(Berlin, 27. November 2018, npl).- Auf ihrer Tour „Déjanos volar“ waren Gaby Baca und Mafe Carrero, zwei feministische Musikerinnen aus Nicaragua, Ende Oktober auch in Berlin. Die Liedermacherin Gaby Baca kritisiert schon seit langem die Regierung von Daniel Ortega (FSLN) für ihren Machismus und die Selbstbereicherungsmentalität. Die 22 Jahre junge Rapperin Mafe Carrero war als Teil der jungen Oppositionsbewegung aktiv.
Im Hinterzimmer einer Berliner Ladenwohnung stehen Gaby Baca und Mafe Carrero direkt vor rund 20 Zuhörer*innen. In den Berliner Räumen von Wildwasser – einer Initiative, die Mädchen unterstützt, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind – geben sie ein spontan arrangiertes Konzert. Unplugged, Wohnzimmeratmosphäre, Wahnsinns-Stimmung. Was fürs Herz. „Que se vayan“ – „Sie sollen gehen“, singen die beiden und meinen damit den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und seine Frau, die Vizepräsidentin Rosario Murillo.
Doch tatsächlich mussten die beiden Musikerinnen selbst Nicaragua im Sommer verlassen. Zu gefährlich war es in dem zentralamerikanischen Land geworden für die gerade mal 22-jährige quirlige Rapperin Mafe Carrero und die mehr als doppelt so alte, sich offen als lesbisch bekennende Sängerin und Gitarristin Gaby Baca. Die Repression richtet sich vor allem gegen die jungen Leute, die heute den Protest tragen. Eines Tages kamen Männer zu Mafes Eltern und haben nach ihr gesucht.
Tournee durch Mittelamerika und Europa
„Unsere Tournee haben wir wegen der Situation in Nicaragua begonnen. Als wir uns entschieden hatten zu gehen, konnten wir mit niemandem darüber sprechen. Wir haben das Land über Costa Rica verlassen.“ sagt Gaby Baca. Auf dem Weg ist dann erst mal ihre Gitarre kaputt gegangen. In Costa Rica hat jemand der groß gewachsenen Gaby dann eine kleine Ukulele geschenkt. Mit diesem Instrument sind die beiden Musikerinnen jetzt bei ihrer Tour „Déjanos volar“ – „Lass uns fliegen!“ unterwegs.
Seit zwei Monaten sind sie auf Tournee. Erst in Mittelamerika, dann in Europa. Nach Italien, Schweden, Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland haben sie jetzt ihre letzten Auftritte in Spanien. „Wir organisieren unsere Konzerte beim Reisen und beim Ankommen. Das passt überhaupt nicht mit einer Zeitplanung europäischer Art zusammen.“ erzählt Gaby Baca. „So wie wir unterwegs sind, müssen wir uns auf ein solidarisches Netz verlassen, und sind vor allem in Orten mit einer starken gemeinschaftlich ausgerichteten Struktur. Da spielen wir und können auch etwas über die Situation in Nicaragua vermitteln.“
Die Verhältnisse haben sich geändert
Mit ihrer Musik sind Gaby und Mafe Teil der Protestbewegung in Nicaragua, die sich im April dieses Jahres gegen geplante Rentenkürzungen und höhere Beiträge formiert hat. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. 1979, also vor knapp vierzig Jahren, hatte die Sandinistische Befreiungsfront FSLN unter breiter gesellschaftlicher Beteiligung den Diktator Somoza verjagt und bis 1990 eine sozialistische Regierung – mit Daniel Ortega als Präsidenten – etabliert. Ihm folgten drei konservative Regierungen, dann – 2006 – wurde Ortega wiedergewählt. Doch die Verhältnisse haben sich geändert. Schon seit Jahren steht die Regierung des Ex-Revolutionärs und seiner Frau Rosario Murillo, die seit 2017 Vizepräsidentin ist, in der Kritik. „Die, die sich als Vertreter der Linken bezeichnen, sind nichts anderes als Leute, die sich mit ihren Familien wie Könige auf einen Thron setzen, sich bereichern und Kaviar essen. Daniel Ortega hat auch Textilfabriken und da herrscht die Philosophie der niedrigen Löhne und der Callcentermentalität.“ sagt auch Gaby Baca.
Mafe Carrero ergänzt: „Manche Leute wollen Macht haben und an die Macht kommen, um aus kapitalistischem Denken heraus mit dem Drogenhandel in Kontakt zu kommen. Sie wollen mit der Abholzung und der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen in unserem Land Geschäfte machen. Alles andere interessiert sie nicht, auch nicht die Situation der Indigenen.“
Mein Bauch gehört … wem?
Gaby Baca kritisiert die Regierung besonders deutlich wegen ihrer konservativen Geschlechterpolitik: „Die Geschichte wird nicht korrekt dargestellt. Auf dem Platz der Revolution siehst du einen Mann mit Pistole, einen Mann mit Schaufel, einen Mann auf dem Pferd. Aber wir Frauen tauchen in dieser Geschichte nicht auf.“ Frauen hätten keine Freiheit, keine Selbstbestimmung über ihren Körper, führt die Musikerin aus. Besonders ärgert sie, dass die Regierung, die sich christlich, sozial und solidarisch nennt, bei ihrem Machtantritt sofort die Abtreibung unter Strafe gestellt hat – mit Unterstützung der Kirche. Seit 2006 gilt in Nicaragua eines der härtesten Abtreibungsverbote weltweit: selbst bei Gefahr für das Leben der Frau oder des Fötus und nach einer Vergewaltigung ist eine Abtreibung illegal und wird mit hohen Gefängnisstrafen sanktioniert. „Seit diesem Moment wurden feministische Kämpfe wichtig.“ erinnert sich Gaby Baca; „es ging darum, unsere Rechte zu erstreiten. Wir Feministinnen haben als erste soziale Bewegung die Straßen erobert.“
Musik als Teil der Protestbewegung
Die Musikerinnen sehen sich als feministische Künstlerinnen. „Für mich und meine Musik ist es wichtig, dass eine Linke auch für Gleichberechtigung und Respekt vor der Natur steht. Sonst ist sie nicht links.“ erklärt Gaby Baca. „Wir wollen nicht nochmal einen Vergewaltiger oder Macho, wir wollen nicht mehr über Gewalt reden müssen. Wir wollen nicht „Freies Vaterland oder Tod“ sagen, weil wir den Tod nicht unterstützen wollen. Wir sagen lieber „Freies Vaterland für das Leben“, weil wir das Leben säen wollen.“ Durch die Kunst wollen sie auch einen Bewusstseinswandel erreichen. Ob jemand sich rechts oder links nennt, bedeute nicht mehr viel, meint Mafe: „Daran glaubt niemand mehr. Wir müssen nach neuen Alternativen suchen. Die Menschen müssen sich organisieren.“ Es gehe nicht nur um die Regierung, sondern auch um die einzelnen Menschen, sagt sie, und „darum, Machismus und diese Konsumhaltung und den Kapitalismus zu beenden.“
Die Tour „Déjanos volar“ gibt den beiden Musikerinnen die Möglichkeit, sich auch außerhalb Nicaraguas für ihre Ziele einzusetzen. Sie singen nicht nur für Nicaragua sondern auch über Zugang zu Wasser in El Salvador und die Freiheit in Guatemala. So sei die Tour zu einer Stimme der Menschlichkeit geworden, sagt Gaby Baca: „Wir singen über die Menschen, die unterwegs sind. Die Schwierigkeiten der Migration spüren wir am eigenen Leib. Wir wissen wie schwer es ist, das eigene Leben in zwei Rucksäcke zu packen und auf dem Rücken mit sich herumzutragen. Und dazu kommt noch der Schmerz über das, was in deinem Land passiert.“
Ob und wie das ungleiche Duo auch nach der Tour zusammen auftreten kann, ist offen. Vor fünf Jahren haben sich die beiden kennengelernt. Da war Mafe 17 Jahre alt und hat neben Hip Hop und Rap auch Graffiti-Kunst gemacht. Heute sind sie ein gut eingespieltes Team. „Das ist ein großes Experiment. Wir sind unterschiedlich alt. Dennoch können wir beide Feministinnen und auch Freundinnen sein“ beschreibt Gaby, die als „La Baca Loca“ bereits zwei eigene Alben herausgebracht hat. „Mafe kann zu meinem Instrument singen und ich kann auch ihren Rap machen. Das ist sehr bereichernd und das wollen wir immer so weitermachen.“ Doch vorläufig bleibt Mafe in Europa, während Gaby Baca in ein zentralamerikanisches Land zurückgeht. Nach Nicaragua können beide auf absehbare Zeit nicht einreisen.
Zu diesem Artikel gibt es einen Audiobeitrag von Radio onda, den ihr hier anhören könnt.
Feministischer Sound aus Nicaragua: Gaby Baca und Mafe Carrero on Tour von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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