Poonal Nr. 514

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 19. März 2002

Inhalt


MEXIKO

URUGUAY

BRASILIEN

ARGENTINIEN

PERU

GUATEMALA

Breite Unterstützung für Freies Radio in Sololá

ECUADOR


MEXIKO

Science Fiction im Parque Fundidora

Anfang der Woche begannen auf den Straßen Monterreys die Aktionen gegen die UNO-Entwicklungskonferenz. Sozialforum erntet heftige Kritik. Von Wolf-Dieter Vogel

(Monterrey, 18. März 2002, poonal).- Alejandro Villamar setzt auf guten Willen. „Damit wir glauben können, dass sie ernsthaft den Wechsel wollen,“ so erklärte der Sprecher des Organisationskommitees des Mexikanischen Sozialforums, „sollen die Finanzinstitute ihren Worten Taten folgen lassen.“ Ohne jegliche Bedingung zu stellen, sollten Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank „dem argentinischen Volk helfen, aus einer Krise herauszukommen, die sie produziert haben.“

Auch dieser Appell aus den Zelten des „Sozialforums für die Finanzierung einer gerechten und nachhaltigen Entwicklung“ im Parque Fundidora von Monterrey sollte im Handelszentrum „Cintermex“ vorgetragen werden. Dort, wo seit Beginn dieser Woche (18. 3.) die UNO-Konferenz für die „Finanzierung der Entwicklung“ stattfindet. Während das Sozialforum am Samstag zuvor mit einer Abschlusserklärung zu Ende ging, haben zahlreiche Organisationen Aktionen zeitgleich zum UNO-Entwicklungsgipfel angekündigt. Zehntausend nahmen allein am Montag an einer ersten Demonstration teil. An den Organisatoren und Organisatorinen des „Foro Social“ kam indes heftige Kritik auf.

Drei Tage lang, vom 14. bis zum 16. März, diskutierten rund 700 Vertreter und Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen (NGO) über die Zukunft der internationalen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Abschliessend forderten die Globalisierungskritiker und -kritikerinnen eine Streichung der Auslandschulden. Zudem müssten IWF, Weltbank sowie WTO demokratisiert werden. Alle Staaten müssten gleichberechtigt in Abstimmungsprozessen beteiligt werden, ebenso müssten die Organisationen der Zivilgesellschaft einbezogen werden. Die drei Institutionen sollten sich künftig vor der UN- Menschenrechtskommission verantworten.

Im Vordergrund stand jedoch der „Konsens von Monterrey“, den die über 50 Staats- und Regierungschefs, rund 300 Minister, Wirtschaftsvertreter sowie Delegierte des IWF, der Weltbank, der Welthandelsorganisation (WTO) und von Nichtregierungsorganisationen auf dem UNO-Entwicklungsgipfel ohne weitere Diskussionen verabschieden werden. Obwohl das Sozialforum zum Teil von der UNO finanziert wurde, distanzierte man sich von diesem vermeintlichen Konsens.

Zahlreiche Berichte auf dem Forum hätten bestätigt, dass ein grundsätzlicher Wandel der Wirtschaftspolitik nötig sei, heißt es in der Abschlusserklärung des Forums, eine Art alternativer „Konsens von Monterrey“. „Eine Ökonomie, in der Menschenrechte und Umweltschutz das Sagen haben, ist dringend nötig.“ Die Wirtschaft müsse der Gesellschaft dienen und das menschliche Potenzial stärken.

Weil dies nicht im „Konsens von Monterrey“ so formuliert sei, betrachteten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Sozialforums nicht als Teil dieses Konsenses. „Wir bestätigen nicht den Weiterbestand eines ökonomischen Modells, wie es von der Weltbank, dem IWF und der WTO vorgeschrieben wird,“ heisst es in der Erklärung. Diese Botschaft sei den Repräsentanten der Organisationen auf dem Sozialforum direkt mitgeteilt worden.

Die Übermittlung dürfte kaum ein Problem gewesen sein. Schliesslich hatten auch Vertreter von IWF und Weltbank am Sozialforum als Podiumsdiskutanten teilgenommen, was immer wieder für Aufregung sorgte. Ein Aktivist aus El Salvador erklärte die beiden angesichts ihrer Vorschläge zur Veränderung der weltweiten Situation kurzerhand zu „Spezialisten im Bereich des Science Fiction“. „Science Fiction oder nicht,“ reagierte IWF-Sprecher Loungani Prakash, „klar ist, dass sich die Ökonomie in der Wirklichkeit behaupten muss“.

Auch Laura Frade vom Organisationskommitee hatte vorher schon die Grenzen der Diskussion abgesteckt. Man habe nicht das Interesse, das herrschende ökonomische Modell zu bekämpfen, sondern „bei den multilateralen Institutionen demokratische Mechanismen zu etablieren“, informierte sie bereits vor Beginn des Forums. Entsprechend energisch legte die Mexikanerin auf der Eröffnungsveranstaltung nahe: „Seien wir uns darüber bewusst, dass wir immer die Avantgarde der Regierungen und Institutionen waren.“

Ja, man sei sich in vielen Punkten einig, bestätigte IWF-Vertreter Prakash vom Podium herab. Viele Probleme gebe es zu lösen, erklärte sein von der Weltbank abgestellter Kollege Amar Bhattacharya, „aber deshalb sind wir mit euch hier in diesem Zelt. Wir haben während unserer 30jährigen Existenz gelernt, zuzuhören.“ Die Weltbank, versicherte Bhattacharya, stehe „entschlossen zu diesem Dialog“.

Kritik gegen die Organisatoren und Organisatorinnen des Sozialforums hagelte es aber nicht wegen der Teilnahme von IWF- und Weltbankvertretern. Sämtliche Gruppen aus Monterrey, zum Beispiel bedeutsame Organisationen wie El Barzón und das Komitee für Menschenrechte sprangen unmittelbar zu Beginn des Foro Social ab. Der Grund: Kurzfristig wurden wichtige Redner wieder ausgeladen, und zudem wollte man sich nicht damit abfinden, dass pro Person zehn Dollar Eintritt verlangt worden waren. Schliesslich sei das Treffen mit 167 000 Dollar von der mexikanischen Regierung und 547 000 Dollar von der UNO gesponsert worden. Zudem hätten bedeutsame Organisationen wie die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung und die us-amerikanischen Ford-Foundation das Sozialforum unterstützt.

Vor allem aber fehlten die Vertreter und Vertreterinnen der bedeutsamsten sozialen Bewegungen. So waren weder die indigenen noch die Bauernorganisationen vertreten, keine Indigenas aus den aufständigen Regionen Ecuadors, keine Delegierten der brasilianischen Landlosenbewegung. Man habe offenbar, so war als Kritik im Parque Fundidora immer wieder zu hören, nur die chemisch reinen NGO geladen. Eine Repräsentation der Gesellschaft sehe jedenfalls anders aus. Ohnehin waren wesentlich weniger gekommen, als erwartet. Von den rund 3000 angekündigten Teilnehmern und Teilnehmerinnen reisten nur etwa die Hälfte an.

Mit einer wesentlich größeren Beteiligung rechnet man in diesen Tagen bei Protestaktionen auf den Straßen Monterreys. Am 18. März demonstrierten rund 10 000 Menschen gegen die UNO-Entwicklungskonferenz und die Privatisierung der Strom- und Erdölindustrie. Die Demonstration steht gleichzeitig im Zusammenhang mit der mexikanischen Kampagne gegen die geplante gesamtamerikanische Freihandelszone FTAA, bzw ALCA (Acuerdo de Libre Comercio de las Américas). Am 19. März sollten vor dem alten Theater Maria Theresa Montoyo Treffen und Debatten über „die Globalisierung des Widerstands“ stattfinden. Für den 21. März ist eine weitere zentrale Demonstration vorgesehen.

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URUGUAY

Dokumentation der Erklärung der Initiative: „¡Simón Sí!“ Simón Riquelo gefunden

(Simón Mendez ist der leibliche Sohn von Sarah Mendez. Er wurde seiner Mutter im Babyalter geraubt, als diese in einem argentinischen Folterzentrum gefangen gehalten wurde)

(Montevideo, 12. März 2002, comcosur-poonal)- Weder die Beamten José Gavazzo und Manuel Cordero, noch der Militär Jorge Silveira haben gegenüber der Friedenskommission geäußert, was sie mit Simón Riquelo gemacht hatten. Sie behüteten dieses Geheimnis, so wie sie es seit 26 Jahren behüteten. Und sie hätten es bis zu ihrem Tod nicht preisgegeben, wenn nicht der unermüdliche rebellische beispielhafte Kampf von Sara Méndez so viele Menschen mitgerissen hätte, die Himmel und Erde in Bewegung setzten, um eine Spur zu finden, die der Ungerechtigkeit und dem Leiden ein Ende setzen sollte.

So wurden die Schritte des Senators Rafael Michelini möglich, die zur Aufdeckung einer sadistischen Verschwörung des Schweigens geführt haben. Trotz Unfähigkeit und Untätigkeit der Behörden sowie den Steinen, die in den Weg geworfen wurden, hat sich die Wahrheit ihren Weg gebahnt. Jetzt wissen wir, dass Simón in Buenos Aires lebt, wo er 1976 als legitimer Sohn eines argentinischen Militärs registriert wurde.

In diesem Fall konnte sich Präsident Jorge Batlle nicht mit den Lorbeeren schmücken, wie er es sich anmaßte, als Juan Gelman seine Enkelin ohne die Hilfe irgendeiner Regierung wiederfand. Mehr noch, der Gründer der Friedenskommission hat nie auch nur die geringsten Äußerungen zu den Tausenden von Unterschriften und E-Mails von sich gegeben. In diesen wurde gefordert, Batlle solle den ihm unterstellten Militärs befehlen, die Umstände des Verschwindens des Sohnes von Sara Méndez offenzulegen. Kein Wort, zu keiner Zeit.

Es war, als ob die Kampagne der Initiative „Simón Sí“ nie existiert hätte, als ob die Trommeln, die zum 25. Geburtstag Simóns geschlagen wurden, im Leeren verhallt wären, als ob nicht seine Pateneltern aus dem Europäischen Parlament und viele Freunde in der ganzen Welt dieselbe Forderung gestellt hätten, um Simón und Sara aus diesem „ewigen Verschwundensein“ zu befreien, das ihnen auferlegt wurde. Batlle hat die Möglichkeit verspielt, vor der Geschichte als der Präsident da zu stehen, der Simón gefunden hat. Er wird als einer mehr gelten, der wollte, dass Simón unentdeckt bliebe.

Im Fall der Enkelin von Gelman hat sich Batlle ins gemachte Nest gesetzt, und da ihm nichts anderes übrig blieb als die vollendete Tatsachen anzuerkennen, entschied er sich damals, so zu tun, als ob er auch zu dem Solidaritätsnetz gehöre, das den argentinischen Dichter Gelman bis zu einem Haus in Montevideo geführt hat. Zweifelsohne wurde die Enkelin von Juan Gelman ohne jegliche staatliche Unterstützung gefunden, so wie auch im Fall von Simón keine Zusammenarbeit von offizieller Seite stattfand.

Im Gegenteil, es gab Behinderungen seitens der Behörden, die den Fall für abgeschlossen erklärten. Nun beginnt eine neue Geschichte. Glücklicherweise hat Simón eine positive Einstellung zu seiner neuen Identität, was eine Familienzusammenführung erleichtern wird. Sicher, es wird nicht einfach sein. 26 Jahre sind vergangen seit dem Tag, als die Bande von Anibal Gordon und José Gavazzo ihn raubte. Es wird nie dasselbe sein, Simón hat nicht nur einen anderen Namen, sondern auch eine andere Geschichte, sehr verschieden zu der, die ihn sonst erwartet hätte. Das wichtige ist, dass es Simón gibt, trotz allem was seine Entführer und ihre Komplizen getan haben, um ihn seiner Identität zu berauben. Einen kurzen Augenblick können wir uns ausruhen und feiern, jetzt können wir weinen, aber aus Freude. Ein lebendiger Nachgeschmack der Vergangenheit macht sich in unseren Mündern breit und wir müssen sie aufreissen und schreien: Ein Hoch denen, die kämpfen! Ein Kuss der Hoffnung für Dich, Sara und für Dich, Simón…

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BRASILIEN

Turbulenzen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen

(Rio de Janeiro, 5. März 2002, oficina de informaçoes-poonal).- Die heisseste Zeit des Wahlkampfes für die im September stattfindenden Präsidentschaftswahlen steht noch bevor. Dennoch sind die Rangeleien vor und hinter den Kulissen schon in vollem Gange. Die Koalition, die seit den Präsidentschaftswahlen von 1994 regiert, ist auseinandergebrochen. Sie bestand aus der sozialdemokratischen PSDB, der liberalen PFL und der konservativen PMDB und machte vier Fünftel der Abgeordneten aus, hatte also praktisch alleinige Gewalt über Gesetzesänderungen und konnte ungehindert Anpassungen an das weltweit auf dem Vormarsch befindliche neoliberale Modell durchsetzen.

Hintergrund des Koalitionsbruchs sind drei Ereignisse, durch die der Parteienstreit von Neuem entflammte. Die Entscheidung des Obersten Wahlgerichts zur Aufrechterhaltung der Koalitionen, nach der die Parteienbündnisse bei Wahlen der Bundesstaaten nun dieselben Bündnisse sein müssen, wie bei der Präsidentschaftswahl, bringt die kleineren Parteien in große Schwierigkeiten. Zweitens gab es Irritationen durch eine Aktion der Polizei, die das Büro von Jorge Murad, dem Ehemann der Präsidentschaftskandidatin Roseana Sarney nach möglichen Beweisen für die Unterschlagung öffentlicher Gelder durchsuchte.

Sarney vermutete hinter dieser Aktion eine „Inszenierung“ der sozialdemokratischen PSDB, um die Position ihres Präsidentschaftskandidaten José Serra zu stärken. Zudem leistete eine außerordentliche Übereinkunft der konservativen PMDB deren eigenen Dissidenten Vorschub, die mit mehr als 50 Prozent der Stimmen die Regierungsmehrheit erschütterten und somit für die Vorwahlen einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellen können.

Durch den Koalitionsbruch der Regierungsparteien verbleiben den Konservativen nur noch zwei KandidatInnen: Roseana Sarney und José Serra. Entgegen seinen eigenen Aussagen war Serra ein treuer Anhänger des Regierungsblocks. Er muss sich nun für ein Lager entscheiden, denn ihm wird vorgeworfen, sich alle Möglichkeiten warm zu halten.

Seit zwei Jahren wird an einer Taktik gebastelt, um Serra für die Präsidentschaftswahl den Weg freizumachen. Damals änderte sich die Konjunktur und der Zauber der von ausländischem Kapital abhängigen Wirtschaft verblasste. Die PDB nähert sich seitdem der PMDB, um die umstrittene Figur Jader Barbalho zum Präsidenten des Nationalkongresses zu wählen. Serra strengt sich an, ein besserer Nationalist als der derzeitige Präsident Fernando Henrique Cardoso zu sein. Er war der Mann, der sich mit seiner Gesundheitspolitik den Pharmamultis entgegenstellte. Er war es, der sich den vom IWF diktierten Kriterien widersetzte, nach denen die öffentlichen Ausgaben als Haushaltsdefizit zu verbuchen sind.

Die Entscheidung des obersten Wahlgerichts hilft Serra in seinem Bestreben, an die Spitze zu kommen, denn dadurch wird die sich liberal nennende PFL nach rechts gedrängt, die Chancen für Roseana Sarney verringern sich, und Serras Handlungsradius umfasst nun auch Mitte bis Mitte-Links.

Zu seiner Linken hat Serra vier politische Blöcke: die Arbeiterpartei PT, die Sozialistische Partei Brasiliens PSB, das Linksparteienbündnis PPS-PDT- PTB und die Abweichler der Regierungspartei PMDB. Wie es aussieht, werden sie nun alle große Schwierigkeiten haben, in den Bundesstaaten Koalitionen zu bilden. Diese aber sind notwendig, um ihr Hauptziel zu erreichen: Bundesabgeordnete zu stellen. Außerhalb der Zentren ihrer Anhängerschaft ist es für sie schwierig, die erforderliche Mindeststimmenzahl zu erreichen. Die wiederum ist die Voraussetzung für einen Parlamentssitz und liegt so gut wie immer höher als die Stimmenzahl, die der oder die Listenerste einer kleinen Partei überhaupt erreichen kann.

Aus diesem Grund sind die kleinen Parteien PT, PSB, PDT, PCdoB und die Dissidenten der PMDB, die in den Bundesstaaten schwach sind, gezwungen, Koalitionen zu bilden, um ihre Sitze im Parlament nicht zu verlieren. Durch das Urteil des Obersten Wahlgerichtes droht dies nun noch zusätzlich erschwert zu werden, weshalb auch bereits verschiedene Stellen gegen dessen Entscheidung geklagt haben.

Eine weitere Schwierigkeit für die Kandidaten von Mitte-Links bedeutet es, gegen die Aufstellung von Cardosos Wunschkandidaten Serra anzukommen. Aufgrund geschickter Schachzüge als Gesundheitsminister unter Cardoso, erscheint er heute eher als Held im Kampf gegen die Pharmamultis, denn als ein Minister, der nicht eben viel zustande brachte, beispielsweise als es galt, gegen die Infektionskrankheiten vorzugehen, die in ganz Brasilien grassierten.

Die nochmalige Kandidatur von Luis Inácio „Lula“ da Silva, der sich immer noch größter Beliebtheit bei der Linken erfreut, findet mangels einer entschiedenen Politik zur Mobilisierung der verarmten Arbeitermassen nicht die gewünschte Resonanz. Könnte Lula einen klaren Weg zu einem wirklichen Wandel in Brasilien aufzeigen, wäre es ihm sicherlich möglich, seinen Einfluss zur politischen Mitte hin auszuweiten, wo das Gros der Arbeiter der konservativen Propaganda erliegt.

Lula ging indessen genau in die andere Richtung: Er wurde immer mehr zum Kandidaten des Bürgerrechtsinstituts, einer Nichtregierungsorganisation, der er vorsteht und die immer stärker versucht, sich von linken Positionen abzugrenzen. Das mag der Grund dafür sein, dass er inzwischen weniger der Kandidat der Linken ist, sondern nur mehr potentielle Mitte- oder Mitte- Links-Wähler anzusprechen vermag. Und um die buhlen schon eine ganze Reihe weiterer Kandidaten, unter ihnen selbst Serra.

Das Wahlpanorama hat sich also deutlich gewandelt. Der Regierungsblock, der sich schon seit langem in sich selbst verstrickt hatte, ist auseinandergebrochen. Der Bruch kann aber nicht zur Erstarkung der Linken dienen. Ihr fehlt die Einheit und sie ist nicht in der Lage, die Schwächung der zerstrittenen Gegner für sich zu nutzen. Nicht einmal zum Widerstand gegen den vom Regierungspalast gepushten Lieblingskandidaten ist sie fähig.

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ARGENTINIEN

Nachbarschaftsversammlungen gefragt und bedroht

Von Violeta Burkart Noe

(Buenos Aires, 6. März 2002, recosur-poonal).- Der Präsidentensprecher José María Díaz Bancalari schlug eine Einbeziehung der Nachbarschaftsversammlungen in die neue politische Struktur des Landes vor. Gleichzeitig beklagten verschiedene dieser Stadtteilversammlungen, dass Druck auf sie ausgeübt werde, damit sie ihre wöchentlichen Treffen und Aktionen einstellen. In dieser Woche will die Regierung unter Eduardo Duhalde ein Abkommen mit den Provinzgouverneuren über die versprochene „Reform des politischen Systems“ unterschreiben.

Der Abgeordnete Díaz Bancalari sprach davon, die Stadtteilversammlungen und die Organisationen der Streikenden und Strassenbesetzer ins System zu integrieren. Gleichzeitig kam es jedoch zu Drohungen und Einschüchterungsversuchen von Seiten desselben politischen Apparats, der zur Zeit vorgibt, sie integrieren zu wollen.

Ein Woche zuvor hatten sich verschiedene Nachbarschaftsversammlungen aus dem Süden von Buenos Aires zusammengefunden, um sich Strassenbesetzerorganisationen anzuschließen, die gerade eine Strasse bei einer Chemieanlage blockierten.

Peronistische „Nachbarn“ und Anhänger*innen des Bürgermeisters von Avellaneda reagierten darauf mit einer „Gegenblockade“, um den Demonstrationszug am Weitergehen zu hindern. Sie warfen den Strassenbesetzer*innen vor, „die öffentliche Ordnung zu stören und Diebstähle zu begehen.“ Die Versammlung löste sich kurze Zeit später wieder auf, um einem drohenden repressiven Einsatz anrückender Polizeieinheiten zu entgehen.

Im Stadtteil Valentín Alsina musste die wöchentliche Versammlung abgebrochen werden, nachdem sie angegriffen worden war und im Stadtteil Lanus bemerkten die Anwohner*innen die Anwesenheit unbekannter Personen, die offensichtlich die Aufgabe hatten, die Anwesenden zu zählen.

Sergio aus dem Stadtteil Palermo sagte gegenüber dem Radiosender FM La Tribu, dass sie während einer Versammlung ein verdächtiges Fahrzeug ohne Kennzeichen an der nächsten Ecke hätten parken sehen. „Einige von uns näherten sich dem Wagen und bemerkten, dass drinnen zwei Polizisten aus dem nächsten Revier saßen. Diese sagten, dass sie Anweisung hätten, auf die Versammlung aufzupassen. Uns ist bis heute nicht ganz klar, ob sie vom Kommissariat geschickt worden sind oder ob es einen Befehl von weiter oben gibt, die Nachbarschaftsversammlungen zu überwachen. Wir brauchen jedenfalls niemanden, der auf uns aufpasst.“

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PERU

Wenn die Toten sprechen Expertenteam entdeckt die Wahrheit über die Verschwundenen

Von Barbara J. Fraser

(Lima, 5.März, na-poonal).- Haiti, Kongo, Guatemala, Ruanda, Kosovo. José Pablo Baraybar ist in der ganzen Welt herum gekommen und hat versucht, die Toten zum Erzählen ihrer Geschichten zu bewegen. Jetzt ist er in sein eigenes Land zurück gekehrt, um zwischen den sterblichen Resten der Verschwundenen die Geheimnisse ihre Tode auszugraben. „Das Wichtigste ist, zu wissen, wie man mit dem Tod spricht, damit er dir etwas erzählt“, sagt Baraybar.

In Peru hat die Aufgabe gerade erst begonnen. Die im vergangenen Juli ins Leben gerufene Wahrheits- und Versöhnungskommission sammelt Zeugenaussagen über die staatlichen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit polizeilicher und militärischer Gewalt. Es handelt sich im Wesentlichen um den Zeitraum von 1980 bis 1992, der durch das Auftreten der Rebellen des Sendero Luminoso bestimmt wurde. 1980 steckten Mitglieder der Organisationen Wahlurnen in Chuschi, einer Stadt in der Andenprovinz Ayacucho, in Brand und markierten damit den Beginn ihrer öffentlichen Aktionen. 1992 wurde die Mehrheit der Rebellenführer gefangen genommen.

Die staatliche Anwort war die Unterdrückung. Die Menschenrechtsbehörde Perus gibt die Fälle der Verschwundenen oder außergerichtlich Hingerichteten mit mehr als 5.500 an. Die tatsächliche Zahl ist unbekannt. Bei der Menschenrechtsinstitution sind Informationen über 150 geheime Massengräber eingegangen. Und in einer entlegenen Gegend von Ayacucho – der Provinz, in der die Praxis des Verschwindenlassens allein die Hälfte der registrierten Opfer forderte – gibt es noch nicht bestätigte Aussagen über 250 Massengräbern.

Der erste Fall, den das von Baraybar angeführte Team peruanischer Gerichtsanthropologen handhabte, war der der Campesinos, die im Mai 1983 nahe Chuschi verhaftet, hingerichtet und verscharrt wurden. Nachdem die Mitarbeiter von der Bevölkerung in Quispillacta, wo die Bauern gelebt hatten, detaillierte Beschreibungen über die Vorkommnisse und die Opfer bekamen, nahm das Team mit großer Sorgfalt die Ausgrabung der Skelette vor und brachte sie in die örtliche Schule, die vorübergehend zur Leichenhalle umfunktioniert wurde.

„Es ist sehr wichtig, dass die Leute nicht mitansehen müssen, wie die sterblichen Überreste woanders hin, nach Lima oder in die Provinzhauptstadt gebracht werden“, erklärt Baraybar. Mehrere Massengräber, die im vergangenen Jahr in anderen Landesteilen gefunden wurden, seien von Mitgliedern der Gemeinden oder Justizangestellten ausgehoben worden, die überhaupt keine fachliche Ausbildung dafür gehabt hätten. Die Knochen wurden nach Lima geschickt, wo es sich als unmöglich erwies, die Skelette zu rekonstruieren, die Opfer zu identifizieren oder irgendwelche Schlüsse über die Todesursache zu ziehen, berichtet der Anthropologe. Baraybar versichert: „Die Knochen verrotten in Lima. Es ist ein zweites Verschwindenlassen.“

Zusammen mit ihrem detaillierten Bericht über das Verschwindenlassen hat die Menschenrechtsbehörde ein Buch mit den schmerzhaften Aussagen der Familienangehörigen der Opfer veröffentlicht. Darin erzählen sie über die vergebliche Suche ihrer Lieben, die Drohungen und Erpressungen von Seiten der Polizisten und der Militärs, die Diskriminierung und über die Qual, nie zu wissen, was wirklich geschah. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission, zu der auch die Gerichtsanthropologen gehören, arbeitet gegen die Uhr, um ihre Aufgabe bis zum Mandatsende im Februar 2003 abschließen zu können.

„In 18 Monaten kann die Kommission nicht alles untersuchen. Aber sie hat ein moralisches Gewicht, das den Staat dazu bringen kann, seine Verantwortung einzugestehen“, meint Baraybar. „Es stimmt nicht, dass das Team in Peru versucht, 100 Prozent der verschwundenen Körper aufzufinden und alle zu identifizieren. Es wäre unmöglich. Wir verstehen auch die Verzweiflung, die das für die Familienangehörigen bedeutet.“

Die meisten Fälle von Verschwindenlassen, fast 43 Prozent, geschahen in der Amtszeit von Präsident Alan García (1985-90), gefolgt von den Regierungen der Präsidenten Fernando Belaúnde (1980-85; gut 31 Prozent und 1990-2000; 26 Prozent). Nach Auskunft der Menschenrechtsbehörde war fast 60 Prozent der Opfer einfache Bauern. Außergerichtliche Hinrichtungen gab es vor allem unter dem Fujimori-Regime (46 Prozent), aber ebenso unter García (39 Prozent) und Belaúnde (15 Prozent).

Zu den ruchlosesten Verbrechen gehört das Gemetzel im Jahr 1986 an 300 Häftlingen in einem Gefängnis von Lima nach einem Häftlingsaufstand. Vor kurzem akzeptierte die peruanische Regierung, die Familienangehörigen von zwei Opfern, Nolberto Durand Ugarte und Gabriel Pablo Ugarte Rivero, mit 125.000 US-Dollar zu entschädigen. Im vergangenen Dezember verurteilte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof den peruanischen Staat, mehr als zwei Millionen Dollar an die Angehörigen von 15 Personen zu bezahlen. Sie waren von einer staatlichen Todesschwadron am 15. November 1991 ermordet worden, als sie an einer Versammlung in Limas Stadtdistrikt Barrios Altos teilnahmen.

Und die Eltern von Mariella Barreto erhielten im Dezember eine Zahlung von 157 000 Dollar. Barreto war eine Geheimdienstagentin, die von ihren eigenen Kollegen zu Tode gefoltert wurde, nachdem diese sie beschuldigten, Informationen über die Aktivitäten der Todesschwadronen an die Presse weiter geleitet zu haben. Leonor La Rosa, eine andere Geheimdienstagentin, die zusammen mit Barreto gefoltert wurde, kehrte inzwischen aus dem Exil zurück und nahm am 18. Februar die öffentliche Entschuldigung von Präsident Alejandro Toledo entgegen.

La Rosa sagt derzeit vor einer Parlamentskommission aus, die das Spionage- und Korruptionsnetz von Vladimiro Montesino, dem verhafteten Sicherheitsberater von Fujimori, untersucht. Dem Hinweis eines anonymen Zeugen folgend, fanden die Kommissionsmitglieder ein geheimes Krematorium im Hauptquartier des Heeres in Lima. Es wird ermittelt, ob dort Leichen verbrannt wurden.

Unterdessen gräbt das Team von Baraybar weiter in der Vergangenheit. Es half auch bei der Autopsie von 14 Mitgliedern der Revolutionären Bewegung Túpac Amaru (MRTA), die vier Monate lang 72 Geiseln in der Residenz des japanischen Botschafters in Lima festhielten. Die Behörden sagten damals, alle Rebellen seien umgekommen, als im April 1997 Militärkommandos die Botschaft stürmten und die Geiseln befreiten. Doch im letzten Jahr versicherte ein japanischer Diplomat, noch mehrere der Guerilleros nach dem Sturm lebend und gefangen gesehen zu haben. Obwohl der Bericht der Gerichtsmediziner in diesem Fall vertraulich war, sickerte eine Version an die Presse durch. Danach weisen die Anzeichen darauf hin, dass mindestens acht der Rebellen durch einen Genickschuss hingerichtet wurden.

Baraybar sieht sein Ziel nicht nur darin, die Überreste der Verschwundenen auszugraben. Er will mit seiner Arbeit die Verantwortlichen vor Gericht bringen, „um ihnen zu sagen: Ich bin jetzt damit beschäftigt, über jeden vernünftigen Zweifel hinaus zu beweisen, dass Sie dies getan haben. Und ich werde dieselben Personen, die sie zum Schweigen gebracht haben, zum Sprechen bringen“.

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GUATEMALA

Transvestit wurde ermordet

(Guatemala-Stadt, 27. Februar 2002, cerigua-Poonal).- Der Tod des brutal ermordeten Transvestiten Brenda Chantal wird von offizieller Seite als Sozialhygiene bezeichnet. Das machte der Präsident der „Organisation zur Förderung einer Sexualität gegen Aids“ (OASIS), Jorge Luis López, bekannt.

López zufolge hatte Chantal der lokalen Presse Interviews zu den Menschenrechtsverletzungen gegeben, die Transvestiten erleiden müssen. OASIS sieht darin die Ursache für die Ermordung, betont jedoch auch, dass es verschiedenen Versionen des Tathergangs gibt.

In Bezug auf die Risiken einer Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen und der Untätigkeit der Behörden bei Übergriffen sagte López, „dass die Regierung sich mitschuldig macht, da sie die Täter schützt, wenn solche Morde nicht weiter untersucht werden. Stattdessen wird von gewöhnlicher Kriminalität gesprochen und auf das allgemein aggressive Klima im Land verwiesen. Und es wird die Tatsache ignoriert, dass der Staat eigentlich die Bürger und Bürgerinnen schützen müsste.“

OASIS fordert von der Regierung, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden – auch im Falle von extralegalen Hinrichtungen. Von der Weltöffentlichkeit erwartet OASIS Druck auf die Regierung, damit diese sich auch dieser Art von Morden widmet und für Sicherheit für Homosexuelle, Transvestiten, Bisexuelle und Transsexuelle sorgt.

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Breite Unterstützung für Freies Radio in Sololá

Höhere Sozialausgaben

(5.März, na-poonal). – Obwohl die venezolanische Regierung gezwungen ist, das Haushaltsbudget wegen der gefallenen Einkünfte im Ölgeschäft um fast 22 Prozent zu senken, kündigte Präsident Hugo Chávez am 28. Februar an, dass man die Sozialausgaben um einige Milliarden erhöhen werde, um die ärmsten Bevölkerungsschichten des Landes zu unterstützen.

In einer Botschaft an die Nation informierte Chávez, dass er für den Bau von Unterkünften für 137.000 Familien 1,3 Milliarden US-Dollars zur Verfügung stellen werde. Rund 1,1 Milliarden US-Dollar würden locker gemacht, damit Banken Kredite zu niedrigen Zinsen für kleine und mittlere Unternehmen gewähren könnten.

Die Botschaft wurde inmitten wachsender Proteste gegen die Regierung von Chávez plaziert. Am 27. Februar nahmen Tausende von Gefolgsleuten der Regierung sowie Oppositionelle in getrennten Demonstrationen teil, um dem 30. Jahrestag der Proteste gegen die damalige Regierung des Präsidenten Carlos Andrés Pérez (1974-79/1989-93) zu gedenken. Die politische Repression forderte hunderte von Menschenleben.

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ECUADOR

Korruptionsskandal beim Militär

(5.März, na-poonal) – Das Ansehen der ecuadorianischen Streitkräfte erlitt einen schweren Schlag, weil vier Bedienstete der Korruption beschuldigt werden. Es handelt sich um einen Skandal, der letztlich den Rücktritt von drei Oberkommandierenden zur Folge hatte.

Am 4. Februar erklärte der Kommandant der Luftwaffe, Generalleutnant Osvaldo Dominguez, die der Korruption beschuldigten Bediensteten des Militärs seien in einen Versicherungsfall der Luftflotte der Streitkräfte verwickelt. Die vier beteiligten Militärs reisten im Januar 2001 nach London, um einen Vertrag über 23 Millionen US-Dollar mit der Health Lambert Group zu unterzeichnen. Mit der Vereinbarung sollten die Flugzeuge der Luftwaffe versichert werden.

Die Anschuldigungen wurden zum ersten Mal im November 2001 vom Marine Kapitän Rogelio Viteri erhoben, der Militärattache in London war, als der Vertrag unterzeichnet wurde. Nach Viteri wurde die Regierung um vier Millionen US-Dollar betrogen. Er gab weiter an, dass die Beschuldigten Geschenke von der Versicherungsfirma erhielten. Dazu gehörten zwei Wochen Urlaub in Europa für die Beschuldigten und ihre Ehefrauen. Nach der Veröffentlichung der Vorwürfe wurde Viteri von seinem diplomatischen Posten abgezogen.

Am 5. Februar dieses Jahres wiederholte Viteri die Vorwürfe vor der Generalstaatsanwaltschaft. Einige Tage danach ordneten seine militärischen Vorgesetzten fünf Tage Ordnungshaft wegen „Disziplinlosigkeit“ an. Es war der dritte Arrest von Viteri seit November. „Die Wahrheit kommt mit großer Kraft zu Tage und das ist das Wichtigste“, sagte Viteri.

Am 20. Februar verkündete der Verteidigungsminister Hugo Unda dann die Entlassung der Beschuldigten aus dem Militärdienst. „Der Führungswechsel wurde ausgeführt, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Streitkräfte wieder herzustellen“ sagte Unda.

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