Poonal Nr. 438


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 Historischer Wahlsieg der Opposition

Konservativer Kandidat löst PRI nach sieben Jahrzehnten an der Macht ab

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 5. Juli 2000, Poonal).- Nach 71 Jahren an der Macht muss die Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) die Regierung in Mexiko abgeben. Der nächste Präsident des Landes heißt Vicente Fox von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN). Nach den bis Mittwoch vorliegenden und fast vollständigen Ergebnissen gelang Fox ein Erdrutschsieg. Mit knapp 43 Prozent der Stimmen erreichte er einen kaum für möglich gehalten Vorsprung von sieben Prozent gegenüber dem PRI-Kokurrenten Francisco Labastida. Mit einem Stimmenanteil von 17,5 Prozent folgt Cuauhtemoc Cardenas von der links gemäßigten Partei der Demokratischen Revolution (PRD) abgeschlagen auf dem dritten Platz.

Wenige Stunden, nachdem die Wahllokale schlossen und die Wahlbehörde die ersten offiziellen Hochrechnungen bekannt gab, erkannte der amtierende Präsident Ernesto Zedillo in einer Botschaft an die Nation die Sieg des PAN-Kandidaten an und schlug ihm die Zusammenarbeit bis zur Amtsübergabe am 1. Dezember vor. Direkt im Anschluss trat ein geschlagener Francisco Labastida vor die Presse und bezeichnete die Tendenz der Auszählungen als nicht mehr umkehrbar. Vicente Fox, der einen äußerst polemischen und aggressiven Wahlkampf führte, schlug bei seinen Auftritten am Wahlabend einen versöhnlichen Ton an. Er kündigte eine „plurale und einschließende“ Regierung an. Er wolle „mit allen und für alle arbeiten“. Noch bevor erste Ergebnisse zu den Präsidentschaftswahlen durchsickerten, deutete sich der historische Umschwung an. Bei den parallel stattfindenen Gouverneurswahlen in den zwei Bundesstaaten Guanajuato und Morelos siegte die PAN haushoch. In der Hauptstadt, einer Hochburg der PRD, kam ihr Kandidat für das Bürgermeisteramt dem PRD-Anwärter überraschend nah. Die Wahlbeteiligung erreichte einen für Mexiko hohen Durchschnitt von 65 Prozent, in einigen Bundesstaaten kam sie an die 80-Prozentgrenze.

Die Klagen über Stimmenkauf und versuchte Manipulationen durch die Noch- Regierungspartei im Vorfeld der Wahlen gerieten am Sonntagabend in den Hintergrund. Besonderes Erstaunen vieler Beobachter erregte das Verhalten des amtierenden Präsidenten und seiner Partei. Die PRI, die Jahrzehnte lang kaum wirkliche Opposition zuließ, sich die letzten Jahre verzweifelt gegen ihren Niedergang stemmte und an die Macht klammerte, kündigte mit einer schon unheimlich anmutenden Selbstverständlichkeit ihren Abgang von der Regierungsbühne an. Die Niederlage der PRI ist vollständig. Auch bei den Wahlen für das Parlament erlitt sie einen Einbruch. Nachdem die PAN mehrere Stunden lang sogar auf die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus hoffen konnte, ist sie dort jetzt zumindest unangefochten die erste Kraft. Im Senat stellt die PRI nur aufgrund des komplizierten Wahlrechtes nach wie vor die größte Fraktion, obwohl sie weniger Stimmen als PAN und die mit dieser verbündeten Grünen Partei erhielt. Die absolute Mehrheit hat sie aber verloren. Im Gegensatz zu den Vorhersagen kam es nicht zu einem so großen Stimmensplittung bei den Wählern wie vorhergesagt. Vielmehr zog Fox in seinem Windschatten die PAN mit. Das kostete die PRD in der Hauptstadt fast den sicher geglaubten Sieg.

Während das Ergebnis für die PRI verheerend ist, gelang der PRD und Cardenas zumindest eine Schadensbegrenzung. Sie scheiterten nur knapp am unausgesprochenen Ziel, mehr als 20 Prozent der Stimmen zu bekommen. Indem sie das Bürgermeisteramt von Mexiko-Stadt in ihren Händen behält, das Cardenas 1997 als erstes frei gewähltes Stadtoberhaupt gewann, hat die PRD eine Basis, auf der sie die kommenden sechs Jahre aufbauen kann. Mit dem neuen Bürgermeister Manuel Lopez Obrador verfügt die Partei über ein politisches Naturtalent, dem noch viel politische Zukunft offen steht. Mitte der Woche stand aber immer noch nicht fest, ob er gegen eine Mehrheit der PAN in der Ratsversammlung von Mexiko-Stadt regieren muss. PRD-Denkmal Cardenas geht aus den Wahlen klar geschlagen, aber nicht demontiert hervor. Ihm bleibt das Verdienst, seit 1988 – als ihm der Wahlsieg von der PRI gestohlen wurde – mit seinem hartnäckigen Widerstand gegen die Regierung der Opposition den Weg bereitet zu haben.

Vicente Fox versprach den Mexikanern in der Wahlnacht, sie nicht zu enttäuschen. Es wird ihm nicht leicht fallen, dieses Versprechen einzulösen. Von den 97 Millionen Bewohnern des Landes lebt die Hälfte in Armut. Was die unter der PRI mehr und mehr neoliberale Wirtschaftspolitik angeht, so sind mit Fox keine großen Änderungen zu erwarten. Wenn er allerdings entschlossen gegen die zum Bestandteil des öffentlichen Lebens gewordene Korruption und die Bereicherung der Führungseliten des Landes vorgeht, kann er bedeutende Potentiale freisetzen. Vorerst haben ihm die Wähler ein beeindruckendes Votum gegeben.

 

 Erneuerung oder Fortsetzung der alten Politik mit anderen Farben?

Kommentar von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 3. Juli 2000, Poonal).- Alles geht irgendwann vorbei. Auch die PRI. Was nahezu unvorstellbar schien, ist Wirklichkeit geworden. Die mexikanische Regierungspartei muss nach 71 Jahren ununterbrochener Regentschaft die Macht abgeben und im Gegensatz zu früher ist sie offenbar bereit dazu. Vor zwölf Jahren ließ sie den nach verbreiteter Ansicht an den Wahlurnen errungenen Triumph der Opposition nicht zu. Schon angeschlagen, schürte sie vor sechs Jahren ein Klima der Angst und schnürte ein Paket aus kleinen Wahlmanipulationen, die ihr zusammengenommen noch einmal einen deutlichen Wahlsieg bescherten.

Im Parlament seit 1997 erstmals ohne absolute Mehrheit, versuchte die PRI im Jahr 2000 mit allen Mitteln, die einer Quasi- Staatspartei zur Verfügung stehen, im Vorfeld der Wahlen Druck auf die Bürger*innen auszuüben. Doch deren Überdruss an Korruption und Straffreiheit war zu groß. Sie folgten offenbar dem Rat der Opposition: Wahlgeschenke der PRI annehmen und die paar Sekunden Einsamkeit in der Wahlkabine nutzen, gegen die Regierung zu stimmen. Eine unabhängige Wahlbehörde, die ihre großzügige Finanzierung durch eine professionelle Organisation des Urnengangs rechtfertigte, tat ein übriges.

Der amtierende Präsident Ernesto Zedillo sicherte sich durch seine umgehende Anerkennung des Oppositionssieges vielleicht nicht die Sympathie der Parteifreunde, aber einen Platz in der mexikanischen Geschichte. Fast machte es den Eindruck, als sei die PRI froh, die Macht nach sieben Jahrzehnten endlich los zu sein. Ob die Partei zerbricht oder in der neuen Rolle zu alter Stärke zurück findet, ist offen.

Unbestreitbar ist der Abgang der PRI ein historischer Einschnitt. Wie viel Veränderung er tatsächlich bedeutet, eine andere Sache. Der überragende Wahlsieger Vicente Fox machte im Bemühen, die gesamte Opposition hinter sich zu bringen, im Wahlkampf so viele widersprüchliche Versprechen, dass ihr Einlösen der Quadratur des Kreises gleich käme. Seine Anhängerschaft reicht vom ultrarechten Rand über fanatische Katholiken und Wertkonservative bis hin zu wendigen Ex-Kommunisten, die auf den Fox-Zug aufsprangen, nachdem ein Sieg des linken Oppositionskandidaten Cardenas in immer weitere Ferne rückte.

Mit seiner Partei, der konservativen PAN, verbindet Fox eher eine Zweckehe als eine Liebesheirat. Er selbst ist schwer berechenbar, aber mit Sicherheit kein „mexikanischer Hitler“, wie ihn Teile der PRI im Wahlkampf bezeichneten. Dennoch sind Intoleranz und Demagogie keine Fremdwörter für ihn. Fox wird sich an seinen Worten messen lassen müssen. In drei Jahren will er das Land politisch reformiert haben. Das „Problem der indigenen GuerillaEZLN im südlichen Bundesstaat Chiapas löst Fox laut Fox „nach 15-minütigen Gesprächen auf friedliche Weise“. Bildung für alle und Armut für Niemand nehmen in seinen Plänen immerhin sechs Jahre – eine Regierungsperiode – in Anspruch. Solche Aussagen erinnern fatal an die PRI.

Ein Großteil der mexikanischen Wählerschaft ist extrem mobil und ohne feste ideologische Bindungen. Viele Wähler machten am Wahltag deutlich, dass ihre Stimme in erster Linie eine Stimme gegen die PRI war und nicht für irgend jemand. Vicente Fox bedeutete für sie das geeignete Vehikel, die immer mehr Menschen verhasste Regierungspartei endlich von der Macht zu vertreiben. Wenn der künftige Präsident, der in Wirtschaftsfragen kaum Meinungsverschiedenheiten mit den PRI-Technokraten aufweist, für diese Situation nicht sensibel ist, wird er rapide an Unterstützung verlieren. Die Hälfte der 97 Millionen Mexikaner lebt unter der Armutsgrenze. Nachdem sie mehrheitlich den vollmundigen Worten von Fox vertraute, wird sie nun Taten sehen wollen.

 

 Ein Manager als Präsident

Von Gerold Schmnidt

(Mexiko-Stadt, 3. Juli 2000, Poonal). – Vicente Fox ist Erfolg gewohnt. Geboren 1942 in Mexiko-Stadt, aber aufgewachsen im Norden des Landes begann er nach betriebswirtschaftlichem Studium seine Karriere bei der mexikanischen Filiale des Coca-Cola-Konzerns. Innerhalb von zehn Jahren brachte er es dort vom Bezirkssupervisor zum Geschäftsführer für das gesamte Land. Ab 1979 widmet er sich eigenen Geschäften und steht seiner Firmengruppe vor. Erst 1988 zieht es den Unternehmer in die Politik. Er tritt in die konservativ-katholische Partei der Nationalen Aktion (PAN) ein. Sein politischer Aufstieg ist steil: Abgeordneter für den Bundesstaat Leon (1988-91), Gouverneurskandidat für den Bundesstaat Guanajuato (1991), wo ihn nur ein Wahlbetrug mit anschließendem Kompromiss zwischen PAN und der Regierungspartei PRI an der Amtsübernahme hindert und schließlich Gouverneur von Guanajuato (1995-99).

Von der Spitze seines Bundesstaates aus machte Fox nie Hehl daraus, nach noch Höherem zu streben. Ungeniert betreibt er einen mehrjährigen Wahlkampf, in dem er sich auf das Präsidentenamt vorbereitet. Eine straff organisierte Regierung in Guanajuato, in der er geschickt Aufgaben delegiert, erlaubt ihm häufige Präsenz in anderen Landesteilen. Ein Meister der Selbstdarstellung, ist Fox immer weniger auf den Rückhalt der maßgeblichen PAN-Mitglieder angewiesen. Vielmehr drückt er der Partei seinen Stempel so stark auf, dass diese trotz eingeschränkter Sympathie für ihn gar nicht anders kann als ihn zu ihrem Präsidentschaftskandidaten zu küren. Einen Gegenkandidaten gibt es erst gar nicht.

Seine direkte Art und sein ansteckender Optimismus – Kritiker nennen es auch Großmäuligkeit – verschaffen Vicente Fox den entscheidenden Vorteil beim Wettkampf der Oppositionskandidaten, die die Regierung der PRI an der Macht ablösen wollen. Nachdem eine Zweckkoalition mit der links gemäßigten PRD und eine Einheitskandidatur der Opposition Mitte 1999 scheitern, gelingt es ihm, sich als die einzige Figur mit Siegchancen gegenüber der PRI zu präsentieren. Mit dem Argument der „nützlichen Stimmabgabe“ schafft er es, trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung zahlreiche Anhänger von PRD-Anwärter Cuauhtémoc Cárdenas auf seine Seite zu ziehen.

Fox ist eine durchaus widersprüchliche Figur. Praktizierender Katholik und Vater von vier Adoptivkindern ist er zum Missfallen der Hardliner in der PAN geschieden. Ganz nach Adenauers Motto „was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an“ hat er keine Probleme, zu ein und demselben Thema je nach Bedarf ganz unterschiedliche Aussagen zu machen. Ein versöhnlicher Diskurs wechselt häufig mit kaum verhüllter Intoleranz. Eine Sprache, die oft ans Vulgäre grenzt, mischt sich mit erfrischender Offenheit, die nicht nur in Mexiko der Politikerklasse abhanden gekommen ist. Alles in allem ist Vicente Fox sowohl für seine Freunde wie für seine Gegner eine unberechenbare Figur. Glaubwürdig war er vor allem in seiner Zielstrebigkeit, ins höchste Staatsamt Mexikos zu gelangen. Den Tag dafür hätte er sich nicht besser aussuchen können. Am 2. Juli feierte Vicente Fox seinen 58. Geburtstag.

 

 Ende einer Ära – die Uhr der PRI scheint abgelaufen

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 3. Juli 2000, Poonal).- Die Szene hat etwas tragikomisches: In der Zentrale der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) singt ein geschlagener Präsidentschaftskandidat Francisco Labastida zusammen mit seinen Anhängern die mexikanische Nationalhymne. „In jedem Sohn gab es Dir einen Soldaten“, lautet eine der auf das Land gedichteten pathetischen Zeilen. „Es wirkt wie ein Requiem“, meint treffend ein Fernsehkommentator. Denn die „Krieger“, wie sich die PRI-Aktivisten während des Wahlkampfes selbst nannten, haben ihre vorerst letzte Schlacht verloren. Parteisoldat Labastida ist politisch tot. Vielleicht auch die PRI. Niemand mag das an diesem Wahlabend so richtig fassen. In trotzigem Jubel verabschieden die Anhänger ihren Kandidaten, der teilweise wie abwesend wirkt. Was 71 Jahr lang währte, scheint innerhalb von nicht einmal 15 Minuten endgültig zusammen zu brechen. Die PRI ist abgewählt.

Um kurz nach 23 Uhr verkündet der Leiter der unabhängigen Wahlbehörde die ersten offiziellen Hochrechnungen. Die Ziffern sprechen eine klare Sprache: Der Vorsprung des konservativen Oppositionskandidaten Vicente Fox ist praktisch irreversibel. Vor zwölf Jahren gab es eine ähnliche Situation. Damals lag der heute abgeschlagene Dritte Cuauhtemoc Cardenas von der linken PRD vorne. Doch plötzlich brach das Computersystem zusammen. Als es wieder funktionierte, hatte der PRI-Anwärter Carlos Salinas de Gortari auf wundersame Weise seinen Stimmenanteil vermehrt und alle Proteste der Opposition halfen nichts. Diesmal ist es anders. Um 23.08 Uhr hält der amtierende Präsident Ernesto Zedillo eine Ansprache, in der er den Sieg von Fox anerkennt. Seltsam emotionslos hebt er die Erfolge und die Tradition seiner Partei hervor. Das Loblied auf Labastida macht den Eindruck eines Lippenbekenntnisses. Minuten später gesteht dieser seine Niederlage ein.

Jahrzehnte lang war ein Machtverlust der PRI selbst auf kommunaler Ebene kaum denkbar. Die Ausnahmen ließen sich an einer Hand abzählen. Oft war es so, wie der Historiker Luis Gonzalez y Gonzalez im Interview mit der Wochenzeitschrift „Proceso“ erzählt: „Als ich ins Wahlalter kam, ging ich enthusiatisch um zehn Uhr morgens los, um meine Stimme in der einzigen Wahlurne des Dorfes abzugeben. Der Wahlhelfer sagte mir ‚Schau, wenn Du für die PRI stimmen wirst, dann hast Du schon gewählt und wenn Du für andere stimmen wirst, dann sind mir die Wahlzettel ausgegangen‘.“ In den 90er Jahren gab es Anzeichen leichter Veränderungen. Die PRI, unter anfangs anderem Namen ein Kind der mexikanischen Revolution (1910-17) mit auf dem Papier sozialistischem Parteiprogramm, gestand nach schwierigen Verhandlungen der konservativen Opposition von der PAN Erfolge auf der Ebene einiger Bundesstaaten zu. Die weitgehend in der PRD geeinte Linksopposition blieb aber weiterhin bei allen wichtigen Wahlen verdächtig chancenlos. Selbst das änderte sich ab 1997, als Cardenas Bürgermeister der Hauptstadt wurde. Und der gleichzeitige Verlust der absoluten PRI-Mehrheit im Parlament war eine Riesenüberraschung. Dennoch: Eine Abwahl der PRI von der Bundesregierung blieb eine theoretische Denkübung.

Wenn Dinge in der Luft liegen, so ist das an diesem 2. Juli zumindest in Mexiko- Stadt der Fall. Fast überall ein ungewöhnlicher Andrang vor den Wahllokalen und eine heitere, gelöste Stimmung. Ein Beispiel dafür ist das Wahllokal in der Grundschule „Las Rosas“ in dem kleinen Stadtviertel Periodistas. Die Leute kennen sich und die jeweiligen Parteipräferenzen. Von der befürchteten Aggressivität keine Spur. Vielmehr wird nach der Stimmabgabe die Gelegenheit zum Gespräch genutzt. Was auffällt: Kaum jemand spricht sich für die PRI aus. Eine mexikanische Kollegin, die aus dem Viertel stammt, ist dennoch skeptisch. „Der Wille der Bevölkerung, ihrem Wunsch nach ungefälschten Wahlen Geltung zu verschaffen, steht gegen die Kapazität der Regierung, ihre Manipulationen durchzuführen.“ Wenige hundert Meter weiter sperren verärgerte Bürger kurz darauf eine der Hauptverkehrsadern. Sie protestieren, weil in einem Wahllokal für Durchreisende, die ihren Wohnsitz in anderen Orten haben, die Stimmzettel ausgegangen sind. Doch es kommt zu keinen gewalttätigen Ausschreitungen. Wie in anderen Bundesstaaten macht sich nur der Frust breit, vom Stimmrecht nicht Gebrauch machen zu dürfen.

Viel war vor den Wahlen von den detailliert belegten Manipulationsversuchen der PRI auf dem Land die Rede. Doch der Wunsch nach Veränderung ist an diesem 2. Juli zu groß. Anscheinend haben die Menschen ihre Angst verloren und vertrauen darauf, dass ihre Stimmabgabe in der Wahlkabine geheim bleibt. Entscheidenden Einfluss haben die Wahlgeschenke der Regierungspartei im Nachhinein nicht gehabt. Um kurz nach 23 Uhr müssen die „Krieger“ der PRI vor dem Willen der Bevölkerung kapitulieren. Sie sind müde nach 71 Jahren und lassen es nicht mehr auf eine Konfrontation ankommen. Ob Vicente Fox von der PAN tatsächlich der geeignete Präsident ist, um in den kommenden sechs Jahren die mexikanische Politik zu führen, steht am Sonntagabend für viele nicht im Vordergrund. Wichtig ist das Ende einer Ära, die immer mehr zum Synonym für Korruption, soziale Ungerechtigkeit und Straffreiheit wurde. Das der Abschied an diesem Tag in dieser gelassenen und ausgelassenen Stimmung geschieht, ist die eigentliche Sensation der Wahlen.

 

MEXIKO/BRD

 Ökumenischer Ausschuss für Indianerfragen in Amerika schreibt an Fox

(München/Mexiko-Stadt, 4. Juli 2000, Poonal).- Der Ökumenische Ausschuss für Indianerfragen in Amerika mit Sitz in München hat dem gewählten mexikanischen Präsidenten Vicente Fox zu seinem Wahlsieg gratuliert und ihm Erfolg bei seiner Ankündigung gewünscht, „eine gerechtere Gesellschaft“ aufzubauen. In dem Brief, der von dem Ausschussvorsitzenden, Professor Dr. Othmar Noggler unterzeichnet ist, werden „inständigst“ mehrere Bitten bezüglich der Situation im Bundesstaat Chiapas formuliert.

So fordert der Ökumenische Ausschuss von Fox, in den Monaten vor seinem Amtsantritt am 1. Dezember die Lage in Chiapas zu überwachen, damit dort keine militärischen „Säuberungsoperationen“ durchgeführt werden und später das gesamte Gebiet zu entmilitarisieren. Ein weiterer Punkt ist die Entwaffnung und Auflösung der paramilitärischen Gruppen in der Region. Der Ausschuss verlangt ebenfalls, dass die Abkommen von San Andres entsprechend ihrem Geiste erfüllt und unter der Beteiligung der Indigena-Bevölkerung angewendet werden. Den Kriegsvertriebenen müsse die Rückkehr an ihre Ursprungsorte ermöglicht werden. Schließlich wünscht Noggler im Namen der Einrichtung die Freilassung der politischen Häftlinge und die Erlaubnis für internationale Menschenrechtsbeobachter, sich ohne Einschränkungen in Chiapas bewegen zu können.

In dem Brief an Fox wird unterstrichen, dass der Ökumenische Ausschuss für Indianerfragen in Amerika bei den Regierungen und Parlamenten der Europäischen Union weiterhin darauf drängt, dass die sogenannte Demokratieklausel im Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko erfüllt sowie die von Mexiko unterschriebene Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation respektiert wird. Die Konvention sei ein wichtiges Instrument für die Anerkennung des Rechtes auf Land, kulturelle Identität und eine selbstbestimmte Zukunft der Indigena-Völker.

 

GUATEMALA

 Zwei Todesurteile vollstreckt

(Guatemala-Stadt, 30. Juni 2000, comcosur-Poonal).- Die guatemaltekischen Behörden ließen im Hauptstadtgefängnis die beiden zum Tode verurteilten Männer Luis Amilcar Cetín Pérez und Tomás Cerrate Hernández mit einer Giftspritze hinrichten. Sie waren der Entführung und anschließenden Ermordung einer über 80- jährigen Frau angeklagt worden, deren Familie die größte Brauerei des Landes gehört. Guatemala ist das einzige Land in Mittelamerika, das die Todesstrafe anwendet. Sie wurde unter der Regierung von Alvaro Arzú, dem Vorgänger des amtierenden Präsidenten, wieder eingeführt.

 

KUBA/USA

 Wenig Begeisterung über Teilaufhebung des Embargos

(Havanna, 27. Juni 2000, pl/alc-Poonal).- Die Entscheidung des US-Kongresses, künftig den Verkauf von Lebensmitteln und Medikamenten an Kuba zuzulassen, hat in Havanna keine Euphorie ausgelöst. Aufgrund des Kompromisses zwischen Abgeordneten der Demokraten und der Republikaner im nordamerikanischen Parlament wird von offizieller Seite sogar gesagt, der Handel werde eher erschwert als erleichtert. Der anti-kubanische Flügel der Republikaner erreichte, dass der kubanischen Regierung keine US-Kredite für den Kauf von Produkten bekommen dürfen. Die Gesetzesinitiative war bereits im vergangenen Jahr im US-Senat verabschiedet worden, scheiterte aber bisher am Widerstand der Republikaner im Abgeordnetenhaus.

Die Befürworter einer Auflockerung des Embargos gegen Kuba um den Senator George Nethercutt haben weniger die Lage auf der sozialistischen Karibikinsel im Auge als die Situation der US-Farmer, denen sie einen neuen Markt erschließen wollen. Sie sehen auf Kuba ein Geschäftspotential im Wert von 700 Millionen Dollar. Nethercutt bezeichnete das Gesetz folgerichtig als großen Erfolg für die nordamerikanischen Agrarproduzenten.

Dagegen schloss sich in Havanna der Kirchenrat (in dem die evangelischen Kirchen zusammen geschlossen sind) weitgehend der Regierungseinschätzung an. Das Abkommen im US-Kongress sei zwar ein erster Schritt in Richtung einer endgültigen Aufhebung des wirtschaftlichen und politischen Embargos, aber ängstlich und „im wesentlichen symbolisch“, so der Ratspräsident Reinerio Arce Valentin. Kuba sei erheblich in seinen Mitteln eingeschränkt, Lebensmittel und Medikamente in den USA zu kaufen, da das Land in Bar bezahlen müsste und der Tauschhandel ausgeschlossen ist.

Arce Valentin vertraut aber darauf, dass die Vereinbarung in den USA einen neuen Weg öffnet, an dessen Ende die Vernunft und das Recht die Beziehungen zwischen beiden Ländern bestimmen würden. „Die Politik der USA gegenüber Kuba ist anachronistisch geworden. Wenn Kuba einen Markt wie China oder auch nur einen fünften Teil davon repräsentieren würde, existierte die Blockade schon länger nicht mehr“, kommentierte der Präsident des Kirchenrates.

 

HAITI

 Teurer Reis

(Port-au-Prince, 30. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Die staatlich kontrollierte US- Entwicklungshilfeorganisation hat 22,5 Millionen Dollar für Haiti frei gegeben. Das Geld für die Regierung war Anfang des Jahres auf Betreiben des konservativen Senator Jesse Helms zurück gehalten worden, nachdem das Kabinett von Haitis Präsident Rene Preval und Premierminister Jaques Alexis Sanktionen gegen einen Reiskonzern mit nordamerikanischem Kapital verhängt hatte. Die Rice Corporation war angeklagt, eine Zollerklärung gefälscht zu haben. Das Unternehmen erklärte die Beschuldigungen für haltlos, zahlte aber eine Strafe von knapp 1,5 Millionen Dollar, um seine Tore in Haiti wieder öffnen zu können.

 

HONDURAS

 Amnestiegesetz für nicht anwendbar erklärt

Oberster Gerichtshof macht Militärs einen Strich durch die Rechnung

Von Gerardo Herrero

(Mexiko-Stadt, 4. Juli 2000, Poonal).- „Ich konnte nicht glauben, was ich hörte und habe die ganze Nacht nicht geschlafen.“ So beschreibt Bertha Oliva, die Koordinatorin des Komitees der Familienangehörigen der Verhafteten- Verschwundenen in Honduras, ihre Reaktion auf ein völlig überraschendes Gerichtsurteil. Der Oberste Gerichtshof des kleinen mittelamerikanischen Landes erklärte zwei in früheren Legislaturperioden verabschiedete Amnestiegesetze für nicht anwendbar auf Militärs, die Menschenrechtsverletzungen in den 80er Jahren begangen haben. Sie hätten im Namen des Staates gehandelt, so begründeten die Richter ihr Urteil, und seien daher für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. „Das Justizwesen ist immer das Organ gewesen, dass die Straffreiheit gefestigt hat. Darum schien es fast sicher, dass die Militärs geschützt wurden“, sagt ungläubig Bertha Oliva.

Das Oberste Gericht von Honduras entschied in konkreten Fall von neun Militärs, die im Jahr 1982 sechs Universitätsstudenten entführten und mehrere Tage lang in geheimen Haftzentren festhielten. Das Leben der Studenten konnte wahrscheinlich nur aufgrund des Drucks im In- und Ausland sowie des öffentlichen Aufsehens, das ihr Verschwinden erregte, gerettet werden. Doch das Urteil der Richter hat eine viel weitergehende Bedeutung. In den 80er Jahren und noch zu Beginn der 90er verschwanden im Rahmen des Staatsterrors 184 Personen, deren Schicksal bis heute nicht aufgeklärt ist. Sie starben vermutlich genauso wie etwa tausend weitere Personen aus Gewerkschafts- und Bauernorganisationen, Studentenbewegungen und Parteien der linken Opposition in den Händen der Militärs. Jetzt scheint es möglich, dass die Opfer späte Gerechtigkeit erfahren und ihre Mörder sich doch noch vor Gericht verantworten müssen.

Die Amnestiegesetze unter den Präsidenten Jose Azcona Hoyo (1986-1990) und Rafael Leonardo Callejas (1990-1994) waren ironischerweise offiziell zugunsten von linken Aktivisten verabschiedet worden, die sich in den 80er Jahren kleinen Guerillagruppen in Honduras anschlossen. Tatsächlich interpretierten jedoch viele Militärs, die schwerer Menschenrechtsverletzungen angeklagt waren, die Amnestien als auf sie zugeschnitten. Vor Gericht bekamen sie dabei bisher recht. Dazu kam, dass die Armee trotz ziviler Regierungen eine mächtige und nahezu unantastbare Institution im Land blieb. Erst in den vergangenen Jahren wurde ihr Einfluss Stück für Stück zurück gedrängt, ohne dass von einer vollständigen Kontrolle der Streitkräfte durch Regierung und Parlament gesprochen werden kann.

Eine der Personen, denen großer Verdienst zukommt, die Militärs in ihre verfassungsrechtlichen Schranken gewiesen zu haben, ist der staatliche Menschenrechtsbeauftragte Leo Valladares. Seine Hartnäckigkeit ging sogar der amtierenden Regierung von Präsident Flores zu weit. Der Versuch, ihn mit Hilfe einer Parlamentsmehrheit wegen „Kompetenzüberschreitung“ aus dem Amt zu drängen, scheiterte jedoch an den Protesten der Menschenrechtsorganisationen und der Bevölkerung, die in Valladares einen Fürsprecher sieht.

Der Menschenrechtsbeauftragte, der das Justizsystem in Honduras immer wieder attackierte, bezeichnet das jüngste Urteil scharfzüngig als „positiven Akt, der beweist, dass die Gerichtsbarkeit auch innerhalb des Gesetzes zu agieren weiß“. Noch ist nicht sicher, ob eine umfassende Strafverfolgung der politischen Verbrechen in der Vergangenheit tatsächlich Aussichten auf Erfolg hat. Aber laut Valladares ist „ein Präzedenzfall gesetzt. Andere Militärs werden sich in Zukunft nicht auf die Amnestien berufen können“.

 

NICARAGUA

 Arbeitsrechte in der Maquila-Zone nichts wert

(Managua, 3. Juli 2000, pulsar-Poonal).- Die Textilarbeitergewerkschaft klagt die Unternehmen in der nicaraguanischen Freizone an, in Komplizenschaft mit der Regierung die Gewerkschafter kriminalisieren zu wollen. Als Beispiel hebt Gewerkschaftssekretär Pedro Ortega das Verhalten des Maquila-Betriebes Chentex hervor. Dort würden unterschriebene Kollektivverträge nicht respektiert und die organisationswilligen Beschäftigten bedroht. Ein weiterer Fall ist das Unternehmen Mil Colores, dass 68 Arbeiter verklagt hat, weil sie die Gewerkschaft neu aufbauen wollen, um sich vor den Verletzungen ihrer Rechte zu schützen. Die attackierten Beschäftigten haben sich vorgenommen, ihre Lage vor die Organisation Amerikanischer Staaten zu bringen. Im eigenen Land können sie auf keine Unterstützung der Behörden rechnen. Im Gegenteil: Das Arbeitsministerium genehmigt Entlassungen von Gewerkschaftern und sieht zu, wie Beschäftigte unter Druck gesetzt werden, um der unternehmerfreundlichen Arbeiterzentrale Nicaraguas (CTN) beizutreten. Allein bei Chentex haben nach Angaben aus der Gewerkschaft mehr als 300 Beschäftigte ihre Arbeit verloren, weil sie sich weigerten, sich der CTN anzuschließen.

 

ARGENTINIEN/BRD

 Vorwürfe wegen Mord, Geiselnahme und Körperverletzung gegen Benz in Argentinien

Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zieht Ermittlungen an sich

Von Boris Kanzleiter und Stefanie Kron

(Berlin, 3. Juli 2000, npl).- Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck wiederholt nach weiteren Nachforschungen den Vorwurf, dass Führungspersonal von Mercedes Benz nach dem Militärputsch in Argentinien kritische Gewerkschafter entführen und ermorden ließ. Die Staatsanwaltschaft in Nürnberg-Fürth hat in diesem Fall nun offiziell die Ermittlungen an sich gezogen, wie Justizsprecher Wankel gegenüber npl bestätigte.

Im September vergangenen Jahres hatte Kaleck im Auftrag des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV) bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen „Mord, Geiselnahme und Gefährlicher Körperverletzung“ im Fall von mindestens 13 aktiven Gewerkschaftern gegen den ehemaligen Werksleiter der Mercedes Niederlassung Juan Tasselkraut, unbekannte weitere Verantwortliche des Konzerns in Argentinien und Stuttgart sowie gegen die Ex-Junta Mitglieder, Emilio Massera und Jorge Videla, gestellt.

Wenige Monate nach dem Putsch in Argentinien wurde im Januar 1977 eine Gruppe von oppositionellen Gewerkschaftern des Mercedes-Benz-Werkes in Gonzales Catan, nahe der Hauptstadt Buenos Aires, verhaftet. Die meisten von ihnen wurden in das berüchtigte Folterzentrum „Campo de Mayo“ verschleppt. Sie gehören zu den mindestens 30.000 Verschwundenen und Ermordeten, welche nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen bis zum Ende der Diktatur 1983 Opfer der staatlichen Repression wurden.

Kalecks Anzeige wurde zunächst mehrmals zwischen den Staatsanwaltschaften in Stuttgart und Berlin hin- und hergeschickt. Schließlich erklärte sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart für den unkonkretesten Teil der Anzeige verantwortlich – die bisher unbekannt gebliebenen Verantwortlichen in der Konzernzentrale von Daimler-Chrysler – und stellte die Ermittlungen kurz darauf ein. Ein willkommener Anlass für die Daimler-Chrysler Leitung, in ihrer letzten Aktionärsversammlung auf Nachfragen der „Kritischen Aktionäre“ zu erklären, dass die Vorwürfe offensichtlich unhaltbar seien.

Der eigentlich Schwerpunkt der Strafanzeige wurde aber nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes wie schon in anderen elf Fällen von Opfern der argentinischen Militärdiktatur der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zu weiteren Ermittlungen zugewiesen. Kaleck hofft nun, dass „nach nunmehr neun Monaten die Ermittlungen endlich begonnen werden und der aussagebereite Zeuge Hector Ratto in der Deutschen Botschaft in Buenos Aires vernommen wird.“

Bereits im Oktober letzten Jahres traf Kaleck bei einer Argentinienreise auf diesen ehemaligen Mercedes-Betriebsrat, der seine Verhaftung überlebt hatte und Tasselkraut schwer belastete. Den Schilderungen von Hector Ratto zufolge war die Werksleitung des deutschen Automobilkonzerns in Gonzales Catan maßgeblich an seiner Verhaftung, Entführung und Folterung beteiligt. Diese Aussagen wiederholte er auch im ARD-Morgenmagazin vom 15. Oktober 1999. Ende Juni reiste Kaleck erneut nach Argentinien, um weitere Nachforschungen im Fall der verschwundenen Mercedes-Benz-Gewerkschafter anzustellen.

Was er dabei herausfand, ist für den Juristen ein „schlagender Beweis, wie eng Mercedes mit der Repression verflochten war.“ Er berichtet nach seiner Rückkehr, dass Mercedes nach dem Militärputsch einen neuen Werkschutz einstellte, „der komplett aus Polizeibeamten der Provinz Buenos Aires bestand.“ Bis 1984 war der stellvertretende Chef einer Polizei-Untersuchungseinheit des Ortes San Justo, Rubén Luis Lavallén, Leiter des Werkschutzes. „In Argentinien hat es Lavallén zu trauriger Berühmtheit gebracht“, fährt Kaleck fort, „weil er 1984 als einer der ersten Polizisten und Militärs entdeckt wurde, der während der Diktaturzeit ein Kind von inhaftierten Oppoisitonellen in seiner Gewalt hatte.“ Lavallén hatte die knapp zweijährige Paula Logares zwangsweise adoptiert. „Ihre Eltern wurden zuletzt in der Polizeistelle von San Justo lebendig gesehen, wo eben besagter Lavallén Vizechef war,“ führt der Rechtsanwalt weiter aus. „1983 entdeckte die Großmutter von Paula Logares ihre Enkelin wieder. Der Fall Lavallen wurde 1984 als einer der ersten dieser Art vor einem argentinischen Gericht verhandelt. Aufgrund eines Amnestiegesetzes ging er jedoch wie auch die meisten Militärs straffrei aus“.

Kaleck ist überzeugt, dass Lavallén nicht der einzige Mitarbeiter der Diktatur ist, der jahrelang bei Mercedes beschäftigt war, sondern einzelne seiner Gruppe noch bis Ende der 80er Jahre beim Werkschutz arbeiteten. Doch auch wenn in diesem Fall nur Lavallén strafrechtlich zu belangen sei, „ist es einfach ein moralisches Gebot, dass Mercedes heute offenlegt, mit welchen Menschen sie damals den Werkschutz betrieben haben,“ fordert der Rechtsexperte.

Kaleck ist nach seinen bisherigen Nachforschungen davon überzeugt, dass im Fall der ermordeten Gewerkschafter damals führende Personen des Konzerns Verantwortung tragen. „Moralisch und politisch habe ich kein Problem, die Konzernleitung von Daimler-Benz dafür verantwortlich zu machen, was mit den Gewerkschaftern ihrer Niederlassung in Argentinien nach dem Militärputsch 1976 passiert ist“, erklärt der Berliner Rechtsanwalt.

Tasselkraut ist heute Technischer Direktor der Daimler-Chrysler-Niederlassung von Gonzales Catan. Als Kaleck ihn dort in Begleitung eines Journalisten aufsuchen wollte, ließ er sich verleugnen. Gegenüber npl betonte die Presseprecherin des Stuttgarter Unternehmens Frau Merzig-Stein, dass Tasselkraut die Vorwürfe vehement bestreite. Falls die Staatsanwaltschaft auf den Konzern zuginge, wäre Mercedes „selbstverständlich zur Zusammenarbeit bei der Aufklärung der Vorwürfe bereit.“

Aufklärung des Schicksals ihrer verschwundenen Kollegen, fordert mittlerweile auch eine Gruppe ehemaliger Betriebsräte von Mercedes Benz in Gonzales Catan, die sich nach der Anzeigenerstattung gegen den Konzern im letzten Jahr um den Hauptbelastungszeugen Hector Ratto gebildet hat. Als sie kürzlich mit Flugblättern vor der Daimler Niederlassung auf die Geschehnisse von 1977 aufmerksam machten, wurden sie vom Werkschutz vertrieben.

 

ARGENTINIEN

 De la Rua darf nicht kürzen

(Buenos Aires, 3. Juli 2000, na-Poonal).- Innerhalb von weniger als 24 Stunden erklärten zwei Arbeitsrichter die von der Regierung verfügten Lohnkürzungen von 12 und 15 Prozent für Staatsbeschäftigte mit einem Monatseinkommen über 1000 Dollar für ungültig. Präsident Fernando de la Rua hatte Ende Mai einschneidende Sparmaßnahmen verkündet, um das Haushaltsdefizit von 7, 1 Milliarden Dollar auf 4,5 Milliarden Dollar zu senken. Das Paket umfasste auch die unpopulären Lohnkürzungen, die einen Generalstreik und weitere massive Proteste gegen die erst seit Dezember 1999 amtierende Regierung provozierten. Am 22. Juni entschied ein Richter am argentinischen Bundesarbeitsgericht zugunsten mehrerer Gewerkschaftsorganisationen, die einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Kürzungen gestellt hatten. Am Folgetag erklärte ein weiterer Richte das Regierungsdekret für „nichtig und verfassungswidrig“. Wirtschaftsminister Luis Machinea bezeichnete das Urteil als „werbewirksam“ und warnte, die Kürzungen würden ohne Änderungen angewendet. Die Regierung wird gegen die Gerichtsentscheidung Berufung einlegen.

 

CHILE

 Konflikt bei Einweihung von Allende-Denkmal

(Santiago, 30. Juni 2000, comcosur-Poonal).- 5.000 Menschen nahmen an der Einweihung einer Statue von Salvador Allende teil. Das Denkmal steht gegenüber dem Moneda-Palast, in dem der Ex-Präsident während des blutigen Putsches der Streitkräfte am 11. September 1973 starb. Der amtierende Präsident Ricardo Lagos enthüllte die Statue. Der Festakt wurde von einem Eklat begleitet, da die wichtigsten Persönlichkeiten der chilenischen Kommunistischen Partei während des offiziellen Teils der Veranstaltung hinter einer Polizeiabsperrung bleiben mussten. Erst danach konnten sie dem Sozialisten Allende Tribut zollen und vor dem Denkmal unter anderem den „Prozess gegen Pinochet“ fordern.

 

CHILE/USA

 Washington gibt Dokumente frei

(Washington, 30. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Die US-Regierung hat eine Reihe von CIA-Papieren frei gegeben, die den Mord an US-Bürgern während der Pinochet- Diktatur zum Thema haben. Es handelt sich um etwa 500 Dokumente über drei Morde. Familienangehörige der Opfer begrüßten das Vorgehen, sagten aber gleichzeitig, die Informationen reichten nicht aus, die Wahrheit heraus zu finden.

 

KOLUMBIEN

 Zweite Feuerprobe für umstrittenen „Plan Colombia“

Von Laura Patricia Barros

(Bogota, 7. Juli 2000, npl).- Die Internationalisierung des seit mehr als vierzig Jahren andauernden bewaffneten Konfliktes in Kolumbien erfährt eine neue Dimension. Nachdem der US-Kongress am 22. Juni mit 94 zu vier Stimmen dem südamerikanischen Andenland eine Militär- und Finanzhilfe in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden Dollar bewilligt hatte, ist in dieser Woche Madrid Schauplatz des internationalen Ringens um Finanzierung und Ausrichtung des umstrittenen „Plan Colombia“.

Am Mittwoch und Donnerstag kamen in der spanischen Hauptstadt erstmals alle 23 Länder (Spanien und der Rest der Europäischen Union, verschiedene lateinamerikanische Staaten, Japan, Kanada und die USA) zusammen, die sich entschieden haben mit Milliardenbeträgen, den „Friedensprozess in Kolumbien“ zu unterstützen. Morgen werden UNO-Vertreter, die Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID) sowie die Vereinigung zur Förderung der Andenländer auf die Unterstützerländer treffen, um die genaue Höhe und Bestimmung der Finanzspritzen der einzelnen Länder festzulegen.

Mit dem von der kolumbianischen Regierung vorgeschlagenen Kolumbienplan sollen in den kommenden Jahren die „soziale und menschliche Entwicklung und die Regierungsfähigkeit des Landes gefördert, der Kampf gegen den Drogenhandel finanziert sowie die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und der größten Guerillaorganisation des Landes, den FARC, unterstützt werden.“ Dafür hat die kolumbianische Administration unter Präsident Andres Pastrana insgesamt 7,5 Milliarden Dollar veranschlagt, von denen sie selbst rund 5 Miliarden Dollar tragen will, den Rest soll die internationale Gemeinschaft übernehmen.

Obwohl sich die EU offiziell darauf geeinigt hat, vor allem institutionelle und politische Reformen in Kolumbien zu unterstützen sowie humanitäre Hilfe zu leisten, sprechen zivile Organisationen und Gewerkschaften aus Kolumbien und Europa, nicht zuletzt aber die kolumbianischen Guerilla-Organsiationen FARC und ELN vom Plan Colombia als einer „modernen Form der Aufstandsbekämpfung“.

Die am Mittwoch und Donnerstag ebenfalls in Madrid zu einem Alternativgipfel versammelten 65 Oppositionsgruppen aus Kolumbien und Europa kritisieren insbesondere die Pläne zur Vernichtung „illegaler“ Kokapflanzungen. Dies sei, „zum einen eine unrühmliche Strategie, die vor allem Kleinbauern treffen und zu weiteren Vertreibungen führen würde, ohne dass ihnen eine Einkommensalternative geboten würde.“ Zum anderen stelle dieser Teil des Kolumbienplans lediglich einen Vorwand dar, um den blutigen Konflikt weiter zu militarisieren, dessen Bilanz bisher 120.000 Tote und mehr als zwei Millionen Flüchtlinge sind.

Unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung hätten vor allem die USA eine Möglichkeit gefunden, direkt militärisch in die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kolumbianischen Streitkräften und Guerilla zu intervenieren. Diese Vermutung ist nicht aus der Luft gegriffen. Der Teil des Projektes „Plan Colombia“, der die „Bekämpfung des Drogenhandels“ beinhaltet, wurde hauptsächlich von der US-Regierung entworfen. US-Militärexperten sehen in der mehr als 12.000 Kämpfer*innen starken FARC, die bereits weite Teile des Landes faktisch unter ihrer Kontrolle hat, den größten „Instabilitätsfaktor in Lateinamerika“. So nimmt es auch nicht Wunder, dass rund 930 Millionen der insgesamt 1,3 Milliarden bewilligten Dollars ausschließlich für die Aufrüstung der kolumbianischen Streitkräfte mit modernsten Hubschraubern sowie zur Ausbildung spezieller militärischer Einheiten zur Drogenbekämpfung vorgesehen sind.

 

VENEZUELA

 Unruhe im Militär

(Caracas, 30. Juni 2000, comcosur-Poonal).- Innerhalb der venezolanischen Streitkräfte scheint die Opposition gegen Präsident Hugo Chavez stärker zu werden. Ein Oberst der Luftwaffe schrieb in einem öffentlich gemachten Brief an den Streitkräftechef General Lucas Rincon, er habe den „Glauben und den Respekt vor der aktuellen Befehlshierachie verloren“. Ein anderes Armeemitglied forderte im Namen einer „Patriotischen Junta Venezuela“ den Rücktritt des Präsidenten, der dabei sei „die Nation zu zerstören“. Einige Beobachter sehen in den Aussagen Belege für interne Meinungsverschiedenheiten bei den Militärs. Andere interpretieren sie als breiter angelegten Plan, der gegen Chavez ausgerichtet ist und bei dem andere Akteure sich nicht in die vorderste Linie stellen. Der Präsident muss in diesen Tagen über Beförderungen in den Streitkräften entscheiden, die zu einer Erneuerung der Militärspitzen führen. Er selbst gibt sich nach außen hin gelassen gegenüber der Kritik. Sie raube ihm nicht den Schlaf. Gleichzeitig betonte er die Vorreiterrolle der Armee in seiner „bolivarianischen Revolution“.

 

BRASILIEN

 Maßnahmen gegen Polizeikorruption

(Rio de Janeiro, 30. Juni 2000, comcosur-Poonal).- Der Gouverneur von Rio de Janeiro, Anthony Garotinho, hat ein Maßnahmenpaket gegen die Polizeikorruption angekündigt. Seine Innenbehörde arbeitet eine Liste der Mitglieder der Militär- und Zivilpolizei aus, die in Korruptionsfälle verwickelt sein sollen. Sie werden ihre Dienstausweise und Waffen abgeben müssen.

 

PARAGUAY/BRASILIEN

 Ungewohntes Wohnumfeld für Oviedo

(Brasilia, 30. Juni 2000, comcosur-Poonal).- Der paraguayische Ex-General Lino Oviedo beschwert sich über seine Haftbedingungen in Brasilien. Seine Zelle ist weder mit warmem Wasser noch mit einer Heizung ausgestattet. Zudem verfügt sie über kein eigenes Bad. Nachdem Oviedo am 11. Juni in der Grenzstadt Foz de Iguazú festgenommen wurde, teilte er seine Zelle im Sitz der brasilianischen Bundespolizei zuerst mit zwei einheimischen Drogenhändlern und einem wegen Mordverdachts inhaftierten Deutschen. Später bekam er eine Einzelzelle zugewiesen. Die paraguayische Regierung will die Auslieferung des gescheiterten Putschisten von 1996 erreichen. Oviedo gilt als der intellektuelle Urheber des Mordes am ehemaligen Vizepräsidenten Luis María Argaña und acht Demonstranten während der politischen Krise im März 1999.

 

PERU

 Ausbildung für Indigenas

(Lima, 3. Juli 2000, na-Poonal).- Mehr als tausend junge Menschen von der Ethnie der Asháninkas sollen in den Bereichen Gesundheitswesen, Informatik und Kommunikation weiter gebildet werden. Vertreter der Indigenas sowie die Peruanische Informatikgesellschaft und das Gesundheitsinstitut Daniel Alcides Carrión mit Sitz in Lima unterschrieben ein entsprechendes Abkommen. Die Bildungsmaßnahme wird über einen Zeitraum von fünf Jahren laufen. Zu diesem Zweck spenden verschiedene Einrichtungen Computer. Die jungen Indigenas können so in ihren Gemeinden lernen. Die Asháninka weisen eine Gesamtbevölkerung von 75.000 Personen auf. Sie sind in 14 Vereinigungen und 428 Gemeinden organisiert, die in den zentralen und südlichen Urwaldprovinzen Junín, Pasco, Ucayali, Ayacucho, Apurímac und Cusco angesiedelt sind.

 

 Toledo bezeichnet OEA-Vorschlag als nicht annehmbar

(Lima, 1. Juli 2000, pulsar-Poonal).- Der peruanische Oppositionskandidat Alejandro Toledo hält nichts vom Vorschlag der Mission der Organisation Amerikanischer Staaten, in dem empfohlen wird die Institutionen des Landes und den Rechtsstaat neu zu stärken. Er kritisierte in einem Brief an die Mission, dass diese implizit ein drittes Präsidentschaftsmandat von Alberto Fujimori akzeptiere. OEA-Generalsekretär César Gaviria und der kanadische Außenminister Lloyd Axworthy hatten sich unter anderem für Änderungen im Wahlsystem, dem Gerichtswesen sowie bei den Streitkräften ausgesprochen. Toledo weist darauf hin, die Reformen seien von Anfang an belastet, wenn die Ursprünge nicht angegangen würden. In diesem Zusammenhang erwähnt er den irregulären Wahlprozess, in dem Präsident und Kongress bestimmt wurden. Zwar werde seine Organisation sich daran beteiligen, den Staatsinstitutionen neue Geltung zu verschaffen, aber nicht den Kampf aufgeben, neue und legitime Wahlen zu erreichen. Lloyd Axworthy verteidigte sich gegen Kritik damit, die OEA-Mission habe nicht das Mandat, zu Neuwahlen aufzurufen. Der einflussreiche politische Kommentator Mirko Lauer stellte sich dagegen auf die Seite Toledos. „Man kann keine Infektion mit Aspirin kurieren“, meinte er.

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