Poonal Nr. 487

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 487 vom 3. August 2001

Inhalt


 

MEXIKO

GUATEMALA

MITTELAMERIKA

DIE STEUERZAHLER

KOLUMBIEN

BOLIVIEN

PERU

BRASILIEN

ARGENTINIEN


 

INHALT

MEXIKO- Der tote Che Guevara verfolgt den bolivianischen Botschafter – General Gary Prado in Bedrängnis – Aktuell weniger Menschenrechtsverletzungen – unentschlossener Umgang mit dem vergangenen Unrecht GUATEMALA – Proteste gegen Mehrwertsteuer – Neuer Kidnapping- Fall – Mangelhafte Gesetze und Armut begünstigen Kinderhandel und -ausbeutung

MITTELAMERIKA – Zuwenig Wasser – Große Teile Mittelamerikas sind von Dürre und Hunger betroffen – Niedriger Kaffeepreis bedroht gesamte Branche

EDUARDO GALEANO – Die Steuerzahler

KOLUMBIEN – Suche nach drei entführten Deutschen bislang erfolglos – Indigenas und ihre Projekte sind den Bürgerkriegsparteien ein Dorn im Auge

BOLIVIEN – Protestbewegung setzt zerstrittene Regierung unter Druck -Präsident bleibt im Ausland – Koka-Bauern durchkreuzen Drogenpolitik

PERU – Wieder Massengräber in Huancavelica gefunden – Fälschung von Statistiken unter dem Fujimori-Regime

BRASILIEN – Nur 35 Prozent der Katholiken gehen in die Kirche – Armut nahm im letzten Jahr zu

ARGENTINIEN – Gewerkschaften mobilisieren gegen neues Sparpaket – Friedensnobelpreisträger Adolfo Esquivel kritisiert in einem offenen Brief das neue Sparpaket der argentinischen Regierung

 

MEXIKO

Der tote Che Guevara verfolgt den bolivianischen Botschafter – General Gary Prado in Bedrängnis

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 3. August 2001, Poonal).- Der Kunstkritiker Alberto Híjar überlegte nicht lange, als er nach einer Buchvorstellung unter den Gästen den Mann im Rollstuhl wieder erkannte. „Auf die Gesundheit des Che, Mörder“ schleuderte er ihm ins Gesicht – samt eines vollen Glases Rotwein. „Ich bin Militär und erfülle Befehle“, soll der Geschmähte geantwortet haben. Das war vor einer Woche, am 26. Juli. Seitdem wird der bolivianische General Gary Prado, seit März dieses Jahres Botschafter in Mexiko, von der Vergangenheit eingeholt. Und die mexikanische Regierung muss sich unangenehme Fragen stellen lassen.

Prado war als Captain der Armee für das Kommando verantwortlich, dass am 8. Oktober 1967 den berühmten argentinisch-kubanischen Guerillero Ernsto „Che“ Guevara in Bolivien nahe des Ortes La Higuera stellte und ihn gefangen nahm. Der Soldat identifizierte das Idol mehrerer Generationen und gab die Erfolgsmeldung an die Generäle weiter. Auf „Befehl von oben“ wurde der verwundete und wehrlose „Che“ wenig später erschossen, besser gesagt, illegal hingerichtet. Gary Prado war z4 diesem Zeitpunkt nicht anwesend, doch für viele gilt er aufgrund seiner Rolle bei der Festnahme von Guevara als einer der Mörder des neben Fidel Castro bekanntesten Helden der kubanischen Revolution. Prados Person wurde nicht dadurch sympathischer, dass er die Uhr des toten Che Guevara als Andenken an sich nahm.

Die Vergangenheit des bis zum Divisionsgeneral aufgestiegenen Militärs war der mexikanischen Regierung durchaus bekannt, als ihr das Akkreditierungsgesuch vorlag. Zudem hatte Prado vor dem bolivianischen Senat im November 2000 seinen Arbeitsplan vorgelegt und es unter anderem als seine zukünftige Aufgabe betrachtet, in Mexiko „das Handeln aufständischer und irregulärer Gruppen zu analysieren“ und zwar „wegen des Einflusses, den diese aufgrund des Imitationsphänomens in unseren eigenen Gemeinden ausüben könnten“.

Auf vereinzelte Kritik – darunter die von Alberto Híjar und aus Senatskreisen – reagierte Mexiko vor Prados Einreise nicht. Präsident Fox empfing am 19. März in seiner Residenz das Beglaubigungsschreiben des Botschafters. Die Öffentlichkeit nahm damals kaum von dem Vorgang Notiz. Das hat sich nun geändert. In Leserbriefen an die Zeitungen äußern sich viele Menschen zu der Aktion von Híjar. Die meisten zustimmend. Menschenrechtsorganisationen und Oppositionspolitiker fordern bereits, dass die bolivianische Regierung ihren Botschafter zurückzieht. Die Ratsversammlung von Mexiko-Stadt sagte ein geplantes Treffen mit Prado kurzfristig ab. Möglicherweise kommt im Parlament eine Mehrheit für eine Erklärung zustande, in der der mexikanische Außenminister Jorge Castañeda gedrängt wird, den „Verbleib“ des Botschafters zu überprüfen.

Castañeda schließt bisher kategorisch ein solches Vorgehen seiner Regierung aus. Der Minister selbst, Autor einer umstrittenen Che Guevara-Biografie und vom Verehrer der kubanischen Revolution zu einem ihrer scharfen Kritiker geworden, steht nicht außerhalb jeden Verdachtes. War es nur fehlende Sensibilität oder gezielte Absicht, im Vorfeld keine Bedenken gegen die Ernennung des Botschafters geäußert zu haben? Mehrfach hat Castañeda die traditionell guten Beziehungen zum sozialistischen Kuba in den vergangenen Monaten mit kleineren und größeren Nadelstichen strapaziert. Dass in dem Land, von dem aus einst Fidel Castro und Che Guevara die Revolution vorbereiteten, heute einer der Henker des „Che“ als Diplomat agiert, kann von dem Karibikstaat durchaus als Affront aufgefasst werden.

Alberto Híjar bereut sein Rotwein-Attentat nicht. Es täte ihm nur leid, „keinen Kuchen zur Hand gehabt zu haben“, meint er. Das wichtige sei jedoch nicht die Aktion als solche, sondern ihr Echo. Der Ruf „gegen das Vergessen und die Straflosigkeit“ dürfe nicht verstummen. Stumm blieb in den zurück liegenden Tagen General Gary Prado. Auch wenn er wohl keine förmliche Einladung zum Verlassen des Landes erhalten wird: Es wäre keine Überraschung, sollte er demnächst sein Botschafteramt aufgeben und die Heimreise antreten. Es wäre auch ein später Sieg des „Che“.

 

Aktuell weniger Menschenrechtsverletzungen – unentschlossener Umgang mit dem vergangenen Unrecht

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 26. Juli 2001, Poonal).- Eigentlich müssten die beiden mexikanischen Bauern Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrera zufrieden sein. Sie sind mit mehreren internationalen Umweltpreisen ausgezeichnet, Persönlichkeiten wie Hillary Clinton und Michail Gorbachov interessieren sich für sie. Auch in Mexiko können sie auf die Unterstützung vieler bekannter Intellektueller und aller Umweltschützer rechnen. Selbst Präsident Vicente Fox und Umweltminister Victor Lichtinger sind ihnen offiziell wohlgesonnen. Und dennoch können sich Montiel und Cabrera nicht freuen: Es ist kaum zwei Wochen her, da bestätigte ein Gericht in ihrem Heimatbundesstaat Guerrero die Haftstrafen von sechs beziehungsweise zehn Jahren für sie.

Die Umweltschützer hatten Ende der 90er Jahre im Hochland von Guerrero Straßenblockaden organisiert und zum Teil erfolgreich illegalen Holzschlag verhindert. In dem sozial hoch explosiven Bundesstaat mit Guerillapräsenz wurde und wird jedes unabhängige Handeln von den Mächtigen aber als subversiv bewertet. Die Quittung für Montiel und Cabrera kam prompt: Das Militär verhaftete die beiden mit der Beschuldigung, sie besäßen unerlaubt Waffen und würden Marihuana anpflanzen. Unrechtmäßig über zwei Tage in Militärgewahrsam gehalten, „gestanden“ die Bauern ihre Delikte unter Folter. Ihre Unterschriften unter dem Geständnis reichten einem örtlichen Gericht aus, um die die hohen Haftstrafen zu verhängen.

Seit Mai 1999 sitzen Montiel und Cabrera nun im Gefängnis. Die staatliche Nationale Menschenrechtskommission bestätigte zwar im Juli 2000 die Folter und stellte klar, dass nicht die Umweltschützer Marihuana, sondern die Militärs falsche Beweise säten. Doch änderte das für die Inhaftierten nichts. Auch die Hoffnungen auf die seit Dezember vergangenen Jahres amtierende neue konservative Regierung von Präsident Vicente Fox, der die 71-jährige Herrschschaft der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) beendete, wurden bisher enttäuscht.

Fox hatte im Wahlkampf eine radikale Änderung der Menschenrechtspolitik versprochen. Unter der PRI begangenes Unrecht sollte ohne Rücksicht auf die dafür Verantwortlichen aufgeklärt und – soweit möglich – wiedergutgemacht werden. Die Ernennung einer Sonderbotschafterin für Menschenrechte mit Kabinettsrang weckte positive Erwartungen. Unbestritten ist die Zahl der Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Institutionen seit dem Amtsantritt der neuen Regierung zurück gegangen. Doch die Vergangenheit wirklich aufzuarbeiten, damit tut sie sich schwer.

Zwar äußerte sich die Menschenrechtsbotschafterin jüngst empört über die Bestätigung des Urteils gegen Montiel und Cabrera. Aber letztendlich stellte sie den Fall als „Problem“ der Behörden im Bundesstaat Guerrero da, wo noch die PRI regiert. Umweltminister Lichtinger verweist als Entschuldigung für sein lauwarmes Engagement auf den Respekt vor der Gewaltenteilung. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass es politische und nicht juristische Gründe waren, die die Umweltschützer vor über zwei Jahren hinter Gitter brachten. Angesichts des zögerlichen Regierungsvorgehens demonstrierten Umweltschützer und Menschenrechtler deswegen vor der Präsidentenresidenz und fragten Präsident Fox auf einem Transparent: „Der Wechsel, wann?“

Für Beobachter ist die häufige Beteiligung der Streitkräfte bei Menschenrechtsverletzungen ein wesentlicher Grund für weiter bestehende Unrechtsurteile. Das Militär ist loyal gegenüber der neuen Regierung, will aber auf keinen Fall das Gesicht verlieren. Und es weigert sich mit Händen und Füßen, Kompetenzen an zivile Gerichte abzugeben. Da kommt es nicht ungelegen, dass der Bundesstaatsanwalt General Rafael Macedo de la Concha zuvor Staatsanwalt der Militärjustiz war.

Das ist schlecht beispielsweise für den General Jose Francisco Gallardo. Dieser wagte es Anfang der 90er Jahre, die Korruption innerhalb der Armee anzuklagen und einen Ombudsman für die Institution vorzuschlagen. Ein Kriegsgericht verurteilte ihn unter fadenscheinigen Anklagen 1993 zu 28 Jahren Haft. Bereits 1996 forderte die Interamerikanische Menschenrechtskommission, eine Einrichtung der Organisation Amerikanischer Staaten, nach intensiver Prüfung vergeblich die sofortige Freilassung des Generals. Die amtierende mexikanische Regierung möchte ihn ebenfalls außerhalb des Militärgefängnisses sehen, doch hat Vicente Fox bisher kein Machtwort gesprochen.

Ein weiteres heikles Feld sind die Verhafteten-Verschwundenen. Vor allem in den 70er Jahren, aber auch noch unter den jüngeren PRI-Regierungen tauchten viele Mitglieder aus radikalen und zum Teil bewaffneten oppositionellen Organisationen nach ihrer Festnahme nie wieder auf. Oft übernahm das Militär diese schmutzige Arbeit. Offiziell dokumentiert und anerkannt sind fast 500 dieser Fälle, Vereinigungen von Familienangehörigen kommen auf bis zu 1.300 Opfer. In den vergangenen Wochen haben sich die Rufe nach einer Wahrheitskommission verstärkt. Die Reaktion der Regierung darauf ist typisch: ein klares Jein.

Allerdings ist der Sinn der Kommission auch bei Menschenrechtlern umstritten. Bekannte Aktivistinnen wie Rosario Ibarra, die vor fast 30 Jahren selbst einen Sohn durch den staatlichen Unterdrückungsapparat verlor, pochen in erster Linie darauf, dass geheime Archive für die Öffentlichkeit einsehbar werden und die Schuldigen für Menschenrechtsverletzungen vor Gericht kommen. Eine Wahrheitskommission, die juristisch nicht bindende Empfehlungen veröffentlicht, lehnen sie ab. In die Nationale Menschenrechtskommission, die zur Zeit Geheimdienstinformationen aus der Vergangenheit überprüft, haben viele Organisationen kein Vertrauen. Zur sehr ist die Kommission durch Regierungshörigkeit unter der PRI diskreditiert.

Andrew Miller, der Lateinamerika-Direktor von amnesty international, brachte Ende Mai Hoffnungen und Zweifel bezüglich einer neuen Menschenrechtspolitik für viele mexikanische Menschenrechtler auf den Punkt: „Wir sehen die neue Regierung als eine Chance, aber ein Urteil muss noch auf sich warten lassen.“ Unterdessen sitzen Rodolfo Montiel, Teodoro Cabrera und Francisco Gallardo weiterhin im Gefängnis.

 

GUATEMALA

Proteste gegen Mehrwertsteuer

(Mexiko-Stadt, 28. Juli 2001, Poonal).- Unternehmer und Gewerkschaften sowie die politische Opposition kritisieren in Guatemala gleichermaßen die Erhöhung der Mehrwertsteuer von zehn auf zwölf Prozent. Die Regierungsmehrheit der rechtsgerichteten Republikanischen Guatemaltekischen Front (FRG) ließ sich jedoch von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Jetzt hat die Opposition Streiks in den Betrieben und andere Proteste angekündigt.

Die Unternehmer bezeichneten die Position der Regierung von Präsident Alfonso Portillo als „starrköpfig“ und beschuldigte sie, Steuern zu erhöhen, sich aber zu weigern, die Korruption in der öffentlichen Verwaltung zu bekämpfen. Abgeordnete wollen vor das Verfassungsgericht ziehen, um die Erhöhung rückgängig zu machen. Der Regierungsparlamentarier Arístides Crespo gestand ein, die Maßnahme sei „unpopulär“ und werde „die Bevölkerungsmehrheit treffen“. Doch gleichzeitig versuchte er die Quadratur des Kreises: „Sie wird der Regierung mehr Mittel zur Verfügung stellen, um in erster Linie die Armut zu bekämpfen“.

 

Neuer Kidnapping- Fall – Mangelhafte Gesetze und Armut begünstigen Kinderhandel und -ausbeutung

Von Beatriz Cardona

(Guatemala-Stadt, 16. Juli 2001, na-Poonal).- Bei einer Hausdurchsuchung in Guatemala-Stadt fand die Polizei Anfang Juli vier Kinder im Alter von 18 Tagen bis vier Jahren. Offenbar sollten sie illegal an Adoptiveltern vermittelt werden. Der Fall, der die Öffentlichkeit in dem mittelamerikanischen Land aufschreckte, beweist, was Menschenrechtler schon seit langem befürchten: Guatemala ist eines der Zentren des internationalen Kinderhandels.

Die vier Kinder waren in einem als Kinderkrippe getarnten Privathaus untergebracht. Von zwei Kindern sind nur die Vornamen bekannt. Die Besitzerin des Hauses sagte aus, sie habe die Kleinen betreut, aber nichts mit den Personen zu tun gehabt, die die Kinder vermutlich geraubt hatten. Die Polizei teilte der Presse mit, das Haus sei von einem Netzwerk von Anwälten und anderen Personen genutzt worden, um geraubte Kinder unterzubringen und sie dann international zur Adoption anzubieten.

Die Kinder wurden dem Jugendamt übergeben, das sie in einem Übergangsheim unterbrachte. Derzeit werden die Eltern gesucht, damit die Kinder in ihre Obhut zurückgegeben werden können.

Dieser Fall von Kidnapping ist nur ein Beispiel für die alarmierende Situation vieler Kinder in Guatemala. Obwohl das Land nur zehn Millionen Einwohner hat, steht Guatemala weltweit an vierter Stelle, was die „Ausfuhr von Kindern“ angeht. Dies geht aus einem Bericht hervor, der vom „Programm zur Erziehung für den Frieden“ der guatemaltekischen Kirche veröffentlicht wurde.

Diese Statistik ist nicht die einzige, die die besorgniserregende Situation der Kinder in Guatemala belegt. Laut dem UN- Kinderhilfswerk UNICEF ist Guatemala in Zentralamerika das Land mit der zweithöchsten Armutsrate, was die Kinder besonders hart trifft. Dem UNICEF-Bericht zufolge geht nur die Hälfte der fünf Millionen guatemaltekischer Kinder zur Schule. 765.000 Kinder und Jugendliche werden aufgrund ihrer Armut als Arbeitskräfte ausgebeutet.

Analphabetentum, Arbeitslosigkeit und das Zerbrechen der Familien wirken sich laut UNICEF stark auf die Entwicklungschancen der guatemaltekischen Kinder aus und verletzen grundlegende Rechte der Heranwachsenden. Schätzungsweise sind 46 Prozent der Kinder unter fünf Jahren unterernährt, fast zwei Drittel haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem.

Auch die Politik zeigt kein großen Interesse an der heranwachsenden Generation: Die Verabschiedung eines Kinderschutzgesetzes liegt für unbestimmte Zeit auf Eis. Und die Budgetkürzungen im Sozialhaushalt haben Programme gestoppt, die Kinder und Jugendliche gegen Ausbeutung durch korrupte Arbeitgeber oder im illegalen Sexgewerbe schützen sollten.

Der illegale Export von Kindern in Guatemala wird von mehreren Faktoren begünstigt. Die Waisenhäuser, voll von elternlosen Jungen und Mädchen, dürfen ihre Schützlinge nicht zur Adoption freigeben. Deshalb ist zu befürchten, dass adoptierte Kinder aus Guatemala meist Opfer von Kinderhandel sind, während die, die wirklich eine Familie brauchen, in den Hilfseinrichtungen bleiben müssen.

Außerdem sind die Adoptionsverfahren nicht sehr transparent. Wenn ein Anwalt eine Adoption durchgeführt, wird die Herkunft des Kindes nicht kontrolliert und das Verfahren nicht überwacht. Die Anwälte argumentieren, dass die Adoption ein privater Vertragsabschluss ist und deshalb kein Richter an dem Verfahren beteiligt werden muss. Fast 99 Prozent der Adoptionen laufen über Anwälte und Notare. Besonders auffällig hierbei: Bei 95 Prozent aller Adoptionen stammen die neuen Eltern aus dem Ausland.

 

MITTELAMERIKA

Zuwenig Wasser – Große Teile Mittelamerikas sind von Dürre und Hunger betroffen

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 29. Juli 2001, Poonal).- Wo Ende 1998 die Regenmassen im Gefolge des Hurrikans Mitch weite Landstriche überschwemmten und verwüsteten, vernichtet heute anhaltende Trockenheit Teile der Ernte. Ausbleibender Regen gefährdet in den mittelamerikanischen Ländern die Versorgung der armen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Zugespitzt hat sich die Lage vor allem in Honduras. Dort erließ Präsident Carlos Flores vor einer Woche sogar ein Dekret über den Nahrungsnotstand. Ein Regierungsbeauftragter skizzierte die Lage in den acht am schlimmsten betroffenen Provinzen im Süden und Westen des Landes als „Hungersnot“. Auch in anderen Gebieten könnte sich die Situation verschärfen.

Die kleine Nation gehört ohnehin zu den ärmsten Ländern des Subkontinentes. 80 Prozent seiner sechseinhalb Millionen Einwohner gelten als arm. Nun sind auf vielen Feldern angepflanzte Grundnahrungsmittel wie Mais und Bohnen verdörrt. Ganze Ernten drohen auszufallen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt, dass die Existenz von über 300.000 Kleinbauern in Honduras gefährdet ist. Auf Bitten der Regierung in der Hauptstadt Tegucigalpa werden über das Programm vorerst 4.000 Tonnen Lebensmittel verteilt. Allerdings müssen dafür zum Teil Arbeitsleistungen erbracht werden. Bereits vor Wochen hatte die UNO-Einrichtung auf die sich anbahnende Katastrophe aufmerksam gemacht und internationale Hilfe angefordert.

„Es gibt Familien, die nur einmal am Tag essen“, wird der stellvertretende honduranische Landwirtschaftsminister Miguel Bonilla in der Presse zitiert. Das Ausmaß der Dürreschäden wird vollständig erst in den kommenden zwei Monaten sichtbar werden, wenn normalerweise die Ernte eingebracht wird. Ein fast 15-prozentiger Ausfall gilt als sicher, bei der Überlebenswirtschaft der meisten Kleinbauernfamilien eine nicht zu verkraftende Einbuße. Zudem ist die Durschnittszahl auf die gesamte erwartete landwirtschaftliche Produktion in diesem Jahr bezogen, in einzelnen Regionen sind die Ausfälle wesentlich höher.

Ähnlich dramatisch könnte sich die Trockenheit auch im Westen des Nachbarlandes Nicaragua auswirken. Dort spricht die Regierung bisher nur von einzelnen „Brennpunkten“ und lehnt eine Notstandsmaßnahme wie in Honduras ab. Dennoch hat sie bei us-amerikanischen Entwicklungsorganisation AID Unterstützung erbeten. AID hat Lebensmittel im Wert von sechs Millionen Dollar zugesagt. Nach den Informationen des Welternährungsprogrammes ist in manchen Zonen bereits die Hälfte der erwarteten Ernte verloren und sind mehrere hunderttausend Personen betroffen. Nicaragua ist noch ärmer als Honduras und viele Tagelöhner finden wegen der niedrigen Kaffeepreise keine Arbeit mehr auf den Plantagen. Das erschwert das Problem.

Im angrenzenden El Salvador wird von 150.000 Menschen gesprochen, die unter der Dürre und ihren Folgen leiden. Regierungskreise gehen von Verlusten in Höhe von 20 Millionen Dollar aus und geben eine Ernährungskrise zu. In der Hauptstadt San Salvador kommen voraussichtlich am 10. August die Agrarminister der mittelamerikanischen Region zusammen, um die Lage zu analysieren.

 

Niedriger Kaffeepreis bedroht gesamte Branche

(San Salvador, 30. Juli 2001, na-poonal).- Die zentralamerikanischen Kaffeeproduzenten sind mit derart niedrigen Weltmarktpreisen konfrontiert, dass Experten bereits vermuten, in einigen Ländern könne der Anbau von Kaffee als Exportprodukt verschwinden. „Den Preis, den die Produzenten derzeit für erstklassigen Kaffee von einem Unternehmen wie Starbucks erhalten ist ungefähr so hoch, wie der, den sie für mittelmäßigen Kaffee in besseren Zeiten erhielten,“ sagte ein Broker an der salvadorenischen Börse.

Die Überproduktion, die zum Teil der Erhöhung der Kaffeeexporte aus Asien geschuldet ist, sowie die hohen generellen Kosten haben viele Kaffeeproduzenten in Zentralamerika und Mexiko ruiniert. Vietnam hat Kolumbien als zweitgrößter Kaffeeproduzent nach Brasilien bereits verdrängt – mit 11 Millionen Säcken im Jahr 2000 gegenüber 9,5 Millionen aus Kolumbien.

Der Markt hat sich in den letzten Jahren verlagert, und die Tendenz der Preise ist insgesamt fallend. Anfang der 90er Jahre fielen die Preise auf weniger als 100 US-Dollar für ein Quintal (rund 50 Kilogramm). 1997 stiegen sie auf 270 US-Dollar pro Quintal, fielen dann aber 1998 erneut. Ende Mai belief sich der Weltmarktpreis auf gerade einmal 56,87 US-Dollar pro Quintal, der niedrigste Preis seit sieben Jahren, der an der New Yorker Börse notiert wurde. Mit diesem niedrigen Preis können die Produzenten nicht einmal ihre Kosten decken.

Ricardo Espitia, Vorsitzender des salvadorenischen Rates der Kaffeeproduzenten (Consejo Salvadoreno del Cafe), sagte, dass der Verfall des Kaffeepreises die Produzenten zwänge, auf den Anbau von anderen Produkten umzusteigen. Auch die Regierung habe ein Kreditprogramm vorgeschlagen, um diesen Umstieg in der Bewirtschaftung zu erleichtern.

Vergangenes Jahr versuchte die Assoziation der Kaffeeproduzierenden Länder (APPC) den Preis zu stabilisieren, indem sie entschied, über zwei Jahre lang 20 Prozent der Produktion einzubehalten. Nun plant sie eine weitere Reduzierung um fünf Prozent. Aber nicht alle Länder gehören der APPC an. Brasilien beschloss, die Produktion während der aktuellen Saison zu erhöhen.

Der Verfall der Preise könnte gerade für El Salvador, dessen Wirtschaft schon durch eine Serie von Erdbeben angeschlagen ist, schwerwiegende Schäden verursachen. Die Verluste bei den Exporteinnahmen könnten dieses Jahr 40 000 Arbeitsplätze kosten, ein Drittel der Arbeitskräfte in der Industrie. In Honduras sagte Juan Jose Osoro vom hondurenischen Kaffeeinstitut (Instituto Hondureno del Cafe) voraus, dass mit einem für dieses Jahr angenomnmenen Verlustgeschäft von 160 Millionen US-Dollar und 100 000 davon betroffenen Familien, die hondurenische Kaffeeindustrie in ihrer Existenz bedroht sei.

In Nicaragua werde die Verluste für dieses Jahr auf 90 Millionen US-Dollar geschätzt. Die nicaraguensischen Produzenten stellten außerdem fest, dass die Regierung unfähig und nicht willens ist, ausreichende Unterstützungsprogramme für die Kaffeeproduzenten aufzulegen. Sie kündigten Proteste an. Die Regierung bot an, ihnen für jedes exportierte Quintal 25 Dollar zu neun Prozent Zinsen zu leihen. Aber gerade die kleinen Produzenten, die in der Mehrheit bereits hoch verschuldet sind, erklärten, dieser Vorschlag, helfe ihnen in keinster Weise weiter. Während eines Protestmarsches im Mai, forderten die Kaffeebauern von der Regierung finanzielle Hilfe und die Eliminierung aller Bankenhypotheken sowie die sofortige Streichung ihrer Schulden, die sich in der Summe auf 100 Millionen Dollar belaufen.

In Guatemala liegen die Gründe für die Kaffeekrise in einer Stagnation des Wirtschaftswachstums und dem Versuch der Regierung, die Steuern zu erhöhen. Das Land hat nicht mehr als 213 große Kafeeproduzenten, die im Schnitt 6000 Quintales produzieren, aber es gibt 80000 Kleinproduzenten, die in der Mehrheit weniger als 100 Quintales produzieren.

Der Kongressvorsitzende Efrain Rios Montt schlug ein Dringlichkeitsprogramm vor: Die Regierung soll 50 Millionen US-Dollar für die direkte Unterstützung der kleinen Produzenten ausschütten sowie weitere 25 Millionen, damit die Bauern Düngemittel erwerben können. Die Produzenten erwarten außerdem, dass der Kongress weitere 500 Millionen US-Dollar in Euro verabschiedet, um die Produzenten direkt zu unterstützen oder ihnen zu helfen, auf den Anbau von anderen Produkten umzusteigen.

 

DIE STEUERZAHLER

Von Eduardo Galeano

Mit barem Geld bezahlen wir jeden Tag die Mehrwertsteuer. Und mit dieser unglückseligen klingenden Münze bezahlen wir jeden Tag die Mehrschmerzsteuer. Alle zahlen wir die Mehrschmerzsteuer, die weltweit angewendet wird, obwohl sie die Abhandlungen über das Steuerrecht sie nicht einmal erwähnen.

Die planetarischen Behörden, mit der Aufgabe beschäftigt, die Welt in einen unerträglichen Ort zu verwandeln, fügen dem menschlichen Schmerz Schmerz hinzu – und berechnen uns diesen Gefallen, den sie uns leisten.

Seit einigen tausend Jahren wissen wir, dass es Schmerzen ohne Linderung gibt, die unvermeidlichen Schläge, die uns die Liebe, die Zeit und der Tod erteilen; aber der Mehrwertschmerz maskiert sich als Schicksalhaftigkeit, als ob es sich bei der Vergänglichkeit der Arbeit und der Vergänglichkeit des Lebens um dieselbe Sache handeln würde.

 

KOLUMBIEN

Suche nach drei entführten Deutschen bislang erfolglos – Indigenas und ihre Projekte sind den Bürgerkriegsparteien ein Dorn im Auge

Von Laura Barros

(Silvia/Cauca, 30. Juli 2001, npl).- Eine alte indianische Sage prophezeit, dass die Verdunklung der Moscoso-Ebene im Süden Kolumbiens kommendes Unheil ankündigt. Dieses Jahr half es nichts, dass die „Medizinmänner“ der Guambiana-Indigenas das Naturphänomen beschworen: Nur einen Tag nach der Zeremonie entführten Unbekannte drei Deutsche, einer von ihnen Entwicklungshelfer. Seitdem steht das Indigena-Gebiet im Mittelpunkt diplomatischer Bemühungen und der Wirren des langjährigen kolumbianischen Bürgerkrieges.

„Sie waren genau hier, fast vor der Tür der Töpferei, als ein Kleinlaster sie zum Anhalten zwang. Sechs uniformierte Männer zielten mit großen Waffen auf sie. Dann mussten die drei Deutschen in ihren Lastwagen einsteigen und sie fuhren davon,“ berichtet Efrain Muelas, einer der Bewohner der kleinen Siedlung Silvia im Department Cauca. Seit dem 18. Juli fehlt vom GTZ-Mitarbeiter Ulrich Künzel, seinem Bruder Thomas und ihrem Freund Reiner Bruckmann jede Spur.

Über den Grund der Entführung gibt es nur Vermutungen. Noch hat sich niemand offiziell zu der Tat bekannt, doch vieles weist darauf hin, dass es Guerilleros der Farc gewesen sind. Die Farc ist mit über 15.000 Kämpfern die älteste und zugleich stärkste Guerillagruppe Lateinamerikas. Sie ist eine traditionelle Bewegungen mit marxistischen Wurzeln und kämpft gegen Regierung, Militär und die berüchtigten Paramilitärs um die Macht im Land. Jenseits der großen Städte kontrolliert sie zusammen mit der kleineren ELN-Guerilla bereits über 40 Prozent des teilweise schwer zugänglichen Landes. Kidnapping – jährlich werden in Kolumbien rund 3.000 Menschen entführt, seit 1996 insgesamt 21 Deutsche – gehört zum Repertoire der Guerilleros: Mit dem Lösegeld finanzieren sie ihren Kampf und üben politischen Druck aus.

Mit dem Versprechen, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu lösen, war der konservative Andres Pastrana Ende 1998 zum Präsidenten gewählt worden. Seitdem wird miteinander gesprochen und gleichzeitig gekämpft. Immer wieder werden die Verhandlungen im Streit ausgesetzt. Die Regierung will zuerst einen Waffenstillstand, die Guerilla hingegen beharrt auf einer Änderung der Wirtschaftpolitik, fordert konkrete soziale Maßnahmen und wirft Pastrana vor, nichts gegen die Massaker der rechten Paramilitärs an Zivilisten zu unternehmen.

Angesichts dieser komplizierten Lage ist jede Aktivität in dem südamerikanischen Bürgerkriegsland politisch und damit gefährlich. Das weiß auch der 58-jährige Ulrich Künzel. Doch ein besonderer Umstand macht Hoffnung. Er und seine Begleiter können auf die entschlossene Unterstützung seitens der Indigenas, mit denen sie zusammenarbeiten, zählen.

Unmittelbar nach bekannt werden der Entführung hatten Indigena- Sprecher der Farc eine Frist von 48 Stunden zur Freilassung der drei Deutschen gesetzt. Dann bot sich ein ungewohntes Bild: Hunderte Indigenas, mit Stöcken und einigen Macheten bewaffnet, sammeln sich in den verschiedenen Gemeinden, um nach den Entführten zu suchen. Zu Fuß durchkämmen sie das waldige Bergland von Cauca, das zu den kolumbianischen Anden gehört. Andere suchen im Department Huila. Die ganze Region ist auf den Beinen, alle reden von der Entführung. Doch trotz aller Bemühungen, nach wie vor weiß niemand, wo die drei Deutschen versteckt gehalten werden.

„Sie waren aus der Hauptstadt Bogota gekommen, um unsere Ziegeleien und Keramikwerkstätten zu besichtigen und über eine weitere Finanzierung zu entscheiden,“ erklärt Luis Alberto die Sympathie für die Entwicklungshelfer. Die Arbeit der GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) ist in der gesamten Region bekannt. Seit nunmehr fünf Jahren unterhält sie dort landwirtschaftliche und handwerkliche Projekte, weitere sollen in Planung sein.

Die Indigenas sehen in der Entführung auch einen Angriff auf den Autonomie-Status ihrer Gemeinden. Selbstbewusst verficht der Bürgermeister der Indigena-Gemeinde Quizgo, Victor Muelas, dieses in der Verfassung festgeschriebene Vorrecht: „Wir beharren bei der Befreiung der Deutschen auf unseren Autonomiestatus und werden keine Intervention seitens der öffentlicher Sicherheitskräfte in unserem Gebiet dulden.“ Das Misstrauen gegen die Regierung in Bogota, dass aus diesen Worten spricht, macht die Lage für die Entführten freilich nicht einfacher.

Anlass zur Sorge bietet allerdings auch der politische Kontext der Entwicklungsprojekte. Erklärtes Ziel dabei ist laut Bundesentwicklungsministerium, den Menschen neue Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Damit soll insbesondere für Bauern eine Alternative zum Anbau von Drogen geschaffen werden, der angesichts der hohen Preise für Kokain auf dem Weltmarkt sehr lukrativ ist.

Wo die Indigenas an einer neuen Perspektive zum Überleben arbeiten, streiten andere um viel Geld und Macht. Nicht nur die Farc verdient am Drogenhandel. Insbesondere die Paramilitärs aber auch hohe Politiker wie Armeefunktionäre Kolumbiens betreiben das schmutzige Geschäft. Zugespitzt hat sich dieser Konflikt noch durch der „Plan Colombia“, mit dem die USA versuchen, den Drogenhandel mittels militärisches Maßnahmen in den Anbauländern zu unterbinden.

Wichtiger Bestandteil des „Plan Colombia“, den die Europäische Union wegen seiner milliardenschweren Militärhilfe an Kolumbien kritisierte, ist die Besprühung von Mohn- und Kokafeldern aus der Luft. Auch im Department Cauca wurden bereits Tausende Hektar Felder auf diese Weise vergiftet. Kurz vor der Entführung der drei Deutschen begannen über 30.000 Landarbeiter in der Region dagegen zu protestieren, weil sie gesundheitliche und ökologische Schäden befürchten. Insgesamt eine angespannte Situation, in der die Indigenas und ihre Projekte vielen eher ein Dorn im Auge sind.

Ein Mann, der sich als Farc-Mitglied ausgab, hatte kurz nach der Entführung in einem Telefonanruf von den örtlichen Behörden das Ende der Besprühungen zur Bedingung für die Freilassung genannt. Bislang der einzige Hinweis auf die Täterschaft, auch wenn die Art der Entführung eindeutig die Handschrift der Farc-Guerilla trägt. Allerdings wird nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Paramilitärs hinter dem Verbrechen stehen könnten – im Gegensatz zur Guerilla bekennen sie nicht nie zu ihren Taten, die immer zum Ziel haben, die Menschen mit brutalem Vorgehen einzuschüchtern und Verwirrung zu stiften.

Während Regierung, Vermittler und Indigenas sich mit Nachdruck um die Freilassung der drei Deutschen bemühen, stellt die kolumbianische Presse besorgte Fragen. „Warum wird mit einer Guerilla verhandelt, die offenbar den Krieg einem politischen Dialog vorzieht?,“ fragt die große Tageszeitung 'El Tiempo'. Etwas weiter geht der politische Kommentator Hernando Salazar: „Hat die Verschärfung des Krieges etwa schon begonnen, die so oft wegen der militärischen Komponente des 'Plan Colombia' angekündigt wurde?“

 

BOLIVIEN

Protestbewegung setzt zerstrittene Regierung unter Druck -Präsident bleibt im Ausland – Koka-Bauern durchkreuzen Drogenpolitik

Von Fernando de la Pena

(La Paz, 20. Juli 2001, npl).- Angesichts massiver Proteste von Bauern und Indigenas und einer handlungsunfähigen, zerstrittenen Regierung ist in Bolivien eine explosive Situation entstanden. Erstmals haben sich diese Woche die wichtigsten sozialen Bewegungen des Andenlandes zusammengeschlossen und fordern in einer gemeinsamen Erklärung Maßnahmen gegen die weitverbreitete Armut. Zugleich intensivierten die Aymara-Indigenas die Straßenblockaden im Hochland in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt La Paz, bei denen in den vergangenen Wochen schon drei Demonstranten von der Polizei erschossen wurden.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass Präsident Hugo Banzer, der zu einer Krebsoperation in die USA gereist war, seinen Aufenthalt dort wegen gesundheitlichen Komplikationen auf unbestimmte Zeit verlängert hat. Dieses Machtvakuum hat zu einem Streit innerhalb der Regierungskoalition geführt: Während Vizepräsident Jorge Quiroga de facto die Macht übernommen hat, sondieren die Parteien schon ihre möglichen Kandidaten für die Wahl im kommenden Jahr. Beobachter spekulieren, dass die Ausreise von General Banzer, der das südamerikanische Land früher bereits als Diktator regierte, nichts weiter als ein eleganter Abgang war, um sich der Verantwortung für die dramatische Krise zu entziehen.

Die Forderungen der Protestbewegung, die sie am Dienstag (17.7.) in einem Kommunique veröffentlichte, sind sehr konkret: Abschaffung des Dekrets 21060, das den zollfreien Import von Gütern genehmigt und die Beschäftigung zu Niedriglöhnen erlaubt. Gewerkschafter argumentieren, dass durch dieses Wirtschaftsdekret die bolivianische Landwirtschaft sowie die Industrie von Billigimporten ruiniert wird, Arbeitsplätze verloren gehen und die noch Beschäftigten nicht mehr genug zum Leben verdienen. Außerdem soll das Gesetz 1008 zurückgenommen werden, dass – wie von den USA gefordert – die Vernichtung aller Koka-Pflanzungen in Bolivien vorschreibt. Damit wird den „cocaleros“, die dieses in den Anden traditionelle Agrarprodukt keineswegs nur zur Herstellung von Drogen anbauen, die Lebensgrundlage entzogen.

Darüber hinaus fordern die Basisorganisationen eine wirkliche Agrarreform sowie eine Absage an Pläne, die Wasserressourcen und das Erziehungswesen zu privatisieren. Damit sind all die Themen benannt, die in den vergangenen zwei Jahren zu schweren Auseinandersetzungen in Bolivien geführt haben: Anfang vergangenen Jahres führte der Kampf gegen die Privatisierung des Wassers in der Region um die drittgrößte Stadt Cochabamba wochenlang zu Kämpfen zwischen Bauern und Militärs. Transportarbeiterstreiks und Straßenblockaden schnitten La Paz tagelang von der Außenwelt ab. Später besetzten die Minenarbeiter für zwei Tage die Hauptstadt.

Jedes Mal waren diese Aufstände, an denen sich jeweils die Mehrheit der betroffenen Bolivianer beteiligten, überraschend erfolgreich. Sowohl die Privatisierung des Wassers sowie mehrere unsoziale Wirtschaftspakete konnten teilweise verhindert werden. Die Regierung Banzer, stets im Zentrum der Kritik, agierte zumeist hilflos. Erst setzte sie auf Unterdrückung der Protestler, was oft zu Todesopfern führte. Doch angesichts der Hartnäckigkeit der verarmten Bauern und Indigenas gab sie wenig später nach.

Besonders überraschend war, dass es den Kokabauern in den sogenannten Yungas im Mai dieses Jahres gelang, die Drogenpolitik Banzers zu durchkreuzen. Nach massiven Protesten konnten sie die Regierung dazu bewegen, eine Vereinbarung zu unterschreiben, derzufolge die Zone entmilitarisiert und die Zerstörung von Koka- Feldern eingestellt wird. Auch wenn noch nicht ausgemacht ist, ob die Abmachung eingehalten wird – für die Bush-Regierung ist es ein herber Rückschlag, da Bolivien bisher das einzige Land war, das die Anti-Drogen-Strategie Washingtons effektiv umsetzte.

Derzeit wird befürchtet, dass die zahlreichen Straßenblockaden im Hochland zu neuer Gewalt führen werden. Polizei und Militär haben bereits Stellung bezogen, um ein Übergreifen der Proteste auf La Paz zu verhindern. Ein Vermittlungsversuch der katholischen Kirche, die mehrfach die Streits zwischen der aufgebrachten Bevölkerung und der Regierung schlichten konnte, scheiterte bereits.

 

PERU

Wieder Massengräber in Huancavelica gefunden

(Lima, 29. Juli 2001, comcosur/liberación-Poonal).- Große Bestürzung löste bei den Bewohnern die Entdeckung von Massengräbern in der Provinz Churcampa im Verwaltungsbezirk Huancavelica aus. In den Zeiten des Bürgerkriegs befand sich an diesem Ort eine Militärbasis, die angeblich den Vormarsch der Guerilla-Organisation Sendero Luminoso bekämpfen sollte. Ein Team der Tageszeitung Liberación begab sich aufgrund von Hinweisen der Anwohner zu dem Arcopampa genannten Ort, der nur einen Steinwurf von der Stadt Churcampa entfernt liegt. Zwei wichtige Zeugen, die im Jahr 1988 etwa zwei Monate lang im Innern der Militärbasis Arbeiten ausführten, berichteten, dass die Truppe der genannten Basis täglich Bauern der umliegenden Gemeinden unter der Anschuldigung verhaftete, Mitglieder oder Kollaborateure der in dieser Zone operierenden Senderistas zu sein.

Die Informanten sagten, diese Verhafteten hätten normalerweise die Kaserne nicht mehr verlassen, sondern seien im Gegenteil schweren Folterungen unterworfen worden. Viele seien daran gestorben. „Eines Nachts im Jahr 1988, ungefähr um ein Uhr, brachten sie 15 Personen mit verbundenen Augen und gefesselten Händen. Der Hauptmann „Lino“ kam von vorn herangeritten. Er befahl, die Verhafteten in einem Brunnen von zweieinhalb Metern Tiefe zu foltern. Danach schütteten die Soldaten sie mit Schotter zu und setzten sich darauf, bis die Gefangenen erstickten. Dann holten sie die Toten heraus und begruben sie in einem anderen, riesigen Loch, das andere Gefangene im Innern der Militärbasis gegraben hatten,“ sagte einer der Zeugen, dessen Identität geheim gehalten wird, um mögliche Repressalien zu vermeiden.

Die Bauern, deren Leichen sich in den fünf Gräbern befinden, sollen aus Maraypata, Locroja, Chupas, San Mateo, Uchubamba, Ticrahuasi, Ccaser und anderen zum Gerichtsstand der Provinz Churcampa im Verwaltungsbezirk Huancavelica gehörenden Gemeinden stammen, sowie aus Huanta, einer Provinz des Verwaltungsbezirks Ayacucho. Die Militärbasis, die 104 km von Ayacucho entfernt liegt und etwa 900 Quadratmeter groß ist, beherbergte das Bataillon Los Cabitos Nr. 51, das zum Kommando Castro Pampa in der Provinz Huanta gehört und dort von 1984 bis 1998 stationiert war. Die Basis liegt in einem zur Ricardo-Palma-Straße hin abschüssigen Gelände und wurde aus Lehmziegeln und Steinen gebaut und mit Gips verputzt, den der Lauf der Jahre schon teilweise zerstörte.

Dieser Fund ist der fünfte in einer langen Reihe, die die Zeitung Liberación in diesem Jahr mit der Entdeckung einer Reihe von Höhlen mit großen Mengen von Schädeln und verschiedenen menschlichen Überresten in Huancasancos, Ayacucho begann. Vor kurzem traf ein nichts ahnender Bauer, der in Churpampa nach Lehm für seinen Hausbau grub, auf einige weitere begrabene menschliche Überreste. Das Team von Liberación bestätigte die Entdeckung.

 

Fälschung von Statistiken unter dem Fujimori-Regime

(Lima, 27. Juli 2001, alc-Poonal ) Die Fälschung offizieller statistischer Daten stellt einen der schwerwiegendsten Vergehen, die Ex-President Alberto Fujimori bisher zugegeben hat.

In Japan, wo der Ex-Präsident derzeit untergekommen ist, verteidigt er auf einer Webseite seine Handhabung, indem er festhält, ihm seien zwar Fehler unterlaufen, er hätte jedoch andererseits richtige Urteile getroffen, welche die Grundlage für die peruanische Entwicklung bilden.

Die zwischen 1997-1999 vom nationalen Amt für Statistik (INEI) veröffentlichten Daten sprechen von einer Stabilisierung des Armutsindex, demzufolge zwischen 37,6 und 37,8 Prozent der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums lebten, welches zur Zeit auf 75US$ (263 Soles in Lima) im Monat berechnet wird.

Ein von der Zeitung „El Comercio“ veröffentlichter Bericht weist im Gegensatz hierzu auf einen schwindelerregenden Anstieg der Armut hin, unter der letztlich fast die Hälfte der peruanischen Bevölkerung litt. Den korrigierten Daten zufolge, die diese Woche von der neubesetzten Behörde veröffentlicht wurden, ist die Armut von 42,7 auf 48,4 Prozent gestiegen.

Die optimistischen offiziellen Schätzungen führten seinerzeit dazu, dass Peru aus der Liste der ärmsten Länder der Welt ausgeschlossen wurde und dadurch nicht von der Reduzierung der Auslandsschulden profitieren konnte, wie sie 1998 von der G8 beschlossen wurde.

Es ist ebenfalls bewiesen, dass die Analphabetenquote falsch angegeben wurde und nicht wie behauptet gesunken, sondern vielmehr sowohl prozentual als auch in realen Zahlen gestiegen ist.

Selbstverständlich findet sich neben den „Fehlern“ Fujimoris – von den Menschenrechtsverletzungen abgesehen – auch die Fälschung der Wahlergebnisse der Jahre 1995 und 2000, welche ihm zum Sieg verhalfen und gerade von Spezialisten überprüft werden.(Übers.:Margarita Ruby / Kristina Vesper)

 

BRASILIEN

Nur 35 Prozent der Katholiken gehen in die Kirche

(Sao Paulo, 25. Juli 2001, alc-Poonal).- Obwohl 67 Prozent der armen brasilianischen Großstädter*innen von sich behaupten, katholisch zu sein, glauben nur 35 Prozent an Christus und die Jungfrau Maria, oder gehorchen den Geboten ihrer Kirche. Die restlichen 32 Prozent üben ihre Religion auf andere Art und Weise aus, schreibt Marcelo Beraba in der Folha de Sao Paulo. Die Information stammt aus einer Untersuchung des Zentrums für religiöse Statistik (CERIS), eine Institution,die der nationalen Bischofkonferenz angegliedert ist.

Für diese Untersuchung wurden zwischen März und September 1999 5218 Erwachsene der schlechter gestellten ökonomischen Klassen (Kategorie C, D und E) in Sao Paulo, Rio de Janeiro, Porto Alegre, Belo Horizonte, Salvador und Recife befragt.

Ergebnis der Umfrage ist, dass es einen großen Unterschied zwischen den Menschen gibt, die sich als katholisch bezeichnen und denen, die ihren Glauben auch innerhalb der Kirche praktizieren. In Rio de Janeiro bezeichneten sich nur 57 Prozent der Einwohner*innen als katholisch. Ein Drittel von ihnen geht auch tatsächlich in die Kirche. In Porto Alegre gibt es zwar mehr Katholiken (70 Prozent), aber noch weniger von ihnen besuchen die Kirche (26 Prozent).

Die Studie belegt weiterhin, dass immer mehr Katholik*innen Autonomie von der Kirche suchen, d.h. ihre Religion außerhalb kirchlicher Strukturen praktizieren. Ihre Stellung zu den Weisungen der Kirchenoberen ist kontrovers. So befürworten 79 Prozent der Befragten den Gebrauch von Verhütungsmitteln in der Familienplanung, 44 Prozent billigt den vorehelichen Geschlechtsverkehr und 59 Prozent finden Scheidung in Ordnung. Dies heißt aber nicht, dass die Katholik*innen generell progressiver geworden seien: 72 Prozent der Befragten befürwortet die Position der Kirche in bezug auf Abtreibung, 61 Prozent unterstützt sie in ihrer Verurteilung von Homosexualität und gar 80 Prozent sprach sich gegen Ehebruch aus. In bezug auf das Recht von Priestern und Nonnen zur Heirat sind die Meinungen gespalten: 33 Prozent pro und 34 Prozent contra

 

Armut nahm im letzten Jahr zu

(Sao Paulo, Juli 2001, alc-Poonal).- Nach dem Bericht der UNO über die Entwicklung der Menschheit ist die Zahl der Brasilianer, die unter der Armutsgrenze leben, im Jahr 2000 angestiegen. 9 Prozent der brasilianischen Bevölkerung lebt von weniger als einem Dollar pro Tag, während dies im Vorjahr noch 5 Prozent waren. Von weniger als zwei Dollar täglich müssen 22 Prozent der Brasilianer leben, im Vorjahr waren dies noch 17 Prozent der Bevölkerung.

Trotzdem ist der Armuts-Index von 1999 zu 2000 von 14 auf 13 Prozent gefallen. Dazu beigetragen hat die Tatsache, dass im Jahr 2000 weniger Menschen ohne Zugang zu Trinkwasser lebten – 17 Prozent statt 24 Prozent im Jahr 1999 -, ebenso eine leicht gestiegene Lebenserwartung – 67,5 statt 67,3 Jahre – und die etwas höhere Anzahl der alfabetisierten Erwachsenen – 84,9 statt 84,5 Prozent.

In der Liste der 90 Entwicklungsländer, die von Uruguay angeführt wird, liegt Brasilien an achtzehnter Stelle. Unter den 162 Ländern, die vom Entwicklungsprogramm der UNO berücksichtigt werden, rangiert Brasilien auf Platz Nr. 69.

Die Einkommensverteilung innerhalb Brasiliens ist extrem ungleich: die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung verfügen über 47 Prozent der Gesamteinkünfte, während die ärmsten zehn Prozent von nur einem Prozent des gesamtgesellschaftlichen Einkommens überleben müssen. In dieser Hinsicht ist die Situation Brasiliens mit der in Südafrika vergleichbar. Beide haben weltweit den ungünstigsten „Ungleichheitsindex“ vorzuweisen (Brasilien: 59,1, Südafrika 59,3) und werden nur noch von Swasiland (60,9) und Nicaragua (60,3) übertroffen.

Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Brasilianers ist von 7.072 Dollar im Jahr 1998 auf 7.037 Dollar im Jahr 1999 gefallen. Die öffentlichen Investitionen im Bildungsbereich sind von 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Zeitraum 1985 bis 1987 auf 5,1 Prozent in den Jahren 1995 bis 1997 gestiegen. Davon wurde über die Hälfte in Grundschulbildung investiert. Die Ausgaben im Gesundheitsbereich wurden von 3,0 auf 2,9 Prozent des BIP leicht gekürzt. Am stärksten gestiegen sind die Ausgaben für Schuldenrückzahlung und Zinstilgung. Wurden in den Jahren 1985 bis 1987 noch knapp 1,8 Prozent des BIP hierfür aufgewendet, so waren es 1987 bis 1989 bereits 9 Prozent des BIP, was den Gesamtausgaben für Bildung und Gesundheit entspricht.

 

ARGENTINIEN

Gewerkschaften mobilisieren gegen neues Sparpaket

Von Roberto Roa

(Buenos Aires/Berlin, 17. Juli 2001, npl-Poonal).- „Morgen streiken die Staatsbetriebe, am Donnerstag Generalstreik, und am Freitag sehen wir, wie es weiter geht. Wir müssen handeln, denn hier bricht alles zusammen,“ sagt ein Gewerkschaftssprecher. Das neue Sparpaket, mit dem die Regierung Argentiniens die jahrelange Wirtschaftskrise in Griff bekommen will, hat die zersplitterte Gewerkschaftsbewegung wieder vereint. Erstmals seit 1996 saßen die drei großen Arbeitervertretungen zu Wochenbeginn wieder an einem Tisch. Nach gerade mal einer Stunde beschlossen sie, die erst seit 20 Monaten amtierende Regierung des Sozialdemokraten Fernando de La Rua mit dem sechsten Generalstreik zu konfrontieren.

Vergangene Woche hatte Wirtschaftsminister Domingo Cavallo einen strikten Sparkurs angekündigt, den das Kabinett am Sonntag billigte. Er sei „der einzige Ausweg und nicht verhandelbar,“ verkündete Präsident De la Rua. Das neue Schlagwort lautet „Null- Defizit“: Der Staat soll nur noch das ausgeben, was er einnimmt. Konkret bedeutet dies, dass die Gehälter der Staatsangestellten um rund zehn Prozent, die Renten um bis zu 13 Prozent gekürzt werden sollen.

Um wie angekündigt allein letzten Drittel dieses Jahres die öffentlichen Ausgaben um 1,2 Milliarden Dollar zu senken, werden auch die Sozialleistungen weiter eingeschränkt. Zudem soll gegen die weitverbreitete Steuerhinterziehung vorgegangen wird, die in Argentinien Schätzungen zufolge 30 Milliarden Dollar im Jahr ausmacht. Außer die Steuerhinterzieher als „schlimme Verbrecher“ zu brandmarken, verkündete Präsident Fernando de la Rua allerdings keine Maßnahmen, mit denen die Regierung dieses Problem angehen will.

Das „Null-Defizit“ soll ausschließlich durch Steuereinnahmen finanziert werden, eine Neuverschuldung schließt Minister Cavallo aus. Die Auslandsschuld hingegen soll weiter bedient werden, um das Vertrauen in die Wirtschaft des hochverschuldeten südamerikanischen Schwellenlandes nicht weiter zu unterminieren. Nach mehreren Börseneinbrüchen und Gerüchten über eine Abwertung des argentinischen Peso warnte der Internationale Währungsfonds IWF eindringlich davor, dass die Turbulenzen in Argentinien auf andere Krisenländer übergreifen könnten, wenn die Lage nicht bald stabilisiert werde.

Kritiker der Regierung sehen in dem neuen Sparpaket keinen Ausweg aus der Krise. Zwar sei ein „Null-Defizit“ die richtige Richtung, doch könne dies nicht durchs Sparen allein erreicht werden, so der Tenor. Korruption, die seit Jahren chronische Arbeitslosigkeit, ungleiche Einkommensverteilung und eine überbewertete Währung werden für die Krise verantwortlich gemacht. Statt mit bloßem Sparen soziale Spannungen heraufzubeschwören, sollte lieber langfristig die Produktion und die Nachfrage angekurbelt werden, fordern Gewerkschafter: „Die Regierung macht den Rentnern das Leben schwer, anstatt diejenigen zur Kasse zu bitten, die astronomische Summen verdienen,“ klagt Juan Manuel Palacios vom Gewerkschaftsverband CGT. „Wir haben viele Vorschläge, die dem Staat Einnahmen bringen. Zum Beispiel realistische Steuern für die Unternehmen, die zu Schleuderpreisen privatisiert wurden. Doch die Regierung stellt sich taub.“

Derzeit steht die Regierung von Fernando de la Rua zwischen allen Fronten. Der Regierungsallianz der sozialdemokratischen UCR mit dem Mitte-Links-Bündnis Frepaso droht die Spaltung. Schon im März, als Teile des Kabinett wegen eines anderen Sparplanes zurücktraten und Domingo Cavallo als Retter in der Not zum Wirtschaftsminister berufen wurde, zeigte sich, dass De la Rua nicht einmal in seiner Partei UCR ausreichend Rückhalt besitzt. Die konservative peronistische Opposition, die in der Mehrheit der Bundesstaaten regiert, stellt ihrerseits Bedingungen.

Angesichts der schlechten Stimmung im Land rechnen die Gewerkschaften mit großer Beteiligung bei den angekündigten Streiks. So findet der landesweite Ausstand erstmals nicht an einem Freitag statt, der sonst von vielen nur zur Fahrt in ein verlängertes Wochenende genutzt wurde. Zudem hat sich bereits eine Protestbewegung jenseits der Gewerkschaften gebildet: In mehreren Bundesstaaten blockieren Arbeitslose und Obdachlose seit Monaten immer wieder Landstrassen und Kreuzungen, um auf ihre Misere aufmerksam zu machen.

 

Friedensnobelpreisträger Adolfo Esquivel kritisiert in einem offenen Brief das neue Sparpaket der argentinischen Regierung

(16. Juli 2001, Poonal).- Nach der Ankündigung eines neuen Sparpakets vergangene Woche spitzt sich die wirtschaftliche und soziale Krise in Argentinien zu. Aus Protest gegen die Maßnahmen der Regierung unter Präsident Fernando de la Rua traten bereits am Mittwoch 1,5 Millionen Staatsangestellte in den Ausstand. Am Donnerstag legte ein Generalstreik große Teile des Wirtschaftslebens lahm.

Kern des umstrittenen Sparprogrammes ist die Kürzung der Beamtengehälter und der Renten um rund 13 Prozent, um das Haushaltsdefizit auf Null zu reduzieren. Scharfe Kritik seitens der Gewerkschaften und von Politikern auch innerhalb der Regierungskoalition entzündete sich an der Zusicherung, den Schuldendienst ungeachtet der kritischen Lage im Land weiterhin zu bedienen.

In einem offenen Brief an den sozialdemokratischen Präsidenten De la Rua kritisiert der argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel die Sparmaßnahmen als Betrug an den Argentiniern und geht mit den politisch Verantwortlichen, v.a. dem Wirtschaftsminister Domingo Cavallo, hart ins Gericht. Am Mittwoch forderte Esquivel auf einer Protestkundgebung für seine Landsleute das Recht, in Würde zu leben.

Im folgenden dokumentieren wir den offenen Brief leicht gekürzt.

„Erneut wende ich mich heute an Sie, Herr Präsident, obwohl Sie anscheinend taub sind für alle Forderungen. Offensichtlich hören Sie nur auf die, die das Sagen haben. Sie haben die Fähigkeit zu regieren verloren, denn Sie tun es ohne die Bevölkerung, was die Demokratie ernstlich in Gefahr bringt.

Herr Präsident, Sie haben in Ihrer Rede versäumt, darauf hinzuweisen, dass die geplanten Maßnahmen nur beschlossen wurden, um den unmoralischen und ungerechten Anforderungen der Märkte zu genügen und um die Zinsen der Auslandsschuld abzuzahlen. Dabei vergessen Sie die soziale Schuld, die Sie gegenüber ihrem Volk haben und die immer weiter gestundet wird. Diese Menschen sind Tag für Tag der wachsenden Armut ausgeliefert und zunehmender sozialen Ausgrenzung unterworfen.

Der alte und neue Finanzminister Domingo Cavallo übt sein Amt über die wechselnden Regierungen hin aus: angefangen von der Militärdiktatur über die Regierung des Dr. Menem – in der er den illegalen Verkauf von Waffen an Kroatien und Ecuador mit zu verantworten hat, weil er es war, der das betreffende Dekret unterzeichnete – bis heute, da er erneut das Finanzministerium leitet.

Dieser Finanzminister hat anfangs erklärt, dass unsere Probleme mittels einer Politik der Anpassung und Privatisierung zu lösen seien und dafür gesorgt, dass unser gesamter Staatsbesitz in fremde Hände gelangt ist.

(…)

Nun konnte er erneut Maßnahmen ergreifen, die zu einer weitergehenden Rezession führen werden. Alles in allem haben sie uns die Zukunft versprochen und zugleich unsere Gegenwart verpfändet. Der Wahnsinn des Ganzen besteht darin, dass alles inzwischen einen Preis hat, nichts aber mehr Wert besitzt.

Herr Präsident, Sie behaupten, dass die angekündigten Reformen notwendig seien, da die Staatsschulden verringert werden müssen. Sie behaupten weiterhin, dass der einzige Weg, das zu erreichen darin bestehe, die Löhne der Staatsbediensteten zu senken und die Renten zu kürzen.

Ich erwarte von Ihnen nur, dass Sie ehrlich sind. Sagen Sie der Bevölkerung die Wahrheit (…). Sie wissen genau, dass selbst die Staaten der am weitesten entwickelten Länder hoch verschuldet sind.

Der Preis an Menschlichkeit, den ihre Politik fordert, ist enorm. Der einzige Weg, der Ihnen bleibt, wenn Sie den Dialog und das Einverständnis der Bevölkerung nicht suchen, ist der Weg der Repression. Er führt über den Hunger und die soziale Ausgrenzung. Das erfüllt uns mit Schmerz und wir fürchten die Folgen, die dieser Weg für das Leben und die Würde der Menschen dieses Landes mit sich bringen wird. (…)

Es gibt Statistiken, die belegen, dass jedes Jahr mehr als 20.000 Säuglinge an vermeidbaren Ursachen sterben. Aber ebenso wie dem letzten Präsidenten ist es Ihnen wichtiger, sich um die unmoralischen und illegitimen Zinsen der Schulden zu kümmern, als um das Leben ihrer Bevölkerung.

Wie lange werden diese Menschen die Ungerechtigkeit, den Hunger und den Mangel – selbst am Notwendigsten – noch hinnehmen?

Herr Präsident, ich erinnere Sie daran, dass es heißt: „du sollst nicht töten – weder durch Hunger noch durch Kugeln.“ Durch repressive Maßnahmen werden Sie die großen Probleme unseres Landes nicht lösen. Das kann nur durch eine Politik gelingen, die auf Entwicklung und Beschäftigung zielt und die gerechtere und menschlichere Lebensbedingungen für alle schafft.

(…)

Zum Schluss bleibt mir nur noch, Sie an die Worte des Erzbischofs und Märtyrers Enrique Angelelli zu erinnern, der sagte: „Höre mit einem Ohr auf das Evangelium und mit dem anderen auf das Volk, wenn Du den richtigen Weg gehen willst.“. Lernen Sie, auf das Volk zu hören, anstatt es zu fürchten. Fangen sie endlich an, die Realität wahrzunehmen, so wie sie für Tausende von Argentiniern und Argentinierinnen existiert. (…)“

Alfonso Perez Esquivel, Friedensnobelpreisträger

 

 

   

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