von Darío Aranda
(Berlin, 10. Mai 2014, lavaca-serpal-poonal).- Andrés Carrasco, jener Wissenschaftler, der die zerstörerischen Auswirkungen von Glyphosat nachwies, ist am 10. Mai dieses Jahres verstorben. Neben seinen Forschungen begleitete er auch die von Glyphosat-Besprühungen betroffene Bevölkerung. Und er warf die Frage auf, inwiefern die Wissenschaft den Großkonzernen zuarbeitet.
Dr. Andrés Carrasco arbeitete mehr als 30 Jahre lang als Wissenschaftler. Er war Präsident der Conicet und Chef des Labors für Embryologie der UBA. In den 1980er Jahren machte er viele bedeutende Entdeckungen und hatte auch während der 1990er Jahre ständig Arbeit – bis er mit seinem Kampf gegen das Glyphosat begann, als er dessen chemische Auswirkungen auf Embryonen im Labor untersuchte.
Im August 2010 war er im Chaco, in La Leonesa, einem Ort, der durch Forschungen und Widerstände der Bevölkerung gegen Glyphosat-Besprühungen bekannt geworden ist. Carrasco wollte dort eine Rede halten, doch im Reisanbau tätige Unternehmer und ein politischer Mob versuchten, ihn zu „lynchen“ „Er war in die Schule eines von Besprühungen betroffenen Viertels gekommen und konnte dort nicht reden. Die Gewalt der Verteidiger des Modells überraschte ihn“, erinnert sich Darío Aranda, von der argentinischen Tageszeitung „Página12“.
Dem Journalisten bleibt Carrasco als Kämpfer in Erinnerung, den er folgendermaßen beschreibt: „Andrés Carrasco wählte einen anderen Weg: Das Modell der transnationalen Konzerne und Regierungen in Frage zu stellen. Und er entschied sich, den Weg gemeinsam mit den Kleinbauern zu gehen, mit den Müttern, die besprüht worden sind, mit der kämpfenden Bevölkerung: Andrés Carrasco hat bereits seinen Platz in der lebenden Geschichte derer, die kämpfen.
Tu was!
Bei einem seiner Besuche an unserem Autonomen Lehrstuhl für Soziale Kommunikation (Cátedra Autónoma de Comunicación Social) erzählte Andrés Carrasco wie er damals entschied, seine Forschung über die tödlichen Effekte von Glyphosat zu verbreiten: Ich war im Süden, angeln; erfreute mich völlig an der postkartengleichen Schönheit der Natur, ich wusste, dass das, was ich bewiesen hatte, etwas Essentielles war. Und ich empfand die völlige Stille, die mich umgab als einen gellenden Schrei. „Tu etwas!“. Um das zu tun, musste ich nur einen „zuverlässigen und anständigen Schriftsteller treffen“. Und Carrasco rief, gleich von dort, Darío Aranda an. Er ist es, der sich hier mit ein paar Zeilen verabschiedet, die er in Lavaca veröffentlicht hatte. Eine doppelte Ehre, die uns noch stärker dazu verpflichtet, dessen würdig zu sein.
***
Andrés Carrasco: Wissenschaftler und Aktivist: Danke!
Von Darío Aranda / lavaca.com
„Ich bin Forscher der Conicet und habe die Wirkung von Glyphosat auf Embryonen untersucht. Ich möchte, dass Sie sich diese Arbeit anschauen“.
Das war das erste, was ich vom anderen Ende des Telefons hörte.
Wir schrieben das Jahr 2009 und der Konflikt um die Resolution Nr. 125 schwelte noch latent. Die Tageszeitung Página 12 hatte umfangreich über die Folgen des Modells der Agrar-Industrie berichtet und ich selbst hatte als Journalist über die Auswirkungen von Besprühungen mit Agrar-Chemikalien geschrieben.
Das Telefonat machte mich misstrauisch: Ich kannte den Anrufer nicht. Weshalb rief er an?
Der Wissenschaftler fuhr fort, sich vorzustellen. „Mein Name ist Andrés Carrasco. Ich war Präsident der Conicet und ich bin Leiter des Labors für Embryologie an der Universität von Buenos Aires. Ich gebe ihnen meine Kontaktdaten.
Seinen Namen hatte ich noch nie gehört. Noch nie hatte ich über Wissenschaftler geschrieben und das Wort „Conicet“ war mir völlig fremd.
Anrufe in der Zeitung und Fragen an Kolleg*innen. Alle bestätigten, dass er ein anerkannter Wissenschaftler sei, 30 Jahre Forschung, einer, der sehr wichtige Entdeckungen in den 1980er Jahren gemacht hatte, mit kontinuierlicher Arbeit in den 1990ern, als er sich dem Menemismus entgegenstellte.
Ich verfasste die Nachricht.
Seine Forschung wurde der Aufmacher der Zeitung (im April 2009). Die Nachricht: Glyphosat, der chemische Stützpfeiler des Modells der Soja-Produktion, wirkt verheerend auf amphibische Embryonen. Nichts war jetzt mehr wie vorher.
Soziale Organisationen, Bauern und Bäuerinnen, Familien, die von Agrar-Besprühungen betroffen waren und AktivistInnen: Für alle war die Arbeit und Carrasco der Beweis dessen, was sie auf ihrem Land durchlebten.
„Ich habe nichts Neues entdeckt. Ich sage dasselbe wie die Familien, die besprüht worden sind. Nur, dass ich das in einem Labor bestätigt habe“, pflegte er zu sagen. Und ab da wurde er zu jeder Veranstaltung eingeladen, die es gab. An Universitäten und wissenschaftlichen Kongressen bis hin zu sozialen und Umweltversammlungen und besprühten Schulen. Er versuchte, zu all diesen Orten zu gehen, indem er weniger Zeit im Labor und mit seiner Familie verbrachte.
Er hat sich auch viele Feinde gemacht. Als erstes stellten sich ihm die Agrar-Chemieunternehmen in den Weg: Anwält*innen von Casafe (dem Verband der Agrar-Multis) gelangten bis zu seinem Labor an der Medizinischen Fakultät und plusterten sich vor ihm mit Drohungen auf. Er begann anonyme Anrufe mit Drohungen zu erhalten. Und Wissenschaftsminister Lino Barañao diskreditierte Carrasco.
Barañao tat das nicht irgendwo sondern just im Programm von Héctor Huergo, dem Leiter von Clarín Rural und Lobbyisten der Agrar-Multis.
Der Minister verriss die Arbeit von Carrasco und verteidigte das Glyphosat (und das Modell der Agrar-Industrie). Und er fuhr damit fort, wann immer ein Mikrofon in seiner Nähe war. Zudem zweifelte er Carrascos Arbeit bei Versammlungen der Vereinigung der Argentinischen Produzenten in Direktsaat Aapresid (Asociación Argentina de Productores en Siembra Directa), den Unternehmer*innen der Agrar-Industrie und – vor allem – in der Conicet, an.
Aber Carrasco ließ sich nicht zum Schweigen bringen: „Sie glauben, sie könnten einfach dreißig Jahre Berufskarriere in den Schmutz ziehen. Das sind Heuchler, Handlanger der Multis; aber sie haben Angst. Sie wissen, dass sie die Sonne nicht mit der Hand verdecken können. Es gibt wissenschaftliche Beweise, doch vor allem gibt es hunderte Dörfer, die der lebendige Beweis des gesundheitlichen Notstands sind“.
Die Tageszeitungen Clarín und La Nación lancierten eine Kampagne gegen ihn. Sie konnten nicht zulassen, dass ein anerkannter Wissenschaftler das Modell der Agrar-Industrie in Frage stellte. Sie verstiegen sich sogar dazu, zu äußern, dass seine Untersuchung gar nicht existiere und es sich um eine Operation der Regierung handele, mit der das Glyphosat verboten werden solle, eine Repressalie der Resolution 125. Carrasco wurde wütend: „Wenn es jemanden gibt, der das Soja-Modell nicht antasten will, dann die Regierung“, resümierte er bei einem Café im Viertel Microcentro Porteño von Buenos Aires. Doch Carrasco war Funktionär der Regierung: Wissenschaftssekretär im Verteidigungsministerium. Man bat ihn, den Ton seiner Kritik am Glyphosat und am Modell der Agrar-Industrie zu mäßigen. Er tat es nicht. Er trat zurück.
Stillschweigen bedeutet nicht Gesundheit
Unternehmen, Funktionär*innen und Wissenschaftler*innen beschuldigten ihn, seine Arbeit nicht in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, sondern in einer Tageszeitung veröffentlicht zu haben. Er lachte und konterte: „Es gibt keinen Grund, weder für den Staat noch für die wirtschaftlichen Interessen der Multis, der das Schweigen rechtfertigt, wenn es um die öffentliche Gesundheit geht. Man muss das deutlich sagen: Wenn es sich um Daten handelt, die nur für einen kleinen Kreis von Interesse sind, kann man sie bis zum allerkleinsten Detail behüten und später über Medien kanalisieren, die nur diesen kleinen Zirkel erreichen. Doch wenn es sich um Fakten handelt, die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben, dann ist es eine Pflicht, sie umgehend und massiv zu verbreiten“.
Er war aufbrausend. Regte sich auf, diskutierte bis zum Umfallen und ließ dann später einen Kommentar fallen, um die Situation wieder zu entspannen.
Für gewöhnlich trafen wir uns in einem schon lange bestehenden Café nahe Constitución. Er war dort Stammgast. Schwatzte mit den Kellnerinnen und debattierte mit dem Wirt über Politik.
Beim Kaffee fragte ich ihn, weshalb er sich in diesen Tanz hineinbegeben habe. Er war ja bereits ein anerkannter Wissenschaftler auf seinem Gebiet und musste niemandem mehr etwas beweisen. Er hatte viel zu verlieren in der gegenwärtigen Welt der Wissenschaft.
Er erklärte mir dann, dass ihn das Leid der Mütter im Viertel Barrio Ituzaingó in Córdoba dazu bewegt habe. Und er von da an nicht weiter in Neutralität verharren konnte. Er bedauerte auch, dass die Conicet den Multis zuzuarbeiten scheine. Er denunzierte Übereinkünfte (einschließlich Auszeichnungen) zwischen den Firmen Monsanto und Barrick Gold und der Conicet. Er empörte sich. „Die Menschen leiden und die Wissenschaftler werden zu Unternehmern oder Gesellschaftern der Multis“, schoss es aus ihm heraus.
Ethik
Am 4. Mai 2009 sandte Minister Barañao eine E-Mail an Otilia Vainstok, die Koordinatorin des Nationalen Komitees für Ethik in Wissenschaft und Technik Cecte (Comité Nacional de Ética en la Ciencia y Tecnología). In einem Vorfall der seinesgleichen sucht, unterstützte Barañao die Lesart von Monsanto und bat um eine Evaluierung von Carrasco. Nie zuvor hatte es etwas Ähnliches gegeben. Die höchste Autorität der argentinischen Wissenschaft erbat die ethische Evaluierung eines Wissenschaftlers, der die chemische Pille des Modells der Agrar-Industrie in Frage stellte.
Barañao wollte den Kopf von Carrasco.
Vainstok verschickte noch am selben Tag, am Montag 4. Mai, eine E-Mail, die in Kopie an die neun Mitglieder des Ethikkomitees ging. Darin heißt es: „Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: An diesem Nachmittag habe ich die Bitte erhalten, die Cecte möge die in journalistischen Artikeln gemachten Äußerungen von Andrés Carrasco bezüglich seiner Forschung zu den Auswirkungen von Glyphosat auf Embryonen von Amphibien bewerten. Anbei finden Sie die von Lino Barañao beigesteuerte Biographie, das Interview mit Carrasco und das Interview mit Minister Barañao, das bei Clarín erschienen ist.“
Die Mail wurde der Presse zugespielt. Und Carrasco bekam Kenntnis vom Vorhaben von Barañao und Vainstok. Der Skandal wäre riesig gewesen. Das Ethikkomitee machte einen Rückzieher und urteilte nicht über Carrasco. Doch der Weg war nun vorgezeichnet.
Die von unten
Im August 2010, im Chaco, war er in La Leonesa, einem Ort, der durch Forschungen und Widerstände der Bevölkerung gegen Glyphosat-Besprühungen bekannt geworden ist. Carrasco wollte dort eine Rede halten, doch im Reisanbau tätige Unternehmer und ein politischer Mob versuchten, ihn zu „lynchen“ Die Gewalt der Verteidiger des Modells überraschte ihn.
Im August 2010 war es auch, als die US-amerikanische Zeitschrift Chemical Research in Toxicology die Untersuchungen Carrascos veröffentlichte. Das war eine ständige Forderung seiner Verleumder gewesen – und es führte doch nicht dazu, dass die Kritik nachließ. Die Diffamierungen durch Verteidiger*innen der Agrar-Industrie gingen weiter. Doch die Veröffentlichung war ein Sieg für die Mütter von Ituzaingó und die kämpfenden Gruppierungen und Versammlungen. Carrasco suchte den Austausch mit anderen, noch wenig bekannten Forscher*innen. Er empfand besonderen Respekt und Zuneigung für die jungen Forscher*innen der Universität von Río Cuarto und der Fakultät für Medizinische Wissenschaft von Rosario. Bei seinen öffentlichen Auftritten pflegte er sie zu erwähnen und bezeichnete sie als „würdige Zukunft“ der argentinischen Wissenschaft.
Noch ein Gift
Für gewöhnlich kreuzten sich unsere Wege bei Veranstaltungen gegen den Extraktivismus. Und in Abständen mailten wir uns Informationen über zum System der Landwirtschaft, über eine neuerliche Forschung, seine Reisen nach Europa, um dort über seine Forschungen zu berichten, den Prozess der Mütter von Ituzaingó, das neue, von der Regierung genehmigte Soja, neue Chemikalien. Eine Tages erhielt ich eine dieser Mails. Im Betreff stand: „Es gibt ein neues Gift“.
Er warnte darin vor Glufosinat-Ammonium und sah darin eine Substanz, die möglicherweise das Glyphosat ersetzen könnte: „Bei Tieren hat man festgestellt, dass Glufosinat verheerende Effekte hat. Bei Mäusen ruft es Krämpfe hervor und bewirkt das Absterben von Gehirnzellen. Mit eindeutigen teratogenen Auswirkungen (Missbildungen bei Embryonen). Alles Anzeichen für einen starken Einfluss auf die normale Entwicklung“, präzisierte Carrasco. Und er erinnerte daran, dass sich die EFSA, die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, im Jahr 2005 detailliert über die Gefahren für Gesundheit und Umwelt äußerte, die von dieser Chemikalie ausgehen. Er fügte an, dass das argentinische Ministerium für Landwirtschaft in zehn Fällen transgene Sorten von Mais und Soja der Firmen Bayer, Monsanto und Syngenta genehmigt hat. Bei fünf dieser Saatgutsorten wurde die Nutzung von Glyphosat und Glufosinat zugelassen.
Forschung: Für wen und wozu?
An einem anderen Nachmittag sandte ich ihm eine E-Mail und berichtete darin von Forscher*innen, die zu denselben Ergebnissen gekommen waren wie er, allerdings bei Kröten (die häufig „Kanarienvögel des Bergbaus“ genannt werden, weil sie ankündigen können, was den Menschen widerfahren wird). Die Forscher*innen hatten wegen möglicher Repressalien Angst, sich zu äußern. Er rief mich sofort an.
Er war brüsk: „Ich will nicht wissen, wer die sind. Ich will nur, dass du sie fragst, warum zum Teufel sie forschen: ob sie Kröten züchten wollen oder die Bevölkerung schützen, die ihre Forschungen mitbezahlt. Frag sie das bitte!“. Dann legte er auf.
Die Forscher*innen wollten nie über ihre Arbeiten sprechen oder sie massiv verbreiten.
Carrasco bei Wikileaks
Im März 2011 wurde bekannt, dass die US-Botschaft ihn durchleuchtet und Lobbyarbeit zugunsten von Monsanto gemacht hatte. Offizielle Dokumente, die Wikileaks zugespielt wurden, bestätigten dies. „So etwas hatte ich nicht erwartet, obwohl wir natürlich wissen, dass diese Konzerne auf höchsten Ebenen agieren, gemeinsam mit Wissenschaftlern, die ihnen auf Zuruf Studien liefern und Kommunikationsmedien, die deren Image rein waschen sowie politischen Sektoren, die wegschauen. Sie waren, sie sind beunruhigt. Sie wissen, dass sie die Wirklichkeit nicht verbergen können, die Fälle von Krebs und Missbildungen wiederholen sich in allen Regionen, wo massiv Agrargifte angewandt werden“.
Der andere Carrasco
Im November 2013 erzählte ich ihm, dass ich in Estación Camps (in der Region Entre Ríos) eine Frau interviewt hatte, die gegen Agrarchemie kämpft. Eine Landarbeiterin und Hausfrau, sehr bescheiden, die verwitwet ist.
Ihr Ehemann war Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und lebte umgeben von Soja – er bekam ständig die Besprühungen von Agrargiften mit ab. Eines Tages wurde er krank, seine Haut begann sich abzulösen und er hatte schwere Atemprobleme. Schließlich verstarb er nach einem langen Leidensweg. Seine Frau hatte keinen Zweifel, dass die Agrarchemikalien, die auf das Haus hinabregneten, der Grund für diese Tragödie waren. Auch die Medien hatten keine Zweifel, weigerten sich allerdings, das auch zu schreiben. Der Name dieses ländlichen Opfers der Agrarchemikalien: Andrés Carrasco.
Die Witwe hatte im Radio von dem Wissenschaftler mit demselben Namen wie ihr Ehemann gehört, und vom Glyphosat. Und zwischen Tränenausbrüchen erzählte sie, dass es ihr Kraft gegeben habe, zu wissen, dass jemand mit demselben Namen wie ihr Mann gegen die Chemikalien ankämpft, die ihr den Vater ihrer Kinder geraubt hatten.
Von dieser Geschichte erzählte ich ihm am Telefon. Der Wissenschaftler Carrasco war sehr bewegt, ihm versagte die Stimme, er konnte nicht weiter sprechen. Und dann gestand er, dass er bereue, nicht schon früher zu Glyphosat geforscht zu haben.
Das letzte Manöver
Ende letzten Jahres rief er mich an, um mir vom neuesten Manöver der Conicet zu berichten. Er hatte um eine Promotion zum höheren Forscher gebeten und das wurde ihm verweigert. Doch bei dieser Sache ging es um viel mehr als nur die Promotion.
Er war verärgert über das Übersehen werden von Wissenschaftler*innen, die für Unternehmen arbeiten und den Mächtigen dienen. Er war von zwei Personen evaluiert worden, die keinen Schimmer von seinem Fachgebiet hatten und einer weiteren Person, die Teil des Agrarbusiness ist. Er sandte mir sein Widerspruchsschreiben an die Conicet und berichtete mir im Detail von seinem Treffen mit dem Präsidenten der Einrichtung. Carrasco war sich sicher, dass ihm damit erneut die Rechnung für das präsentiert wurde, was er 2009 begonnen hatte.
Und ihn schmerzte das Schweigen der Akademiker*innen, die er respektierte, einschließlich ehemaliger Freunde aus den Sozialwissenschaften, die ihn unterstützt hatten. Ich schlug ihm einen journalistischen Artikel vor und zu versuchen, diesen in Página12 zu publizieren. Er bewunderte diese Tageszeitung, abgesehen davon, dass sie schon vor langer Zeit aufgehört hatten, ihm Platz einzuräumen. Ich gab ihm Bescheid, dass ich seine Version und die der Conicet und von Barañao schildern würde. Seine Antwort kam postwendend: „Die werden dich fertigmachen“.
Ich machte der Zeitung meinen Vorschlag. Sie wiesen ihn zurück, ohne auch nur eine minimale Begründung zu liefern. Als ich ihm Bescheid gab, blieb er gelassen. Er meinte, das sei vorhersehbar gewesen. „In diesen Jahren hab ich einen Intensivkurs über das Wesen der Kommunikationsmedien belegt“, fasste er zusammen. Ich antwortete ihm, dass ich in diesen Jahren gelernt hätte, dass die Conicet keineswegs unbefleckt ist und es zu viel Erbärmliches in der Wissenschaftswelt gebe.
Miteinander lachen
Und er frotzelte herum und erinnerte mich daran, dass wir nun Kollegen seien. Er hatte ein Programm im Radio FM La Tribu, wo ihn niemand zensierte und er den Versammlungen und Organisationen gegen den Extraktivismus viel Raum gab. Der Name seiner Sendung war bereits eine Botschaft an seine Feinde: „Silencio cómplice“ (zu Deutsch etwa: „Komplizenhaftes Schweigen“).
Wir vereinbarten uns zu treffen und gemeinsam zu Essen und den Text in befreundeten Medien zu veröffentlichen (lavaca publizierte ihn vergangenen März in seiner Zeitschrift MU). Für diesen Text unternahm ich den Versuch, mit „der anderen Seite“ zu sprechen. Barañao erklärte, er habe nichts zu sagen und verweigerte sich jeglicher Frage. Roberto Salvarezza, Präsident der Conicet, lehnte wegen Terminproblemen ab.
Das letzte Interview
Er reiste nach Mexiko, zum Ständigen Völkertribunal TPP (Tribunal Permanente de los Pueblos), einem nichtstaatlichen, internationalen ethischen Tribunal, dass die Verletzung von Menschenrechten untersucht und ein „Kapitel Mexiko“ eröffnet hatte. Im Januar kehrte er nach Mexiko zurück. Er erlitt einen Zusammenbruch und musste ausgeflogen werden. In Buenos Aires wurde er operiert und blieb viele Wochen lang im Krankenhaus, geschwächt.
Als sie ihn entließen, rief er zu Hause an: „Hab’s in die Freiheit geschafft“, war das erste was er sagte, um dann sofort zu fragen: „Was weißt du von der Blockade in Malvinas Argentinas (in Córdoba, wo man die Errichtung eines Werks von Monsanto stoppen konnte)? Hat Monsanto Schwierigkeiten?“ Im September 2013, als die Blockade begann, war er selbst dort gewesen. Er erklärte mir, dass er sich noch mehrere Wochen lang schonen müsse, doch wenn er wieder hergestellt sei, dann sollten wir nach Córdoba fahren, zu Malvinas Argentinas und auch die Mütter von Ituzaingó besuchen. Wir nahmen uns das für die Zukunft vor.
Wir sprachen über seine Situation in der Conicet. Ihn schmerzte die Gleichgültigkeit der Wissenschaftskollegen, vor allem in den Sozialwissenschaften. Ich fragte ihn, weshalb man nicht die sozialen Organisationen ins Boot holen? Er wandte sich gegen diesen Vorschlag. Und argumentierte, dass die Organisationen mit ihren territorialen Kämpfen schon mehr als genug zu tun hätten und es gerade noch fehlen würde, dass sie sich um ihn sorgen sollten. Er bot ein Interview an. Wir führten es.
Hier einige Zitate:
„Die besten Wissenschaftler sind nicht unbedingt die redlichsten Bürger, sie hören auf, Wissenschaft zu betreiben, und um auf ein paar Posten zu gelangen, lassen sie die Wahrheit verstummen, mit ernsthaften Folgen für die Bevölkerung.
„Die Conicet ist vollkommen darauf ausgerichtet, all die von den Konzernen vorgeschlagenen Technologien zu legitimieren.“
„(Über die offizielle Wissenschaft) Man sollte fragen: Wissenschaft für wen und wozu? Wissenschaft für Monsanto und die Transgene und Agrarchemikalien im ganzen Land? Wissenschaft für Barrick Gold und um die Cordillera zu perforieren? Wissenschaft für Fracking und Chevron? „Viele Leute haben sich solidarisch mit mir gezeigt, sie denken, was einer getan hat, war wichtig für sie, sie haben das Recht zu wissen, dass es staatliche Stellen gibt, die Willkür protegieren um Diskurse aufrecht erhalten, damit die ganze Geschichte keine Risse bekommt.“
Er wusste, dass das Interview für ein befreundetes Medium sein würde, nicht für „Massenmedien“. Er war zufrieden, gewann wieder an Kraft und würde gegenüber Barañao, Salvarezza, dem wissenschaftlichen Establishment und den Agrar-Konzernen nicht klein bei geben.
Am 27. März nahm er an Los Toldos teil, einer öffentlichen Anhörung zu Agrarchemikalien. Er war geschwächt, aber er wollte nicht fehlen. Genauso verhielt es sich mit der Medizinischen Fakultät an der Cátedra de Soberanía Alimentaria (am 7. April), wo er über gentechnisch veränderte Nahrungsmittel und Agrarchemikalien sprach. Es ging ihm nicht gut, Schmerzen plagten ihn, doch er wollte nicht fehlen. Er verstand diese Räume als Orte des Kampfes, an denen er die Auswirkungen der Agrarchemikalien erklären sollte. Gewöhnlich sagte er, das sei er den Opfern dieses Modelles schuldig.
Ende April gab er mir per E-Mail Bescheid, dass man ihn erneut ins Krankenhaus eingewiesen hatte. Er hoffte, dass das nur ein kurzes Intermezzo sei. Er wolle zurück nach Hause, sich dort erholen und die geplante Reise nach Córdoba machen, zum Protestcamp gegen Monsanto.
Sein Vermächtnis
Ich wurde Zeuge seiner letzten sechs Lebensjahre. Einer Zeit, in der er sich dafür entschied, sich vom wissenschaftlichen Establishment zu entfernen, das eingeschlossen in Laboratorien lebt und sich nur um die eigenen Publikationen sorgt, die auch wieder nur vom Establishment gelesen werden.
Er wurde zu einem großen Ketzer der argentinischen Wissenschaft. Es wird für ihn keinen Abschied in den großen Medien geben und weder Ansprachen von Funktionär*innen noch Gedenkveranstaltungen in wissenschaftlichen Akademien.
Andrés Carrasco wählte einen anderen Weg: Das Modell der transnationalen Konzerne und Regierungen in Frage zu stellen. Und er entschied sich, den Weg gemeinsam mit den Kleinbauern zu gehen, mit den Müttern, die besprüht worden sind, mit der kämpfenden Bevölkerung. Es gab keine Versammlung, auf der er dazu berufen worden wäre.
Es gibt weder Papers, noch wissenschaftliche Zeitschriften noch ein Parlament, dass dazu bevollmächtigt, dort einzutreten, wohin er gelangte, aufgrund seiner Verpflichtung der Bevölkerung gegenüber: Andrés Carrasco hat bereits seinen Platz in der lebendigen Geschichte derer, die kämpfen.
Nun bleibt uns nur, bei ihm eine enorme Schuld zu begleichen: Ihm zu danken.
Wir sehen uns im Kampf.
„Wir sehen uns im Kampf“- Darío Aranda über den Wissenschaftler und Aktivisten Andrés Carrasco von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar