Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 377 vom 19. März 1999
Inhalt
CHILE
ARGENTINIEN
KUBA
MEXIKO
NICARAGUA
PANAMA
BRASILIEN
KOLUMBIEN
URUGUAY
CHILE
Gespannte Ruhe vor der Lord-Entscheidung über Pinochet.
Von Guillermo Espinoza
(Santiago de Chile, 18. März 1999, npl).- Gespannte Ruhe herrscht dieser Tage in Chile. Wochenlang warteten Gegner und Anhänger des Ex-Diktators Augusto Pinochet auf Nachricht aus London. Jetzt ist es soweit: Am Mittwoch Morgen werden die Lordrichter bekanntgeben, ob der umstrittenste Chilene in Großbritannien Immunität besitzt oder nicht. Beide Lager diskutieren hinter verschlossenen Türen, wie sie reagieren sollen. Demonstrationen sind bereits angekündigt, von rechter Seite werden Drohungen wiederholt, für den Fall, daß ihr Idol nicht endlich freikommen sollte.
Er sei bei guter Gesundheit und warte ungeduldig auf die Entscheidung, verlautete aus der Villa in einem Londoner Nobelvorort, in der Pinochet unter Hausarrest steht. Vor über fünf Monaten war der Ex-General und Senator auf Lebenszeit nach London gereist und völlig überraschend festgenommen worden. Spanien hatte seine Auslieferung wegen Menschenrechtsverbrechen beantragt. Innenminister Straw hatte dem stattgegeben und in einer ersten Entscheidung hatte das Lordgericht entschieden, Pinochet genieße keine Immunität. Nachdem dieser Spruch wegen Befangenheit eines Richters kassiert worden war, ging das juristische Tauziehen in die nächste Runde.
An moralischer Unterstützung mangelt es dem Mann nicht, der für Tod und Verschwinden von mindestens 3.000 Menschen während der Diktatur von 1973 bis 1990 verantwortlich zeichnet. 300 prominente Unterstützer aus Chile werden Anfang der Woche nach London reisen. Auch die chilenische Regierung, eine Koalition aus Christdemokraten und Sozialisten, von denen viele selbst zu den Opfern der Diktatur gehörten, beharrt auf ihrer Position: Chile sei ein souveräner Staat, ausländische Gerichte seien nicht zuständig. Deswegen, so forderte Präsident Eduardo Frei erneut, müsse Pinochet nach Chile zurückkehren. Hier werde ihm dann der Prozeß gemacht.
Die Lordrichter haben drei Optionen: Pinochet genießt als ehemaliger Staatschef Immunität und darf sofort zurückkehren. Wenn nicht, wird das am 9. Dezember begonnene Auslieferungsverfahren wieder aufgenommen. Experten meinen, es könne dann noch Jahre dauern, bis alle rechtlichen Möglichkeiten erschöpft sind und Pinochet im Ausland vor Gericht steht. Drittens könnte ihm zwar Immunität zugesprochen werden, die jedoch wegen des Vorwurfs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht greift. In diesem international bislang einzigartigen Fall wäre das weitere Vorgehen völlig unklar.
Am meisten streitet Chile über die Ansicht der Regierung, daß sich Pinochet nach einer Rückkehr vor einem nationalen Gericht verantworten soll. Damit rechtfertigt die Koalition ihre unter den Sozialisten heftig umstrittene Parteinahme für den Ex-Diktator. 70 bis 80 Prozent der Chilenen wollten Pinochets Rückkehr und ihn in Chile vor Gericht sehen, erklärte kürzlich Präsident Frei, ohne zu sagen, woher er diese Zahlen habe.
Die Rechte sieht dies ganz anders. „Wofür soll sich mein Vater entschuldigen oder verantworten,“ fragt Pinochets Tochter Lucia Hiriart. „Sollen sich doch Fidel Castro oder die Frau von Erich Honecker entschuldigen!“ Nicht nur wegen des politischen Drucks der Rechtsparteien und von Teilen der Streitkräfte glaubt die Linke nicht an ein Gerichtsverfahren gegen Pinochet im eigenen Land. Zwar liegen inzwischen 18 Klagen in einer Vielzahl von Fällen gegen den 83jährigen Patriarchen vor, doch fallen alle Taten in der Diktaturzeit unter eine Amnestie, die Diktator Pinochet selbst 1978 verabschiedete. Auch die Internationale Liga für Menschenrechte erklärte nach dem Besuch einer Delegation in Chile, daß ein Prozeß vor Ort nicht zu erwarten sei. Von über 3.000 Klagen, die der chilenischen Wahrheitskommission vorliegen, sind bislang ganze 19 vor chilenischen Gerichten behandelt worden.
Wie die Lords auch entscheiden, die Regierung Chiles bereitet sich ernsthaft auf jede Art von Auseinandersetzungen vor. Der Fall Pinochet wird auf diplomatischer Ebene für weitere Brisanz sorgen, mehr noch aber die Innenpolitik belasten. Das jahrelange Einvernehmen der meisten Strömungen im Sinne einer oberflächlichen Versöhnung ist vorbei – die alten Wunden sind aufgebrochen und können das Land in politische Konflikte führen. Handfest, so wird befürchtet, werden die Konflikte auf der Straße werden, wenn sich beide Seiten – trauernd und jubelnd – Mitte der Woche gegenüber stehen.
Mapuches protestieren gegen Staudamm und Holzeinschlag –
Im Süden Chiles bahnt sich ein gewalttätiger Konflikt an
Von Leonel Yanez
(Santiago, 10. März 1999, npl).- Im Süden Chiles bahnt sich ein handfester Konflikt zwischen Mapuche-Indigenas und Regierung an. „Unser kleines Chiapas“ titelte die größte Tageszeitung „Mercurio“, nachdem sich die Indigena-Proteste Anfang März zu regelrechten Kämpfen mit Polizei und Militär steigerten. Es gab bereits über 20 Verletzte, die Festnahmen häufen sich.
Seit Monaten protestieren die Mapuches gegen ein Staudammprojekt am Bio-Bio-Fluß (vgl. dazu auch Poonalausgaben der vergangenen Monate). Nach seiner Fertigstellung soll ein Teil des von ihnen bewohnten Gebietes überflutet werden. Hinzu kommt, daß das Holzunternehmen Mininco den Wäldern der Region zu Leibe rückt. Mapuche-Vertreter fordern das sofortige Ende des Abholzens und drohen mit immer neuen Demonstrationen und Aktionen. So meldete Mininco am 8. März, Jugendliche hätten eine Baustelle überfallen und drei Maschinen beschädigt.
Ende Februar wandten sich die Mapuches an die UN-Menschenrechtskommission, nachdem 41 Demonstranten verhaftet worden waren. Die Organisation solle die chilenische Regierung auffordern, Übergriffe zu vermeiden und den Indigenas Land zu übereignen. Die Mapuches befürchten, daß die Gewalt eskalieren könne: Sie bezichtigen die Forstunternehmen, schwer bewaffnete, paramilitärische Wachtrupps zum Schutz ihrer Einrichtungen zu unterhalten.
Doch die Koalitionsregierung unter dem Christdemokraten Eduardo Frei setzt offenbar auf die harte Linie. Einige subversive Mapuche-Familien und Öko- Aktivisten seien für die Unruhe verantwortlich. Kurzerhand nahm die Polizei drei ausländische Ökologen fest, die mit den Mapuches zusammenarbeiteten, und verwies eine Spanierin und einen Franzosen des Landes. Jetzt befindet ein chilenisches Gericht über den Widerspruch der beiden Europäer.
Wie schon der Fall Pinochet belastet dieser Konflikt die Regierung. Abgeordnete des sozialistischen Koalitionspartners (PS) kritisierten die Ausweisungen. Damit wolle Präsident Frei von den Ursachen des Streits ablenken und ziehe Unternehmensinteressen einer ökologischen Politik vor. Erst Anfang dieser Woche zeigte sich die Regierung gesprächsbereit und lud die Konfliktparteien zu einem Krisengespräch ein. Dabei soll auch die Forderung der Mapuches nach 20.000 Hektar Land behandelt werden. Bisher hat sich der Staat lediglich dazu bereit erklärt, ein Drittel dieser Fläche den Mapuches zuzusprechen.
Seit Menschengedenken leben die Mapuches in der waldreichen Berglandschaft rund 600 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago. Die dünn besiedelte und ökonomisch vernachlässigte Seenlandschaft ist beliebtes Ziel in- und ausländischer Touristen. Über dreihundert Jahre leisteten die Indigenas den spanischen Eroberern erfolgreich Widerstand. Schließlich wurden sie besiegt und bekamen kleine Reservate zugewiesen. Heute leben die Mapuches, die rund acht Prozent der 15 Millionen umfassenden chilenischen Gesamtbevölkerung ausmachen, unter zumeist elenden Bedingungen.
ARGENTINIEN
Entführer verhaftet – Fälle von Deutschstämmigen bringen Ermittlungen voran
Von Marcos Salgado
(Buenos Aires, 14. März 1999, npl).- Wegen Entführung und illegaler Adoption der Tochter eines Deutschen hat die argentinische Bundesrichterin Maria Servini de Cubria den ehemaligen Unteroffizier Luis Vazquez verhaftet. Der Vater Ruben Santiago Bauer und seine argentinische Frau, die das Kind in der als Folterzentrum bekannten Marineschule ESMA gebar, sind seit Beginn der Militärdiktatur (1976-1983) verschwunden. Aus Justizkreisen verlautete am Freitag (12.3.), es lägen ausreichend Beweise vor, daß der Ex-Militär das Kleinkind geraubt habe. Derzeit sitzt Vazquez in einer Einzelzelle bei der Nationalpolizei der Hauptstadt und soll am Montag vernommen werden.
Seit Monaten ermitteln Servini und ihr Kollege Adolfo Bagnasco wegen organisierten Babyhandels gegen frühere Diktaturschergen. Bereits im Januar nahm Bagnasco die Ex-Diktatoren Videla und Massera sowie sechs weitere hohe Militärs fest. Wegen ihres fortgeschrittenen Alters stehen sie während des laufenden Verfahrens lediglich unter Hausarrest. Die Justiz kann in diesen Fällen ermitteln, da Kindesraub nicht verjährt und auch nicht unter die Amnestiegesetze aus den 80er Jahren fällt.
Die Menschenrechtsorganisation „Großmütter der Plaza de Mayo“ dokumentierte bislang 240 Fälle von geraubten Babys, die unter falscher Identität von Militärs oder deren Freunden adoptiert wurden. Die Großmütter gehen von insgesamt bis zu 500 Verbrechen dieser Art aus. In 62 Fällen ist es gelungen, die heute über 20jährigen mit ihren wirklichen Familien zusammenzubringen.
Ein weiterer Fall von Verbrechen an Deutschstämmigen beschäftigt seit vergangener Woche die argentinische Justiz. Generalstaatsanwalt Nicolas Becerra erklärte, das höchste Gericht des Landes werde den Klagen von Debora Engel und Idalina Tatter nachgehen, deren Vater bzw. Ehemann unter der Diktatur verschwanden. Die beiden Frauen fordern von der Deutschen Botschaft in Buenos Aires und somit vom deutschen Außenamt „Unterstützung bei der Aufklärung des Schicksals von Augusto Engel und Federico Tatter“.
Erst vor kurzem hatte Bonn eingeräumt, daß ein Geheimdienstagent des argentinischen Heeres in den Räumen der Deutschen Botschaft mit Angehörigen von Verschwundenen gesprochen hatte. Bundespräsident Roman Herzog hatte daraufhin bei seinem Besuch Anfang März in Argentinien den Angehörigen der deutschstämmigen Verschwundenen zugesagt, die juristische Aufklärung zu unterstützen. Derzeit ermittelt bereits der Gerichtshof in Nürnberg gegen 41 argentinische Militärs, die in die Verbrechen an Deutschstämmigen während der Diktatur verstrickt sein sollen.
Becerra sagte weiter, daß das Oberste Gericht in der Sache zuständig sei, da es sich um einen „Ausnahmefall“ handele, der eine ausländische Botschaft und hohe Funktionäre betreffe. Derweil ist es der argentinischen Tageszeitung „Pagina 12“ gelungen, den Geheimdienstagenten „Major Peirano“ zu identifizieren. Es handelt sich um Carlos Antonio Espenadero: „Es war eine Aufgabe unter vielen, die ich in offiziellem Auftrag erledigte,“ sagte der Agent in Bezug auf seine Tätigkeit in der Deutschen Vertretung gegenüber der Zeitung. Die hilfesuchenden Familienangehörigen, die auf Empfehlung des damaligen deutschen Botschafters mit Espenadero gesprochen hatten, befürchten, der Geheimdienst habe mit den Informationen weitere Entführungen planen können. Der „Kontaktmann“ zwischen Botschaft und Militärregime wisse mehr, als er heute zugeben will.
Deutschland ist nach Frankreich, Italien und Spanien das vierte Land, in dem wegen Menschenrechtsverletzungen während der argentinischen Diktatur ermittelt wird. Die neuen Enthüllungen über die deutschstämmigen Opfer und das Zusage von Hilfe seitens Roman Herzogs machen den Betroffenen Mut. Bislang fordern sie vergeblich die Bestrafung der Verantwortlichen für die rund 30.000 Verschwundenen, die vor 20 Jahren den Militärs zum Opfer fielen.
Protest der Community Radios
(Buenos Aires, 10. März 1999, alc-Poonal).- Das argentinische Forum der Community Radios hat gegen die Ausschreibung von UKW-Frequenzen durch das Bundesradiokomitee protestiert, die auf einem Gesetz der vergangenen Militärdiktatur beruht. Nach dem Gesetz dürfen sich nur kommerzielle Anbieter um die Frequenzen bewerben, soziale Organisationen bleiben außen vor. Nach Angaben des Forum hat der Präsident in einem später aufgehobenen Dekret anerkannt, daß das Gesetz nicht verfassungsgerecht und diskriminierend sei. Es sei unbedingt notwendig, zivilen, sozialen, universitären, religiösen und anderen gemeinnützigen Organisationen den Besitz und den Betrieb von Medien zu garantieren, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Forumspräsidenten Nestor Busso und des Sekretärs Claudio Vivori. Die Community Radios verlangten eine Gesetzgebung, die das Recht auf Kommunikation verankere und die Frequenzvergabe nicht nur an ökonomischen Kriterien festmache. Es sei notwendig, Meinungsvielfalt und Bürgernähe zu erhalten, wenn man eine Demokratie aufbauen und stärken wolle. Das Recht auf Meinungsäußerung der sozialen Organisationen beinhalte auch den Besitz und Betrieb eigener Medien. Nach der bestehenden Gesetzgebung würden die großen Wirtschaftsunternehmen alle Frequenzen unter sich aufteilen und die lokalen Radiostationen würden eliminiert. Im Senat sei ein Gesetzesvorhaben eingebracht, nachdem alle juristischen Personen Frequenzen erwerben dürften. Es sei höchste Zeit, die Radiolandschaft zu regulieren und zu normalisieren, heißt es weiter. Anhand von diktatorischen Kriterien sei dies allerdings nicht möglich.
KUBA
Ökumenischer Gottesdienst auf dem Platz der Revolution?
(Havanna, 12. März 1999, alc-Poonal).- Kubanische Christen bereiten eine Reihe gemeinsamer öffentlicher Feiern vor, mit denen sie den hundertjährigen Jahrestag evangelischer Präsenz auf der Insel begehen wollen. Damit haben sich die evangelischen Kirchen erstmals auf ein gemeinsames Projekt geeinigt. Zur Zeit sind 54 Kirchen an den Vorbereitungen beteiligt. Unter dem Leitspruch „Jesus Christus in allen und für alle“ werden die Feiern in zwei Etappen durchgeführt. Die erste, vom 3. bis zum 31. Mai dauernde besteht aus ökumenischen Gottesdiensten in verschiedenen lokalen Gemeinden, die die öffentlichen Feiern der zweiten Etappe vorbereiten sollen. Diese wird vom 1. bis zum 13. Juni dauern und öffentliche Akte in zehn Provinzen und sieben Gemeinden umfassen. Die Abschlußveranstaltung soll in der kubanischen Hauptstadt Havanna stattfinden. Ungeklärt ist noch, ob in einem Baseballstadion oder auf dem Platz der Revolution. Ein nationales Komitee ist mit der Planung der verschiedenen Feierlichkeiten beauftragt und wird in einer gemischten Kommission mit Regierungsvertretern zusammenarbeiten, um die Logistik abzustimmen und zu garantieren.
Homosexualität kein Tabu mehr in Kuba – Doch Abbau von Vorurteilen mühsam
Von Claude Hackin
(Havanna, März 1999, npl).- Zum umstrittenen Thema Homosexualität sind in Kuba alle nur erdenklichen Meinungen zu hören. Es gibt Leute, die die Auffassung vertreten, Homosexualität sei genetisch bedingt, aber nicht einig darüber sind, ob dies nun eine Fehlentwicklung sei oder nicht. Andere glauben, Kindheit und Erziehung sei entscheidend. Doch wie ist die „Verweiblichung“ eines Jungen oder die „Vermännlichung“ eines Mädchens zu bewerten? Fast alle sehen in der sexuellen Orientierung ein „Problem“, sofern sie von der Norm abweicht. Viel wird darüber jedoch nicht diskutiert, da das Tabuthema Homosexualität auf der sozialistischen Insel nur langsam in die Öffentlichkeit dringt.
Dabei haben sozialistische Vordenker in der Vergangenheit durchaus dazu beigetragen, das machistische Vorurteil, Schwule könnten keine richtigen Revolutionäre sein, zu bekämpfen. Schon Kubas Nationalheld Jose Marti habe die Diskriminierung von Schwulen und Lesben als „niederträchtig“ bezeichnet, erklärt der Historiker Felipe Perez Cruz. Der Forscher am Institut für Philosophie und Geschichte „Enrique Jose Varona“ zitiert weitere Klassiker: Die deutsche Kommunistin Klara Zetkin habe stets für die Rechte der Homosexuellen gekämpft. Und auch Lenin habe sich gegen die sexuelle Unterdrückung im Zarenreich gewandt und Homosexualität als „etwas ganz natürliches“ bezeichnet.
Der Schriftsteller Carlos Montenegro hat das Thema 1937 mit seinem Buch „Männer ohne Frau“ in die kubanische Literatur eingebracht. Der Roman erzählt seine Erfahrungen während einer langen Haftzeit. Er beschreibt, wie homosexuelle Männer hinter Gittern für viele die Frau ersetzen – so werden sie zum Objekt der Begierde wie auch der Unterdrückung.
Doch das Tabu ist hartnäckig. Zwar beschränken sich viele Schwule nicht mehr auf die typischen Berufe wie Künstler oder Frisör, aber viele Beamte und Angestellte ziehen es vor, ein Doppelleben zu führen. Die Toleranz hat allerdings im Vergleich zu den 70er Jahren zugenommen. Damals wurden Homosexuelle ähnlich wie Katholiken kontrolliert und unterdrückt. Kirche wie Schwulenkreise galten damals als Treffpunkte von Oppositionellen, denen es nicht unbedingt um ihre Religion oder sexuelle Orientierung ging. Es war der Höhepunkt der Homophobie und nicht selten wurde Homosexuelle als latente Feinde der Revolution kritisiert. Viele, auch die meisten Politiker, mieden in dieser Zeit Ballettaufführungen, galt dieses Metier doch als Domäne der Homosexuellen. Die gesellschaftlichen Vorurteile gingen so weit, daß viele der 125.000 Kubaner, die 1980 in die USA auswanderten, als „unmännlich“ bezeichnet wurden.
Just der Kunst, der Literatur, aber vor allem dem Kino ist es zu verdanken, daß Lesben und Schwule in Kuba heute anerkannt werden. Insbesondere der Film „Erdbeer und Schokolade“ des kürzlich verstorbenen Regisseurs Tomas Gutierrez Alea löste 1995 geradezu eine Revolution in Sinne sexueller Toleranz aus. Die romantische wie politische Liebesgeschichte nach dem Roman „Der Wolf, der Wald und der neue Mensch“ von Senel Paez war sowohl in Kuba wie auch im Ausland ein großer Erfolg.
Inzwischen hat das Thema auch die kubanischen Medien erreicht. Anlaß waren zunächst Berichte über die Diskriminierung von Schwulen in ihren eigenen Familien. 1997 rief das staatliche Fernsehen die Bevölkerung dazu auf, mehr Toleranz und Respekt gegenüber Homosexuellen zu zeigen. Der Psychologe Manuel Calvino, der eine der beliebtesten Sendungen moderiert, nahm das Thema auf und setzte sich für die sexuellen Rechte aller ein. Berichte von Betroffenen und Briefe von Zuschauer entfachten eine Diskussion auf dem Bildschirm. Wenig Verständnis zeigte Calvino für eine Frau, die geschrieben hatte, sie ziehe eine Tochter die Prostituierte sei, einer lesbischen Tochter vor. Denn, so argumentierte sie, erstere sei zwar unmoralisch, eine Lesbe jedoch sei sexuell falsch orientiert.
Auch wenn Homosexualität auf Kuba heute weniger diskriminiert wird, sind Vorurteile und soziale Marginalisierung auch heute noch an der Tagesordnung. Nicht zuletzt die Zahlen über die AIDS-Ansteckung tragen dazu bei. Offiziellen Angaben zufolge sind 70 Prozent der AIDS-Infizierten Männer in Kuba homo- oder bisexuell.
MEXIKO
Zapatistas starten neue politische Offensive –
landesweite Befragung soll Bevölkerung mobilisieren
Von Ulrich Brand und Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 15. März 1999, poonal).- In vielen Städten und Dörfern Mexikos sieht man in diesen Tagen Aufrufe an den Hauswänden, die auf den 21. März verweisen. „Mach dich auf!“, „Geh wählen!“, „Organisiere dich!“ ist da zu lesen, obwohl weder Parlaments- noch Präsidentschaftswahlen anstehen.
Die im Bundesstaat Chiapas aktiven Rebellen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) und ihre soziale Basis versuchen ein weiteres Mal, in die politische Offensive zu kommen. Die Befragung „Für die Rechte der indigenen Völker und für das Ende des Ausrottungskrieges“ soll am kommenden Sonntag Menschen in Mexiko und auch in anderen Ländern mobilisieren.
Vier Fragen gilt es zu beantworten: Soll die indigene Bevölkerung stärker und mit all ihrer Vielfalt in die mexikanische Gesellschaft integriert werden, um ein „neues Mexiko“ aufzubauen? Sollen die indigenen Rechte, wie sie im Abkommen von San Andres im Februar 1996 von der Regierung anerkannt wurden, in der mexikanischen Verfassung festgeschrieben werden? Soll es zu einem „wahren Frieden“ vermittels Dialog, Rechtstaatlichkeit und Entmilitarisierung kommen? Soll die Bevölkerung sich selbstständig organisieren und von der Regierung ein anderes Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten einfordern, nämlich das Prinzip des „gehorchenden Befehlens“, was eine sehr weitgehende Form des imperativen Mandates ist? Mexikaner in allen Ländern, die älter als zwölf Jahre sind, können sich zustimmend, ablehnend oder enthaltend äußern.
Mexikos Innenminister Francisco Labastida nennt die Befragung „absurd“ und „getrickst“, für die Indígena-Kommission der katholischen Bischofskonferenz sind die Fragen „parteiisch“ und tragen nicht zu grundsätzlichen Lösungen bei. Dagegen meinen Bischof Samuel Ruiz Garcia und sein Hilfsbischof Raúl Vera aus der chiapanekischen Diözese San Cristobal, es handele sich um eine „friedliche Anstrengung“, die zu begrüßen sei.
Wichtiger als die vorhersehbaren Antworten wird die Beteiligung im Vorfeld und am Tag der Abstimmung sein. Möglicherweise werden mehrere Millionen Menschen an den 6.700 Wahltischen im ganzen Land ihre Meinung zu den Fragen abgeben. Mehr als 20.000 „Brigadisten“ sind an der Vorbereitung der Befragung beteiligt. Davon sind 5.000 – je 2.500 Frauen und Männer – zapatistische Delegierte aus den Gemeinden und Dörfern im Einflußgebiet der EZLN. Sie starteten von fünf verschiedenen Orten in Chiapas zu Beginn des vergangenen Wochenendes.
Allein 800 von ihnen befinden sich während dieser Woche in der mexikanischen Hauptstadt. Sie wurden am Sonntag auf dem Platz vor dem Nationalpalast von der Menschenrechtsaktivistin Rosario Ibarra empfangen. Getreu ihrer aktuellen Devise „als einzige Waffe das Wort“ und mit schwarzen Mützen maskiert wie seit Beginn ihres Aufstandes am 1. Januar 1994 werden sie unter anderem Diskussionsveranstaltungen an der staatlichen Universität UNAM durchführen. Auch ein Fußballspiel gegen mexikanische Altprofis steht auf dem Programm. Der Regierung blieb nichts anderes übrig als die Aktion zu dulden. Sie versucht jedoch, die Bedeutung der Befragung herunterzuspielen. Die „Abkommen über indigene Rechte und Kultur“, die im chiapanekischen Ort San Andres unterzeichnet wurden, sind die einzigen festen Vereinbarungen zwischen Regierung und EZLN. Doch sie bilden bis heute Anlaß des Konflikts, denn die mexikanische Regierung hat nie Anstalten gemacht, selbige in die Tat umzusetzen. Das war zusammen mit der zunehmenden Militarisierung und dem Krieg niedriger Intensität gegen die mit den Zapatisten sympathisierende Zivilbevölkerung im Bundesstaat Chiapas, daß die EZLN die direkten Gespräche abbrach.
Die Idee der landesweiten Befragung wurde im Juli 1998 von der EZLN in ihrer 5. Erklärung des Lakandonen-Urwaldes vorgeschlagen und auf einem Treffen mit 3.000 Teilnehmern in Chiapas im November desselben Jahres konkret beschlossen. Die Zapatisten haben deutlich gemacht, daß es ihnen vor allem um die Selbstorganisationsprozesse im ganzen Land geht: Mobilisierung und Dialog sind daher die entscheidenden Begriffe. Der Dialog zielt dabei auf die sogenannte Zivilgesellschaft und nicht Regierung ab.
NICARAGUA
Präsidialer Dukatenkacker
(Managua, 12. März 1999, comcosur-Poonal).- Werden Sie Präsident, es lohnt sich! Der nicaraguanische Präsident Arnoldo Alemán besitzt fast eine Million Dollar. Bei seinem Amtsantritt als Bürgermeister vor neun Jahren waren es lediglich 126.000 Dollar. Nach seinen eigenen Worten ein beträchtliches Wachstum, das jedoch nichts mit ungesetzlicher Bereicherung oder Machtmißbrauch zu tun habe. Die Veröffentlichung der Zahlen hat dennoch beträchtliches Aufsehen erregt und das Wort von der Korruption ist in aller Munde. Der nicaraguanische Rechnungshof hatte die Zahlen veröffentlicht. Aleman hat danach seinen persönlichen Besitz allein in der Bürgermeisterzeit zwischen 1990 und 1995 um 900 Prozent erhöht. Als Präsident Nicaraguas machte er zuletzt durch undurchsichtige Landgeschäfte von sich reden. Sein Besitzstand umfaßt sieben Haciendas, darunter einige Kaffefincas, vier Luxusautos, einen Kaffeeverarbeitungsbetrieb, eine Autoversicherungsfirma, verschiedene „gemeinschaftlich betriebene“ Bankkonten in Nicaragua und den Vereinigten Staaten, eine Insel im Cocibolcasee und auf 100.000 Dollar geschätzte Kunstwerke.
PANAMA
US-Abschied auf Raten
(Panama-Stadt, 12. März 1999, comcosur-Poonal).- Eine der herausragenden US- Einrichtungen in der Kanalzone, die Rodman-Kaserne, ist wieder in die Hände der Panamaer zurückgefallen. Die seit 1903 begonne militärische Präsenz der USA in dem mittelamerikanischen Land hat sich erneut verringert. Die Aufgabe der Kaserne ist Teil der 1977 unterschriebenen Torrijos-Carter-Verträge. Von den bis zu 10.000 in der Kanalzone stationierten US-Soldaten sind heute noch 4.000 übrig. Sie müssen das Land spätestens bis Jahresende verlassen haben.
BRASILIEN
Epidemische Stromausfälle
(Rio de Janeiro, 12. März 1999, comcosur-Poonal).- Die Privatisierungen der Stromversorgungsunternehmen sorgen in Lateinamerika weiter für großflächige Stromausfälle. Nachdem weite Teile der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires 11 Tage ohne Strom geblieben waren, leiden nun Teile der brasilianischen Bevölkerung unter einem Blackout. Von dem Ausfall sind die beiden größten Städte des Landes, Sao Paulo und Rio de Janeiro sowie Gebiete der Bundesstaaten Paraná, Santa Catarina und Río Grande und ein Teil von Brasilia betroffen. Über die Gründe des Ausfalls wurde vorerst nichts bekannt. Der private argentinische Stromversorger Edosur versucht unterdessen, eine Welle von Zivilklagen einzudämmen, mithilfe derer die Geschädigten Ausgleichszahlungen für den langen Ausfall verlangen.
Fußballclub begleicht Altschulden an Candomble
(Recife, März 1999, alc-Poonal).- Um das besiegelte Schicksal ihres Clubs abzuwenden, haben die Vorsitzenden des Fußballclubs Nautico beschlossen, eine alte Schuld mit dem Candomble-Kult zu begleichen. 1968 hatten die Chefs von Nautico versprochen, der Condomble-Gottheit Z'e Pilintra ein Opfer zu bringen, falls der Club die Meisterschaft des Bundesstaates erringe. Nautico gewann, doch der Vorstand vergaß sein Versprechen. Seit damals geht es mit dem Club langsam, aber stetig bergab. Er spielte zeitweise sogar in der drittklassigen Liga des Bundesstaates Pernambuco. Letzte Woche nun übergab der Nauticovorstand dem „Babalorixa“, dem Candomble-Priester, Pai Edu die damals versprochene Opfergabe.
Pai Edu verlangte einen Ochsen, vier Ziegenböcke, acht Hähne, 12 Liter Rum, einen Liter Whisky, Pfeffer, Salz, Zwiebeln, Palmöl, Yuccamehl und Bienenhonig. In einer Zeremonie empfing „Babalorixa“ die Gabe, erklärte aber, er könne nicht garantieren, daß Nautico dieses Jahr die Meisterschaft gewinne. „Es war schließlich eine sehr alte Schuld,“ meinte er. Während der Vorstand versucht, sich mit dem Candomble zu versöhnen, entschied sich Trainer Artur Neto, den katholischen Glauben um Hilfe anzugehen. Er bat einen Priester, das Fußballfeld und die Spieler zu segnen.
KOLUMBIEN
FARC gibt Morde an drei US-Bürger*innen zu
(Bogotá, 12. März 1999, comcosur-Poonal).- Entgegen anfänglicher Dementis haben die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) zugegeben, daß Kämpfer aus ihren Reihen drei nordamerikanische Bürger*innen umgebracht haben, die bei der Verteidigung indigener Gemeinden halfen. Die drei Opfer waren am 25. Februar diesen Jahres im an der Grenze zu Venezuela gelegenen Landkreis Arauca entführt worden. Ihre Leichen wurden am Freitag auf venezolanischem Territorium entdeckt. Ihre Namen sind Terence Freitas, Laheenae Gay und Ingrid Washinawatok. Die wichtigsten Guerillaführer*innen versicherten, sie würden eine interne Untersuchung durchführen und die an den Morden Schuldigen bestrafen. Die freiwilligen Helfer unterstützten den Stamm der Uwa bei seinem Kampf gegen die US-amerikanische Occidental Petroleoum, die ihre Ländereien bedroht.
URUGUAY
Gemeinsamer Aufgabe eint Erzfeinde:
Tupamaros und Militärs vermittelten bei der Waffenruhe der spanischen ETA
(Montevideo, 10. März 1999, comcosur-Poonal).- „Wir versuchen den Weg ebnen, für eine mögliche Verständigung, um den Frieden zu erreichen,“ sagte der historische Tupamarochef Eleuterio Fernández Huidobro. Er räumte ein, aktive urruguayische Militärs, ETA-Aktivisten, spanische Regierungsfunktionäre und Tupamaros vermittelten im Baskenland. Die Verhandlungen hatten letztlich zu der einseitigen Waffenstillstandserklärung der ETA geführt. Die Tageszeitung „La Republica“ hatte die Existenz von Friedensverhandlungen im Baskenland mit uruguayischer Beteiligung am vergangegen Montag enthüllt. Fernández Huidobro war daraufhin auf Schritt und Tritt von Reportern verfolgt worden. Nachdem er zum Sprecher der Verhandlungsgruppe ernannt worden war, gab er Erklärungen ab.
Zunächst wies er darauf hin, trotz noch offen stehender Rechnungen hätten Militärs und ehemalige Guerilleros zusammengearbeitet, da es „höhere Themen und Instanzen gibt, die es uns erlauben, zusammenzuarbeiten“. Weder die uruguayischen Militärs noch die Tupamaros seien zu dumm, dies zu sehen. Es habe aber sehr wohl Interessen gegeben, die diesen Friedensprozeß vereiteln wollten. Nach seiner Ansicht sei die Beteiligung an der Vermittlung auch keine entscheidende gewesen, sondern lediglich eine bescheidener Beitrag. Die entscheidenden Figuren seien „die baskische Bevölkerung und der spanische Staat“. Nun könne keiner mehr die Friedensinitiative aufhalten, „wohl aber die bisher gemachten Anstrengungen vereiteln“. Aus wahltaktischen oder politischen Gründen gebe es viele, die die Zusammenarbeit von Tupamaros und Militärs schlecht reden wollten. „Wir haben aber gezeigt, daß wir in Wirklichkeit gut zusammenarbeiten können.“ Der ehemalige Außenminister Alvaro Ramos, einer der möglichen Präsidentschaftskandidaten der rechtsgerichteten Nationalpartei kündigte unterdessen an, er werde beim Verteidigungsministerium einen Bericht verlangen, aus dem hervorgehen soll, inwieweit das Ministerium über die Rolle der Militärs bei den Verhandlungen informiert gewesen sei.
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