Chiapas: Repression gegen MenschenrechtlerInnen

von Darius Ossami

(Berlin, 28. Juni 2010, npl).- Mit dem Auftauchen der sympathischen indigenen Guerillatruppe EZLN (Ejercito Zapatista de Liberación Nacional) wurde der südmexikanische Bundesstaat Chiapas schlagartig weltberühmt. Um die EZLN ist es inzwischen ruhig und Chiapas dank seiner sagenhaften Naturschönheiten ein beliebtes Reiseziel für Rucksack- und Pauschaltourist*innen geworden. Doch trotz der vermeintlichen Ruhe wird in Chiapas weiter gekämpft. Der Staat und internationale Konzerne ringen um Einfluss und Bodenschätze. Ihnen gegenüber stehen indigene Bauern und Bäuerinnen, soziale Organisationen, Umweltschutzgruppen und Teile der katholischen Kirche. Seit Mitte vergangenen Jahres sehen sie sich einer gefährlichen Repressionskampagne ausgesetzt, die bereits erste Todesopfer gefordert hat.

Diego Cadenas, Direktor des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas, kurz: Frayba, ist einer der Betroffenen. Frayba existiert seit 20 Jahren und gilt als renommierteste Menschenrechtsorganisation in ganz Chiapas. Nach Meinung von Cadenas sind wirtschaftliche Interessen der Grund für die steigende Repression. Chiapas ist reich an Bodenschätzen und anderen Naturressourcen. Diese liegen zum größten Teil auf indigenem Land, über das die Indigenen selbst bestimmen wollen. Diego Cadenas beklagt, dass es seit 1992 eine Reihe von neuen Gesetzen und Reformen gegeben hat, die es den Unternehmen erleichtern, Bodenschätze auszubeuten – auch wenn sie sich auf indigenem Gebiet befinden. Bei diesem Interessenkonflikt kommt das Menschenrechtszentrum Frayba ins Spiel: „Es gibt einen großen Bedarf in den reichen Ländern, vor allem nach Energie. In Chiapas gibt es viele Flüsse und wir wissen, dass es Pläne für Wasserkraftwerke gibt, die vor allem Strom in die USA exportieren sollen. In der Gemeinde Carranza geht es um Bergbau. Wir wissen, dass Bergbaufirmen ein Auge auf das Gebiet geworfen haben, denn es gibt Anzeichen, dass es dort Gold gibt.“

Um diese Vorhaben durchzusetzen, so Cadenas, sei damit begonnen worden, die sozialen Bewegungen zu kriminalisieren. Es kam zu einer Reihe von Observationen, Einschüchterungen und willkürlichen Verhaftungen, mal wegen angeblichem Landraub, mal wegen Geldfälschung. Durch seine Arbeit geriet auch das Menschenrechtszentrum Frayba ins Visier der Behörden: „Einer der strategischen Eckpunkte unserer Arbeit ist die Verteidigung der Rechte der indigenen Völker. Daher ist unsere Arbeit ein Hindernis in den Augen des Geldes, des Kapitals, in den Augen derer, die investieren und die Ressourcen der indigenen Gebiete ausbeuten wollen. Wir wurden schon immer angefeindet, aber in der letzten Zeit hat es einen Anstieg der Schikanen und Feindseligkeiten gegen das Menschenrechtszentrum und seine Mitarbeiter gegeben. Und zwar auch persönlich, gegen den Präsidenten Don Samuel Ruíz García, den emeritierten Bischof von San Cristobal de Las Casas, und gegen den Direktor, also gegen mich.“

Am 9. November 2009 wurde in fast allen Zeitungen und Fernsehsendern die Nachricht verbreitet, die Anti-Bergbau-Bewegung in Chiapas stecke mit den Drogenkartellen unter einer Decke und plane in diesem Jahr einen bewaffneten Aufstand. Zwei Priestern, zufällig ebenfalls aktive Minengegner, wurde die „Segnung von Waffen“ vorgeworfen. Grundlage für die Anschuldigungen waren anonym verfasste Geheimdienstberichte, die von der chiapanekischen Landesregierung an die Presse gegeben wurden. Seitdem kam es zu einem Anstieg von willkürlichen Verhaftungen und Drohungen gegen führende Bergbaugegner*innen. Das hat gravierende Auswirkung auf das Leben und die Arbeit der Betroffenen, wie Diego Cadenas erklärt: „Wir sind gezwungen, bessere Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen: auf unserer Arbeit, in unseren Büros, in unserem Familienleben, in den Räumen, wo wir uns gemeinsam aufhalten, in den Gemeinden. Aber nichts davon garantiert unsere Sicherheit. Wir tun alles, was uns möglich ist, aber am Ende bleibt die Lage für uns riskant. Doch für jeden von uns ist die Verteidigung der Menschenrechte eine Lebenseinstellung.“

Neben Frayba und diversen sozialen Gruppen ist auch Daniel Luna einer der Betroffenen dieser Kampagne. Er arbeitet in einem Verein für die Rechte von Frauen und Indigenen (Q’inal Antsetik) und ist außerdem führendes Mitglied der landesweiten Front für den Sozialismus FNLS (Frente Nacional de Lucha por el Socialismo). Luna wurde von der chiapanekischen Landesregierung und regierungstreuen Medien in die Nähe bewaffneter Gruppen gerückt und mehrfach von der Polizei observiert. Doch Luna versichert, er sei seit 15 Jahren für Menschenrechte aktiv, und seine Tätigkeiten seien immer transparent und öffentlich gewesen. Für ihn liegt der Grund für die Repression im profitablen Bergbau in Chiapas. Die Landesregierung hat 54 Konzessionen an Bergbaufirmen vergeben, die nun in den chiapanekischen Bergen nach Gold, Zink, Barit und anderen Mineralien suchen wollen. Luna und seine Mitstreiter*innen hatten das öffentlich gemacht und damit den Unmut der Regierung auf sich gezogen. In der Folgezeit wurden einige bekannte Minengegner*innen unter fadenscheinigen Begründungen festgenommen, mal wegen Landraub, mal wegen Geldfälschung.

„Wir haben in Chiapas einen legitimen Kampf gegen den Bergbau aufgenommen, vor allem gegen den offenen Tagebau, der besonders umweltschädlich ist.“ Dieser Kampf sei von Anfang an kriminalisiert worden, beschwert sich Luna: „Sie haben uns alles vorgeworfen, wovon die mexikanische Regierung in ihrem berühmten Kampf gegen den Drogenhandel und gegen das organisierte Verbrechen spricht. Uns werfen sie das vor, obwohl wir doch Verteidiger der Menschenrechte, der Umwelt und der indigenen Völker sind.“

Am 27. November 2009 wurde Mariano Abarca mit drei Kopfschüssen vor seinem Haus ermordet. Zuvor hatte er berichtet, er sei von Mitarbeitern einer Minenfirma mit dem Tod bedroht worden. Am 10 Januar 2010 starb der Lehrer Abelardo Merida, ebenfalls durch einen Kopfschuss. Mehrere Menschen erhielten zudem Todesdrohungen. Doch aufgeben kommt auch für Daniel Luna nicht in Frage, denn für ihn geht es darum, eine Umweltkatastrophe abzuwenden: „Im Bundesstaat Chiapas gibt es praktisch keine Industrie. Entwicklung ist also schon notwendig, aber sie muss nachhaltig sein. Wir brauchen eine andere Entwicklung als das Umweltdesaster, was sie im Rest des Landes angerichtet haben. Und uns setzen sie eines der schädlichsten Projekte der Welt vor die Nase! Da können wir doch nicht einfach nur zusehen! Wir haben uns entschlossen, jede Drohung, jede Schikane und jede Verfolgung öffentlich anzuprangern. Wir wissen, dass es eine Bedrohung gibt, es gibt auch schon zwei Todesopfer, die im direkten Zusammenhang mit dem Bergbau stehen. Aber trotzdem werden wir deshalb nicht aufgeben. Denn wenn wir jetzt aufhören, dass lassen wir zu, dass noch viel mehr Menschen sterben und dass es mitten in Chiapas eine Katastrophe gibt. Deswegen haben wir uns entschlossen, weiterzumachen und wir hoffen, dass es nicht noch mehr Tote gibt.“

Zwar konnte die Regierung des Bundesstaates Chiapas keinerlei Beweise für ihre Vorwürfe liefern. Auf massiven Druck von Menschenrechtsorganisationen aus dem In- und Ausland musste sie die Anklagen fallen lassen und die Verhafteten freilassen. Doch bei Morden und Drohungen ist von den Behörden keine Hilfe zu erwarten; für sie handelt es sich um Fälle gewöhnlicher Kriminalität. Die Ermittlungen laufen daher schleppend oder gar nicht. Erst Ende März spekulierte die konservative Tageszeitung Reforma über angebliche Verbindungen der EZLN zur baskischen Untergrundorganisation ETA. Und Ende April wurden zuvor mehrfach bedrohte Bauern von Paramilitärs beschossen. Somit bleibt die Arbeit für Menschenrechtler wie Diego Cadenas und Daniel Luna weiterhin gefährlich.

(Zu diesem Bericht aus unserer neuen Serie “Menschen.Rechte.Stärken!” gibt es auch einen Audiobeitrag bei radio onda: http://npla.de/onda/content/1077)

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