Poonal Nr. 501

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischen Agenturen vom 9. November 2001

Inhalt


MEXIKO

HONDURAS

EL SALVADOR

TRINIDAD & TOBAGO

CHILE

URUGUAY

LATEINAMERIKA

LATEINAMERIKA/USA


MEXIKO

Menschenrechtspolitik der mexikanischen Regierung vor einem Scherbenhaufen

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 5. November 200, , npl-Poonal).- Es war ein Schweigen, das die mexikanische Regierung teuer zu stehen kam. Drei Tage brauchte das Präsidentenbüro, um offiziell Bedauern über die Ermordung der Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa am 19. Oktober in Mexiko-Stadt auszudrücken. Vielleicht hätte es noch länger gedauert, wenn nicht die US-Administration in Washington Stunden zuvor das Verbrechen beklagt hätte. Seitdem hagelt es Kritik an dem Verhalten einer Regierung, deren Präsident Vicente Fox das Thema Menschenrechte zu einem zentralen Punkt seines Wahlkampfes im vergangenen Jahr machte. Fox selber lässt kaum eine Gelegenheit aus, durch unüberlegte Äußerungen die Glaubwürdigkeit seiner Menschenrechtspolitik weiteren Belastungen auszusetzen. Anonyme Todesdrohungen gegen fünf bekannte Menschenrechtler des Landes und die bisher noch spekulative Befürchtung, Mitglieder staatlicher Sicherheitsorgane könnten in den Mord an Ochoa verwickelt sein, lassen die Überzeugung wachsen, es habe sich im Vergleich zu der zuvor 71 Jahre in Mexiko regierenden PRI nichts Grundlegendes verändert.

Die bei aller Skepsis anfänglich positiv aufgenommene, versprochene neue Menschenrechtspolitik der Regierung steht vor einem Scherbenhaufen. Ein Sprecher des Menschenrechtszentrums Augustin Pro, mit dem die Ermordete eng zusammen gearbeitet hatte, warf dem Präsidenten noch Ende vergangener Woche „völlige Unkenntnis“ bezüglich des Themas vor. Ebenso wiederholte er das „Misstrauen“ gegenüber der Bundesstaatsanwaltschaft (PGR). Ihr steht mit General Rafael Maceda de la Concha ein Militär vor, der als Armeestaatsanwalt mehrere Verfahren behinderte, die Menschenrechtsverteidiger gegen Armeeangehörige anstrengten. Darum haben sich die mit dem Tod bedrohten fünf Aktivisten auch noch nicht entschieden, ob sie den ihnen angebotenen Personenschutz der PGR annehmen werden. Der Bock könnte zum Gärtner gemacht werden, so ihre Angst.

Anstatt den Fall Ochoa zum Anlass für ein energisches Vorgehen zu nehmen, versuchen die staatlichen Institutionen, Verantwortung wegzuschieben. Obwohl alles auf einen politisch motivierten Mord an der seit Jahren bedrohten Digna Ochoa hindeutet, spricht Vicente Fox von einem „gewöhnlichen Verbrechen“. Einmal banalisierte er es sogar als „eines mehr, das in Mexiko-Stadt passiert“. Auf die mögliche Verwicklung von Sicherheitskräften reagiert er mit der Warnung vor „voreiligen Beschuldigungen“. Die Ermittlungen seien zudem Sache der Hauptstadtbehörden, nicht der Bundesinstitutionen. Die PGR schiebt aufgehobene Schutzmaßnahmen für die ermordete Anwältin der Vorgänger-Administration zu. Der Tonfall aus Regierungskreisen lässt wirkliche Betroffenheit bis heute vermissen. Dass die selbst aus der mexikanischen Menschenrechtsbewegung kommende und von Fox ernannte Sonderbotschafterin für Menschenrechte, Marie Claire Acosta, nicht als Regierungsgesandte, sondern als Privatperson an der Begräbnisfeier für Ochoa teilnahm, war nur das erste von vielen Beispielen dafür.

Unterdessen bekommen die einheimischen Organisationen bei ihrer Regierungskritik und ihren Rufen nach einem Ende der Straffreiheit in Mexiko zunehmend Unterstützung aus dem Ausland. Ein Leitartikel der New York Times wirft Präsident Fox „ängstliches“ Vorgehen vor. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten hat mehrere Dringlichkeitsappelle an die mexikanische Regierung gerichtet. Die wichtigsten Menschenrechtsorganisationen in den USA fordern in einem Brief ebenso die „schnellmöglichste Aufklärung“ des Verbrechens wie die Staaten der Europäischen Union in einem Statement vom 29. Oktober. Zu den Botschaftern, die sich persönlich über die Sichtweise des Zentrums Augustin Pro informierten, gehörte auch der deutsche Diplomat Wolf Ruthart-Born. In freundliche Umhüllung verpackt, wurde er dennoch recht deutlich. Der „gute Wille“ der Regierung müsse sich „in Taten umsetzen“, so der Botschafter.

Immer mehr rächt sich die Kluft zwischen den oft leicht dahin geworfenen Versprechen des mexikanischen Präsidenten und der harten Realität – längst nicht nur im Bereich der Menschenrechte. Das Zentrum Augustin Pro meint, der Präsident „regiert ein anderes Land, das nichts mit dem zu tun hat, in dem wir gewöhnliche Leute mit unseren gemeinsamen und alltäglichen Problemen leben“. Die mexikanische Bischofskonferenz nimmt das Verbrechen gegenüber Digna Ochoa zum Anlass für die Feststellung, dass sich „ein wirklich demokratisches Regime noch nicht konsolidiert hat“. Carlos Monsivais, einer der scharfzüngigsten Kultur- und Sozialkritiker seines Landes, sieht im Ausmaß der Empörung über den Mord die Chance, dass der Übergang zur Demokratie zwar nicht von der Regierung, aber von der zivilen Gesellschaft gestärkt werden kann. Doch er stellt ebenso den Status Quo fest: „Es werden nur diejenigen eingekerkert, die Digna Ochoa verteidigte, nicht ihre Mörder.“

 

HONDURAS

Terror gegen die Maras – Hinrichtungen von Jugendlichen bleiben straffrei

Von Erika Harzer

(Tegucigalpa, 29. Oktober 2001, Poonal).- „Vier Tote und drei Verletzte hinterlässt das ´Kommando Exterminator´“. Das steht nicht, wie vermutet werden könnte, in einem der vielen Drehbücher eines Action-Movies aus der Traumfabrik Hollywood. Es ist die Überschrift eines Artikels in der honduranischen Tageszeitung La Tribuna vom 2.10.2001. Sie titelt eine dieser in letzter Zeit immer häufiger gedruckten Meldungen oder Reportagen über Exekutionen an Jugendlichen. Die Urheber der Exekutionen scheinen unauffindbar, ihr Bewegungsradius grenzenlos.

Diese seit Monaten anhaltenden Negativschlagzeilen sorgen denn auch wieder dafür, internationale Aufmerksamkeit gegenüber den gesellschaftspolitischen Entwicklungen des sonst in absoluter Mittelmäßigkeit vor sich hindümpelnde Honduras zu schaffen.

Die letzte große internationale Öffentlichkeit und Anteilnahme erfuhr dieses mittelamerikanische Land Ende 1998, nachdem der Hurrikan MITCH einmal quer übers Land tobte und dabei Hunderte von Opfern mit sich riss und landesweit große Schäden hinterließ.

Einer humanitären Invasion gleich drängten sich in Folge zahllose Hilfsorganisationen ins Land um, nach der anfänglichen Soforthilfe, die notwendigen Wiederaufbaumaßnahmen zu unterstützen. Dabei war die Maßgabe vielfach und vielerorts weniger die Integration der Betroffenen in die Wiederaufbauprozesse, als vielmehr die Ausgabekriterien der Geberorganisationen sowohl zeitlich als auch quantitativ zu erfüllen.

Zeitgleich mit der Abwicklung der Hilfsprojekte füllten die honduranischen Strassen flotte Allradantrieb-Autos mit Kennzeichen der internationalen Missionen. Auch BMW und Daimler Produkte zeigten wenige Monate nach der Katastrophe mehr Präsenz. Die neuesten Modelle wurden stolz durch die Strassen chauffiert. Sie hatten einheimische Kennzeichen, und gehörten denjenigen, vor Allem in der Baubranche ansässigen, die die Katastrophe in eine persönliche Goldader umzuwandeln wussten.

Die große Mehrheit der Bevölkerung schaute auch in diesem Fall sinnbildlich in die Röhre. Noch heute wohnen hunderte von Familien in den damals errichteten kasernenähnlichen Notunterkünften. Dicht an dicht, sardinenbüchsenmässig zusammengepfercht auf kleinstem Raum, mit Gemeinschaftslatrinen am Ende jeder Baracke, auf staubig, steinigem Boden, ohne Schatten unter Wellblechdächern: das ist, was diese Notunterkünfte den dort lebenden Familien seit Ende 1998 bieten.

Ein elendes Dasein. Für die dort aufwachsenden Kindern und Jugendlichen ist es ein Leben, in dem sie mit Gewalt als täglicher Grunderfahrung sozialisiert werden.

Schon bei der Errichtung dieser Anlagen wurde vor der sozialpolitischen Zeitbombe gewarnt, die in solch unwürdigen Unterkünften sich aufladen könnte. Damals gaben die politisch Verantwortlichen den Notunterkünften einen zeitlichen Rahmen von ein- bis zwei Jahren als Übergangsfrist. Heute ist nicht absehbar, ob diese Unterkünfte jemals ihrer Funktion entledigt würden.

Fakt ist allerdings heute, dass ein Markenzeichen dieses sozialpolitischen Ghetto und all der anderen marginalisierten Randsiedlungen der beiden großen Städte Tegucigalpa und San Pedro Sula, die Bildung von Jugendbanden ist. Die Eintrittsmotive reichen von purer Angst vor den Banden, über unsägliche Frustration über die vorhandenen Lebensperspektiven bis hin zur gesteigerten Abenteuerlust. Einmal aufgenommen, verändert sich so ziemlich alles. Die Zugehörigkeit wird mit eigener Symbolik verkörpert. Sie drückt sich aus in Gesten, Fingersprache, Bewegungsabläufen oder in Tattoos, Graffitis, in Kleidung und eigener Sprache oder Songs. Mit dieser Symbolik wird gleichzeitig auch die Abgrenzung zu allen anderen, nicht dazugehörigen, gezogen:

Die Bande entwickelt ihren eigenen Rhythmus und bestimmt entsprechend den Alltag des einzelnen. Wer bis dahin noch familiäre Bande pflegt, entledigt sich dieser. Die „Mara“ (Bande) übernimmt die Familienfunktion und fordert von den einzelnen absoluten Autoritätsgehorsam. Solange für den/die Einzelne/n die Identifizierung zur „Mara“ vorhanden ist, bietet diese viel von den Gefühlen, die einer grossen Mehrheit der Jugendlichen während ihrer bisherigen Sozialisation unterschlagen wurde: die „Mara“ kümmert sich um die Einzelnen, sie gibt Identität und verleiht Stärke. Als Gegenleistung wird von der Einzelperson gegenüber der „Mara“ vollständige Hingabe gefordert. Sein Leben für die „Mara“ zu riskieren ist Ehrensache. Ausstieg gilt als Verrat an der Sache, der geahndet wird.

Die mitgebrachten Werte aus der eigenen Geschichte sind vor allem die Anwendung und das Erleiden von Gewalt. Und eben diese Erfahrung bestimmt den Umgang innerhalb der Bande ebenso wie die Abgrenzungsmethoden zu Nichtmitgliedern oder heftiger noch, zu Mitgliedern anderer „Maras“.

Die beiden größten Jugendbanden, aus den Nachbarländern importiert, die „Mara Salvatrucha“ und die „Mara La 18“ bekämpfen sich denn auch im wahrsten Sinne des Wortes „bis aufs Blut“. Meist spielen sich diese Kämpfe in den marginalisierten Vierteln ab. Gewaltätiger und blutiger wurden diese Kämpfe seit Ende der 90er Jahre. Zeitgleich mit der Hurrican-Katastrophe nahmen ab 1997-1998 die Deportationen jugendlicher Illegaler aus den Vereinigten Staaten zu. Dadurch kamen zwangsweise Jugendliche zurück, die in den USA straffällig geworden waren und die sich dort in „Maras“ organisiert. Ihre entsprechenden Erfahrungen in Jugendgangs der nordamerikanischen Vorstädte veränderten die hiesigen „Maras“. Den Actions-Movies gleich nahm die Ausstattung mit und der Gebrauch von Schusswaffen zu. Ein erschossener Bandengegner bringt viele Pluspunkte in der Hierarchie der „Maras“.

Mit den zunehmenden gewalttätigen Ausseinandersetzungen zwischen den „Maras“ und den steigenden Zahlen an Todesopfern, nahm die öffentliche Stigmatisierung der gesamten Generation der Jugendlichen zu. Der Ruf nach der „starken Hand“ wurde immer lauter. Ursachenforschung und darauf aufgebaut entsprechende Massnahmen oder Programme anzuschieben, ist kein Thema, das scheint als Zeitvergeudung abgehandelt zu sein. Urteile sind formuliert und werden als solche in beängstigender Form permanent mitgeteilt:

Es sind die Jugendlichen, die schlecht sind, die kriminell sind, die die Gefahr für Ordnung und Sicherheit darstellen und die müssen ausgeschaltet werden, dass ist die Botschaft.

Politiker, Arbeitgeber und vor allem die Medien sind sich denn auch einig darin, dass diese ausufernde Gewalt gestoppt werden müsse. Sie sind sich einig darin, dass die Schuldigen dafür bereits ausgemacht sind. Und sie sind sich auch darin einig, dass der vorhanden staatliche Repressionsapparat bisher nicht in der Lage war, diese zunehmende gewaltätige Kriminalitätsform zu stoppen.

Wen wundert es, dass aufgrund dieser öffentlichen Hetze gegenüber den Jugendlichen per se seit Anfang dieses Jahres sich selbst erklärte Saubermänner als nächtliche Todesschwadrone in Autos mit verdunkelten Scheiben durch die Strassen der Armenviertel der Grosstädte fahren und ihnen verdächtig vorkommende Jugendliche exekutieren. Es sind wenige, die sich darüber empören und die Zeitungen bemühen sich den auch, die Opfer dieser Exekutionskommandos in die Nähe der „Maras“ zu rücken, womit ihr Mord ja gerechtfertigt wäre.

Exekutionen an Jugendlichen in Honduras vermeldet Casa Alianza, eine Organisation, die in allen Ländern Mittelamerikas an der Resozialisierung von Strassenkindern arbeitet, schon seit 1998. Die Resonanz darauf war von staatlicher Seite jeweils sehr zurückhaltend. Die diesjährigen Berichte und Stellungnahmen seitens Casa Alianza auch gegenüber internationalen Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen veranlasste den auch im August den Besuch von Asma Jahangir, die als Sonderbeauftragte der UN den Vorfällen nachgehen sollte. Für Honduras ein alarmierendes Zeichen. So bemühte sich bereits im Vorfeld die Regierung um Schadensbegrenzung.

Nach ihren vielfältigen Gesprächsrunden und Interviews, kam sie zu der vorläufigen Einschätzung, dass in Honduras eine z.T. lebensgefährliche Diskriminierung gegenüber Strassenkindern und -jugendlichen vorhanden ist.

Ihr lagen Zahlen vor, wonach in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 66 Kinder/Jugendliche umgebracht wurden. Von Menschenrechtsorganisationen wurde diese Zahl als zu niedrig benannt. Die Mehrzahl dieser Todesopfer blieb bis heute ungeahndet. Untersuchungen finden kaum statt oder werden als unlösbar eingestellt und in der öffentlichen Betrachtung als Bandenkriegsopfer abgehackt.

Für Kinder oder Jugendliche bedeutet schon allein die Tatsache, dass sie irgendwo am Körper Tattoos haben, eine Lebensgefahr.

Im Oktober berichtet Casa Allianza, dass seit Januar 1998 insgesamt 940 Kinder und Jugendliche umgebracht worden sind und seit Mitte 2001 die monatliche Durchschnittszahl an Todesopfern bei mehr als 50 liegt. Jose Gustavo Zelaya, Rechtshilfeberater bei Casa Alianza in Tegucigalpa, zeigt bei einem Gespräch in seinem Büro den Stapel unerledigter Akten. Es sind alles Fälle, in denen sie von Casa Alianza aus aktiv geworden sind, in denen sie den Hinterbliebenen Rechtsbeistand anboten bei der Verfolgung der Täter.

Frustriert resumiert er seine Arbeit damit, dass die Mehrheit der Fälle nicht mal richtig bearbeitet werden, vor allem dann, wenn der Verdacht geäussert ist, dass Sicherheitskräfte in dem Mord involviert sind.“

Da hat sich auch seit dem Besuch von Frau Jahangir nichts verändert. Allein seit ihrer Abreise Mitte August sind weitere 110 Kinder und Jugendliche umgebracht worden. Davon etliche durch die schwerbewaffneten Todesschwadrone, wie die am Anfang beschriebenen 4 Todesopfer durch das „Kommando Exterminador“. Dessen Vorgang liesst sich wie ein Krimi:

Sonntag abends um 9.30 Uhr taucht in einem der Randviertel ein schwarzer Pick-up auf, ohne Nummernschilder, die Scheiben verdunkelt. Sie sehen fünf Jugendliche an einer Ecke stehen. Gut gekleidete Männer Mitte dreissig steigen aus dem Auto und schiessen auf die Gruppe Jugendlicher. Dabei zeigen sie professionellen Umgang mit den Waffen.

Diese Darstellungen der Augenzeugen des Geschehens reichen den öffentlichen Medien nicht, um diese Tat komplett zu verurteilen. Besagter Zeitungsartikel fügte als Teil seiner spezifischen Ursachenforschung noch einen „Hintergrundsinformationskasten“ auf der gleichen Seite mit ein, in dem Daten über einige der Toten und Verletzten angefügt wurden und mit denen ihnen eine kriminelle Vergangenheit nachgewiesen werden soll und damit zumindest eine gewisse Legitimation für die Exekution herzustellen.

In dieser Stimmung herrscht unter der grossen Mehrheit der Jugendlichen des Landes Angst, die nächste Zielscheibe für diese bisher unauffindbaren Todesschwadrone zu bieten. Und am 4.Oktober sah sich denn auch Kardenal Oscar Andres Rodriguez, der in Lateinamerika als möglicher Papstnachfolger gehandelt wird, aufgrund der sich häufenden Ereignisse dazu veranlasst, öffentlich von der Existenz von Todesschwadronen zu sprechen. Als Indiz dafür nahm er, dass fast täglich ermorderte Jugendliche vorgefunden würden und schlussfolgerte, dass es Menschen zu geben scheint, die hier in Form von Selbstjustiz handeln. Er formulierte die klare Aufforderung an die staatlichen Autoritäten, die Straffreiheit zu kontrollieren und die Täter zu verfolgen.

Für die verängstigten Jugendlichen bietet seit Mitte Oktober ein Projekt einer katholischen Kirchengemeinde unter dem Titel „Nein zu Tattoos“ einen Strohhalm an. Für umgerechnet ca. 8 DM können Jugendliche dort in einem aufwendigen Verfahren ihre Tattoos mit Infrarotstrahlung entfernen lassen. Vom ersten Tag an sind die Warteschlangen vor dieser im Gemeindehaus provisorisch eingerichteten Klinik lang. Eine bunte Mischung Jugendlicher sitzt auf den Wartebänken, ständig bemüht, die deutlichen Identifikationstattoos der verschiedenen „Maras“ verdeckt zu halten. Da sitzen Aussteiger, aus tiefverfeindeten „Mara“s nebeneinander auf einer Bank und hoffen beide, mit den Infrarotstrahlen ein Stück Vergangenheit wegwischen zu können. Es sitzen aber auch viele andere Jugendliche auf den Bänken, die nicht die Spur Kontakte zu „Mara“s hatten. Sie wollten einfach nur modisch sein, so wie es Jugendliche in Europa auch sind, und ein cooles Tattoo gehört da eben dazu. Nicht in Honduras, wo damit bereits das Todesurteil gefällt werden könnte.

 

EL SALVADOR

Die Orthodoxen von links und von rechts

(San Salvador, 5. November 2001, na-Poonal).- Der neue Exekutiv-Rat (COENA), den die in El Salvador regierende konservative ARENA-Partei gewählt hat, wird von Unternehmern dominiert. Aufgabe des COENA ist es, die Partei im Vorfeld der Wahlen von 2003 und 2004 zu einen und zu modernisieren. Doch einige Fraktionen, unter anderem die einflussreichen Gründer der Partei, sind mit dieser Ausrichtung nicht einverstanden.

Die Wechsel in der Parteiführung gehen auf die Zeit zurück, in der die ARENA-Partei an Macht verlor. Im Jahr 2000 konnte die oppositionelle FMLN die Zahl ihrer Abgeordneten von 14 auf 31 erhöhen, während die ARENA-Abgeordneten in dem Einkammer-System mit 84 Vertretern bei 29 stagnierten. Zudem verlor die ARENA den Posten des Bürgermeisters der Hauptstadt San Salvador an den FMLN-Kandidaten Héctor Silva. Einige Parteispitzen setzen jetzt darauf, das verlorene Terrain mit der Fixierung auf zentrale Wirtschaftssektoren zurückzugewinnen.

Der bisherige ARENA-Präsident Walter Araujo, der dieses Amt im Juni 2000 nach dem Rücktritt von Ex-Präsident Alfredo Cristiani (1989-94) übernahm, war aufgrund der Wahlniederlagen heftig kritisiert worden. Eine Gruppe von Parteigründern plädierte für die Absetzung von Araujo und für eine Modernisierung der Partei mit mehr Einfluss für die Basis. Am 16. August trat Araujo zurück und wurde von dem Bier-Magnaten Roberto Murray Meza ersetzt. Die anderen bisherigen COENA-Mitglieder traten ebenfalls zurück, um eine umfassende Restrukturierung zu ermöglichen.

Am 30. September bestätigte die Parteiversammlung Murray Meza als neuen Präsidenten von ARENA und bestimmte einen neuen Exekutiv-Rat für zwei Jahre. Die Zeitung „El Diario“ beschrieb die 13 neuen Mitglieder des COENA als unabhängige Unternehmer mit Machtambitionen. Acht von ihnen sind, wie Murray Meza, Unternehmensleiter. Zu ihnen gehören unter anderem Aldo Baldocchi von den Agrarbank und Guillermo Sol Bang, der ein Energieunternehmen betreibt.

Ein scheidendes COENA-Mitglied erklärte später, dass die Parteigründergruppe namens Liga Areneros al Rescate (LAR) davon ausgegangen war, zwei Sitze im neuen Rat zu bekommen. Nun ist die LAR überhaupt nicht mehr repräsentiert. LAR-Präsident Roberto µvila zeigte sich darüber sehr erzürnt und sprach von davon, eine „neue Kraft“ zu gründen. Auch wenn unklar blieb, ob diese neue Kraft innerhalb oder außerhalb der ARENA agieren sollte, wurde die Äußerung mit Schrecken aufgenommen, weil bislang davon ausgegangen wurde, dass sich die LAR mit dem Rücktritt von Araujo auflösen würde.

Auch ARENA-Gründerin Mercedes Gloria Salguero Gross meint, dass die Wahl von so vielen Privatunternehmern die Partei „privatisiert“ habe und fragte, ob es „akzeptable ist, dass weder Bauern noch Arbeiter im COENA sind“.

Für einige politische Beobachter zeigt der derzeitige Streit innerhalb der ARENA wie auch innerhalb der FMLN, dass das Parteisystem, das seit dem Friedensschluss 1992 im Land vorherrscht, abgewirtschaftet hat. Im Vorfeld der nächsten Wahlen, so diese Einschätzung, haben beide Parteien ideologische Positionen eingenommen, die wichtige Sektoren von der Teilhabe ausschließen.

So hatte die FMLN vor kurzem den Ex-Präsidentschaftskandidaten Facundo Guardado ausgeschlossen, weil er angeblich eine zentristische und regierungsfreundliche Position eingenommen habe. Das Ehrentribunal der FMLN hatte die Trennung von Guardado am 1. Oktober verkündet. Die Presse spekulierte, dass weitere 15 Parteigänger von Guardado möglicherweise auch ausgeschlossen würden, unter ihnen der Bürgermeister der Hauptstadt, Héctor Silva.

Guardado ist die zweitwichtigste Figur der FMLN, die in den vergangenen Jahren aus der Partei ausgeschlossen wurde. Bereits 1996 verlies Ex-Guerilla-Kommandant Joaquin Villalobos die FMLN nach einem ähnlichen internen Streit. Zusammen mit anderen Ex-FMLN-Mitgliedern gründete er daraufhin die „Demokratische Partei“.

Die wichtigsten Gründe für den Rauswurf von Guardado waren seine Zustimmung zur Dollarisierung des Währungssystems im Januar dieses Jahres, seine Abwesenheit auf dem letzten Nationalkongress der Partei im Mai und seine Teilnahme an einer offiziellen Delegationsreise nach Spanien, auf der um Unterstützung für die Erdbebenopfer geworden werden sollte. Zuvor hatte die FMLN beschossen, nicht an der Delegation teilzunehmen. Zentral war jedenfalls der Verdacht, Guardado wäre zu der ARENA übergelaufen.

Der Streit in der FMLN wird einer linken Fraktion innerhalb der FMLN zugeschrieben, die orthodox-sozialistische Positionen vertritt und die Reformfraktion um Guardado als antikommunistische Rechte bezeichnet.

Die FMLN wird derzeit von orthodoxen Linken aus der Guerillavergangenheit und die ARENA von orthodoxen Liberales dominiert, sagt der politische Beobachter Napole¢n Campos. Dabei habe die FMLN stalinistische Methoden, und die ARENA lediglich elegantere Methoden in den Ausschlussverfahren angewandt. Miguel Cruz, Direktor des Instituts für Öffentlichkeitsarbeit an der Zentralamerikanischen Universität, meint, dass die Reorganisierung innerhalb der Parteien die politische Polarisierung vorantreibt, die populistische Phänomene wie Alberto Fujimori in Peru ermöglichen könnte

 

TRINIDAD & TOBAGO

Neuwahlen

(Port au Spain, 5. November 2001, na/ips-Poonal). – Nur ein Jahr nach den letzten allgemeinen Wahlen, hat die Regierung den Kongress aufgelöst und Neuwahlen für den 10. Dezember angekündigt. Der Premierminister Basdeo Panday war gezwungen Neuwahlen anzusetzen, nach einem längeren Streit über die Minderheitenregierung des Nationalen Einheitskongresses (UNC). Die Partei von Panday eroberte im vergangenen Jahr die Macht zurück, indem sie im Parlament die Mehrheit von 36 Sitzen errang. Der Premierminister enthob im September den Generalsekretär Ramesh Lawrence Maharaj und den Ernährungs- und Agrarminister, Trevor Sudama ihres Amtes. Als Folge dessen trat auch der Informationstechnologieminister, Ralph Maraj von seinem Amt zurück. Die drei hatten die Administration von Panday beschuldigt die Korruption in den öffentlichen Einrichtungen des Landes zu tolerieren.

Anfang Oktober schlossen sie etwas, was Funktionäre vage „ein Abkommen“ nannten, mit der Nationalen Volksbewegung (PNM), die wichtigste Oppositionspartei im Parlament, um Panday abzusetzen. In einem Schreiben vom 10. Oktober bat der Premier den Staatspräsidenten A.N.R. Robinson, umgehend das Parlament aufzulösen und Neuwahlen für den 10. Dezember anzusetzen.

Die Aufmerksamkeit gilt nun der Kommission für Wahlen und Grenzen (EBC), die von der Opposition beschuldigt wurde, bei den letzten Wahlen unkorrekte Wählerlisten verwendet zu haben. Wahlexperten versicherten, dass sie Haus für Haus einen Zensus durchgeführt hätten und dass sie für den 31. Oktober hoffen, eine aktualisierte Wählerliste der 995 000 Wahlberechtigten des Landes erstellt zu haben.

Robinson bat Panday seine Forderung nach Neuwahlen zurückzustellen, bis der EBC bestätigt habe, Neuwahlen durchführen zu können. Der Premier verweigert dies mit dem Hinweis, im Land herrsche innere Unruhe und die Gefahr der politischen Instabilität.

Weil Maharaj, Sudama und Maraj nach wie vor ihre Posten in der nationalen Exekutivkommission der UNC innehaben und darauf bestehen, dass sie bei der Nominierung eines Kandidaten für den Posten des Premierministers mitreden dürfen, hat Panday damit begonnen, eine neue Partei zu gründen, die sich Nationale Einheitspartei nennt und sich aus loyalen Mitgliedern der UNC zusammen setzt.

Panday versichert, dass er Maßnahmen ergreifen werde, um zu vermeiden, dass seine internen Kritiker sich der Partei bemächtigten, aber Maharaj, der zweitwichgste Funktionär der Partei, hat bereits angekündigt juristische Schritte einzuleiten, wenn sich Panday nicht an Regeln der Partei halte.

Währenddessen haben verschiedene unabhängige Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen einen offenen Brief an Robinson gesandt, in dem sie sich für die Bildung einer Übergangsregierung aussprechen und Neuwahlen zunächst zurückgestellt werden.

 

CHILE

Frankreich verlangt Auslieferung von Folterern

(Paris/Santiago de Chile, 5. November 2001, na-Poonal).- Unter der Anklageschrift „Entführungen in Tateinheit mit Folter“, hat Der französische Richter Roger Le Loire internationale Haftbefehle gegen 15 in Chile lebenden Zivilist*innen und Ex-Militärs.erlassen. Diese werden beschuldigt, während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) in das Verschwinden von drei französischen Staatsburger*innen in Chile verwickelt gewesen zu sein. Unter den Beschuldigten befindet sich der 72 jährige General a.D. Manuel Contreras, Ex-Direktor der Geheimpolizei von Pinochet und der 79 jährige Paul Schäfer. Schäfer ist der Gründer der Colonia Dignidad, einer deutschen Enklave, die während der Militärjunta als Folterzentrum diente.

Es ist unwahrscheinlich, dass den Auslieferungsersuchen nachgekommen wird, da in dieser Beziehung zwischen Chile und Frankreich noch kein Abkommen existiert. Der Richter Le Loire könnte allerdings eine Gerichtsverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten zum Ende 2002 beginnen.

 

Der Konflikt spitzt sich zu

(Santiago, 5. November 2001, na-Poonal).- Tiefes Unwohlsein verursachten der Regierung von Präsident Ricardo Lagos die Erklärungen von Kardenal Jorge Medina, Präfekt der Kongregation der göttlichen Anbetung, aus dem Vatikan. Dieser rief die Bürger*innen dazu auf, bei den nächsten Parlamentswahlen, ihre Stimme nicht den Kandidat*innen zu geben, die Abtreibung und Scheidung befürworten.

Die Äusserungen des erzkonservativen Medina spitzen die Spannungen zwischen der Regierung und der katholischen Kirche weiter zu. Die Kirche lehnt das Vorhaben, ein Scheidungsgesetz zu verabschieden, Sexualunterricht in den Schulen einzuführen und die Förderung des Gebrauchs der Antibabypille, der sogenannten „Pille danach“, ab. Im chilenischen Zivilrecht, das aus dem 19. Jahrhundert stammt, gibt es die Scheidung nicht.

In einer vor kurzem statt gefundenen Umfrage, in der sich ein 80 Prozent der Befragten als katholisch bezeichnete, war ein 44 Prozent für die Legalisierung der Scheidung und 32 Prozent dagegen.

 

URUGUAY

Geheimdienste im Cono Sur kehren zur Zusammenarbeit zurück

(Montevideo, Oktober 2001, comcosur-Poonal).- Die Geheimdienste der als Cono Sur bezeichneten Region, Uruguay, Argentinien, Chile Brasilien, Paraguay und Bolivien, die sich bereits während den Zeiten der Militärdiktatur in dem sogenannten „Plan Condor“ koordinierten, wollen nun ihre Zusammenarbeit wiederum ausbauen.

Dieses Mal richtet sich das Bündnis nicht gegen die „Rote Gefahr“, sondern sieht seinen Feind im „Terrorismus“. Um diesen zu bekämpfen wurde von den beteiligten Geheimdiensten Mitte Oktober in Montevideo eine „Spezialarbeitsgruppe“ gegründet.

Ursprünglich war das Treffen dafür vorgesehen gewesen, die in diesem Monat ebenfalls in Montevideo stattfindende Innenministerkonferenz vorzubereiten. Die Situation nach den Attentaten in den USA und den von dort ausgehenden Kriegshandlungen bestimmten jedoch die Tagesordnung und führten zu einer Verlängerung der Konferenz.

Nach Einschätzungen des uruguayischen Geheimdienstes ist die Gefahr von Anschlägen in der Region unwahrscheinlich, sollte aber nicht unterschätzt werden. In Argentinien gab es bereits zwei Anschläge, Uruguay untersucht derzeit die Abschiebung eines mutmaßlichen „Agenten Bin Ladens“ nach Ägypten, Brasilien, Paraguay und Argentinien haben diesen Einschätzungen zufolge das „Problem der dreifachen Grenze“. Außerdem will der uruguayische Geheimdienst die Überwachung vom Globalisierungsgegner*innen und sozialen Bewegungen wegen der „potentiellen Verbindungen zum Terrorismus“ verstärken.

 

LATEINAMERIKA

Schließung von zahlreichen UNESCO-Büros

(Lima, 5. November 2001, na/ips-Poonal).- Die UNESCO plant im Rahmen eines größeren Umstrukturierungsprogrammes die Schließung verschiedener regionaler Büros in Lateinamerika und der Karibik. Die UNESCO belässt ihre Einrichtungen in Costa Rica, Ecuador, Jamaica und Uruguay für regionale Projekte und ihre Büros in Brasilien und Mexiko für lokale Projekte.

Dem Plan zur Umstrukturierung zu Folge soll das Büro in Costa Rica Projekte der UN-Organisation in Zentralamerika koordinieren, das Büro in Ecuador Projekte in der Andenregion, das Büro in Jamaica soll die Projekte in der Karibik verwalten und das Büro in Uruguay diejenigen im so genannten Cono Sur.

Die UNESCO-Büros in Argentinien, Barbados, Paraguay, Peru, Trinidad und Tobago sowie in Venezuela werden noch dieses Jahr geschlossen, die Niederlassungen in Bolivien, Guatemala, Haiti und der Dominikanischen Republik nächstes beziehungsweise übernächstes Jahr.

Der regionale Sitz des „Instituto de Cultura“ der UNESCO wird weiter in Kuba arbeiten, ebenso wie die beiden UNESCO-Bildungseinrichtungen, das „Instituto de Educacion Basica“ in Chile und das „Instituto de Educacion Superior“ in Venezuela.

 

LATEINAMERIKA/USA

Zurück an der Macht

(Lima, 5. November 2001, na-Poonal).- Nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September hat die Einsetzung des US-Botschafters bei der UNO, John Negroponte, keine Aufmerksamkeit in der Presse erregt. Dennoch haben verschiedene Gruppen gegen die Ernennung Negropontes Druck ausgeübt, aufgrund seiner Unterstützung der nicaraguanischen Contras und die Tolerierung von Menschenrechtsverletzungen während seiner Tätigkeit als Botschafter in Honduras zwischen 1981 und 1985. Negroponte wurde am 14. September nach schnelle Anhörungen durch die Kommission für auswärtige Angelegenheiten vom Senat der USA bestätigt. Es wird angenommen, dass Negroponte ausgedehnte Verbindungen zu Militärs unterhielt, die mit dem Todesschwadron „Batallon 316“ verwickelt waren. Dieser paramilitärische Einheit wird für das Verschwinden von 200 Personen verantwortlich gemacht. Der Botschafter hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass die hondurenische Armee Verbindungen zu den Todesschwadronen unterhielt.

 

 

   

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