun Sitzen im bisherigen Parlament vertretene Opposition hatte die Partei von Mitchell der Korruption bezichtigt. „Es scheint so, als hätten wir 15 zu Null gewonnen“, sagte Mitchell nach den ersten Ergebnissen. „Es ist ein entscheidender Moment für Grenada. Die Menschen sind der bisherigen Politik müde, der perversen Attacken überdrüssig und bereit, das Land in eine neue Zeit zu überführen.“ Die Oppositionspolitiker gaben ihre Niederlage zu. Nach Meinung von Robert Grant von der Neuen Demokratischen Partei waren die sechs Wochen zwischen der Ausschreibung der Wahlen und dem Wahltermin zu kurz, um sich zu organisieren. Mitchell hatte den 100.000 Einwohnern Grenadas im Wahlkampf Stabilität und weitere ausländische Investitionen versprochen.
Auch die us-amerikanische Invasion kam wieder zur Sprache. 1983 hatten die USA unter Ronald Reagan blutige Auseinandersetzungen innerhalb der linken Regierung Grenadas zum Vorwand genommen, sich gegen die „kommunistische Bedrohung“ der kleinen Insel und den Einfluß der Kubaner dort zu schützen. Der kürzliche Tod eines 18-jährigen Schülers belebte die Erinnerung an die gewalttätige Vergangenheit des Landes neu. Fabian Horsford starb im Dezember, als er im Landkreis Petit Calivigny auf einen Blindgänger trat. Hier waren während der Invasion unzählige Bomben niedergegangen. Nach dem Tod des Schülers wurden zwei weitere Sprengkörper in der Gegend gefunden. Die Mutter des Opfers, Jean Williams, erklärte, sie mache niemanden für den Tod ihrs Sohnes verantwortlich, doch sie glaube, das Land müsse endlich zugeben, Schauplatz einer gewalttätigen militärischen Operation gewesen zu sein. „Die Leute sagen zwar, wir müssen nach vorne schauen“, sagte Williams „aber dies zeigt nur, daß wir unsere Vergangenheit noch nicht bewältigt haben.“
MEXIKO
Krieg und Armut im Bundesstaat Guerrero
Von John Ludwick
(Tlapa, Januar 1999, na-Poonal).- Seit einiger Zeit fühlt sich Abel Barrera Hernández in Tlapa nicht mehr sicher. Das liege an der permanent steigenden Militärpräsenz in dem im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero gelegenen Städtchen, begründet er sein Unbehagen. „Es ist hier jetzt sehr gefährlich wegen der steigenden Zahl von Gewalttaten“, sagt Barrera, der der Direktor des Menschenrechtszentrums in Tlapa ist. „Man muß wirklich aufpassen, weil nicht mehr klar ist, wer Freund und wer Feind ist.“ Der ehedem für seine sonnigen Strände und den Badeort Acapulco bekannte Bundesstaat ist aufgrund der zunehmenden Zahl von Soldaten, Paramilitärs, Guerrilleros und bewaffneter Krimineller in der letzten Zeit in den Ruf gekommen, ein rauher und gewalttätiger Flecken Erde geworden zu sein.
Nach Angaben des Menschenrechtszentrums sind die gewaltauslösenden Faktoren die chronische Armut einerseits und die repressive Haltung der Regierung andererseits. Dies hat eine steigende Unzufriedenheit besonders unter der indigenen Bevölkerung zur Folge. Immer mehr Indígenas fordern Autonomierechte in ihren Gemeinden. Die Regierung ist jedoch nicht bereit, die Macht zu teilen. „Die Lösung der Regierung zur Autonomiefrage ist Folgende: Sie sollten aufhören, Indios zu sein und sich in die mexikanische Gesellschaft eingliedern“, macht Barrera klar. Nach der Volkszählung 1995 wird die Zahl der Indígenas in Mexiko auf 8,7 Millionen geschätzt, die 56 ethnischen Gruppen angehören. Guerrero ist einer der Bundesstaaten mit relativ großem Indígena-Anteil. Barrera erklärt, daß die Regierung die Organisationen unter den Indios als eine Gefahr für die Nationalstaatlichkeit einschätzt und sich weigert über autonome indigene Gebiete auch nur ernsthaft zu reden. Aber dieses Konzept ist nicht aufgegangen.
Angesichts der steigenden Armut und Repression haben viele indigene Gemeinden die Dinge in die eigene Hand genommen. Einige haben sich in politischen Parteien organisiert oder Gruppen zur Verteidigung ihrer Rechte gebildet. Alle in der Hoffnung, in der schwachen mexikanischen Demokratie selbst über ihre Zukunft bestimmen zu können. Andere haben einen gefährlicheren Weg gewählt. Wie im benachbarten Chiapas, wo sich die zapatistischen Rebellen vor fünf Jahren erhoben haben, haben auch in Guerrero einige zur Waffe gegriffen und zielen nun auf die Militärs. Barrera versteht die große Frustration der indigenen Bevölkerung Mexikos.
Die Antwort der Regierung war klar. Seit Mitte der neunziger Jahre hat die Zahl der in die Region entsandten Truppen ständig zugenommen. 1997 errichtete die Armee eine ausgedehnte Militärbasis am Rande des 30.000 Einwohner zählenden Städtchens Tlapa. Das Menschenrechtszentrum schätzt die Zahl der dort stationierten Soldaten auf etwa 2.500, offizielle Zahlen gibt es nicht. Für Barrera ist die militärische Antwort auf die wachsende indigene Bewegung in Guerrero und im übrigen Mexiko „gleichbedeutend mit Schwäche“. Die zivilen Behörden hätten das Problem nicht anders in den Griff bekommen. „Es ist doch klar, daß die Regierung die Kontrolle über eine Situation verloren hat, wenn sie das Militär schicken muß“, erklärt er.
Im gleichen Maße, wie sich der Schatten der Militärpräsenz über Guerrero ausbreitet, steigt auch die Anzahl der Menschenrechtsverletzungen. In den vergangenen drei Jahren sind 60 Menschen bei außergerichtlichen Hinrichtungen umgebracht worden, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Regierungstruppen begangen wurden. Alleine im Landkreis Tlapa hat die Gruppe um Barrera 45 Fälle von Menschenrechtsverletzungen, die von Bedrohungen über Folter bis zum Mord reichten, aufgenommen und zur Anzeige gebracht. „Die wachsende Militärpräsenz hat in Tlapa eine größere Unsicherheit unter der Bevölkerung hervorgerufen und eine chaotische Geesellschaft geschaffen“, sagt Barrera.
Bewaffnete Überfälle gehören zum Alltag, seit der illegale Handel mit den Waffen der Soldaten blüht. Der Handel mit dem Ausgangsstoff für Heroin, Mohn, hat genauso zugenommen wie die Prostitution rund um die Militärbasis. Die andere große Gefahr besteht in der wachsenden Guerilla in Guerrero. Vor allem Bauern, die das endlose Reden satt haben, hätten zu den Waffen gegriffen. Barrera glaubt, das die Rebellen genauso wie die Regieungstruppen ihre Gründe haben, gegen das Menschenrechtszentrum zu sein.
Anfang 1999 wurden bei einem Banküberfall in Tlapa zwei Polizisten getötet. Die Mörder wurden zwar als gewöhnliche Kriminelle indentifiziert, doch die in den Bergen operierende Revolutionäre Volksarmee (EPR) versuchte, sich den Überfall auf ihre Fahnen zu schreiben. Die Gruppe um Barrera widersprach der Darstellung der EPR umgehend und veröffentlichte die nach ihren Angaben tatsächliche und wahrheitsgetreue Fassung der Vorgänge, was den Zorn der Guerilla hervorrief.
Das Menschenrechtszentrum lehnt jegliche Gewalt ab und kämpft gegen den „schmutzigen Krieg“ der Regierung mit sozialen Aktivitäten und der Verteidigung der Rechte der indigenen Bevölkerung. Verletzungen gegen die Menschenrechte werden in Zeugenaussagen aufgenommen, bei Folter werden Fotos der Wunden hinzugefügt. Die gesammelte Dokumentation wird nationalen wie internationalen Menschenrechtsorganisationen zugesandt. Sowohl um ihr Überleben zu sichern, als auch der eigenen Glaubwürdigkeit wegen, sitzt dem beratenden Gremium des Zentrums der Bischof von Tlapa, Alejo Zavala Castro, vor. Außerdem sind Universitätsangehörige und weitere Priester in dem Rat. Das mache es schwieriger, die Organisation zu diskreditieren oder den Mitgliedern physischen Schaden zuzufügen, meint Barrera. „Keiner kann behaupten, wir seien politisch motiviert und es ist schwierig, daß Polizei oder Militär die Stimme eines Bischofs oder Priesters zum Schweigen bringen“, erklärt er. Trotz Gefahren und Frustrationen werde die Gruppe die Arbeit in Tlapa weiter fortsetzen. „Wir sehen einen Silberstreifen am Horizont“, bemerkt Barrera. „Im Moment ist es gefährlich, doch wir hoffen, die Risiken und Opfer unserer Arbeit werden eines Tages dazu beigetragen haben, die Gewalt einzudämmen, die alle in Tlapa bedroht.“
GUATEMALA
Demonstrationen für baldige Verfassungsreformen nehmen zu
(Guatemala-Stadt, 21. Januar 1999, cerigua-Poonal).- Zum wiederholten Male blockierten Basisorganisationen mehrere wichtige Autobahnen in verschiedenen Provinzen. Sie protestieren damit gegen die verzögerte Volksabstimmung über vom Kongreß verabschiedete Verfassungsreformen (vgl. vorhergehende Poonal-Ausgaben). In den Provinzen Escuintla, Solola und Totonicapan sowie an wichtigen Verkehrsadern in der Hauptstadt konnten die Fahrzeuge mehrere Stunden lang nicht passieren. Eine Woche zuvor hatte es die Blockaden auch Retalhuleu und Quetzaltenango gegeben. „Bis jetzt bestand der Fortschritt ausschließlich in Versprechungen, darum mußten wir drastische Maßnahmen ergreifen, damit die Bevölkerung gehört wird“, sagte Matias Jimenez von der Koalition der Maya- Organisationen (COPMAGUA). Zu den Demonstrant*innen gehörten auch Mitglieder der Vertriebenen, dem Gewerkschaftsverband UASP sowie der Versammlungen der zivilen Gruppen (ASC). Der stellvertretende Innenminister Salvador Gandara verurteilte die Aktionen. Er verwies auf den institutionellen Weg, der eingeschlagen werden müsse.
Bericht der Wahrheitskommission fertig, aber noch unter Verschluß
(Guatemala-Stadt, Januar 1999, cerigua-Poonal).- Der Abschlußbericht der sogenannten Wahrheitskommission über die Menschenrechtsverletzungen während des internen Krieges in Guatemala wird erst Ende Februar der Öffentlichkeit vorgestellt. Das ist einen Monat später als vorgesehen. Der Grund liegt nach Angaben von Kommissionsmitglied Otilia Lux de Coti im vollgepackten Terminkalender von UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Dieser soll das Dokument offiziell den Regierungsvertreter*innen und der ehemaligen Guerilla-Organisation URNG übergeben, hat aber vorher keine Zeit. Der sich bereits im Druck befindende Abschlußbericht umfaßt 3.000 Seiten und wird auf Spanisch, Englisch und mehreren Mayasprachen erscheinen.
Ein anderes Dokument über dasselbe Thema wurde unterdessen bereits der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Darin werden die staatlichen Sicherheitskräfte für nahezu alle Menschenrechtsverletzungen in dem 36jährrigen Krieg im Land verantwortlich gemacht. In einer gemeinsamen Initiative erstellten die Amerikanische Vereinigung für den Fortschritt der Wissenschaft (AS) und das Internationale Zentrum für Menschenrechtsforschung (CIDH) eine quantitative Analyse über den staatlichen und institutionellen Terror von 1960 bis Ende 1996. Die Autoren Patrick Ball, Herbert F. Spirer und Paul Kobrak dokumentieren mehr als 37.000 Fälle von Verschwundenen und Ermordeten. Laut Kobrak ist „weniger als 1 Prozent der nachgewiesenen Morde und Fälle von Verschwindenlassen der bewaffneten Opposition zuzuschreiben“.
Weiter bemerkte er bei der Präsentation: „Angesichts dieser Ergebnisse und der Hinweise, die diese und andere Studien offengelegt haben, glauben wir, daß die Verantwortung der Aufständischen nicht mit der der Armee und anderen staatlichen Sicherheitskräften gleichgesetzt werden kann.“ Für den Autor war die Unterdrückung während des Krieges eine durchdachte systematische Politik aufeinanderfolgender Regierungen. Dabei hob er zwei Regime hervor: das von Romeo Lucas Garcia (1978-82) und das von Efrain Rios Montt (1982-83). Die große Mehrheit der in die Studie aufgenommenen Verbrechen geschah unter diesen Diktaturen, nahezu die Hälfte allein im Jahr 1982. Im Vergleich von der Zahl der Menschenrechtsverletzungen und der Zeit an der Macht erreichte die Repression unter dem nur 17 Monate regierenden Rios Montt ihren Höhepunkt.
ÄS und CIIDH suchten, sich mit ihrer Studie von den anderungen Dokumenten über die Menschenrechtsverletzungen in Guatemala zu unterscheiden, indem sie strenge statistische Analyse mit der historischen Untersuchung staatlicher Gewalt im Land verbanden. „Die Zahlen und Graphiken helfen, zu bestimmen, wer die Opfer waren, wie und wann sie von wem ermodet wurden“, so Kobrak. In der Studie werden beispielsweise städtischer und ländlicher Staatsterror gegenüber gestellt. Genauso wird zwischen selektiven und Massenmorden unterschieden, die Opfer nach Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit eingeteilt. Auf der Seite der Täter wird unter anderem zwischen offiziellen Militärs, den Todesschwadronen und den paramilitärischen Zivilpatrouillen differenziert.
Für Otilia Lux de Coti von der Wahrheitskommission gibt der in vierjähriger Arbeit entstandene Bericht der beiden Organisationen einen Vorausblick auf das Dokument ihrer eigenen Einrichtung. Sie sagte zudem, die Ergebnisse von Kobrak, Ball und Spirer hätten für einen Großteil der Analyse der Wahrheitskommission die Basis geliefert.
HONDURAS
Kleiner Erfolg für Indígenas
(Tegucigalpa, 22. Januar 1999, comcosur-Poonal).- Nach intensiven Protesten konnten sich die honduranischen Indígena-Gemeinden im Parlament Gehör verschaffen. Dort wollen sie ihr Land an der Atlantikküste verteidigen, das sie von der Zerstörung bedroht sehen. Es existieren mehrere Investitionsprojekte für Tourismuskomplexe dort. Celeo Alvarez von der Organisation für ethnische Gemeindeentwicklung erklärte, die Schwarzen- und Indígenavölker von Honduras seien nicht gegen die Entwicklung des Tourismus. Aber dafür sei es nicht notwendig, das Küstenland in definitiver Form den Unternehmer*innen zu übergeben. Außerdem müsse die Beteiligung der Gemeinden in den touristischen Projekten gesichert sein.
BRASILIEN
Homosexuelle organisieren sich gegen Diskriminierung und Doppelmoral –
Gewalttaten und Morde bleiben das Hauptproblem
Von Flavio Lenz
(Rio de Janeiro, Dezember 1999, npl).- „Die Haltung der brasilianischen Kirche zu Schwulen und Lesben hat sich in diesen Tagen sehr verändert,“ meint Toni Reis. Der kleine Mann mit kurzen Haaren aus dem südlichen Bundesstaat Parana ist Präsident der „Gruppe Würde“ und spricht im Namen der Internationalen Vereinigung von Schwulen und Lesben. „Im Mittelalter haben sie uns verbrannt. Heute bezeichnen sie uns nur noch als 'Kranke'.“
Die bittere Ironie bezieht sich auf eine Fernsehshow, die seit Wochen viele Gemüter erregt. Im Mittelpunkt steht der katholische Priester Marcelo Rossi, der bei Freiluftmessen und TV-Sendungen nach US-Vorbild Millionen von Menschen anzieht. Zur besten Sendezeit sagte er an einem Sonntagabend, er wolle eindeutige Beweise“ für die Auffassung sehen, daß Homosexualität keine Krankheit sei.“ Die Schwulenbewegung reagierte prompt: Tausende Faxe und Briefe überschwemmten den Mediengiganten TV-Globo. Schon in der nächsten Sendung konnte ein Rechtsanwalt dem sensationsgierigen Publikum versichern, er werde den Priester vor Gericht ziehen. Auch Ärzte kamen zu Wort und zitierten die Position der Weltgesundheitsorganisation. Die Polemik Marcelos wurde zum Eigentor, er mußte die Bühne seinen Gegnern überlassen.
Auf politischer Ebene ist der Kampf um Rechte und Anerkennung schwieriger. Vor Jahresfrist kam es im Bundesparlament zu einer heftigen Debatte, nachdem die Abgeordnete Marta Surplicy aus Sao Paolo einen Gesetzentwurf zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen einbrachte. Sogar konservative Zeitungen verglichen einige Diskussionsteilnehmer mit schlechterzogenen Kindern: „Ein solches Gesetz hätten nicht einmal vorgeschlagen werden dürfen, er diskreditiert dieses Haus,“ ereiferte sich ein Regierungsabgeordneter. „Widernatürlich,“ meinte ein Konservativer. Nur wenige Politiker verteidigten den Entwurf, unter ihnen der einzige Grüne Abgeordnete, Ex-Guerillero Fernando Gabeira. Eingeschüchtert zog Surplicy den Entwurf vorläufig zurück. Bis heute ist nicht über das Gesetz oder andere Aspekte des offenbar hoch brisanten Themas abgestimmt worden.
Die Schwulenbewegung im größten lateinamerikanischen Land bezeichnet Toni als „heranwachsend“: Wichtige Schritte seien getan, das meiste stehe aber noch bevor. Rund 80 Schwulengruppen gibt es im Land, mehrere nationale Treffen und Anti-Aids-Kampagnen wurden erfolgreich durchgeführt. Das Hauptproblem ist aber die Gewalt und weit verbreitete Diskriminierung. „1.600 Homosexuelle sind in der vergangenen zehn Jahren ermordet worden, darunter 350 Transvestiten und 61 Lesben.“ Nicht einmal 20 Prozent dieser Verbrechen seien aufgeklärt worden, berichtet Toni.
Bessere Nachrichten gibts beim Thema Aids: „Die Ausbreitung ist unter uns immer noch groß, steigt aber nicht mehr an.“ Jedes Jahr kämen 3.000 Erkrankte hinzu, vor allem auf dem Land, wo es weniger Informationen gebe. Insgesamt stecken sich in Brasilien laut Gesundheitsministerium 17.000 Menschen jährlich mit der Immunschwäche an. Seit 1993 sind Heterosexuelle stärker von HIV betroffen als Schwule und Lesben. „Dieser Trend ergibt sich dadurch, daß Schwule und Bisexuelle sich frühzeitig organisiert haben und seit langem für safer sex einsetzen,“ erklärt Pedro Chequer von der landesweiten Anti-Aids-Kampagne.
Wenn die Schwulen von Erfolgen sprechen, sucht die Lesbenbewegung vor allem nach Freiräumen. „Bis 1996 agierten Männer und Frauen gemeinsam. Jetzt sind wir Teil der gemeinsamen Bewegung und organisieren gleichzeitig Lesbengruppen, bislang in fünf Bundesstaaten,“ erzählt Beth Calvet vom Lesbenkollektiv in Rio de Janeiro. Mit lokalen Initiativen unterstützt das Kollektiv den Gesetzesvorschlag von Marta Surplicy. Im April wird der Stadtrat darüber entscheiden, ob gleichgeschlechtliche Paare Anrecht auf gemeinsame Sozialversichurung haben sollen. „Bereits 1996 konnten wir ein Gesetz durchsetzen, daß sexuelle Diskriminierung in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst unter Strafe stellt,“ sagt Beth.
Der Aktivistin zufolge steckt die Lesbenbewegung noch in den „Kinderschuhen“, auch wenn es ihr endlich gelungen ist, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Es fehle vor allem an Treffpunkten – ein Lesbenclub in Rio ist vor kurzem geschlossen worden – und an Geld für Projekte. „Wir backen kleine Brötchen, fast alles finanzieren wir selbst,“ so Beth. Unter dieser Deviese wird im März in Rio der 5. Lateinamerikanische Lesbenkongreß stattfinden, zu dem 500 Frauen erwartet werden.
Die Bewegung der Transvestiten kann sich ohne weiteres als „erwachsen“ bezeichnen. Sie treten sehr selbstbewußt auf und sind – nicht nur während des Karnevals – in der Kulturszene und dem Straßenbild der Metropolen nicht mehr wegzudenken. Im Zentrum Rios residiert die brasilianische Transvestitenvereinigung in einem dreistöckigen Gebäude. „Unser Hauptproblem,“ sagt Jovana Baby, „ist wie bei den Schwulen die Gewalt gegen uns.“ Ständig komme es zu Überfällen auf Transsexuelle, vor allen, wenn sie Sexarbeit nachgehen. Gefährdet seien aber auch die Klienten. Viele der Übergriffe gingen von Polizisten aus. Jovana Baby, selbst früher Sexarbeiterin, beklagt auch die Hindernisse bei der Arbeit auf der Straße. „Wir kämpfen um diesen Markt, da für viele von uns die Prostitution die einzige Alternative ist.“
Am meisten ärgert Jovana die typisch brasilianische Doppelmoral: Beim weltberühmten Karneval von Rio de Janeiro sind Transvestiten die Stars, Symbole des lebensfreudigen Landes. Sie schmücken Titelbilder und Fernsehshows, kein Straßenumzug wäre ohne sie denkbar. Alle Welt applaudiert und freut sich über die Freizügigkeit. Doch die restlichen 50 Wochen des Jahres sind Transvestiten unerwünscht. Als Unanständige werden sie marginalisiert. Weder die Justiz noch die Politik interessiert sich dafür, wenn rechte Schlägergruppen oder private Sicherheitsdienste Jagd auf sie machen.
Not macht erfinderisch
(Braga, 25. Januar 1999, na-Poonal).- Der Bürgermeister der kleinen, im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul gelegenen Stadt Braga hat angesichts der Wirtschaftskrise neue Wege beschritten. Juarez Mello entwickelte sein eigenes Geld. Der „Bonus“, so heißt die neue Währung, soll helfen, die brachliegende lokale Wirtschaft der 4.500 Seelen-Gemeinde wieder auf die Beine zu stellen. Gegenüber der Drohung des Wirtschaftsministeriums, den „Bonus“ nicht azuerkennen, erklärte Mello, er habe lediglich die Anweisungen von Präsident Cardoso befolgt. Dieser hatte angesichts der schwersten Wirtschaftskrise des Landes seit Jahren bemerkt, „nur die Kreativen werden überleben“.
KOLUMBIEN
Düstere Aussichten im Arbeitsbereich –
Kein Übereinkommen zwischen Ecopetrol und der Gewerkschaft .
(Bogotá, 20. Januar 1999, ac-Poonal).- Mitte Januar wurden die Gespräche zwischen der staatlichen Erdölfirma Ecopetrol und der Gewerkschaft der Erdölarbeiter (USO) über den Forderungskatalog der Arbeiter*innen aufgenommen, doch bereits nach zwei Tagen unterbrochen. Die USO wollte das Thema der Erdölpolitik vorrangig behandeln und dazu eine gemeinsame Analyse zusammen mit einer von der Regierung einberufenen Delegation erstellen. Carlos Rodado Noriega, Präsident von Ecopetrol, erklärte jedoch, daß die Erdölpolitik nicht verhandelbar sei.
Während für den Bergbauminister und Ecopetrol die Diskussion sich auf reine Arbeitsaspekte konzentrieren soll, sieht die USO den Schwerpunkt der Verhandlungen in einer Revision der Erdölpolitik. Dazu gehören Verhandlungen über eine Lohnerhöhung um 28 Prozent, eine Rücknahme der Preisfreigabe für Benzin, die Diskussion über die Kürzung um 1,4 Billionen Pesos des Ecopetrol- Budgets, über die Erdölabgaben und über die Reform der sogenannten Assoziationsverträge.
Die unterbrochenen Gespräche sind die wichtigste Arbeitsverhandlung in Kolumbien in diesem Jahr. Die USO hat ihre Absicht bekundet, verschiedene Protestaktionen durchzuführen. Verstärkt werden sollen diese noch durch Aktionen vom Nationalen Streikkommando, in dem die wichtigsten Gewerkschaften des Landes vertreten sind. In den Gewerkschaften herrscht offener Unmut über die Nichteinhaltung der von der Regierung unterzeichneten Abkommen nach dem Streik vom Oktober 1998, dem längsten Streik in der Geschichte des Landes und einem der blutigsten. Während des Streiks waren sieben Gewerkschafter*innen ermordet worden, 12 weitere nach Beendigung des Streiks.
Nicht nur die Verhandlungen zwischen USO und Ecopetrol sind vom völligen Scheitern bedroht. Auch über den Minimallohn konnte die Kommission, in der Regierungs-, Unternehmer- und Arbeitervertreter*innen sitzen, keine Einigung erzielen. Regierung und Unternehmer schlagen eine Lohnerhöhung von 16 Prozent vor, die Arbeitervertreter*innen verlangen 24,5 Prozent – dies entspricht 50.000 kolumbianischen Pesos, rund 30 US-Dollar. Als eine Alternative bieten sie eine flexible Erhöhung an, wenn Maßnahmen wie eine wirkliche Landreform, Schutzvorkehrungen für die einheimische Industrie und eine Preiskontrolle für Grundkonsumgüter durchgesetzt würden. Regierung und Unternehmer akzeptierten keinen der Vorschläge und es wurde eine Lohnerhöhung um 16 Prozent verordnet. Damit beträgt der neue Mindestlohn 236.438 Pesos (rund 158 US-Dollar).
Nach Meinung der Gewerkschaften hat die Regierung das Abkommen vom vergangenem Oktober in keinem Punkt erfüllt. So wurden beispielsweise derart grundsätzliche Themen wie die abgestufte Lohnerhöhung um 15 Prozent für die öffentlichen Angestellten nicht mit diesen ausgehandelt, sondern von der Regierung festgelegt. Ein realer Einkommensverlust, denn die erreichte Lohnerhöhung liegt mindestens 1 Prozent unter der Inflation. Ebensowenig wurden die Gewerkschaften zum Dekret über die Umstrukturierung des Staates konsultiert. Wird es umgesetzt, steht die Entlassung von mehr als 100.000 öffentlichen Angestellten an. Sie gesellten sich zu den fast 1,25 Millionen Arbeitslosen, die im Dezember 1998 offiziell ausgewiesen wurden. Das sind 15,9 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Die höchste Zahl der letzten Jahrzehnte, wie ein Bericht des Statistischen Amtes DANE aufzeigt.
Nicht eingehaltene Zusagen der Regierung bedeuten für viele Lehrer*innen ausbleibende Lohnzahlungen. Dies ist in den Provinzen Santander, Tolima und Cauca der Fall. Die im Oktober ausgehandelten Abkommen erwiesen sich nach dem Streik als leere Versprechungen. Die Willkür bei den Verhandlungen, wie auch die Steuerreform, die die ärmsten Schichten hart trifft, bringen die Gewerkschaften zunehmend auf die Barrikaden. Ein erster landesweiter Protesttag ist für den 18. Februar geplant.
URUGUAY
Journalist übergibt Unterlagen im Fall Pinochet
(Montevideo, 22. Januar 1999, comcosur-Poonal).- Der uruguayische Journalist Samuel Blixen, Verfasser des Buches „Operación Cóndor“, in dem die Zusammenarbeit der lateinamerikanischen Militärdiktaturen untersucht wird, hat eine Reihe von Dokumenten an den Gerichtshof geschickt, der für die mögliche Auslieferung des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet verantwortlich ist. Zu den Papieren gehört ein Brief vom 16. September 1975, den der frühere chilenische Geheimdienstchef General Manuel Contreras – derzeit in Chile in Haft – an Pinochet schickte. Darin bittet er den Diktator um mehr Geldmittel für den verstärkten Kampf gegen im Ausland wohnende Oppositionelle. Konkret ersucht er für die Geheimpolizei der Militärs eine zusätzliche Summe von 600.000 Dollar für „die Neutralisierung“ der wichtigsten Gegner*innen der Militärjunta im Ausland, insbesondere in Mexiko, Argentinien, Costa Rica, USA, Frankreich und Italien. Contreras führt aus, mit dem zusätzlichen Geld das Geheimdienstpersonal an den diplomatischen Sitzen Chiles im Ausland aufstocken zu wollen: „Insgesamt zehn Personen, davon zwei in Peru, zwei in Brasilien, zwei in Argentinien, zwei in Venezuela, eine in Costa Rica, eine in Belgien und eine in Italien.“ Weiterhin sah der Geheimdienstchef die Dollars für Agenten vor, die eine Ausbildung in der Guerillabekämpfung in der brasilianischen Stadt Manaus erhielten. Der Journalist Blixen übersandte weitere Dokumente in denen ein Treffen zwischen Pinochet, Contreras und führenden Persönlichkeiten der italienischen Rechtsextremen erhellt wird. Dieses Treffen fiel mit den Beerdigungsfeiern für den spanischen Diktator Francisco Franco im November 1975 zusammen. Dabei wurde das Attentat in Rom gegen den früheren chilenischen Vizepräsidenten Bernardo Leighton von der Christdemokratischen Partei geplant. Das Attentat fand noch im selben Jahr statt, Leighton und sein Frau wurden schwer verletzt.
Gewalt gegen „politischen“ Bus
(Montevideo, 21. Januar 1999, comcosur-Poonal).- Fünf Täter zerstörten mit einer Brandbombe am 20. Januar einen stadtbekannten Bus in Montevideo. Was eine unter vielen Polizeinachrichten sein könnte, wurde zu einem Thema in der Hauptstadt, weil mit diesem Transportmittel eine spezielle Vorgeschichte verbunden ist. Sein Besitzer lieh das Vehikel mehrmals für Protestaktionen aus. Beispielsweise diente er den Arbeitern des Gasunternehmens Gaseba während ihres Hungerstreiks als Unterkunft. Sie wehrten sich gegen die Entlassung vieler sozial und gewerkschaftlich organisierter Mitarbeiter, nachdem das Unternehmen privatisiert wurde. Über längere Zeit standen sie mit ihrem Bus mitten im Stadtzentrum gegenüber den Hauptbüros von Gaseba. Noch kürzlich benutzten Mitglieder der uruguayischen Gesundheitsgewerkschaft den Bus. Auf den Demonstrationen zum 1. Mai und bei vielen anderen Aktionen gehörte das Vehikel zum vertrauten Bild. Mit wenig Geld ausgestattete Schulen am Standrand von Montevideo sowie verschiedene soziale Organisationen konnten ihn immer wieder für ihre Veranstaltungen benutzen. Das alles deutet darauf hin, daß die Zerstörung des Busses eine gezielte Aktion war. Möglicherweise gibt es eine Verbindung zu mehreren Anschlägen mit rechtsradikalem Hintergrund, die seit Beginn des Jahres in der Hauptstadt verzeichnet wurden.
Wahlkarneval das ganze Jahr
Von Andrés Capelán
(Montevideo, 15. Januar 1999, alai-Poonal).- Obwohl Uruguay nur ein kleines Land mit etwas mehr als drei Millionen Einwohner*innen ist, hat es nichtsdestotrotz eine Menge Rekorde aufzuweisen. Zweimal war die Nationalmannschaft Fußballweltmeister und zweimal Olympiasieger in dergleichen Disziplin. Eine uruguayische Radiostation war es, die weltweit erstmals 24 Stunden am Tag rund um die Uhr sendete. Außerdem hat Uruguay den längsten Karneval der Welt: Alle 28 Tage des Februar und manchmal sogar noch einige Märztage dazu.
All diese Rekorde verblassen nun ein wenig vor den Folgen der letzten Verfassungsänderung. Jetzt hat Uruguay den längsten Wahlprozeß auf der Erde. Wenn die neue Carta Magna ratifiziert ist, wird das Wahljahr im März mit den parteiinternen Wahlen beginnen. Es setzt sich im Oktober mit der ersten Runde der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Präsidenten fort, gefolgt von der Präsidenten-Stichwahl im November und erreicht seinen Höhepunkt im Mai des darauffolgenden Jahres mit den Gemeindewahlen.
Um sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen, muß jeder Bewerber zunächst erst einmal mehr als 50 Prozent der Stimmen der Delegierten seiner eigenen Partei auf sich vereinen, die wiederum aus parteiinternen Wahlen hervorgegangen sind. Für einige ist das einfacher, für andere schwieriger. Fallbeispiel Opposition: Der Parteivorsitzende der „Partido del Nuevo Espacio“, Rafael Michelini, wird es relativ leicht haben. Da er der einzige Kandidat ist, geht es in seinem Fall lediglich darum, ihn zu bestätigen. Beim Linksbündnis „Partido del Encuentro Progresista-Frente Amplio“ gibt es immerhin zwei Möglichkeiten: der Arzt Tabaré Vásquez und der Wirtschaftswissenschaftler Danilo Astori stellen sich zur Wahl. Letzterer weiß sehr wohl, daß er kaum Chancen hat, nominiert zu werden, will aber mit seiner Kandidatur den Prestigeverlust wettmachen, den er mit seiner Wende in Richtung Mitte erlitten hat.
Bei den beiden Regierungsparteien sieht es bisher folgendermaßen aus. In der „Partido Colorado“ gibt es zwei ernstzunehmende Kandidaturen. Einerseits den ehemaligen Innenminister Luis Hierro López, der eher im rechten Spektrum anzusiedeln ist und andererseits der fünffache Verlierer beim Wettrennen um den Präsidentstuhl, Jorge Batlle. Ehemals geistiger Vater des amtierenden Präsidenten Sanguinetti ist Batlle heute sein ärgster interner Widersacher. Auch er kann auf Unterstützung aus dem rechten Lager zählen. Colorado hat noch einen „linken“ Kandidaten anzubieten, den ehemaligen Direktor der Bahn, Víctor Vaillant. Obwohl mit solch edlen Zielen wie der Verteidigung der Menschenrechte und dem Kampf gegen die Korruption identifiziert, ist Vaillant jedoch bisher bei den Abstimmungen immer unterlegen. Er gilt als eine Art Schaf unter den Colorado-Wölfen.
Beim „Partido Nacional“, mit den Colorados in der Koalitionsregierung, ist die Lage sehr ähnlich. Die Partei des ehemaligen Präsidenten Lacalle lag wegen mehrerer Korruptionsgeschichten während dessen Amtszeit bei ersten Meinungsumfragen zunächst weit abgeschlagen hinter den anderen. Doch nun holt Lacalle, der es noch einmal wissen will, langsam auf. Sein parteiinterner Gegenspieler Luis Alberto Volonté fällt in gleichem Maße ab, wie Lacalle aufholt. Der liberale, oder „linke“ Kandidat bei den Nationalen heißt Alem García. Genau wie Vaillant bei den Colorados will er nur wissen, wieviele Stimmen er auf sich vereinigen kann.
Alle genannten Kandidaten haben im November ihren Wahlkampf begonnen. Und das mit allem, was dazu gehört: Versammlungen, Karawanen, Plakaten, Flugblättern und Funk- und Fernsehwerbung. Millionen Dollar werden für etwas ausgegeben, das mehr aussieht wie ein Geschäft, als ein Dienst an der Gemeinschaft. Deshalb sprechen die Uruguayer*innen bereits vom „Wahlkarneval“. Ein Karneval, der nicht nur einen Monat dauert, sondern 18. Eine weitere Maßlosigkeit aus Uruguay für das Guinessbuch der Rekorde.
ECUADOR
Geschäft ohne Grenzen – Umweltschützer*innen warnen vor den Folgen der Bio-
Ausbeutung
Von Luis Angel Saavedra
(Quito, 25. Januar 1999, na-Poonal).- Mitte November 1998 verkündete das US- amerikanische Pharmazie-Unternehmen Abbott die Entwicklung eines schmerzstillenden Medikaments, das potentiell zweihundertmal stärker ist als Morphin, das bislang wirksamste Schmerzmittel. Das neue Medikament, das im Übrigen nach den Angaben des Herstellers „keine Nebenwirkungen“ zeigen soll, wird in Kürze auf den Markt kommen. Die Umsätze in diesem Marktsegment der chirurgischen Eingriffe und der von starken Schmerzen befallenen Menschen liegen bei einem Gesamtvolumen von ungefähr 40 Milliarden Dollar weltweit.
In Ecuador hat die Ankündigung eine heftige Diskussion in Gang gebracht. Der mit ABT-594 bezeichnete Wirkstoff des neuen Schmerzmittels befindet sich nämlich im Epibatidin, einem giftigen Alkaloid, das von dem dreifarbigen Frosch Epipedobates tricolor erzeugt wird. Dieser Frosch lebt nur in den Ausläufern der Zentralkordillere der ecuadorianischen Anden. Bisher benutzten ihn lediglich die im Amazonas lebenden indigenen Völker, um mit dem Tiergift vergiftete Pfeilspitzen herzustellen.
Die ecuadorianischen Umweltorganisationen „Ökologische Aktion“ und das „Zentrum für Umweltrechte“ haben nun erklärt, 750 Frösche seien im Jahre 1976 ohne Erlaubnis und ohne Kenntnis der Behörden in die USA gebracht worden. Die damalige Technik habe allerdings noch nicht erlaubt, das im Epibatin aktive Prinzip synthetisch herzustellen. Anfang der neunziger Jahre seien dann aber verschiedene aktive Prinzipien entdeckt worden, die zum ABT-594 geführt hätten. Zwei us-amerikanische Biologen von Abbott seien daraufhin nach Ecuador geschickt worden, um die Familie der Epipedobates-Frösche genauer zu studieren.
Die mit dem ABT-594 zu erwartenden Gewinne haben Ecuador nun dazu gebracht, eine finanzielle Beteiligung von Abbott einzufordern. „Wir wissen aus den veröffentlichten Mitteilungen und aus anderen Quellen von der Marktreife des ABT-597 – es ist unter anderem an europäischen Freiwilligen getestet worden – und deshalb will Ecuador nun baldmöglichst wissen, wie seine Gewinnbeteiligung an dem Produkt aussieht“, erklärt Sergio Laso vom Ecuatorianischen Institut für Wälder, Naturflächen und Urwaldgebiete (INEFAN).
Doch noch hat das Land den juristischen Rahmen für seine Forderungen nicht gefunden. Zwar könnte Ecuador auf der Basis der meisten bestehenden internationalen Gesetze und Abkommen Abbott verklagen, doch die Vereinigten Staaten haben all diese Gesetzeswerke nicht ratifiziert. Die US-Firmeen sind deshalb zu nichts verpflichtet.
Das 1992 in Rio de Janeiro beschlossene Abkommen über Biologische Vielfalt, welches die vollständige Souveränität aller Unterzeichnerstaaten über genetische Vorkommen sichert und die Verpflichtung der profitierenden Firmen zu einer Beteiligung der Herkunftsländer vorsieht, ist ebenfalls von den USA nicht ratifiziert worden. Nach der Konvention sollen solche Gelder von den Herkunftsländern im sozialen Bereich und zur Entwicklung der Gemeinden ausgegeben werden.
Für die 1996 in Cartagena verabschiedete Konvention 391 existieren noch keine Durchführungsbestimmungen und auch die Laufzeit ist noch nicht festgelegt, weshalb bisher jedes Land einzeln mit den Firmen verhandelt, die die genetischen Rohstoffe nutzen. Nach dieser gängigen Praxis hat Ecudor Abbott ein Schreiben zukommen lassen, in dem es die Firma auffordert, „auf eine gerechte Weise die aus dem Wissen der indigenen Völker genutzten Vorteile und Gewinne anzuerkennen und zu vergüten“. Bisher habe Abbott nicht geeantwortet, sagt Laso. „Wir hoffen mit den Vertretern des Unternehmens zu einem Vergleich zu kommen, der beide Seiten befriedigt.“ Wegen der schwierigen rechtlichen Situation sei aber alles offen, fügt er hinzu.
Nach Angaben der US-amerikanischen Zeitschrift „Time“ besitzen die verschiedenen Genbanken jeweils etwa 100.000 unterschiedliche Genmuster. Von den 250.000 erfaßten medizinischen Pflanzen sei erst ein Prozent von den Labors erforscht worden, die neue aktive Prinzipien für ihre Medikamente suchen.
Die Laboratorien brauchen aber auch die Hilfe der Schamanen und örtlichen Heiler, um zumindest eine erste Orientierung bei den vorzunehmenden Untersuchungen zu haben. Der Anthropologe Fernando Moreno hat einen solchen exemplarischen Fall untersucht. Mit Unterstützung des WWF führt er 1998 eine Studie des Awa-Gemeinwesens durch. Die Awa leben im Gebiet der ecuadorianisch- kolumbianischen Grenze. „Acht Monate lang“, erzählt Moreno „haben dort Wissenschaftler des New Yorker Botanischen Gartens Pflanzenmuster gesammelt. Zum Schluß haben sie 50 Bündel zu je 30 Kilogramm mitgenommen und auch noch nachtaktive Insekten mit großen automatischen Netzen und Generatorlicht gejagt.“
Der Botanische Garten von New York hatte Abkommen mit dem nationalen ecuaorianischen Herbarium und der technischen Abteilung des „Plan Awa“ unterzeichnet, nachdem die US-Wissenschaftler berechtigt waren, Planzenproben zu sammeln. Für das Fangen von Insekten bestand keine Erlaubnis. Die Amerikaner hätten nicht nur die Insekten mitgenommen, sagt Moreno, „sondern auch noch zwei Schamanen, die ihnen in den USA bei der Klassifizierung des gesammelten Materials helfen sollen.“
Nach Ansicht des Anthropologen werde die Bioausbeutung ernsthafte soziale und ökologische Auswirkungen in den Gemeinden haben. „Indem sie (die Schamanen) mitgenommen haben, lassen sie die Gemeinden ohne Schutz, denn der Schaman ist in der Vorstellung der indigenen Gemeinden das Symbol der Sicherheit“, sagt Moreno. Im ökologischen Bereich entstehe auf den ersten Blick kein Schaden durch die Sammlung von Pflanzen. Die Suche nach einzelnen Pflanzen betreffe das gesmte Ökosystem jedoch nachteilig, bemerkt der Wissenschaftler, weil eine Vielfalt von Pflanzen dabei zerstört werde. Die Vizepräsidentin von Ökologische Aktion, Gina Chávez, meint „die Bioausbeutung kann den betroffenen Gemeinden schon Vorteile bringen, wenn diese es schaffen, ihre Rechte auf uraltes Wissen anerkannt zu bekommen.“ Sie sei jedoch skeptisch, ob dies auch gelinge. „Am wahrscheinlichsten ist eine negative Auswirkung, denn die Verschlechterung der Umweltbedingungen, mit denen sie leben müssen, bedroht sie in ihrer Existenz.“
ARGENTINIEN
Blendende Zahlen
(Buenos Aires, 25. Januar 1999, na-Poonal).- In den vergangenen vier Jahren wurden drei von vier neuen Arbeitsplätzen in Argentinien mit Frauen besetzt. Doch das allein macht noch keine gute Nachricht. Nach einer Umfrage der Regierung befindet sich die Hälfte der neuen Arbeitsplätze im informellen Sektor. Die Frauen arbeiten hier zu Niedriegstlöhnen und ohne jede Sicherheit. Fast alle neuen Arbeitsplätze befinden sich im Dienstleistungssektor, die Arbeitszeiten liegen bei ungefähr 12 Stunden täglich. Der Rest sind Teilzeitstellen. Die Umfrage zeigt eine Beteiligung der Frauen von 247.759 der seit 1994 geschaffenen 337.014 Arbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit liegt dennoch bei den Frauen mit 15,4 Prozent höher als bei den Männern mit 11.8 Prozent. In Buenos Aires, wo sich 37 Prozent der Arbeitskraft des Landes konzentriert, lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit 1998 bei 13,3 Prozent.
VENEZUELA
Sáenz gibt nicht auf
(Caracas, 25. November 1999, na-Poonal).- Die ehemalige Miss Universum, Irene Sáenz, gibt sich nicht mit ihrem dritten Platz bei den Präsidentschaftswahlen vom 6. Dezember zufrieden. Gerüchten zufolge will sie nun den Gouverneursposten in Nueva Esparta erringen. Der Posten im 340 Kilometer östlich der Hauptstadt gelegenen Bundesstaat ist nach dem Tod des im November gewählten Gouverneurs Rafael Tovar nun unbesetzt. Sáenz müßte auf ihren Bürgermeisterposten in Caracas Reichenvorort Chacao verzichten, um kandidieren zu können.
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