Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 25. November 2003
Inhalt
MEXIKO
GUATEMALA
EL SALVADOR
KUBA
PARAGUAY
VENEZUELA
ECUADOR
BOLIVIEN
URUGUAY
CHILE
LATEINAMERIKA
MEXIKO
Ausverkauf staatlicher Kulturinstitutionen
(Montevideo, 14 November 2003, comcosur-poonal).- Der mexikanische Präsident Vicente Fox wurde heftig kritisiert, nachdem er bekannt gegeben hatte, dass in Zukunft Steuern für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften erhoben werden sollen. Zudem will die Regierung einen Großteil der staatlichen Kulturinstitutionen privatisieren. So beispielsweise Filmstudios und Nachrichtenagenturen.
Manche der Gegner sehen darin eine „verschärfte Invasion der nordamerikanischen Kultur auf Kosten der eigenen Wurzeln“. Etliche Kulturarbeiter protestierten deshalb vor dem Kongress gegen den Haushaltsplan. Auch die Nachrichtenagentur „Notimex“ soll verkauft werden. Einer der ehemaligen Direktoren sagte: „Jetzt sieht es so aus, dass uns alle internationalen Agenturen ihre Informationssichtweise aufzwingen, die Mexikaner werden durch diese Agenturen erfahren, was in der Welt passiert“.
Die Regierung setzt auf Kostensenkungen. Fox will auch das Mexikanische Filminstitut, den Träger der nationalen Filmproduktion, privatisieren. Zudem sollen noch andere Studios verkauft und Kulturschulen nicht mehr finanziell unterstützt werden. Die Nationale Filmakademie meint in einer Erklärung: „Der Angriff auf unsere Filmkunst hat zum Ziel, dass die nationale Filmproduktion ausradiert und die Interessen des kommerziellen nordamerikanischen Kinos unterstützt werden sollen.“
Auch Gefängnisse sollen privatisiert werden
(Mexiko-Stadt, 19. November 2003, na-poonal).- Mexiko steht seit langem an der Spitze des Privatisierungsprozesses in Lateinamerika. Schon Ende der Achtzigerjahre verkauften mexikanischen Präsidenten dem Privatsektor die Telefongesellschaft, die Bahn, die Banken, das Getreideverteilungssystem, die Elektrizitätswerke und sogar einen Teil des Erdölunternehmens PEMEX. Es wundert deshalb nicht, wenn die Politiker jetzt über die Privatisierung des unsteuerbaren, brutalen und korrupten mexikanischen Gefängnissystems sprechen. Die Befürworter dieses neuen Geschäfts denken, dass man nur damit in den nationalen Strafanstalten „aufräumen“ könne.
Das mexikanische Gefängnissystem beherbergt 180.000 Insassen, die in 448 Gefängnissen eingesperrt sind. Die Justizvollzugsanstalten schließen sowohl die „Super-Maxis“ (Hochsicherheitsgefängnisse) als auch die kleinen Zuchthäuser ein. Momentan gibt es in Mexiko ein Defizit von 40.000 Knastplätzen und das System ist mehr als 27 Prozent über seiner Kapazität ausgelastet. Um das System ein wenig zu entlasten, wurden Frühentlassungsprogramme gestartet. Unter den Politikern wächst das Interesse an der Privatisierung.
Eine Umfrage der Hewlett-Stiftung, die in Mexiko-Stadt und den Bundesstaaten Mexiko und Morelos durchgeführt wurde, zeichnet ein aufschlussreiches Bild der überfüllten mexikanischen Gefängnisse. In diesen drei Staaten konzentrieren sich 21 Prozent der Gefangenen des Landes. Die Befragung ergab, dass die meisten Verhafteten jugendlich (54 Prozent sind zwischen 18 und 30 Jahre alt) und arm sind (81 Prozent werden in die Kategorie niedriges Einkommen eingestuft). Mehr als die Hälfte der Häftlinge wurde wegen Eigentumsdelikten verurteilt, in denen es um Diebstähle im Wert von 100 US-Dollar oder weniger ging. 70 Prozent der Befragten erklärten, dass sie während der Gerichtsverhandlung von keinem Anwalt vertreten worden seien. Schließlich berichteten 90 Prozent der Befragten, dass sie während ihrer Haft bei der Versorgung mit Kleidung, Lebens- und Arzneimitteln von ihren Familien abhängig seien.
Wenn die „Marías“ und die „Super-Maxis“ das Beste sind, was das mexikanische Knastsystem zu bieten hat, sind die Bundes- und Provinzgefängnisse von Michoacán, Monterrey und Chiapas ein wirkliches Schlangennest. Dort machen Gangs, brutale Wächter, tödliche Aufstände und Massenfluchten das Leben der Häftlinge zur Hölle. Der Geldmangel in den Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca führte schon zur Streichung der Lebens- und Arzneimittelversorgung der Verurteilten. Täglich stehen dort jetzt nur zwischen 0,80 und 1,5 Pesos (etwa 7 bis 13 Cent) für die „Grundbedürfnisse“ jedes Sträflings zur Verfügung.
Die Befürworter eines privaten Gefängnissystems argumentieren damit, dass eine private Administration mit der defizitären Versorgung und dem Missbrauch der Häftling aufräumen würde. Allerdings sind einige mexikanischen Justizvollzugsanstalten seit langem durch die Vergabe von Lizenzen privatisiert. Diese werden von korrupten Beamten an Insassen und deren Familien verkauft. Am Schlimmsten traf eine solche verdeckte Privatisierung das extrem überfüllte Gefängnis „El Pueblito“ (das Dorf) von La Mesa, einem Außenbezirk der nordmexikanischen Grenzstadt Tijuana. Dort waren 6.500 Häftlinge in einem Gebäude untergebracht, das nur Kapazitäten für 2.500 hat. Aufgrund des knappen Platzes wurden sogenannte Wohnungen dort für einen monatlichen Preis von bis zu 5.000 Pesos (etwa 500 EURO) gehandelt. Die Lizenzen für den Vertrieb von Drogen, Alkohol und das Prostituiertennetz wurden von schwer bewaffneten Banden kontrolliert. „El Pueblito“ hatte ein Einkaufszentrum mit Videoclub, Friseursalons, Imbissbuden und sogar ein Geschäft für Süßigkeiten (200 Kinder lebten dort).
Der Bundesstaat Mexiko, wo die Mehrheit der Straftäter des Landes einsitzt, versucht sich jetzt an einer formellere Art der Privatisierung. Aufgrund der Geldnot rief die Leiterin der Gefängnisse des Bundesstaates zu einer öffentlichen Ausschreibung auf. Damit sollen vier neue Knäste für bis zu 4.000 Menschen gebaut und 18 Jahre lang privat betrieben werden. Danach sollen die Gebäude in die Hand der Regierung übergehen. In der Zwischenzeit wird die Regierung des Bundesstaates ungefähr zwei Pesos für die tägliche Versorgung jedes Verurteilten zur Verfügung stellen.
Es wird vermutet, dass einige multinationale Unternehmen schon Interesse an den Verträgen gezeigt haben, unter ihnen die französische Firma Pecord und die US-amerikanischen Cornell Corporation und Corrections Corporation of America (CCA). Die CCA ist der zweite Weltmarktführer in diesem Bereich. Sie verwaltet 120 Gefängnisse mit 53.000 Gefangenen weltweit. An der Spitze des Marktes steht die US-amerikanische Wackenhut Correction Corporation.
Die Partei der Nationalen Aktion PAN (Partido de Acción Nacional) von Präsident Vicente Fox macht momentan Druck für eine Privatisierung der acht Gefängnisse in Mexiko-Stadt. Mit ungefähr 22.000 Häftlingen ist das System in der Hauptstadt am Rande des Kollaps. Als Notmaßnahme wurden Verträge für den Bau einer zweiten Etage auf den Knastbauten unterschrieben. So soll Platz für weitere 7.000 Menschen geschaffen werden.
GUATEMALA
Bedrohung durch ehemalige PAC-Mitglieder
(Guatemala-Stadt, 17. November 2003, cerigua-poonal).- Rechtsmediziner und Opfer des bewaffneten Konfliktes haben Einschüchterungsversuche und Drohungen von Seiten der ehemaligen Selbstverteidigungspatrouillen PAC (Patrullas de Autodefensa) zur Anzeige gebracht. Die PAC-Mitglieder hätten die Betroffenen bedrängt, um diese davon abzuhalten, auf ehemaligen Militärgebieten, die teilweise als illegale Friedhöfe gedient hatten, Exhumierungen durchzuführen.
Rosalina Tuyuc von der Koordinationsstelle der guatemaltekischen Witwen CONAVIGUA (Coordinadora Nacional de Viudas de Guatemala) erklärte, die Drohungen seien an Familienangehörige und Überlebende gerichtet gewesen, die sich für die Exhumierungsarbeiten auf den Truppengebieten in San Juan Compala im Departement Chimaltenango und in San Pedro Jocopilas im Departement Quiché eingesetzt hatten.
Wie Tuyuc berichtet, haben in den letzten Tagen die Einschüchterungsversuche zugenommen, nachdem Fachleute der rechtsmedizinischen Stiftung FAFG (Fundación de Antropología Forense de Guatemala) die Wiederaufnahme der Exhumierungsarbeiten bei der Kaserne von San Juan Compala und bei der katholischen Kirche in San Pedro Jocopilas angekündigt hatten. Auf dem zur Kirche gehörigen Gelände hatte sich die Armee niedergelassen.
Angesichts der gravierenden Situation, bedingt durch die Drohungen und die angespannte Atmosphäre, die Militärs und ehemalige Patrouillen in diesen Orten verbreiten, haben Tuyuc und der Rechtsmediziner José Soasnávar um Beistand durch das Innenministerium, der Ombudsstelle für Menschenrechte und die UN- Wahrheitskommission Minugua gebeten.
Das Land mit den meisten Verschwundenen
(Guatemala-Stadt, 19. November 2003, cerigua).- Nach bisherigen Einschätzungen verzeichnete der bewaffnete Konflikt in Guatemala 45.000 vermisste Personen. Diese Zahl übertrifft die anderer lateinamerikanischer Länder, die auch von der Praxis des „Verschwindenlassens“ betroffen waren, sagte Mario Polanco, der Leiter der „Gruppe für gegenseitige Unterstützung“ GAM (Grupo de Apoyo Mutuo).
Im Rahmen des XVII. Kongresses des „Lateinamerikanischen Verbandes der Familien verhafteter Verschwundener“ FEDECAM (Federación Latinoamericana de Familiares de Detenidos Desaparecidos) in Guatemala statt, sagte Polanco, dass Guatemala im Vergleich zu anderen von dieser Geißel betroffenen Staaten mit 45.000 von 90.000 lateinamerikaweit Vermisster den ersten Platz belege.
Der Aktivist wies darauf hin, dass der Schutz der Täter vor Nachforschungen durch die Straffreiheit andauere. Die an dem Kongress beteiligten Organisationen und Aktivisten unterstützten deshalb die Verabschiedung eines „Abkommens gegen das gewaltsame Verschwindenlassen“.
Widerstand gegen Haushaltsplan 2004
(Guatemala-Stadt, 19. November 2003, cerigua-poonal).- Der Haushaltsplan für das Jahr 2004, den der von der Partei Republikanische Front Guatemalas FRG (Frente Republicano Guatemalteco) dominierte Kongress zu verabschieden plant, stellt eine ernsthafte Gefährdung für die Gesamtwirtschaft Guatemalas dar. Laut Informationen der Lokalpresse sei für die nächste Haushaltsperiode ein Defizit von 33 Milliarden Quetzales vorgesehen. Das entspreche 3,9 Prozent des Bruttonationalproduktes.
Oppositionelle Abgeordnete, Wirtschaftsanalytiker und die UN-Sondermission Minugua (Misión de Verificación de las Naciones Unidas), lehnen dieses Vorhaben, das vor dem 30. November verabschiedet werden soll, ab, da die zusätzlichen 11 Milliarden eine weitere Verschuldung nach sich ziehen würde. Laut der Vereinigung für Forschung und Sozialstudien ASIES (Asociación de Investigación y Estudios Sociales), dem Zentrum für nationale Wirtschaftsforschung CIEN (Centro de Investigaciones Económicas Nacionales) und der Minugua, fließe ein Grossteil der Gelder vor allem an Institutionen, für die eigentlich weniger Mittel vorgesehen seien. Zu kurz kämen wieder die Investitionen in soziale Leistungen.
Während die Militärausgaben steigen und die FRG-Abgeordneten im Budgetvorschlag erhebliche Summen für Entschädigunszahlungen an die ehemaligen Zivilpatrouillen PAC (Patrullas de Autodefensa Civil) einplanen, werden Institutionen wie der zivilen Nationalpolizei PNC (Policía Nacional Civil) und dem Obersten Gerichtshof die Mittel gekürzt.
Thierry Del Rue, wirtschaftspolitischer Berater der Minugua, sieht die 1,262 Milliarden Quetzales für das Militär und die 1,5 Milliarden Quetzales für die Ex-PACs als übertrieben und als eine Verletzung der Friedensverträge an. Die größten Probleme des Landes wie die Armut seien bei der Planung völlig außer acht gelassen. Die Haltung der Analytiker und der Minugua wird auch von vielen oppositionellen Abgeordneten, die gegen den Haushaltsvorschlag 2004 stimmen werden, solange man nicht die nötigen Änderungen durchführen werde, unterstützt.
Trotz der unterschiedlichen Positionen könnten die FRG-Parlamentarier die Initiative ohne Schwierigkeiten durchbringen, da sie die bedeutende Mehrheit darstellen. Eine Tatsache, die von vielen ihrer Gegner als faktischer Missbrauch, der sich gegen das Volk richtet, und als politischer Revanchismus bezeichnet wird.
Die Apothekerin Rigoberta Menchú
(Montevideo, 16. November 2003, comcosur-poonal).- Rigoberta Menchú Tum, Friedensnobelpreisträgerin von 1992, gab die Eröffnung ihrer eigenen Apotheken und Beratungsstellen bekannt. „Das gleiche aber billiger“ lautet das Motto vergleichbarer Apotheken in Mexiko, die Menchú auch auf Guatemalas Markt einführen möchte.
In Begleitung von Victor Gonzalez, dem Präsidenten der Apothekenkette „Gesundheit für Alle in Mexiko“, erklärte Menchú, ihr Ziel sei „eine bessere und günstigere Gesundheitsversorgung für die ganze Bevölkerung zu erreichen“. Die erste Apotheke dieser Art wurde vor kurzem eröffnet und trägt den Namen „Farmacias Menchú“ (Apotheken Menchú). Insgesamt sollen um die hundert Apotheken im ganzen Land eröffnet werden.
EL SALVADOR
Die Wirksamkeit des „Anti-Bandengesetzes“ wird angezweifelt
(Montevideo, 14. November 2003, comocosur).-Die Menschenrechtsbeauftragte Beatrice de Carrillo präsentierte eine Klage auf Verfassungswidrigkeit gegen das Antibandengesetz (Ley Antimaras), dass gegen die zunehmenden Banden geschaffen wurde. „Die Hoffnungen der Menschen sind vergeblich und das Gesetz weist erhebliche verfassungswidrige Verstöße auf,“ sagte Beatrice de Carrillo.
Die Klage wurde beim Obersten Gerichtshof eingereicht. Bei der Gelegenheit hob die Menschenrechtlerin hervor, dass das Gesetz „beträchtliche Verstöße gegen die Prinzipien der Unschuld sowie der Schuld beinhaltet. Man kann sagen, dass das gesamte Gesetz eine Zusammenstellung von Verstößen darstellt.“
Das Gesetz zur Bandenbekämpfung wurde von Präsident Francisco Flores eingereicht, um die jugendlichen Banden zu zerstören, die sich im ganzen Land ausbreiten. Die Richter als auch die polizeilichen Ermittlungen sollen während der Untersuchungen besonderen Wert auf die Indiziensuche legen. Doch das Gesetz ist repressiv und bezieht die tatsächlichen Hintergründe des Bandenphänomens nicht mit ein, von dem heute Millionen Salvadorianer in Schach gehalten werden.
KUBA
„Überalterung“: mehr Vorsorge als Hilfe
(Havanna, 17. November 2003, sem-poonal).- Die ansteigende Alterung der Bevölkerung in Kuba erfordert eine Neugestaltung des Gesundheitssystems und der Sozialhilfepolitik. Diese soll mehr eine Vorsorgefunktion übernehmen als im Alter zu unterstützen. So erklärt es ein in Havanna vorgestellter Untersuchungsbericht. Die Studie Gesundheit, Wohlbefinden und Alterung in Amerika (SABE) ergab, dass sich die Leistungen des Gesundheitswesens an die aktuelle demographische Situation anpassen müssen, obwohl der Gesundheitszustand von 80 Prozent der untersuchten Personen über 60 Jahre zwischen ausgezeichnet und normal liege.
Die Untersuchung wurde in den 15 Bezirken der kubanischen Hauptstadt durchgeführt. Sie verdeutlicht, dass in mehr als 42 Prozent der besuchten Wohnungen eine Person von 60 Jahren oder älter lebt. Der Arzt Enrique Vega, Direktor der Abteilung Erwachsene und Soziale Unterstützung des Ministeriums für Öffentliche Gesundheit versicherte, dass „im Jahre 2010 der Bevölkerungsanteil der über 60-jährigen in Kuba auf 18 Prozent angestiegen sein wird. Dies bedeutet, dass das gesamte Land das erste Mal in seiner Geschichte mehr Senioren als Kinder haben wird“.
Mit mehr als 14 Prozent Bevölkerungsanteil der über 60-jährigen liegt Kuba nach Uruguay auf Platz zwei der Staaten mit Überalterung in Lateinamerika. Im Jahr 2025 wird eine von vier Personen das Seniorenalter erreicht haben und die Bevölkerung Kubas wird anfangen zu schwinden.
PARAGUAY
140.000 Menschen gegen die Freihandelszone ALCA
(Asunción, 19. November 2003, adital-poonal).- Nach den vorläufigen Ergebnissen einer Umfrage, die von verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft initiiert wurde, geht hervor, dass sich etwa 140.000 Paraguayer gegen die Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA aussprechen.
Die Ergebnisse der Umfrage wurden dem Präsidenten der Republik Nicanor Duarte Frutos am 20. November überbracht. Der Rat der Initiative „Nein zum ALCA“ tagte an zwei Wochenenden an verschiedenen Orten des Landes. Die Initiative beklagte, dass sich die Regierung zu wenig mit Fragen bezüglich der Freihandelszone beschäftigte. „Die politischen Führungskräfte beachten das Thema nicht genug, und obwohl der ALCA bereits seit neun Jahren verhandelt wird, gibt es kaum Informationen darüber,“ hieß es.
VENEZUELA
Das Land gewinnt Kreditwürdigkeit zurück
(Caracas, 19. November 2003, adital-poonal).- Nach Worten des als regierungskritisch geltenden Direktors der Zentralbank Venezuelas Armando León werden die in Venezuela getätigten ausländischen Investitionen vier Milliarden US-Dollar übersteigen. Dies wäre die höchste Investitionssumme ausländischer Unternehmen in den letzten fünf Jahren.
Der Zentralbankdirektor wies darauf hin, dass der gesteigerte Verkauf von Staatsschuldscheinen ein klares Zeichen dafür sei, dass das Land seine Kreditwürdigkeit zurückgewonnen hätte. Das Land erhole sich langsam, da die Märkte nun offen seien.
Die ausländischen Investitionen erfolgen vor allem über den Kauf von Staatsschuldscheinen und über die Beteiligung an einheimischen Unternehmen. León betonte, dass die Auslandschulden durch die Schuldscheine nicht anwachsen würden.
ECUADOR
Gutierrez spielt mit dem Feuer und das Kabinett tritt zurück
(Montevideo, 14. November 2003, comcosur-poonal).- „Spiel nicht mit dem Feuer!“ ist der Hinweis, den die ecuadorianischen Indígenas gegenüber der Regierung bezüglich der möglichen Preiserhöhung für privat genutztes Gas machen. Der Grund: Präsident Lucio Gutierrez erfüllt eine weitere Forderung des Internationalen Währungsfonds IWF, der die Abschaffung der Subvention des Gaspreises fordert. Damit wird der Preis für eine 15-Kilo Gasflasche von 1,5 US-Dollar auf sechs oder sieben US-Dollar angehoben.
Pedro de la Cruz, Vorsitzender der Nationalen Vereinigung der Bauern-, Indígenen- und Schwarzen-Organisationen (Federación Nacional de Organizaciones Campesinas, Indígenas y Negras) fragt sich, ob die Subventionen aufgehoben werden sollen um ein soziales Chaos entstehen zu lassen. Seine Organisation habe den Präsidenten und den Finanzminister aufgefordert, nicht mit dem Feuer zu spielen, da die Sache sonst explodieren werde.
De la Cruz fügt hinzu, dass seine Föderation Vorschläge ausgearbeitet habe. Wenn aber die Regierung nicht zuhöre, müsse man wohl wieder protestieren und es könnte einen neuen Aufstand im Land geben. In den kommenden Tagen wolle die Vereinigung ein Datum für Mobilisierungen festlegen. Dabei werde es zu Blockaden der Hauptstrassen und Protesten in den städtischen und ländlichen Bereichen kommen. Gutierrez meinte hingegen, dass es nunmehr Zeit sei, dass das Gas einen reellen Preis für den Verbraucher habe.
Seit vergangenem Wochenende hat der Präsident ein weiteres Problem. Am Samstag hatte das gesamte Kabinett erklärt, es werde am Montag (24.11.) aufgrund eines Drogenskandals zurücktreten. Gutierrez selbst gibt sich jedoch sicher, obwohl er bereits durch seine Trennung von der einst an der Regierung beteiligten indigenen Bewegung erheblich geschwächt ist. Er werde nicht zurücktreten, ließ der Staatschef wissen, auch wenn sich herausstellen sollte, dass sein Wahlkampf im Jahr 2002 durch Drogengelder finanziert worden war.
BOLIVIEN
Weitere Landbesetzungen
(Montevideo, 14. November 2003, comcosur).- Bauern, die der Strömung um den Bauernführer und Abgeordneten Felipe Quispe angehören, haben vier weitere Ländereien besetzt. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Tage des Präsidenten Carlos Mesa gezählt sind. Die neuerlichen Besetzungen fanden auf der Hochebene in der Nähe von Sorata statt. Die Bearbeitung des Landes war dort sehr vernachlässigt worden.
Eine der Ländereien ist Eigentum des Generals Marcos Vásquez. Eine andere gehört der katholischen Kirche. Nach Berichten aus der Region gab es keine wesentlichen Zwischenfälle. Quispe äußerte angesichts der Vorfälle „Ich kann nicht abstreiten, dass das Land von unseren Leuten besetzt wurden, weil sie die Karas, die hier seit Jahren die Gegend kontrollieren, rausschmeißen wollen.“ Karas werden in Bolivien die Weißen genannt. Die Aktionen fanden im Rahmen der Landlosenbewegung MST (Movimiento Sin Tierra) statt, die eine Waffenruhe mit der neuen Regierung geschlossen hatte.
URUGUAY
Gewerkschafter fordern Ermittlungen gegen Militärs
(Montevideo, 14. November 2003, comcosur).- Das Sekretariat für Menschenrechte der Gewerkschaftsbewegung PIT-CNT (Plenario Intersindical de los Trabajadores – Convención Nacional de Trabajadores), das seinerzeit das Verschwinden der Lehrerin Elena Quinteros im Jahre 1976 vor Gericht angezeigt hatte, hat nun die Vernehmung des Oberkommandierenden der Streitkräfte, Generalleutnant Carlos Daners, sowie die gerichtliche Vernehmung und Hausdurchsuchung des inzwischen pensionierten Oberst José Baudean gefordert.
Dr. Pablo Chargoñia, Rechtsberater des PIT-CNT, erinnerte daran, dass in einem Interview im Kanal 12 am 28. Dezember 2001 General Carlos Daners mit Gewissheit behauptet hatte, dass Gräber mit den Leichnamen von verschwundenen Gefangenen nicht existierten. Aus dieser Aussage lasse sich jedoch ableiten, dass der Militär sehr wohl Kenntnis über das Schicksal der Verschwunden und demnach auch über das Verbleiben der Lehrerin Elena Quinteros habe. Folglich sei auch dessen Vernehmung begründet.
Der Rechtsanwalt macht weiterhin Andeutungen in Richtung des pensionierten Oberst José Baudean, eine der düstersten Gestalten der Diktatur. Chargoñia erinnert daran, dass dieser in einem Interview mit Radia Continente seinerzeit öffentlich bestätigte: „Im Jahre 1986 oder 1987 kam ein Freund des Präsidenten zu mir und fragte mich, wo das Archiv wäre. Ich habe es in meinem Haus. Mal sehen, ob sie den Schritt gehen, es zu holen.“ Für den Rechtsanwalt ergibt sich daraus die Vermutung, dass sich die Informationen, über die Baudean verfügt, auch auf den noch immer unbekannten Aufenthaltsort von Elena Quinteros beziehen könnten. Es sei daher angebracht, die Vernehmung des Oberst und die Durchsuchung seines Wohnsitzes anzuordnen, um die Unterlagen zu beschlagnahmen, auf die er in dem Radiointerview angespielt hatte.
CHILE
Verfassungsrechtliche Anerkennung der indianischen Ethnien
(Santiago de Chile, 20. November 2003, sem-poonal).- Die Anerkennung der indianischen Bevölkerung und ihrer kollektiven Rechte auf Land und politische Selbstbestimmung stehen im Mittelpunkt einer Reihe von Vorschlägen, die vergangene Woche dem chilenischen Präsidenten Ricardo Lagos vorgelegt wurden. Urheberin des Dokuments ist die „Kommission für Geschichtswahrheit und einen neuen Umgang mit den indianischen Gemeinden“, ein Zusammenschluss von 25 Persönlichkeiten, der unter der Regie des Ex-Präsidenten Patricio Aylwin arbeitet.
Ziel der Arbeit ist nach Worten Patricio Aylwins „die Korrektur von unvermeidbaren Fehlern, die der chilenische Staat im Umgang mit den Indígenas begangen hat“. Nach fast zweijähriger Tätigkeit erarbeitete die Kommission unter anderem folgende Empfehlungen: die Einrichtung einer parlamentarischen Vertretung aller indianischen Völker, die Festlegung traditioneller Territorien und das Recht auf Nutzung der natürlichen Ressourcen in diesen Gebieten sowie die Möglichkeit, an Investitionsprojekten teilzuhaben. Chiles Präsident Ricardo Lagos äußerte sich positiv über den Bericht und sagte, dass er „verschiedene Maßnahmen auf der Grundlage dieser Empfehlungen in die Wege leiten“ werde.
Konkret fordert die Kommission die Einbindung von bislang nicht repräsentierten Ethnien in den Nationalen Rat der indianischen Entwicklung CONADI, der bislang von den Mapuche dominiert wird, die Schaffung eines indianischen Rates und eines indianischen Forschungsinstitutes sowie die Förderung indianischer Kultur. Weiterhin empfiehlt sie die Schaffung eines indianischen Fonds und die Anhebung der Mittel für Schule und Ausbildung um 40 Prozent.
Im Bereich der Landrechte von chilenischen Indígenas wird eine Reihe von Richtlinien zur Bestimmung von traditionellen Grundbesitzrechten gefordert, und auf deren Grundlage die Bestimmung so genannter „indigener Territorien“ in einem Zeitraum von zwei Jahren. Auf diese Weise sollen die bestehenden Landkonflikte gelöst werden. Eine Neuheit ist die Absicht, verschiedene Ethnien zu entschädigen, darunter auch Nachfahren bereits ausgestorbener Indígena-Gruppen wie der Aonikenk und Selk'am.
Die obengenannten Empfehlungen wurden von drei Unterkommissionen erarbeitet: Wirtschaftliche Entwicklung, Geschichtliche Wahrheit und Indianisches Recht. An diesen nahmen Forschungseinrichtungen der Rapa Nui, der Mapuche, der Atacameños und der städtisch-indianischen Bevölkerung teil.
Politische Gefangene in Chile im Hungerstreik
(Santiago de Chile, 14. November 2003, adital). – Seit dem 27. Oktober befinden sich vier weitere politische Gefangene im Hungerstreik. Sie fordern die Freiheit von allen politischen Gefangenen und von allen Mapuche-Gefangenen.
Bereits am 10. November gingen 21 Gefangene in den Hungerstreik. Sie fordern die Verkündung des Begnadigungsgesetzes „Ley de Indulto“ für die politischen Gefangenen. Das Gesetz hängt seit einem Jahr im Senat fest, es bietet eine reale Chance auf Freilassung für die Mehrheit der Gefangenen, von denen viele bereits mehr als zehn Jahre in verschiedenen Gefängnissen festsitzen: im Cárcel de Alta Seguridad (CAS), im Penal de Colina, im Hospital Penitenciario, im Cárcel de Antofagasta, im Cárcel de Talca, im Penal El Manzano de Concepción und im Penal de Osorno.
Am 17. November haben sich dem Streik auch Pedro Rosas Aravena und Julio Parada angeschlossen. Sie befinden sich ohnehin schon in einem schlechten gesundheitlichen Zustand und setzen deshalb damit ihr Leben aufs Spiel. Rosas Aravena leidet an Hodenkrebs. Unter den Gefangenen befindet sich auch Abraham Larrea Zamorano. Er ist seit 1990 im Gefängnis und damit einer der ältesten unter den Gefangenen. Er war der erste, der den Hungerstreik begonnen und eine Lösung der Situation verlangt hat.
Die 23 Gefangenen sind das Ergebnis von Prozessen während der Militärdiktatur. Larrea Zamorano fordert in seinem eigenen Fall die Anwendung der „Leyes Cumplido“. Hätte man ihn auf Grund der Verurteilung während der Militärdiktatur begnadigt, wäre er schon seit zwei Jahren frei. Präsident Ricardo Lagos hat sich nicht zu diesem Fall geäußert, obwohl es einen Kompromiss des regierenden „Concertación“-Bündnisses gibt, politische Gefangene aus der Zeit der Diktatur zu begnadigen.
LATEINAMERIKA
Einigung zur Freihandelszone ALCA lässt viele Fragen offen
Von Andreas Behn
(Berlin, 21. November 2003, npl).- Überraschend gab es bei der Ministerkonferenz zur Schaffung einer Gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA bereits am ersten Tag eine Einigung über das weitere Vorgehen. Die in Miami versammelten 34 Handelsminister – außer Kuba waren alle wichtigen Staaten des Kontinents vertreten – unterschrieben die Abschlusserklärung von Miami, womit die geplante Einrichtung der ALCA bis Januar 2005 ein großes Stück näher gerückt ist. Allerdings ist der Deklarationsentwurf an vielen Stellen wenig konkret und überlässt den einzelnen Ländern viel Gestaltungsspielraum, was im Gegensatz zu den einst ambitionierten Vorstellungen Washingtons eher als „ALCA-Light“ bezeichnet werden kann.
Während innerhalb des Konferenzzentrums Konsens demonstriert wurde, protestierten im Zentrum der Hauptstadt Floridas an die 30.000 Globalisierungsgegner gegen die Freihandelspläne. Die Freihandelszone werde die Wohlhabenden und die großen Unternehmen noch reicher machen, während in der ganzen Region immer mehr Arbeitsplätze verloren gingen und die Armut weiter zunehmen werde, so der Tenor der Demonstranten, die in einem farbenprächtigen, machtvollen Zug durch die Strassen Miamis zogen.
Die Aktivisten, unter ihnen viele Gewerkschafter und Bauern, standen Tausenden Polizisten gegenüber, die mit über acht Millionen Dollar zehn Monate lang extra für diesen Einsatz ausgebildet worden waren: Die Schmach von Seattle, als 1999 energische Demonstrationen eine Konferenz der Welthandelsorganisation WTO stürmen konnten, sollte sich nicht wiederholen. Deswegen wurde das Zentrum der Stadt weitläufig abgesperrt und der öffentliche Nahverkehr fast den ganzen Tag unterbrochen. Obwohl die Demonstration weitgehend friedlich verlief, ging die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken immer wieder gegen die Protestler vor, es kam zu Festnahmen und mehreren Verletzten.
Für Freitag waren weitere Proteste geplant, obwohl die offizielle Konferenz mit der Unterzeichnung der „Erklärung von Miami“ eigentlich schon vorzeitig beendet wurde. Kanadas Handelsminister Pierre Pettigrew bezeichnete die Einigung als „Büfett“. „Jedes Land müsse entscheiden, wie viel es von jedem Teller essen möchte,“ ergänzte der US-Handelsrepräsentant Robert Zoellick.
Grundlage der schnellen Einigung war eine Textvorlage, die das Vorbereitungskomitee kurz vor Beginn der Ministerkonferenz vorgelegt hatte. Diese beinhaltete bereits eine neue Ausrichtung, die vor allem eine Konsequenz der Differenzen von Brasilien und den USA, den beiden Schirmherren der Verhandlungen, war. Das Dokument spricht nicht mehr – wie ursprünglich seitens Washingtons geplant – von einer allumfassenden Freihandelszone, die alle handelsrelevanten Themen für alle Mitglieder der ALCA gleichermaßen regelt. Statt dessen deutet der Text eine Kompromisslinie bezüglich der Struktur der ALCA an. Demzufolge soll es den einzelnen Ländern überlassen werden, bei jedem Thema separat zu entscheiden, wie weit die eigene Verpflichtung zu den Freihandelsnormen gehen soll.
Die USA scheinen ihren Widerstand gegen eine solche ALCA-Light aufgegeben zu haben. Zum einen wird vermutet, dass es der Regierung Bush wichtiger ist, vor der kommenden Präsidentschaftswahl einen erfolgreichen ALCA-Abschluss zu präsentieren als auf der harten Linie seiner Wirtschaftsliberalen zu beharren. Andererseits gaben die USA nicht zuletzt angesichts des Scheiterns der letzten WTO-Ministerkonferenz in Cancún mehrfach zu verstehen, dass sie bei stagnierenden Verhandlungen lieber auf bilaterale Abkommen setzen werden, in denen sie ihre Positionen leichter Durchsetzen können.
US-Handelsrepräsentant Zoellick schmollte bei seiner Ankunft in Miami erneut, dass er viel lieber mit kooperationsbereiten Staaten verhandele. Derzeit haben die USA bilaterale Abkommen mit Kanada, Mexiko und Chile, mit weiteren elf Staaten sind Verhandlungen geplant oder am laufen.
Die Miami-Deklaration trägt diesem Willen Rechnung, indem sie klarstellt, dass es zwei Integrationswege, nämlich regionale und bilaterale Verträge nebeneinander geben könne, sofern die Vereinbarungen zwischen einzelnen Ländern nicht den Richtlinien der größeren ALCA widersprechen. Außerdem wird anerkannt, dass kleinere und weniger entwickelte Länder finanzielle Hilfen benötigen, um bei der kontinentalen Integration mithalten zu können. Diese Forderung erhob am Mittwoch auch Boliviens neuer Präsident Carlos Mesa, der zu Haus von einer starken sozialen Bewegung unter Druck gesetzt wird.
Auffällig ist, dass der Text bei den meisten strittigen Themen keine klaren Aussagen enthält. Dazu zählen vor allem die Subventionen in der Landwirtschaft, die die USA im Gegensatz zu Brasilien nur im Rahmen der WTO behandeln möchten. Umgekehrt wollen Brasilien und die meisten Staaten des Gemeinsamen Südamerikanischen Marktes MERCOSUR das Thema „Patente und intellektuelles Eigentum“ lieber zur WTO auslagern, da die USA darauf bestehen, ihre eigene, sehr unternehmensfreundliche Gesetzgebung in diesem Bereich zur kontinentweiten Richtlinie zu machen. Seitens Mexikos und Chiles kommt hierbei kein Widerstand, da sie sich in ihren bilateralen Verträgen bereits auf die US-Klauseln eingelassen haben.
Ähnlich verhält es sich bei den Themen „Investitionen, Wettbewerb und öffentlichen Aufträge“. Die USA wollen insbesondere beim Schutz der Investoren Vereinbarungen, die weit über die bei der WTO diskutierten Maßstäbe hinaus gehen, festschreiben, während Kontrahent Brasilien wie in Cancún am liebsten gar nicht darüber reden will. Völlig außen vor ist auch das Thema Umweltfragen. Vor allem die ärmeren Länder leisten Widerstand gegen diesen Aspekt, da sie befürchten, weitgehende ökologische Richtlinien würden von reicheren Staaten wie legale Protektionismusinstrumente gegen sie verwendet werden.
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