Radio Aire Zapoteco

von Raymundo Cruz Miguel, Oaxaca

(Berlin, 21. Mai 2011, npl/desinformemonos).- Santa María Yaviche, Oaxaca, Mexiko. Hier betreibt eine Gruppe unternehmungslustiger Jugendlicher ein Basisradio. Das Radio soll das Leben der Menschen auf dem Land begleiten und gleichzeitig die Entwicklung ihrer Region befördern, indem es Informationen aus den zapotekischen Gemeinden im Herzen der Sierra Norte im Bundesstaat Oaxaca verbreitet.

 

Radio aus „El Rincón“

Indem die Programme auf zapotekisch umgesetzt werden, fördert Radio Aire den Gebrauch dieser lokalen Sprache und stärkt sie. Die „Radiofreaks“ engagieren sich aus Leidenschaft, versichern sie. Sie erhalten keinerlei Entlohnung für ihre Arbeit. Das Radio ist ein gemeinnütziges Projekt mutiger junger Leute, die daran glauben, dass eine andere Welt möglich ist.

Santa María Yaviche ist eine indigene Gemeinde. Sie gehört zum Distrikt Villa Alta und liegt in einer abgelegenen Region des Gebirges Sierra Norte in Oaxaca und wird auch so genannt: „El Rincón“, was zu Deutsch etwa „Winkel“, „Ecke“ oder „stilles Plätzchen“ bedeutet. Alle Einwohner*innen sprechen untereinander Zapotekisch, das Erbe einer der bedeutendsten einheimischen Nationen, die heute in Mittelamerika bekannt sind: der Zapoteken. Von Santa María Yaviche aus verbreitet Radio Aire Zapoteco – eine Station mit geringer Reichweite – seine Signale.

Der Ingenieur und Koordinator des Radios, Osvaldo Martínez, erklärt: „Der Name ,Radio Bë’ë Xidza’ ist zapotekisch. ‘bë’ë’ bedeutet ,Luft’ oder auch ,Wind’ und Xidza heißt ,muttersprachlich’ oder ,einheimisch’. Daher heißt ‘bë’ë xidza’ ,Aire Zapoteco’. Wir haben dem Projekt diesen Namen gegeben, weil Radiowellen sich durch die Luft verbreiten, und wir möchten, dass in der Luft der Klang dessen zu hören ist, was uns als Zapoteken ausmacht. Wir wollen uns „On Air“ als Zapoteken bewegen: mit unserer Kultur, unseren Legenden und unserer Art und Weise, die Dinge zu sehen und das Leben zu leben.“

Muttersprache ist Zapotekisch

Die „Radialistas“ aus Yaviche sind überzeugt davon, dass die Sprache für ihre Gemeinde von großer Bedeutung ist, weshalb sie im Radio ein ausgezeichnetes Mittel sehen, um die eigene Sprache zu stärken, denn indigene Sprachen werden immer weniger gesprochen: „Unsere Sprache ist das Zapotekische aus der Region ,Rincón’. Alle im ,Rincón’ sprechen zapotekisch, aber leider denken viele Leute, wenn ihre Kinder nur zapotekisch sprechen, dann könnten sie nichts werden. Aber wenn wir Zapotekisch reden, sagen die Leute: ,Wie? Ihr sprecht zapotekisch?’ und sie beginnen, nachzudenken… Wir versuchen den Menschen zu sagen, und zwar auf Zapotekisch, dass unsere Sprache wertvoll ist. Es gibt viele Worte, die verloren gehen und deshalb wollen wir dazu beitragen, dass diese Begriffe wieder benutzt werden. Die Sprache ist Teil unseres Lebens und muss gestärkt werden. Man muss dafür sorgen, dass Menschen die Sprache sprechen und sich nicht für sie schämen.“

Etwa ein Viertel des Programms von Radio Aire Zapoteco wird in der Muttersprache gesendet, doch Ziel ist es, alle Sendungen in Zapotekisch auszustrahlen, weil es viele ältere Leute gibt, die kein Spanisch verstehen.

Für komplizierte Themen fehlt die Sprachpraxis

Die Radiomacher*innen müssen zugeben, dass es so manches Mal ziemlich kompliziert ist, im Radio ein Thema in der indigenen Muttersprache abzuhandeln oder einen Gedankengang in Zapotekisch darzulegen. Gerardo López, einer der Moderatoren von Radio Aire Zapoteco sagt dazu: „Im Radio benutze ich das Zapotekische nur selten, denn es gibt einige Dinge, dich ich in dieser Sprache nur sehr schwer beschreiben kann, und wenn ich über ein Thema spreche und nicht sicher bin, ob ich das in Zapotekisch vermitteln kann, dann lasse ich es lieber, um niemanden zu verwirren.“

Martínez arbeitet als Lehrer in einer Bildungseinrichtung der Oberstufe der Gemeinde San Juan Tabaá und arbeitete beim „Radio Maíz“ (Radio Mais), einem anderen Community-Radio mit, das seit 2004 in der Region von „Bene Xhon“ auf Sendung ist. Er sagt, der Wunsch nach einem Lokalradio für die Mikroregion „El Rincón“ habe schon seit vielen Jahren bestanden. Obwohl es gelungen sei, das Radio in San Juan Tabaá zu gründen, sei ein Radio für „El Rincón“ notwendig gewesen, denn die Lebensbedingungen seien dort anders als in den anderen Regionen der Sierra Juárez.

Geschichten, Sketche und Rätsel im Kinderprogramm

Der Sender Radio Aire Zapoteco ging am 12. Dezember 2009 auf Sendung und sendet seither jeden Samstag und Sonntag von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends auf der Frequenz 106,1 FM. Den ganzen Tag über gehen Musik verschiedener Stilrichtungen und unterschiedlichste Informationen für die Bevölkerung über den Äther. Das Arbeitsteam besteht aus Osvaldo, Gladis, Gerardo, Luz María und Soledad, die das Radio auch als Möglichkeit ansehen, ihr Wissen zu erweitern, denn bei der Radioarbeit gibt es viel Neues zu lernen. Es gibt auch ein Kinderprogramm, das von Joaquín und Rolando Yescas bestritten wird, zwei Brüdern, die in ihrer Sendung unter anderem Geschichten, Sketche und Rätsel vortragen.

Die Ausstattung des Radiosenders ist spartanisch: eine Antenne, ein Sender mit einer Leistung von 300 Watt und ein geliehener Computer. Auch das Haus, aus dem gesendet wird, wird den Radiomacher*innen kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Unkosten für Strom teilen sich diejenigen, die Radio Aire Zapoteco betreiben, und das Mischpult haben die Radialistas aus eigener Tasche finanziert.

„Weiter so!“

Die Radiomacher*innen erhalten keinerlei finanzielle Unterstützung, doch sie sind getrieben von dem Wunsch, zum Wohl ihrer Gemeinde und des Volkes der Zapoteken beizutragen. „Wir erhalten keinerlei Lohn, aber das Wichtige ist doch auch, dass die Leute sich freuen über das, was wir tun. Manchmal gehen wir auf die Straße und Leute gehen auf uns zu und sagen ‚Toll, was ihr da macht! Weiter so!’. Solche Erlebnisse ermutigen und bestärken uns, mit dem Radio weiter zu machen… Ich denke, dass wir jungen Leute etwas für unsere Gemeinden tun müssen und nicht darauf warten sollten, dass Andere irgendetwas machen. Wir sollten die Initiative ergreifen und uns bei vielen Dingen einbringen, mit dem Ziel, etwas für unsere Leute zu tun“, erzählt Gladis Martínez.

Sie ist Studentin an einer Universität und in ihren Sendungen bei Radio Aire Zapoteco geht es meist um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Ihre Programme sind zweisprachig und behandeln Gender-Themen und Fragen des zwischenmenschlichen respektvollen Umgangs miteinander. Außerdem kümmert sich Gladis auch um die Vernetzung des Radioprojekts mit anderen Gruppen, um Unterstützung für das Basisradio aus Santa María Yaviche zu erhalten.

Vernetzung und Austausch mit anderen Projekten

Das Radiokollektiv folgt beim Radiomachen den Empfehlungen des „Manual urgente para radialistas apasionadas y apasionados“ (Kurzanleitung für Radiobegeisterte) und hält ständigen Kontakt zu den Macher*innen des Internetportals Radialistas Apasionadas y Apasionados. Erste Kontakte für eine Zusammenarbeit wurden beispielsweise bereits mit dem Weltverband der Community-Radios AMARC, mit Radio UNAM, dem Sender der Autonomen Universität in Mexiko-Stadt, und Radio Educación geknüpft. Radio Aire Zapoteco sucht nationale und internationale Kontakte zu anderen Medieninitiativen und Gruppen, um sich in andere unabhängige Netzwerke einzubringen und auch, um mehr Informationsquellen zu haben.

Noch ist der Antrag auf eine offizielle Sendeerlaubnis nicht bewilligt. Doch obwohl das Radio gegenwärtig ohne Genehmigung operiert, genießt es die Unterstützung der Bevölkerung. Dies ist der beste Schutz gegen mögliche Angriffe auf das Radio von Seiten der mexikanischen Behörden, die ein Interesse daran haben, Stimmen, welche für die Entwicklung der Gemeinden eintreten, zum Schweigen zu bringen. Zum anderen stärken nationale wie internationale Gesetze über die Rechte der indigenen Bevölkerung dem Radio juristisch den Rücken. Beispielsweise begründet sich die Ausgestaltung der Community-Radios auf den Artikel 16 der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker, die am 13. September 2007 verabschiedet worden ist.

Recht auf eigene Kommunikationsmedien für indigene Völker

Auch in Artikel 2 der mexikanischen Verfassung wird in Absatz 6 den indigenen Völkern das Recht eingeräumt, Medien in ihrer eigenen Sprache zu unterhalten. Die politische Verfassung des Bundesstaates Oaxaca erkennt in Artikel 16 die multiethnische Zusammensetzung der Bevölkerung an. Explizit heißt es im Artikel 26 des Gesetzes über die Rechte der indigenen Völker und Gemeinden, dass den indigenen Völkern, die über den ganzen Bundesstaat Oaxaca verteilt leben, die Erlaubnis erteilt wird, eigene Kommunikationsmedien in ihrer eigenen Sprache zu unterhalten.

Leider sind diese Rechte in den letzten Jahrzehnten von schlechten Regierungen mit den Füßen getreten worden. Denn die Regierenden versuchen um jeden Preis, Gewinnmaximierung durch Großkapital bei Naturressourcen zu erreichen, die indigenen Völkern in diesen Gebieten gehören. Zu diesem Zweck werden die Verfassungen zu Grabe getragen mit dem Ziel, die Bevölkerung zu kontrollieren, indem man sie in Unwissenheit belässt.

(Orginalartikel erschienen in: Desinformemonos Nr. 17, März 2011)

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