Radioseminar thematisiert Recht auf Kommunikation und Landbesetzungen.

von Nils Brock

(Rio de Janeiro, 09. August 2013, npl/pulsar brasil).- Am 29. August fand in der Amazonas-Metropole Belém das Medienseminar “Community Radios für alle Bevölkerungsgruppen” statt. Die von der brasilianischen Sektion des Weltverbands der Community Radios (AMARC Brasil) organisierte Veranstaltung hatte vor allem das Recht auf Kommunikation im ländlichen Raum zum Thema und insbesondere das Radiomachen in den Camps (asentamentos) der Landlosenbewegung MST und sogenannten traditionellen Gemeinden. Unter Letzteren werden in Brasilien neben Indigenen vor allem Bewohner*innen von Flussläufen (ribeirnhos) und Quilombos, ehemals von entlaufenen Sklav*innen gegründete Siedlungen verstanden. Die Dringlichkeit des Themas macht bereits ein kurzer Blick auf die Statistik des Kommunikationsministeriums (MiniCom) deutlich. Von den mehr als 4.800 genehmigten brasilianischen Community Radios befinden sich kein Einziges in einem Quilombo, nur eines auf dem von Indigenen verwalteten Land und zwei in MST-Camps. Auch in anderen ländlichen Gebieten sind insgesamt nur 32 Radios legal auf Sendung.

Angesichts dieser erdrückenden Bilanz räumten der geladene Vertreter des MiniCom, Samir Nobre und seine Kollegin aus dem Kultusministerium (MinC), Alcione Carolina auf der ersten Podiumsdiskussion dann auch durchaus Mängel ein, ohne jedoch auf die Kommunikation in ländlichen Situation im Einzelnen einzugehen. Konkret wurde es deshalb zunächst bei Wortmeldungen aus dem Publikum. Der bürokratische Genehmigungsprozess sei langwierig und relevante Informationen nur schwer zugänglich. Antônia Salgado vom Radiosender Tapanã beispielsweise stellte klar, dass ihr Sender 1998 kurz nach Erlass des Community Radio-Gesetzes (Lei 9612) gegründet wurde, bis heute jedoch auf eine offizielle Genehmigung wartet. Salgado betont, dass es sich nicht um einen Einzelfall handle, sondern um eine von vielen Gemeinden geteilte Erfahrung, die einen eigenen Sender aufbauen wollen.

Flickschusterei statt Reformwillen

Eine allgemeine Reform der Mediengesetzgebung sei deshalb mehr als überfällig, meint Salgado und verweist auf das mangelnde Interesse des MiniCom, die im Rahmen einer Nationalen Kommunikationskonferenz (CONFECOM) im Jahr 2009 gesammelten Vorschläge dazu nicht weiterzuverfolgen. Einzig ein paar “halbherzige Beschlüsse” seien erlassen worden, die punktuell zum Beispiel die Reichweite der Sender etwas erhöhen. Nobre vom MiniCom wies den Vorwurf “Flickschusterei” zu betreiben dagegen zurück und sagte nur, das sei eben “innerhalb der aktuellen Regierungsführung möglich”. Zugleich befürwortete er die Idee, spezielle Ausschreibungen zur Gründung von Community Radios in traditionellen Gemeinden zu organisieren, das Gesetz sehe eine solche “Erleichterung für Quilombos und indigene Gemeinden” jedoch bisher nicht vor.

Eine konkrete Erleichterung schlug Carolina vom MinC vor. Angesichts des geringen Zugangs und Nutzung des Internets im ländlichen Raum sprach sie sich dafür aus, die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen auch per Telefon zuzulassen. Kritisch bemerkte sie, “der Community Rundfunk ist eine verwaiste Agenda der Bundesregierung”. Auch gäbe es zu wenig Austausch zwischen den Ministerien. Camila Marques von der NGO Article19 begrüßte diese Selbstkritik, mahnte jedoch auch zum Handeln, Denn internationale Abkommen zum Recht auf Meinungsfreiheit und Kommunikation (z.B. der Pakt von San José) habe der brasilianische Staat längst ratifiziert und zu einem Teil der Verfassung gemacht. Nun müsse er aufhören, Community Radios zu zensieren und endlich auch ihre Existenz fördern. Die aktuelle “legalistische Haltung” öffentlicher Institutionen sei besorgniserregend, meinte Marques und forderte diese dazu auf, “das restriktive Community Radio-Gesetz zu überwinden.”

Technologische Aneignung statt Warten auf Genehmigungen

Nach den Regierungsvertreter*innen kamen die Repräsentant*innen der Landlosen und traditionellen Gemeinden zu Wort. Angesichts der vagen Zugeständnisse, “Schritt für Schritt den Genehmigungsprozess weiter zu vereinfachen”, verteidigten sie die weitere Aneignung von Technologien und eine stärkere Präsenz beim Medienmachen. Alan Tembé, Koordinator der Vereinigung der Tembé-Indigenen aus Santa Maria do Pará ( AITESANPA) wies dabei auf die Schwierigkeit hin, über herkömmliche Medien Informationen zu erhalten, die für Indigene von Interesse sind. Auch kritisierte er die Manipulation kommerzieller Medien, die in ihrer Berichterstattung traditionelle Gemeinden fortwährend kriminalisieren würden. Für Tembé ist es unerlässlich, dass die Indigenen auch medial den ihnen zustehenden Protagonismus verwirklichen können.

Der Mitarbeiter des Netzwerks Rede Mocambos, Guinê Ribeiros, nahm auf diesen Vorschlag Bezug, als er die Notwendigkeit technologischer Aneignungen seitens traditioneller Gemeinden unterstrich. In den circa 5.000 Quilombos Brasiliens gäbe es beispielsweise gerade mal drei nicht genehmigte aber funktionierende Community Radios. Auch die von Antônio Carlos Luz vertretene Landlosenbewegung MST hat im Bundestaat Pará, wo das Seminar stattfand, Probleme, eine kontinuierliche Radiopraxis zu organisieren. Luz, der beim MST auch Journalist*innen ausbildet, machte deutlich, dass zwei in Landlosen-Siedlungen gegründete Radios auf Grund der staatlichen Repression nicht länger aktiv sind.

Mehr Kanäle für Landlose und Indigene

Für Radiomacher*innen im ländlichen Raum, die sich dafür entscheiden, bereits vor Ende des jahrelangen Genehmigungsprozesses auf Sendung zu gehen, ist diese Verfolgung auch deshalb paradox, weil sie oftmals nicht einmal in direkter Konkurrenz zu kommerziellen Medien stehen, die im urbanen Raum die Verfolgung anheizen. Selbst dort, wo also in ausreichendem Maße freie Radiofrequenzen zur Verfügung stehen, verweigert der Staat den Gemeinden ihre Nutzung zum Aufbau von Community-Medien, resümierte Arthur William von Amarc Brasil. Für ihn ist es deshalb auch wichtig, die im Gesetz postulierte geographische Definition von Community aufzugeben, da sich gerade im ruralen Raum und seitens traditioneller Gemeinden stark zersiedelte und grenzüberschreitende Bevölkerungsgruppen oder Interessengemeinschaften organisieren würden.

Vor diesem Hintergrund wurde die anstehende Medienreform in Bolivien wiederholt als positives Beispiel genannt. Dort werden für indigene und rurale Radiosender künftig 17 Prozent aller verfügbaren UKW-Frequenzen reserviert werden. Damit soll garantiert werden, dass Indigene verstärkt auch in ihren Sprachen Radio machen können. Ein Kritikpunkt ist dabei jedoch die unscharfe Abgrenzung gegenüber staatlichen Kanälen. Wie AMARC Bolivien pointiert ausdrückt, kann es keinen staatlichen Community Rundfunk geben.

Für weitere Informationen in Portugiesisch siehe auch:

“Rádios Comunitárias para todos os povos”

Und den deutsch-portugiesischen Podcast mais1c@fé – “Eine heiße Sendung direkt vom AMARC Seminar mit einem Schuss Jamburana” könnt ihr hier hören:

 

 http://fabzgy.org/2013/08/29/eine-heise-sendung-direkt-vom-amarc-seminar-mit-einem-schuss-jamburana/

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