Poonal Nr. 462

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 462 vom 12. Januar 2001

Inhalt


GUATEMALA

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

KOLUMBIEN

PERU

CHILE

BRASILIEN

URUGUAY

LATEINAMERIKA/USA


GUATEMALA

Stets zu Diensten – Sexarbeit in der Ölindustrie

Von Andreas Bouke

(Guatemala-Stadt, 9. Januar 2001, npl-Poonal). – In der kleinen Gemeinde Rubelsanto, im Tiefland Guatemalas, gibt es gleich zwei Bordelle. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn in der Umgebung von Rubelsanto wird Öl gefördert. An vielen Orten der Welt ist die Ölförderung von Prostitution begleitet.

Ana Ester betreibt eines der beiden Bordelle. Sie kam vor zwanzig Jahren in den Urwald. „Als ich hier ankam besaß ich nichts. Ich musste ein Zimmer mieten“, erinnert sich die alte Dame. „Später habe ich mein eigenes Geschäft gegründet. Das Stück Land, auf dem ich lebe, gehört der Ölfirma, aber bisher hat mich niemand vertrieben.“

Den meisten Bewohner von Rubelsanto sind die Bordelle ein Dorn im Auge. „Die Freudenhäuser stehen mitten im Dorf. Unsere Kinder sehen das alles. Einige Mädchen sind schon in den Bars verloren gegangen,“ ereifert sich eine Mutter von drei Töchtern.

Angesichts der Feindseligkeit in der Gemeinde finden die Bordellbesitzerinnen Unterstützung von anderer Seite. „Für mich hat es nie eine Dorfgemeinschaft gegeben. Seit ich hierhergekommen bin, habe ich alles von der Ölfirma bekommen: das Wasser, die Medizin, den Strom, jegliche Hilfe,“ berichtet Ana Ester.

Die beiden „Etablissements“ sind traurige Hütten, zusammengeflickt aus Holzplatten und Wellblech. Eine steht direkt vor dem Eingangstor der Wohnquartiere der US-amerikanischen Ölfirma BASIC RESOURCES. Die Wände im Innenraum sind dekoriert mit Postern von halbbekleideten Mädchen und anzüglichen Werbekalendern verschiedener Bier- und Automarken. Hinter dem Saal mit der Bar gibt es einige Holzverschläge, in die nicht viel mehr hineinpasst als ein Bett. Karina, die Besitzerin, sagt, dass ihr die „Señoritas“ für jeden Männerbesuch zehn Quetzales zahlen. Das sind etwa drei Mark. Die Mädchen bekommen von den Männern rund zehn Mark für nicht länger als fünfzehn Minuten.

Hinter dem Bordell steht eine weitere Hütte, die Küche. Hier können die Frauen unter sich sein. Sie liegen in Hängematten, kochen, unterhalten sich und füttern ihre Babys. Im Hof spielen kleine Kinder auf dem blanken Erdboden.

Elena ist vor fünf Jahren von der Südküste Guatemalas in den Urwald gekommen: „Bei mir Zuhause hat es nie an Mais und Bohnen gefehlt. Aber als Mutter ohne Mann bin ich gezwungen zu arbeiten. Zuhause kann ich nicht so arbeiten wie hier, wegen meiner Eltern. Deshalb bin ich hergekommen, trotz der Moskitos, dem Schlamm, der Hitze und all dem.“

Die Frauen folgen den Erdölfirmen, wenn neue Förderstationen errichtet werden. „Natürlich wären wir nicht hier wenn es hier kein Öl gäbe. Die Hauptkunschaft der Mädchen sind die Männer, die für die Firma arbeiten,“ erklärt Elena.

Auf der Förderstation von Rubelsanto gibt es wenige unverheiratete Männer. Die meisten haben eine Familie in der Hauptstadt. Normalerweise kommen sie für Schichten von zwei Wochen, auf die zwei Wochen Pause folgen. Elena meint: „Auf der Förderstation sind die Männer unter sich, ohne Frauen. Deshalb kommen sie zu uns. Sie brauchen ein Mädchen.“

Ein Familienvater aus Rubelsanto sieht das ähnlich: „Wie das alte Lied schon sagt: 'Für den alten Kater ein zartes Mäuschen.' Die Bordelle sind gut für die Ölfirma.“ Er spricht aus, was in Guatemala gesellschaftlicher Konsens ist: „Viele der Techniker sind über vierzig, fünfzig Jahre alt. Ihre Ehefrauen zu Hause sind womöglich krank. Deshalb gefällt es ihnen, hierher zu kommen. Sie sagen: 'Ich gehe besser nach Rubelsanto, dort gibt es junge Mädchen.'“

Und wirklich, einige der Mädchen in dem Bordell sind offensichtlich minderjährig. Aber sie wollen keine Auskunft geben. Vor allem die Mütter im Dorf schimpfen über die minderjährigen Prostitutierte: „Die Bordelle sind hier entstanden, als die Ölbohrungen begannen. Jetzt haben wir all diese Probleme. Die Mädchen gehen in die Bars, weil sie dort Geld verdienen können. Unser Dorf ist arm, deshalb lassen sich die Mädchen auf Männer mit viel Geld ein.“

Eine junge Frau berichtet, dass ihre kleine Schwester mit fünfzehn Jahren begonnen hat, in einem der Bordelle zu arbeiten: „Manchmal sind dort fast ausschließlich Minderjährige. Wenn jemand kommt, um nachzuforschen, schickt die Besitzerin die Mädchen auf ihre Zimmer. Kein Fremder soll sie sehen. Es ja verboten, dass Minderjährige in einer Bar arbeiten.“

Die Mädchenprostitution ist nicht die einzige Form sexueller Ausbeutung im Zusammenhang mit der Ölförderung. Wenn die Firma ungeschulte Arbeiter für Handlangertätigkeiten braucht, nutzen einige Personalchefs die Armut der Familien im Dorf aus. Eine Dorfbewohnerin erzählt: „Sie geben denjenigen Männern Arbeit, die eine hübsche Schwester haben, oder eine willige Frau. Ein Mann bekommt nur dann Arbeit, wenn einer der Chefs sexuelle Beziehungen zu einer Frau seiner Familie haben kann.“

Diese Version wird von vielen in Rubelsanto bestätigt. Die Männer schämen sich ihrer Armut, die Frauen sind wütend über die Arroganz der Verantwortlichen: „Wenn der Mann arbeitet, holen sie sich seine Tochter oder eine Schwester. Sie wollen vor allem junge Mädchen, die danach oft schwanger zurückbleiben.“

Normalerweise arbeiten die Angestellten der Ölfirma nicht lange in Rubelsanto. Nach wenigen Jahren werden sie auf eine andere Förderstation versetzt. Einige lassen Kinder zurück, für die sie niemand zur Verantwortung zieht. Juana, eine der vielen alleinstehenden Mütter in Rubelsanto spricht mit Resignation über den Vater ihrer beiden Söhne: „Er nutzt all die Vorteile, die die Firma ihm gibt, während ich nicht einmal genug habe, um die Kinder zu versorgen.“

 

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Präsident bittet die katholischen Bischöfe angesichts der wirtschaftlichen Krise um Hilfe

(Santo Domingo, 9. Januar 2001, alc-Poonal).- Der Präsident der Dominikanischen Republik, Hipólito Mejía, wandte sich diese Woche an die katholischen Bischöfe, damit diese ihn bei der Entwicklung und Umsetzung eines sozialen Hilfspakets unterstützen. Mit diesem Paket hofft die Regierung, die negativen Auswirkungen ihrer Steuerreformen abzuschwächen.

Der Präsident, der von der Vize-Präsidentin Milagros Ortiz Bosch und dem Staatssekretär Sergio Grullón begleitet wurde, traf sich über zwei Stunden mit den Bischöfen des Landes im Haus der Erzdiozöse außerhalb der Hauptstadt.

Mejía sprach mit den katholischen Bischöfen über geplante ausgleichende Maßnahmen und bat sie um Hilfe bei der Bewältigung der dringendsten Probleme, die die Bevölkerung betreffen.

Die elf Diozösen der katholischen Kirche vereinbarten, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, um den Sozialplan umzusetzen und um weitere Probleme des Landes anzugehen. Ohne dafür bestimmte Gründe zu nennen, weigerte sich der Präsident bis dato, sich mit der evangelischen Kirche zu treffen.

 

KOLUMBIEN

Friedensprozess kollabiert – Militärische Umsetzung des „Plan Colombia“ beginnt

Von Laura Barros

(Bogota, 7. Januar 2001, npl-Poonal).- Vor genau zwei Jahren, am 7. Januar 1999, begann in Kolumbien der Friedensprozess zwischen der Regierung und der Guerillagruppe Farc. Das Bild, das damals um die Welt ging, zeigte Präsident Andres Pastrana neben einem leeren Stuhl, auf dem Farc-Chef Manuel Marulanda sitzen sollte. Doch dieser erschien damals nicht. Ein schlechtes Omen für den Versuch, der Gewalt im Land Einhalt zu gebieten. Und die bis heute kläglichen Ergebnisse der Verhandlungen bestärken die Kritiker in ihrer Ansicht, die Farc habe sich bis heute nicht an den gemeinsamen Tisch gesetzt.

Derzeit herrscht mal wieder Funkstille zwischen den Bürgerkriegsparteien. Vor Monaten setzte die Farc-Guerilla den Dialog aus und forderte von der Regierung, dem mörderischen Treiben der rechten Paramilitärs Einhalt zu gebieten. Zudem bezeichnet sie den „Plan Colombia“ als ein militärisches Anti-Drogen-Programm, das Pastrana mit den USA aushandelte – als Kriegseskalation und direkte Intervention Washingtons in den kolumbianischen Konflikt.

Unterdessen gehen die Gewalttaten in Kolumbien unvermindert weiter. Das Jahr begann mit einem Massaker der Paramilitärs an elf Bauern. Am Sonntag (7.1.) starben zwei Zivilisten bei einem Bombenattentat auf ein Polizeifahrzeug im Nordwesten des südamerikanischen Landes. Die Polizei machte die ELN, die zweitgrößte Guerillagruppe Kolumbiens, für die Tat verantwortlich.

Das meiste Aufsehen erregte der Mord an dem oppositionellen Abgeordneten Diego Turbay, dem Friedensbeauftragten des Parlaments. Turbay wurde zusammen mit seiner Mutter und fünf weiteren Begleitern in der Nähe der Zone, die die Regierung zur Durchführung der Verhandlungen der Farc überließ, erschossen. Die Armee machte die Farc für den Anschlag verantwortlich, was Farc- Sprecher Raul Reyes umgehend dementierte.

Die Kritiker des Friedensprozesses sehen sich durch den brutalen Mord bestätigt und fordern ein Umdenken seitens der Regierung. Sie sei der Farc zu weit entgegengekommen, so der Tenor. Vor allem kritisieren sie, dass der Farc eine Zone in der Größe der Schweiz zugestanden wurde, die die Guerilleros angeblich zu Kokaanbau, Training und zur Rekrutierung neuer Kämpfer nutzen.

Die Situation scheint festgefahren, doch vieles spricht für eine weitere Eskalation: In den kommenden Wochen wird die militärische Phase des „Plan Colombia“ beginnen, nachdem das Training zweier neuer Antidrogen-Armeebataillone abgeschlossen ist. Da die Frist für die entmilitarisierte Farc-Zone bald ausläuft, werden heftige Kämpfe um die Rückeroberung des Gebiets seitens der Armee befürchtet. Damit wäre der Dialog endgültig gescheitert.

Ähnlich besorgniserregend ist die Lektüre eines neuen Berichts der Verteidigungsministerium über die rechten Todesschwadrone. Diese paramilitärischen Verbände, die allein im vergangenen Jahr bei über 200 Massakern 1.226 Menschen ermordet haben sollen, sind dem Ministerium zufolge in zwei Jahren um 100 Prozent auf 8.150 Kämpfer angewachsen. Die Guerilla hingegen wuchs um 40 Prozent. Sollte diese Tendenz anhalten, hätten die Paras in fünf Jahren mehr Kämpfer als die Guerilla in Kolumbien. Das Wachstum der Paramilitärs wird in dem Bericht auf intensive Rekrutierung zurückgeführt: Im Gegensatz zur Guerilla wird den Kämpfern Sold angeboten. Zudem wird, neben der zwangsweisen Rekrutierung, öffentlich für einen Beitritt zu den Verbänden geworben. Besondere Angebote werden ehemaligen oder aktiven Soldaten und Offizieren gemacht.

In Kolumbien stehen die Zeichen auf Krieg, und der konservative Präsident Pastrana vor seiner größten Niederlage, da er den Friedensprozess zum Angelpunkt seines Regierungsprogramms machte. Die Kolumbianer, die seit Jahrzehnten unter dem Bürgerkrieg leiden, stehen so oder so auf der Verliererseite. Und die Kriegsparteien schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Zweifelhaft ist hierbei vor allem die Rolle derjenigen, die nicht offiziell beteiligt sind oder sein sollten: Einerseits die USA, die mit ihrer Drogenpolitik die Militarisierung in den Produzentenländern vorantreiben. Andererseits Teile der Armee, die nach Ansicht von Menschenrechtsgruppen und UN-Gremien die Paramilitärs aktiv unterstützen und damit eine neue, unkontrollierbare Front im Bürgerkrieg eröffnet haben.

 

PERU

Vargas Llosa kritisiert katholischen Erzbischof von Lima scharf

(Lima, 8. Januar 2001, alc-Poonal).- Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa übte wegen dessen Verbindungen zum mittlerweile abgesetzten Präsidenten Alberto Fijumori scharfe Kritike am katholischen Erzbischof von Lima, Juan Luis Cipriani.

Vargas Llosa, der in Spanien seinen Wohnsitz hat, war zu einem kurzen Besuch in Peru und bekräftigte noch einmal, daß Cipriani "ein offener, expliziter und erklärter Komplize der Diktatur" von Fujimori gewesen ist. Er fügte hinzu, daß ihn diese Einstellung der katholischen Kirche sehr traurig stimme, aber noch mehr die katholischen Menschen bedrücken würde, die an Freiheit und Demokratie glaubten. Der namhafte Romancier und selbsterklärter Agnostiker führte aus, dass seine Worte keine Kritik an der katholischen Kirche an sich seien. Innerhalb der Kirche gebe es durchaus Menschen, die Respekt verdienten, wie z.B. der verstorbene Erzbischof und Kardinal von Lima, Augusto Vargas Alzamora, dessen eindeutige Haltung für die Freiheit und die Menschenrechte ihn zu einem Gegner des Fujimori-Regimes machten.

Als Reaktion auf die Kritiken unterzeichneten um die Hundert Priester aus der Diözese sowie Autoritäten der katholischen Kirche ein Dokument zur Unterstützung von Monsenor Cipriani, in dem die Kritiken als "ungerechtfertigte Angriffe" und als „verleumderisch“ bezeichnet wurden. Cipriani, der zur Zeit als Friedensadvokat und für die Versöhnung zwischen den Peruaner*innen auftritt, ist die wichtigste Person des Opus Dei in Peru. Diese Organisation wurde am 2. Oktober 1928 durch den spanischen Priester José María Escrivá y Balaguer gegründet und 1982 zur persönlichen Prälatenwürde des Papstes erklärt. Von einigen Beobachtern wird der Vermittlungsversuch Ciprianis als der Versuch angesehen, die Mißstände, Korruption und Verletzung der Menschenrechte durch die gestürzte Regierung zu entschuldigen,

Die Kritik von Vargas Llosa an Cipriani stimmte insofern mit Erklärungen des Bischofs Luis Bamabarén, des Präsidenten der Peruanischen Bischofskonferenz, überein, als daß dieser nicht ausschließen konnte, daß der flüchtige Ex-Berater des Präsidenten Vladimir Montesinos viel Einfluß auf die katholische Kirche gehabt habe, da dieser "in jedmöglichen Institutionen versucht hat, Spitzel einzusetzen".

Bischof Bambarén wies außerdem daraufhin, daß er die geplante Wahrheitskommission bitten werde, den Fall dreier junger Mitglieder der Revolutionären Bewegung Túpac Amaru (MRTA) zu untersuchen, die bei der Besetzung der japanischen Botschaft im Dezember 1996 beteiligt waren. Den Erklärungen eines japanischen Ex-Diplomaten zufolge, der in der Botschaft festgehalten worden war, wurden die drei, nachdem sie sich bereits ergeben hatten, von Militärs exekutiert, die am 27. April 1997 das Gebäude stürmten. Nach offizieller Darstellung starben die 14 an der Aktion beteiligten Mitglieder der MRTA bei dem Feuergefecht während der Stürmung.

Bischof Cipriani gehörte damals zusammen mit dem kanadischen Botschafter Anthony Vincent und dem Delegierten des Internationalen Roten Kreuzes, Michael Minning, zu der Gruppe, die eine friedliche Lösung der Besetzung der Botzschaft aushandeln sollte. Cipriani war einer der letzten, die das Gebäude vor der Stürmung betraten. Einige Quellen vermuten, daß es Cipriani war, der Gitarren in die Residenz brachte, in die der Geheimdienst hochsensible Mikrophone eingebaut hatte, mit deren Hilfe die Position der Geiseln und ihrer Geiselnehmer jederzeit überprüft werden konnte.

Opus Dei, der als einer der einflußreichsten Orden der katholischen Kirche gilt, kam 1953 nach Peru. Zur Zeit sind sieben der 50 Mitglieder der Peruanischen Bischofskonferenz im Opus Dei Mitglied. Außerdem verwaltet der Orden eine Universität und ein Dutzend Schulen. Einige einflußreiche Politiker sind ebenfalls Mitglieder dieser Organisation. Unter ihnen sind der Ex-Vize-Präsident Francisco Tudela, die ex-Parlamentspräsidentin Martha Chávez sowie weitere Parlamentarier*innen.

 

CHILE

Von Viviana Erazo

(Santiago de Chile, Januar 2001, fempress-poonal) Eine neue Lebensphase zu beginnen, bedeutet sowohl, wichtige Teile von sich selbst zurück zu lassen als auch, ein Stück derer mit sich zu nehmen, die Teil derselben Geschichte waren. Es heißt seinen Weg weiter zu gehen, dankbar für die vielen Erfahrungen, Gefühle und Energie, die wir von den anderen erhalten haben und die heute Teil des Gepäcks sind, mit dem wir weiterreisen werden.

In dieser letzten Ausgabe der Zeitschrift mujer/fempress möchte ich euch allen –Leserinnen, Mitstreiterinnen und Freundinnen von fempress- meinen Dank aussprechen und gleichzeitig einige Fragen an die Zukunft stellen.

Während der letzten 20 Jahre, die ich Tag für Tag bei fempress an der Erstellung der Zeitschrift mitgearbeitet habe, hatte ich die außergewöhnliche Gelegenheit durch dieses offene Fenster mit dem Rest von Lateinamerika zu kommunizieren. In diesem kleinen Büro in Santiago, in dieser produktiven Mikrowelt, die ihre Arme dem Kontinent öffnete, teilte ich mit Adriana Santa Cruz, Teté Valdovinos, Sandra Vega und Orlando Ramírez mein Leben voller Arbeit, Innigkeit und gegenseitiger Unterstützung. Durch den Austausch mit den Korrespondentinnen, den intelligenten und großzügigen Beiträgen jeder von ihnen habe ich die unbeugsame Energie der Frauen empfangen.

Hier habe ich die subversive Neugier und Mut der Frauen geteilt, ihre hartnäckige Fähigkeit zur Poesie und zum Humor, die immer tiefe Suche nach unserem Inneren, die tägliche Heldentat die Lieblosigkeit zu überleben, den Kampf gegen Hunger, Unbilden, Schläge, sexuelle Gewalt und Frauenfeindlichkeit. Der Widerstand und die Weisheit unbekannter Frauen, die Tag für Tag den Kampf erneut aufnehmen, haben mich gerührt. Von hier aus habe ich etwas über ihre Ängste und über meine eigenen gelernt, über ihre Versuche, ihre Lustlosigkeit und Energien, unsere Gemeinsamkeiten und Potentiale. Hier haben mich aber auch die Stimmen von einigen engagierten Männern erreicht, die ihren Frust ausdrücken wollten. Und von diesem Ort aus habe ich die immense Kraft gespürt, die Teil eines Ganzen zu sein bewirkt.

Von diesem Platz aus hatte ich das große Privileg die Herzen –kollektiv und individuell- der Frauenbewegung zu spüren, unserer Bewegung. Ein Herz dessen Schlag durch den Wunsch angetrieben wurde, Protagonistinnen unseres eigenen Lebens zu sein, unsere Identität zu bestärken, ihr einen Sinn zu geben und durch den Wunsch nach einem Leben, das wir uns selbst aufgebaut haben.

Es ist unglaublich, was wir gemeinsam in diesen Jahrzehnten geschafft haben. Wir wissen es. Von den ersten Frauenkollektiven bis hin zu der großen Vielfalt von Frauenorganisationen und –Institutionen die es heute gibt, zur vielfältigen Produktion von Theorie, politischen Strategien und individuellen Lebensformen, die das breite Spektrum unsere Unterschiede abdecken.

Obwohl ich unsere erreichten Ziele feiere, kann ich doch die Tatsache nicht umgehen, dass im Moment eher die Enttäuschung regiert. Es ist wohl wahr, dass die Frauenbewegung sich nicht von der Unsicherheit unserer Zeit und der damit einhergehenden Lähmung der Fähigkeit zu träumen, lossagen kann. Das gegenwärtige Fehlen von Gemeinschaftsprojekten in unseren Gesellschaften, die Agonie einer Zivilisation die zwischen der Möglichkeit ihrer Erneuerung und der Gefahr ihres Untergangs stagniert, das fehlende Bewußtsein bezüglich dem Sinn des Leben jeder Einzelnen und seiner Vermarktung muß auch unsere Bewegung treffen.

Auf der anderen Seite ist es aber auch wahr, dass heutzutage auf diesem und auf anderen Kontinenten, in allen Notfällen die unsere Geschichte durchleben mag, der Protagonismus der Frauen überall präsent ist. Dringende Angelegenheiten verlangen nach einer kollektiven und organisierten Reaktion der Frauen: für einen Frieden in Kolumbien, das allmählich ausblutet, für die Würde des geplünderten Perus, gegen den Krieg auf dem Balkan und im Nahen Osten, bei den Mobilisierungen gegen den Hunger, die Ausgrenzung, den Verkehr, die Ausrottung der Natur. Die Frauen stehen mitten in der Welt und in der erster Reihe. Die Frauen weisen den Weg, und teilen ihre Verpflichtungen und Verantwortung mit anderen aufstrebenden sozialen Bewegungen.

Nichtsdestotrotz fragen wir uns schon seit einiger Zeit ob die relativen Erfolge der Frauen in bezug auf ihre Beteiligung an der politischen Macht und Präsenz in Entscheidungsgremien nicht vielleicht auf ihre Fähigkeit zurück zu führen ist, sich an Formen und Sprachen einer Kultur anzupassen, die sie nicht wirklich mit einschließt. Haben wir vielleicht in wichtigen Fragen dem Privatleben der Frauen nicht genug Wichtigkeit beigemessen? Sind die unzähligen Versuche, die Rechte der Frauen in Verfassungen, Gesetzen von Gleichheit und Gleichberechtigung, Quoten, etc. festzulegen nicht vielleicht eine Falle, die ihren Horizont begrenzen und sie von ihren wirklichen Zielen, ihren Wünschen und ihrer Art, die Welt zu sehen, ihrem Willen zu leben abzuhalten? War es wirklich das was wir gesucht haben? Was stellen diese Eroberungen im Vergleich zu unsere Ausgrenzung von den neuen Zentren der Macht dar? Was bedeuten sie im Bereich der neuen Technologien, der Kommunikation, der Manipulationen von Lebewesen? Was für neue Bedeutungen erhalten die Mutterschaft, die Sexualität und die Reproduktion?

Können sich Konzepte von Gender, Gleichheit und Demokratie mit den Veränderungen, die in der Welt und uns selbst vorgegangen sind noch halten? Hat sich nicht selbst schon die Sprache abgenutzt durch ihre mechanische Nutzung, unsere Unfähigkeit die Gegenwart zu hinterfragen und uns die Zukunft vorzustellen? Haben wir nicht durch das dauernd beschäftigt sein, unsere besondere Art, das Leben zu spüren, die Welt zu verstehen, den Willen, Vorstellungen zu verändern und ihre Transzendenz in den Vordergrund zu stellen, verloren?

Zwischen der Sehnsucht nach dem was wir waren und der Hoffnung nach dem, was wir sein werden, habe ich das persönliche Bedürfnis anzuhalten…vielleicht um, wie jemand sagte, der Musik zu lauschen, die hinter dem Lärm des Regens erklingt. Ich möchte die Gegenwart mit euch herausfordern und die Zukunft mit euch gemeinsam träumen/vorstellen und ich möchte die leidenschaftliche und freudige Herausforderung wiedergewinnen, die uns geboren hat.

 

Grausame und schmerzhafte Wahrheiten

(Santiago de Chile, 8. Januar 2001, sepch-Poonal).- Der chilenische Präsident Ricardo Lagos hat sich am Sonntagabend (7.1.) in einer Fernsehansprache an die chilenische Nation gewandt. Die unübliche Massnahme folgte dem Wochenende, an dem Vertreter von Religionsgemeinschaften und das Militär die von ihnen gesammelten Berichte zum Schicksal der unter der Pinochetregierung für immer Verschleppten abgegeben hatten. Lagos sprach von „grausamen und schmerzhaften Wahrheiten“.

Am vergangenen Samstag endete eine Halbjahresfrist, in der Täter oder Mitwisser sich vertraulich an militärische Stellen, Priester, Pfarrer, Rabbiner und Logenbrüder wenden konnten, wenn sie etwas zur Aufklärung des noch immer ungewissen Schicksals jener mehrerer hundert meist linker Oppositioneller beitragen konnten, die 1973 und in den Jahren danach Opfer von Uniformierten wurden.

Lagos drückte zunächst seine persönliche Betroffenheit über die nun ans Licht getretenen „grausamen und schmerzhaften Wahrheiten“ aus. Er bezog sich auf jene neuen Informationen, die – so der Eindruck nach der ersten Sichtung – den Verbleib von etwa 180 vermissten Personen aufklären könnten. Etwa 130 Tote seien damals „im Meer und in Chiles Flüssen und Seen versenkt“ worden. Zwanzig Leichen lägen noch in einem Massengrab in der Region Santiago.

Angesichts von mehr als sechshundert noch immer unaufgeklärter Schicksale rief der Präsident diejenigen zum Reden auf, die auch jetzt noch Informationen zurückhielten. Sie sollten so mit ihrem Gewissen ins Reine kommen, den betroffenen Angehörigen der Opfer endlich Gewißheit über deren Verbleib geben und so dem ganzen chilenischen Volk im Prozess der Bearbeitung des nationalen Traumas zu helfen. „Chile kann nicht in die Zukunft blicken, ohne die Schatten der Vergangenheit aufzuklären“, meinte der Präsident und lobte dabei jene Uniformierten, die dies bereits verstanden und zur Aufklärung beigetragen hätten.

Trotz der noch grossen Aufklärungslücken hält Lagos das Erreichte für grundsätzlich neu und wesentlich. Unter Bezugnahme auf die jahrelangen Forderungen der Angehörigenverbände nach Wahrheit (Aufklärung) und Gerechtigkeit (Strafverfolgung) betonte der Sozialdemokrat, die chilenische Öffentlichkeit habe die Wahrheit nie so deutlich vor Augen geführt bekommen wie heute. Die Gerichte seien jetzt bereiter denn je, Gerechtigkeit zum Zuge kommen zu lassen. Über aufgeklärte Schicksale Einzelner würden die Familien in angemessener Weise informiert, und die Akten würden den zuständigen Gerichten übergeben.

Die neuen Informationen und die Ansprache des Präsidenten fallen zeitlich zusammen mit der Forderung von Anwälten der Kläger, den ehemaligen Diktator Pinochet vorsorglich in Haft zu nehmen. Dieser war auf Anraten seiner Berater zu einer gerichtlich angesetzten medizinischen Untersuchung am Wochenende nicht erschienen und hatte sich stattdessen auf seinen Landsitz zurückgezogen.

 

Befangenheitsantrag gegen Richter in Fall Pinochet abgelehnt

Von Leonel Yanez

(Santiago de Chile, 11. Januar 2001, npl-Poonal).- Augusto Pinochet steht ein schweres, womöglich entscheidendes Wochenende bevor. Dem Ex-Diktator Chiles – der wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in den 70er Jahren vor Gericht gestellt werden soll – und seinen Anwälten gehen inzwischen die Argumente aus, den Beginn eines Verfahrens weiter zu verzögern.

Am Mittwoch lehnte der Oberste Gerichtshof Chiles mit 13 zu 3 Stimmen zwei Anträge der Pinochet-Anwälte ab. Einer zielte darauf ab, dem Untersuchungsrichter Juan Guzman Tapia aufgrund von Voreingenommenheit das Verfahren zu entziehen. Ein zweiter Antrag, der ebenfalls abgelehnt wurde, sah vor, die für kommenden Montag vorgesehene, erste offizielle Befragung des ehemaligen Diktators zu verschieben.

Bereits zu Beginn der Woche gab Augusto Pinochet seinen Widerstand gegen eine ärztliche Untersuchung auf, nachdem klar wurde, dass Guzman gegen diese Weigerung mit rechtlichen Schritten vorgehen würde. Seit Mittwoch befindet sich Pinochet in der Hauptstadt Santiago, wo die viertägige Untersuchung in einem Militärkrankenhaus vorgenommen wird. Richter Guzman Tapia betonte in diesem Zusammenhang, das laut chilenischen Recht ausschließlich geistige Demenz oder Wahnsinn einen Verdächtigen vor einem Gerichtsverfahren bewahren würde – ein Befund, den der greise Patriarch nur äußerst ungern für seine Straffreiheit in Anspruch nehmen dürfte.

Derweil bleibt die Stimmung in Land angespannt. Vor den Krankenhaus demonstrieren derzeit sowohl Anhänger wie Gegner des Ex-Diktators, wie so oft kommt es zu verbalen Attacken. Und die Zahl der Strafanzeigen gegen den 85-jährigen ist am Mittwoch auf 204 angestiegen.

Besonderen Unmut erregte jedoch ein Bericht der Armee, den Chiles Präsident Ricardo Lagos am vergangenen Freitag persönlich öffentlich machte. Der Bericht gibt Auskunft über den Verbleib von rund 200 der weit über Tausend nach dem Putsch 1973 verschundenen Oppositionellen. Er ist ein Ergebnis des sogenannten Versöhnungsdialogs zwischen Regierung, Armee und einigen Menschenrechtsgruppen, die sich im vergangenen Jahr einigten, einen solchen Bericht ohne Nennung der Namen von Zeugen oder Verantwortlichen zu erstellen.

Ohne Einzelheiten zu erwähnen werden 151 Opfer benannt, die ins Meer, in Seen oder in Flüsse geworfen wurden. 29 linke Aktivisten sollen in zwei Massengräbern nahe der Hauptstadt verscharrt worden sein. Nicht nur Präsident Lagos zeigte sich schockiert über die Bestätigung dessen, was Menschenrechtler seit jeher annehmen. Für viele der Angehörigen ist besonders schmerzhaft, dass sie nun die Hoffnung aufgeben können, wenigstens die sterblichen Überreste der Verschwundenen zu finden und bestatten zu können.

Mehrere Menschenrechtsgruppen, unter anderem die „Angehörigen der Verhaftet-Verschwundenen“, sehen in dem Bericht und in seinem Zustandekommen alles andere als einen Beitrag zur Versöhnung. Er sei unvollständig und solange nutzlos, wie die Namen der Täter nicht genannt werden. „Nichts ist geklärt worden und die Militärs übernehmen keinerlei Verantwortung, sie teilen noch nicht einmal den Schmerz der Opfer,“ fasst der Menschenrechtsanwalt Alberto Espinoza Pino die Wut der Betroffenen zusammen und fragt erbost: „Sind sie lebend oder tot ins Meer geworfen worden, wer warf sie ins Meer, wie machten sie es, aufgrund welcher Anklagen? Warum wurden die Informationen so lange geheimgehalten, und warum bekommen wir jetzt selektierte Informationen, obwohl alle Täter bei staatlichen Institutionen beschäftigt waren?“

 

BRASILIEN

"Ten Yad" bietet armen Juden in São Paolo materielle und spirituelle Hilfe

Von Larry Luxner

(São Paolo, Dezember 2000, na-Poonal) Die Hinweistafel mit dem hebräischen Schriftzeichen wirkt zwischen der koreanischen Leuchtreklame fremd. Die Ribeiro de Lima-Straße im Arbeitervorort Bom Retiro von São Paolo wird von koreanischen Geschäften dominiert. In hebräisch und portugiesisch werden die Besucher bei "Ten Yad" willkommen geheißen: Der jüdische Hilfsverein versorgt seit 1992 Tausende verarmter brasilianischer Juden mit Lebensmittel, kleidet sie ein und leistet ihnen spirituellen Beistand.

"Ten Yad" bedeutet "eine Hand entgegenstrecken". Dieses Motto wird in dem weiträumigen fünfstöckigen Gebäude wörtlich genommen. Ein halbes Dutzend Freiwillige serviert den etwa 130 Pensionären in der Cafeteria ein koscheres Abendessen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs führt eine Handvoll älterer Juden eine politische Diskussion in jiddisch. Und in einem anderen Versammlungsraum hat Rabbiner Yehuda Kamnitzer gerade einen Vortrag über Judaismus beendet.

"Wir wollen die Menschen nicht nur verköstigen, sondern ihnen auch die spirituellen Werte des Judentums nahebringen", sagt Kamnitzer. Der Rabbiner kommt aus São Paolo und hat in einem Seminar von Chabad Lubawitsch in New York studiert. "Wir legen den Leuten Tefillin an, geben morgens Tora-Unterricht und feiern die jüdischen Feste."

Therezinha Davidovich ist für die Koordination der Arbeit bei "Ten Yad" zuständig. 93.000 Abendessen wurden im vergangenen Jahr nach ihren Angaben verteilt. Viel mehr als 1992. Damals wurden 8.400 Essen an Bedürftige ausgegeben. Aber schon im Jahre 1993 hatte sich die Zahl auf 20.000 Essen gesteigert. Mehr als 150 Personen, die Mehrzahl Frauen, helfen als Freiwillige in den zwölf verschiedenen Bereichen, in den "Ten Yad" tätig ist. Jung Verheirateten ohne ausreichendes Einkommen hilft man bei der Finanzierung eines Apartments. Und täglich werden 135 Lebensmittelrationen an Juden ausgeliefert, die aufgrund von Behinderungen, oder weil sie nicht ins Zentrum kommen können, auf Unterstützung angewiesen sind.

Seit der Abwertung der brasilianischen Währung Real im Januar 1999 hat sich die Situation vieler Juden gravierend verändert. Ein Teil der Pensionäre hat aufgrund der staatlichen Maßnahmen einen Großteil ihrer Sparguthaben verloren und ist dadurch zum ersten Mal in ihrem Leben gezwungen, fremde Hilfe anzunehmen. "In Brasilien erleben wir eine schwere ökonomische Krise. Jeder wird ärmer und diejenigen, die man zur Mittelklasse zählen kann, jeden Tag weniger", sagt Mónica Wexler, eine der fünfzehn bezahlten Angestellten von "Ten Yad". Die ehemalige Sozialarbeiterin hat früher bei der "Congregación Israelita Paulista", der Israelitischen Vereinigung von São Paolo gearbeitet, die die größte Synagoge der Stadt unterhält. "Wir haben ein großes Problem mit der Arbeitslosigkeit", sagt Wexler. "Viele haben keine Universität besucht und es ist schwierig, für sie Arbeit zu finden."

Wer die Dienste von "Ten Yad" in Anspruch nehmen möchte, muss sich einer Befragung unterziehen. Dort versucht geschultes Personal den Grad der Bedürftigkeit herauszufinden. Zusätzlich zur Abendessenausgabe verteilt "Ten Yad“ pro Woche 175 Lebensmittelrationen an Personen, die an Unterernährung leiden: Milch, Brot, Käse, Kaffee, Tee, Schokolade, Margarine, Haferflocken, Dosensuppen. Im vergangenen Jahr wurde "Ten Yad" vom Forschungsinstitut Kaniatz & Asociados als eine der fünfzig effektivsten gemeinnützigsten Organisationen Brasiliens ausgezeichnet. Kamnitzer, über dessen Schreibtisch ein Porträt des verstorbenen Rebbe Menachem Mendel Schneerson hängt, versichert, dass Chabad Lubawitsch zwar die Arbeit seiner Organisation inspiriere, aber "Ten Yad" erhalte von den Lubawitscher Juden aus New York keine direkte Hilfe. Auch die brasilianische Regierung oder die Stadtverwaltung von São Paolo gewähre keine finanzielle Unterstützung.

"Ten Yad" lebt von den Spenden der vermögenden Mitglieder der 80.000 Mitglieder zählenden Jüdischen Gemeinde von São Paolo. Firmen wie Banco Safra, Constructora Kauffmann, Empiria Carmel und Rafi Electrónica Comercial, die in jüdischem Besitz sind, tragen zur Finanzierung der Arbeit bei. Zur finanziellen Absicherung der Hilfe organisiert "Ten Yad" jedes Jahr Konzerte mit jüdischer Musik. Dazu kommen auch Gruppen aus dem Ausland: Yerachmiel Begun oder der Jugendchor von Miami. "Jeder Pfennig, den uns die Menschen geben, benutzen wir, um den Bedürftigen zu helfen", sagte der bärtige Rabbiner Kamnitzer, der wie seine anderen Glaubensgenossen aus New York, Buenos Aires, Mexiko-Stadt und Jerusalem einen schwarzen Hut, ein weißes Hemd und einen schwarzen Anzug. Seine Peijes trägt er lang.

Die eigentliche Existenz von "Ten Yad", nur einige Straßenblocks vom Zugbahnhof entfernt, führt gleichzeitig Vorurteile ad absurdum, die auch in Lateinamerika üblich sind: die relativ wenigen in der Region lebenden Juden seien alle reich und machtvoll. Zwar ging es den jüdischen Emigranten in Brasilien und in anderen lateinamerikanischen Ländern historisch gesehen ökonomisch immer besser als den übrigen Einwohnern. Fakt ist aber heute, dass Tausende von Juden in Argentinien, Brasilien, Mexiko, Paraguay und Venezuela, Länder, die früher einmal als ökonomisch stabil galten, unter der Wirtschaftskrise leiden wie alle anderen auch.

Die Armut ist in Bom Retiro unübersehbar. Früher war das Viertel von den Juden geprägt. In den letzten Jahren sind immer mehr koreanische Einwanderer hierher gezogen. "Vor zwanzig Jahren, ging es der jüdischen Gemeinschaft ökonomisch gut. Deshalb sind diejenigen, die Geld gemacht haben, aus diesem Stadtviertel weggezogen und haben sich in den Vorstädten Higienópolis, Hardins und Morumbi angesiedelt", erklärte Davidovich, die seit dem Beginn von "Ten Yad" dabei ist. "Wenn die Menschen ihre Arbeit verlieren, ist es schwer, nach vierzig Jahren eine andere zu finden. Wenn jemand krank wird und nicht mehr arbeiten kann, reicht das Geld, das man von der Regierung bekommt, nicht zum Leben. Und wenn es familiäre Probleme gibt, ist es schwierig, unabhängig leben zu können."

Kamnitzer betont, dass seine Organisation allen Juden hilft, unabhängig, ob es sich um religiöse oder mit Nichtjuden Verheiratete handelt. "Ten Yad" organisiert Ausflüge für jüdische Schüler, hilft ökonomisch armen Jungverheirateten, besucht Juden im Gefängnis oder im Krankenhaus und bietet Beratung durch Rabbiner und Sozialarbeiter an. Die einzige Kritik wäre, aufgrund der Beibehaltung der orthodoxen Tradition der Chabad Lubawitsch, keinen Kontakt zu anderen, nichtjüdischen Wohltätigkeitsorganisationen zu haben. Trotzdem, betont Wexler, "wenn wir nicht koschere Lebensmittelspenden bekommen, die wir nicht nutzen dürfen, dann geben wir sie an Schulen, Hospitäler und andere Wohlfahrtseinrichtungen weiter."

 

URUGUAY

Peréz Aguirre: „Um zu verzeihen, muß ich wissen, wem ich verzeihe“

Luis Peréz Aguirre wird von den Angehörigen der Verschwundenen als ihr Vertreter in der Friedenskommission angesehen. Der jesuitische Geistliche sagt, dass man sich bewusst sein müsse, dass nicht alle Fälle aufgeklärt werden können, obwohl er hofft, weiterhin Spuren von während der Militärdiktatur (1973-1985) Verschwundenen zu finden. Er geht davon aus, dass die Initiative von Präsident Jorge Batlle dazu beitragen wird, ein „neues und anderes“ Uruguay entstehen zu lassen.

– Was hat es für Sie bedeutet, in der Kommission mitzuarbeiten? – In emotionaler oder gefühlsbetonter Hinsicht, was das Thema über das die Kommission arbeitet angeht, sind mir einige andere Dinge aufgefallen als den übrigen Kollegen. Aus sehr einfachem Grund: ich stehe mit dem Thema der Verschwundenen seit 20 Jahren in Kontakt, als die Familien noch Räume suchten, um sich treffen und Probleme sowie ihren Zorn besprechen zu können. Normalerweise fanden sie sich in kirchlichen Räumen zusammen, in irgendeiner Kirche. Zu dieser Zeit habe ich viel mit Dr. Jorge Batlle diskutiert, manchmal auch öffentlich. Ich habe ihm die Sorge um die Konsequenzen des Amnestie-Gesetzes im Zusammenhang mit den Verschwunden und die Unmöglichkeit, Frieden und Versöhnung für das uruguayische Volk zu erreichen, aufgezeigt.

– Was ist aus dieser Sorge geworden? Haben sich die Ängste konkretisiert? – Versöhnung bedeutet für ein Volk, verzeihen zu können. Zumindest der Täter sollte das Opfer um Verzeihung bitten, und das Opfer sollte in der Lage sein, dem Täter zu verzeihen. Das Gesetz verhindert diese Grundsätzlichkeit, weil das Verzeihen als erste Bedingung beinhaltet, die Wahrheit zu kennen. Wenn ich jemandem verzeihen will, muss ich zuerst wissen, wem ich verzeihen soll. Weiterhin muß derjenige, der das Schlechte, den Schaden, das Leid und la ruptura hervorgerufen hat, um Verzeihung bitten. Und auch wenn diese Bitte nicht von ihm kommt, gibt es immer noch die Möglichkeit, dass das Opfer anbietet, zu verzeihen. Ein Akt der Größe, seinem Täter zu verzeihen. Aber dafür muß man wissen, wer der Täter ist. In diesem dramatischen Fall der Verschwundenen wissen wir nicht einmal, wem verziehen werden soll.

– Glauben Sie, dass es den Willen und die Möglichkeit gibt, um Verzeihung zu bitten und sie gewährt zu bekommen für das, was während der Diktatur geschehen ist? – Die erste Bedingung ist, Zutritt zur Wahrheit zu erhalten. Die Angehörigen haben 90 Prozent der Informationen. Es fehlen uns die zehn Prozent, die uns sagen, wo die Gesuchten zuletzt waren, was mit ihnen geschah und wo sie jetzt sind. Diese Information haben wir nicht, die haben nur diejenigen, die an den repressiven Geschehnissen beteiligt waren. Wenn wir es nicht schaffen, über die 90 Prozent an Information hinauszugelangen, würde das das Scheitern bedeuten.

– Was die fehlenden Informationen betrifft: Ist es unabdingbar, die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen zu kennen? – Die Kommission verfügt natürlich bereits über viele Informationen über „diejenigen welche“, aber es ist vereinbart, dass diese Information nicht an die Angehörigen weitergegeben wird und die Angehörigen ihrerseits diesen Punkt nicht in Frage stellen. Das ist deswegen besorgniserregend, weil es bedeutet, hinterher zu sehen, ob wir auf eine andere Art und in einem besseren Klima, die auch ein Resultat der Arbeit der Kommission sein kann, auf dem Feld von Verzeihung und Versöhnung voran zu kommen. Das ist meine persönliche Meinung. Dieses Klima wird hergestellt sein, wenn den Familien auf der einen Seite Antworten und die fehlenden Informationen gegeben werden. Auf der anderen Seite werden die Militärs erkennen, dass die Angehörigen ihren Rache- und Revanchegefühlen nicht nachgegeben haben.

– Wie beginnt man den Weg der Versöhnung? – Als erstes muss man sich denen nähern, die direkt in dieses Drama verstrickt sind, und ihnen helfen, die Versöhnung zu erreichen. Nachdem wir das den einzelnen Menschen vorgeschlagen haben, müssen wir das später den Sektoren vermitteln, die auf eine bestimmte Art mit den Individuen identifiziert werden können, damit sich wirklich Frieden und Versöhnung einstellen kann.

– Ist es zu früh, davon zu reden, dass sich Militärs und Angehörige an einen Tisch setzen? – Unter den Familienangehörigen gibt es einige, die das könnten und dazu bereit sind, und einige, die sich bereits mit Militärs getroffen haben. Und umgekehrt gibt es auch Militärs, die bereits sind, sich mit Angehörigen zusammen zu setzen. Sie haben das gegenüber den Behörden selbst signalisiert. Sie müssen dazu allerdings umständliche Formen wählen, da sie der Militärhirarchie unterworfen sind. Aber sie haben Botschaften geschrieben, in denen sie klar ausdrücken, dass sie das Problem lösen wollen.

– Handelt es sich um aktive oder ehemalige Militärs? – Beides. Es gibt keinen monolithischen Block innerhalb der Streitkräfte, es gibt auch Gruppen, die, wie ich mir vorstelle, nicht dazu bereit sind.

– Welche Erwartungen gibt es, die Fälle der verschwundenen Kinder zu lösen? – Wir haben einige bekannte Fälle, die in der Öffentlichkeit stark diskutiert wurden, wie etwa der von Simón Riquelo, und viele andere Fälle von Kindern, bei denen man annimmt, dass es sich um Kinder von Verschwundenen handelt. Wahrscheinlich sind es Kinder von argentinischen Verschwundenen, die nach ihrer eigenen Herkunft forschen. Die Kommission arbeitet daran und hat Kontakte mit Chile und Argentinien hergestellt. In diesen Fällen hilft die Kommission und anderen Organisationen mit – das gehört zum inoffiziellen Teil der Arbeit der Kommission.

– Haben Sie einen Fall gelöst, der nicht bekannt geworden ist? – In Uruguay gibt es keine Ergebnisse. Aber die Erfahrung zeigt, dass noch viele Kinder von Verschwundenen auftauchen werden.

– Glauben Sie, dass die fehlenden Informationen noch eingeholt werden können? Womit rechnen Sie? – Das kann ich nicht einschätzen. Ich wünsche mir, dass wir alles erfahren. Aber ich glaube, dass das unmöglich ist. Ich hoffe, dass wir in einigen Fällen die fehlenden Informationen erhalten. Das Ziel der Kommission besteht darin, Fälle abzuschließen, indem die entsprechenden fehlenden Informationen eingeholt werden können oder die Sicherheit besteht, dass es keinerlei Möglichkeiten mehr gibt, dan diese Informationen heran zu kommen. Dieses Jahr kam eine ältere Dame zu mir, um mich weinend zu fragen: „Glaubst du, Perico, dass mir danach der Präsident die Knochen meines Liebsten zurückgibt?“ Sie weinte. Wie soll man denn den Schmerz dieser Frau, die Jahre gewartet hat, um die Überreste der geliebten Person mit Würde zu begraben, ausgleichen? Wie soll man den Schmerz ermessen?

– Wie soll sich Ihrer Meinung nach das endgültige Ergebnis der Kommission auswirken? – Wenn die Kommission ihre Arbeit beendet hat, wird der Staat öffentlich die Verantwortung auf sich nehmen. Das wird der Präsident der Republik tun. Um ein anderes und neues Uruguay zu beginnen, als das, das es in den letzten Jahren gewesen ist. Mir scheint, dass wir den Impuls und die neuen Bedingungen, die dadurch innerhalb unseres Volkes und in der öffentlichen Meinung hervorgerufen werden, noch nicht einschätzen können.

 

LATEINAMERIKA/USA

CIA-Bericht stellt indigene Bewegungen als Bedrohung der Sicherheit dar

(Panama-Stadt, Januar 2001, alai-Poonal).- Der Nationale Sicherheitsrat der USA, eine Abteilung des CIA, hat seinen Bericht „Globale Tendenzen 2015“ bekanntgegeben. Auszüge aus diesem Dokument wurden von La Jornada (Mexiko) am 19.12.00 und von El País (Spanien) am 31.12.00 veröffentlicht.

Nach Einschätzung des CIA steht Lateinamerika einer neuen Bedrohung gegenüber: den indigenen Widerstandsbewegungen. Die Auszüge aus dem Bericht lauten wie folgt: „Diese Bewegungen haben großen Zuwachs zu verzeichnen. Erleichtert wird dies durch transnationale Netzwerke von Aktivisten, die für die Rechte der Indigenas eintreten, durch internationale, gut finanzierte Menschenrechts- und Ökologiegruppen“. Außerdem sagen die Experten voraus, dass sich die „Spannungen im Gebiet von Mexiko bis über die Amazonas-Region sich verschärfen werden“.

1999 hatte das chilenische Militärinstitut „Zentrum für militärische Studien und Untersuchungen“ (Centro de Estudios e Investigaciones Militares) einen ähnlichen Bericht namens „Der Konflikt mit den Mapuches und seine Auswirkungen auf die nationale Sicherheit“ herausgegeben. Der aktive Widerstand der Mapuches gegen große internationale Konzerne, welche den Indigenen ihr Land rauben und ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstören, hat sich in ein Thema der nationalen Sicherheit verwandelt.

Die Bilanz dieses Berichts ist erschlagend: Die Mapuches sind ein Sicherheitsproblem, weil sie „erstens die innere Ordnung und die Ruhe im Land stören, indem die Anführer der Bewegung mehrfach zu Gesetzesübertretungen aufgerufen haben. Zweitens weil sie beabsichtigt haben, das durch die Verfassung gesicherte Recht auf Eigentum nicht nur zu begrenzen, sondern auch zu verletzen. Drittens weil klare Anzeichen dafür vorliegen, daß der Konflikt von der lokalen auf die nationale Ebene ausgedehnt werden soll, und dies mit der Unterstützung fremder Elemente, wie z.B. internationalen Freiwilligen und ausländischen Organisationen, die ein Interesse daran haben, Minderheitenrechte auf der ganzen Welt einzufordern.

Die jüngste Geschichte der indigenen Bewegung des amerikanischen Kontinents bereitet den Vertretern einer US-Sicherheitspolitik, die die ganze Region in ihre Politik einbeziehen, große Sorgen. Vor allem das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhundert war voller indigener Aufstände und Bewegungen: der bewaffnete Aufstand der Zapatisten in Chiapas, die großen indigenen Bewegungen in Ecuador, die offen politischen Aktivitäten der Indigenas in Kolumbien im Bürgerkrieg, die Kämpfe um die natürlichen Lebensgrundlagen an der nicaraguanischen Atlantikküste und der Widerstand der Aymara in Bolivien gegen die Antidrogenpolitik von Präsident Banzer.

Die Strategen der kontinentalen Sicherheit sind sich der Gefahren bewußt, die aus der Unvereinbarkeit von neoliberaler Wirtschaftspolitik mit Demokratie erwachsen. In diesem Spannungsverhältnis sieht die CIA auch die lateinamerikanischen Regierungen. Vor allem werden die wirtschaftlichen Erträge ungleich verteilt sein: der Norden wird weiterhin auf Kosten des Südens in Reichtum leben, während im Süden die Bevölkerung weiter in Armut leben wird.

Während der CIA nach Wegen sucht, um seine Logik von Sicherheitspolitik in der Region durchzusetzen, haben die indigenen Bewegungen andere Sorgen und Hoffnungen. So beschreibt die Stiftung „Pueblo Indio del Ecuador“ auf einer Weihnachtskarte an ihre Freunde die Erfolge des Jahres 2000: „Es kündigt sich eine neue Gesellschaft aus den indigenen Völkern unseres Ecuadors an. Wir bauen die neue Gesellschaft auf, wenn „indigene Familien aus Pucahaico lächeln und glücklich sind in einer „würdevollen Wohnung“; wenn Migrantinnen von „Jatun Ayllu“ in Quito eine Mehrzweckhalle haben und die Erträge ihrer familiär bewirtschafteten Gärten erhalten; wenn die Lebensmittelversorgung von indigenen Universitätsstudenten durch eine „olla comunitaria“, eine gemeinschaftlich betriebene Küche gewährleistet ist; wenn die Kindergärten der indigenen Gemeinschaften ihren Lehrer haben und ihre Räumlichkeiten und Ausstattung verbessern können; wenn hunderte von indigenen Familien medizinische Versorgung, Medizin für ihre Babys und solidarische Hilfe bei der Kindererziehung erhalten; Dank der Unterstützung durch eine Geburtshelferin und dank Kursen und Projekten fühlen sich die organisierten indigenen Frauen sicherer und verwirklichter. Viele unserer „Großväterchen“ und „Großmütterchen“ besiegen die Einsamkeit, integrieren sich, erhalten medizinische Unterstützung und Lebensmittelhilfen, und so wird der letzte Abschnitt ihres Lebens weniger leidvoll. Das Bewußtsein über die Rechte der indigenen Völker schreitet voran, diese Rechte werden mehr und mehr respektiert und wertgeschätzt.“

„Jeder sieht die Realität entsprechend den eigenen Interessen. Wir Indigenas werden in diesem 21. Jahrhundert weiterhin die Zukunft herausfordern, so wie wir es jahrhundertelang gemacht haben, so wie wir es auch jetzt tun. Unsere Brüder von ONIC, der Nationalen Indigena Organisation in Kolumbien, sind dafür ein gutes Beispiel. Wegen des inneren Kriegszustands in Kolumbien sind ihre Wege voller Blut und Tod. Trotzdem erreichen sie weitere Erfolge – 2000 konnten sie die Regierung im Departement Cauca stellen – und bauen gemeinschaftliches Leben auf.

 

 

 

   

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