Was passiert nach dem Friedensschluss?

von Darius Ossami

(Berlin, 28. Dezember 2016, npl).- Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerillaorganisation FARC dauern nun schon drei Jahre. Begleitet von großer medialer Aufmerksamkeit schüren die bisherigen Fortschritte bei den Verhandlungen die Hoffnung, dass bereits im März 2016 ein Friedensvertrag zwischen beiden Seiten unterschrieben werden könnte, der einen formellen Schlussstrich unter diesen mehr als 50 Jahre währenden Konflikt ziehen soll. Doch was kommt dann?

Der “Congreso de los Pueblos” ist ein Dachverband der kolumbianischen sozialen Bewegungen mit mehr als 25.000 Mitgliedern. Zwei Vertreterinnen des „Kongresses der Völker“ sind der Meinung, dass ein Friedensvertrag mit der Guerillaorganisation FARC noch lange kein Ende der Gewalt bedeutet. Was passiert mit der zweitgrößten Guerillagruppe ELN? Was passiert mit den paramilitärischen Organisationen, die in vielen Landesteilen über großen Einfluss verfügen? Was passiert mit der Waffen und der Macht der hochgerüsteten kolumbianischen Armee? Und was ist mit der ungleichen Landverteilung und der mangelnden politischen Teilhabe, die beides den Bürgerkrieg mit ausgelöst haben?

Zweifel am Friedensprozess

Mariangélica Rojas aus Bogotá hat so ihre Zweifel am Friedensprozess. Sie ist Soziologin und Aktivistin von Tejuntas, der Jugendorganisation des Kongresses der Völker. Ihrer Ansicht nach hat die Repression gegen soziale Bewegungen in den letzten drei Jahren sogar zugenommen. Als Beispiel nennt sie die Explosion einer Bombe im Juli, die in Bogotá vor dem Geldinstitut Porvenir hochgegangen ist; wenige Tage danach wurden in einer groß angelegten Operation 13 Mitglieder des Kongresses der Völker verhaftet. „Von Seiten der Medien, der Polizei und der Regierung hieß es, dass die 13 Personen die Terroristen seien, die die Bombe im Auftrag der ELN gelegt hätten“, erzählt Rojas. „Doch vor Gericht wird jetzt nur noch wegen der Teilnahme an einer gewalttätigen Demonstration im Mai ermittelt. Trotzdem werden sie öffentlich noch immer für die Bombe in Bogotá verantwortlich gemacht.“

Die 13 Aktivist_innen wurden nach zwei Monaten Hochsicherheitsgefängnis auf freien Fuß gesetzt. Zwar wird weiterhin ermittelt, aber nicht mehr wegen der Bombe vor dem Institut Porvenir. Die Mitglieder des Kongresses der Völker bleiben jedoch weiterhin stigmatisiert. Für Rojas ein Fall von „falsos positivos jurídicos“, also Unschuldige, die gerichtlich für kriminelle Handlungen verantwortlich gemacht werden.

Die Urheber der Bomben sind weiterhin unbekannt; die ELN hatten bereits erklärt, nichts damit zu tun zu haben. Mariangélica Rojas vermutet einen Anschlag von rechtsextremen Kreisen, die den Friedensprozess torpedieren wollen, indem sie einen Zusammenhang zwischen der sozialen Bewegung und der Guerilla konstruieren. Die Verhaftungen und Anklagen in Bogotá sind für sie aber ein Beispiel für die anhaltende politische Repression im Land: „In den letzten drei Jahren ist die politische Verfolgung in Kolumbien angestiegen; sie richtet sich vor allem gegen Anführer oder Repräsentanten sozialer Organisationen. Inmitten eines Friedensprozesses ist das besonders Besorgnis erregend, weil es bedeutet, dass das Land noch nicht für den Frieden bereit ist.“

Juristische Montagen und repressive Gesetze

Die langjährige Aktivistin Sonia Milena López ist Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Joel Sierra und ebenfalls Mitglied des Kongresses der Völker. Sie kommt aus der seit Jahren umkämpften Provinz Arauca an der Grenze zu Venezuela. In den vergangenen Jahren hat sie an direkten Gesprächen mit der Regierung teilgenommen, in denen die sozialen Organisationen ihre Ideen für eine Gesundheitsversorgung, für Bildung, Produktivität und auch für die Selbstbestimmung der indigenen Völker vorstellen konnten. Zwar findet López, dass außergerichtliche Hinrichtungen und Morde und Vertreibung durch die Paramilitärs in den letzten Jahren etwas abgenommen haben. Ein Grund für Entwarnung ist das für sie jedoch nicht, denn: „Die juristische Repression hat zugenommen. Die Rechtssprechung wird überdehnt, zum Beispiel wurde 2012 das Gesetz für öffentliche Sicherheit verabschiedet. In mehreren Paragrafen werden Aktionen des sozialen Protestes kriminalisiert, wie Straßenblockaden oder das Besetzen öffentlicher Gebäude. Deshalb stehen jetzt einige unserer Aktivisten vor Gericht. Vorher wurden die Anklagen konstruiert, jetzt sind schon einfache Protestaktionen kriminell.“

Konflikt hat soziale, politische und wirtschaftliche Gründe

In dem “Gesetz für öffentliche Sicherheit” sieht López ein Instrument des Staates, um erfolgreiche regionale Massenproteste wie etwa in den Provinzen Arauca, Catatumbo oder dem Chocó zu unterbinden und deren Anführer*innen mit Ermittlungsverfahren zu überziehen. Zwar sei eine politische Lösung des Konfliktes schon immer eine der Forderungen der Zivilgesellschaft gewesen, betont López. Bei den wichtigen Verhandlungen mit den FARC gehe es jedoch nur um das Ende des bewaffneten Konflikts. Aber der Konflikt in Kolumbien habe soziale, politische und wirtschaftliche Gründe. Und López macht sich Sorgen um die Zukunft, denn trotz des Geredes von einem Ende des Konflikts und einem Frieden gehe die Repression in den Provinzen weiter.

Wie zur Bestätigung wurde im November der bekannte Umweltaktivist Daniel Abril in Arauca ermordet – vermutlich von Paramilitärs. Die Provinz ist besonders stark militarisiert. Große Gebiete in Arauca sollen zur Erdölforderung erschlossen werden. Sonia López sieht darin ein wichtiges Motiv für die Regierung, sich mit den Guerillas zu einigen. Denn wenn diese nicht mehr in Provinzen wie Arauca aktiv sind, würden Unternehmen mehr in das Land investieren. López fürchtet eine großflächige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und eine Vertreibung der Landbevölkerung.

Sozialer Runder Tisch für den Frieden

Als Lösung setzt López ganz auf einen Runden Tisch, der gerade vom Kongress der Völker vorbereitet wird. Ab Februar 2016 sollen dort verschiedene Gruppen der Zivilgesellschaft zusammenkommen und einen Fahrplan für einen Frieden mit sozialer Gerechtigkeit erarbeiten. Dort soll auch besprochen werden, wie die sozialen Ursachen für den bewaffneten Konflikt bekämpft werden können.

Auch Mariangélica Rojas setzt auf den geplanten Runden Tisch, um aktiv an der Gestaltung des Friedens mitzuwirken. Sie will mithelfen, wirkliche Alternativen zu schaffen, bei denen auch der Schutz der Zivilgesellschaft gewährleistet wird. Dennoch bleibt sie skeptisch: „Es gibt keine Lösung für die strukturellen Probleme, die den Konflikt in Kolumbien erst ausgelöst haben“, glaubt Rojas. „Es gibt keine Lösung für den ungerechten Landbesitz, es wird in den Verträgen nicht von einer wirklichen politischen Teilhabe geredet; deshalb kann es sein, dass sich der soziale Konflikt weiter verschärft. Und das bedeutet: Das Übereinkommen zwischen den FARC und der Regierung wird den Konflikt in Kolumbien nicht beenden.“

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