Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 433 vom 6. Juni 2000
Inhalt
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
HAITI
KUBA
NICARAGUA
HONDURAS
MEXIKO
PERU
ECUADOR
KOLUMBIEN
PARAGUAY
ARGENTINIEN
BRASILIEN
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
Hipólito Mejía ist neuer Präsident
(Santo Domingo, Mai 2000, pulsar-Poonal).- Er hat es geschafft. Der 54jährige Hipólito Mejía von der oppositionellen Revolutionären Dominikanischen Partei (PRD) ist ab August neuer Präsident der Dominikanischen Republik (vgl. Poonal 331). Zwar fehlten ihm im ersten Wahlgang wenige zehntel Prozent zur absoluten Mehrheit, doch verzichtete der mit 24,9 Prozent zweitplazierte Danilo Medina von der regierenden PLD auf die Auseinandersetzung in der Stichwahl. Medina blieb aufgrund des Verhaltens des mit 24,8 Prozent so gut wie gleich aufliegenden drittplazierten Joaquin Balaguer von der PRSC praktisch keine andere Möglichkeit. Der 93-jährige Balaguer hatte kurz vor der Bekanntgabe des Endergebnisses Mejía gratuliert und erklärt, falls er Zweitplazierter sei, werde er nicht zur Stichwahl antreten . Damit war indirekt klar, dass Medina nicht mit der Unterstützung der PRSC im zweiten Wahlgang rechnen konnte, die ihm zumindest rechnerisch noch Chancen gelassen hätte. Bei der letzten Präsidentenwahl hatte sich Balaguer noch anders entschieden und damit den Ausgang zugunsten der PLD entschieden. Selber sieben Mal Präsident betätigte er sich jetzt erneut als Präsidentenmacher.
HAITI
Narco-Connection
(Port-au-Prince, Mai 2000, na-Poonal).- Die kolumbianischen Drogenbosse nutzen verstärkt die politische Instabilität und die Armut in Haiti für ihre Geschäfte aus. 15 Prozent des 1999 in den USA konsumierten Kokains sollen nach Angaben des US-Außenministeriums über die Zwischenstation Haiti ins Land gekommen sein. Das sind immerhin 75 Tonnen, die einen Anstieg um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeuten. Die Erfolge der haitianischen Polizei bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels sind bescheiden. Sie konnte im vergangenen Jahr nur 375 Kilogramm beschlagnahmen.
Haiti ist eine bevorzugte Anlaufstation für den Kokainhandel auch wegen seiner geographischen Nähe sowohl zu Kolumbien als auch den USA. Schwache staatliche Institutionen und das niedrige Einkommen der Bevölkerung fördern die für den Schmuggel notwendige Korruption. „Ich habe nur 26 Agenten, um damit das ganze Land abzudecken“, erklärt Mario Andresol, Leiter der Anti-Drogeneinheit bei der Polizei. „Und selbst wenn wir alles mögliche unternehmen, um uns sicher über ihre Unbestechlichkeit zu sein, so können wir sie mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht die ganze Zeit überwachen.“
KUBA
Sozialistische Touristenattraktion
(Havanna, Mai 2000, na/ips-Poonal).- Kuba erwartet in den kommenden Jahren ein substantielles Wachstum der Tourismus-Industrie. Durch den Aufstieg der Branche in der jüngsten Vergangenheit ist der Tourismusanteil an den Deviseneinnahmen auf 30 Prozent gestiegen. Mit 1,9 Milliarden Dollar löste der Tourismus 1999 den Zucker als einträchtigste Devisenquelle ab. Experten schätzen, die ausländisches Kapital in den touristischen Unternehmen bereits die Eine-Milliardengrenze überschritten hat. Ohne das Helms-Burton-Gesetz wäre diese Ziffer noch wesentlich höher. Im vergangenen Jahr kamen 1,65 Millionen Besucher nach Kuba. Dieses Jahr sollen es zwei Millionen sein und innerhalb von zehn Jahren sogar sieben Millionen.
NICARAGUA
Aleman schaltet möglichen Konkurrenten um Präsidentschaft aus
(Managua, Mai 2000, pulsar-Poonal).- Wenn es um den Erhalt der Macht geht, kennt Nicaraguas Staatschef Arnoldo Aleman keine Freunde mehr. Bis vor kurzem war Jose Antonio Alvarado noch Verteidigungsminister und enger Vertrauter des Präsidenten. Doch seine Absicht, Ende 2001 möglicherweise als Präsidentschaftskandidat gegen Aleman anzutreten, brachte ihm nur Ärger ein. Den Job als Verteidigungsminister ist er los und jetzt soll er auch noch seine nicaraguanische Staatsangehörigkeit verlieren, wie ihm Innenminister Rene Herrera beschied. Was die Kritiker als „schmutzigen Schachzug“ ansehen, hält die Regierung für ganz normal. Als Alvarado 1990 erneut die nicaraguanische Staatsbürgerschaft angenommen habe, sei die Erlaubnis nicht von kompetenter Stelle ausgestellt worden. Daher sei sie nichtig. Alvarado ficht nicht nur die seiner Ansicht nach sehr fragwürdige Interpretation an, die seine Rechte als Bürger eklatant verletzte, sondern macht darauf aufmerksam, dass er „beizeiten tot gemacht“ werden solle. Zwar kann der Ex-Verteidigungsminister Widerspruch beim Innenministerium und beim Präsidenten selbst einlegen, doch geht von eben dort die Aktion gegen ihn aus. Danach stände ihm die Berufung vor den Gerichten offen. Alvarado hat berechtigten Anlass, zu seiner Auffassung, dass die Justiz erst dann entscheiden werde, wenn er sich nicht mehr als Präsidentschaftskandidat einschreiben lassen könne.
Vilma Nuñez, Vorsitzende einer der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen im Land, bezeichnet den Vorgang als „politische Verfolgung“. Sie werde der Bitte Alvarados nachkommen, ihm alle mögliche Unterstützung zu gewähren. Nicaragua stünde vor der gefährlichen Herausbildung einer Diktatur. Die Absicht, seine Kandidatur zu verhindern, sei klar. Verschiedene andere Menschenrechtseinrichtungen, an die sich Alvarado gewandt hat, verurteilen die „stalinistische Politik“ des derzeitigen Staatschefes.
HONDURAS
Bei Chiquita nichts mehr Banane
(Tegucigalpa, Mai 2000, pulsar-Poonal).- Der Bananenmulti Chiquita will bei seinem honduranischen Subunternehmen Tela Railroad Company mindestens 2.000 Plantagenarbeiter entlassen. Begründet wird das mit dem weltweiten Überangebot der krummen Frucht. Der heute Chiquita-Ableger ist seit über hundert Jahren im Norden des Landes präsent und fuhr mit der Bananenproduktion lange satte Gewinne ein. In den Hochzeiten arbeiteten 35.000 Menschen auf den Plantagen. Jetzt würden es nach den neuen Entlassungen nur noch 1.500 Arbeiter sein. Gewerkschaftsführer Gabriel Beteta hat erklärt, die Entlassungen würden nur akzeptiert, wenn das Unternehmen gerechte Abfindungszahlungen überreiche. Genau dies versucht die Tela Railroad Company zu verhindern. So schlägt sie stattdessen vor, Plantagenland billig an Entlassene zu verkaufen oder einen Teil von ihnen an andere Fincas zu vermitteln, wenn sie auf das Entschädigungsgeld verzichten.
MEXIKO
General wegen Beteiligung an Massaker in Acteal verurteilt
(Mexiko-Stadt, Mai 2000, pulsar-Poonal).- Der General Julio Cesar Santiago Díaz, ehemaliger Berater der Behörde für die öffentliche Sicherheit des Staates, wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Er wird mitverantwortlich für das Massaker gemacht, bei dem am 22. Dezember 1997 in der chiapanekischen Gemeinde Acteal 45 Indigenas von Paramilitärs – ebenfalls Indigenas – umgebracht wurden. Zwei weitere Militärs müssen ebenfalls wegen „Mord und Verletzung durch unterlassene Hilfeleistung“ für acht Jahre in Haft.
Der General Santiago Díaz befand sich zum Zeitpunkt des Verbrechens über drei Stunden lang nur 200 Meter vom Tatort entfernt und befehligte 40 Polizisten. Er unternahm nichts, um das Morden gegen die angeblichen Sympathisanten der aufständischen Zapatisten zu verhindern. Von den ausführenden Tätern befindet sich die Mehrheit bereits länger im Gefängnis. Bis heute wird aber nicht gründlich dem Verdacht nachgegangen, der die Auftraggeber für das Massaker in der damaligen Regierung des Bundesstaates Chiapas sieht.
Die Armee: Dem PRI-Staate treu und gleichzeitig als Institution unantastbar
Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 30. Mai 2000, Poonal).- Der mögliche Machtwechsel in Mexiko nach über 70 Jahren Herrschaft der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) wirft bei Manchem die Frage auf, wie die Streitkräfte auf eine politische Änderung reagieren könnten. Die mexikanische Armee gilt als Sonderfall in Lateinamerika. Und das in gewissem Ausmaß zu Recht. Seit die mexikanische Revolution (1910- 1917) in institutionalisierte Bahnen geleitet wurde, sind den Streitkräften Putschgelüste weitgehend fremd geblieben. Zumindest nach außen hin ist die Treue gegenüber dem jeweiligen Präsidenten fast schon sprichwörtlich. In der Öffentlichkeit spielt das Militär meistens eine wohltuend untergeordnete Rolle. Dennoch: die mexikanische Armee grundsätzlich anders zu bewerten als ihre Pendants von Guatemala bis nach Argentinien, wäre verfehlt. Die Institution Streitkräfte ist auch in Mexiko so gut wie unantastbar. Das über Jahrzehnte stabile und harmonische Miteinander zwischen ziviler und militärischer Führung beruht auf spezifischen Fakten, die es in anderen Ländern Lateinamerikas so nicht gegeben hat. Letztendlich ist auch die mexikanische Bundesarmee ein Staat im Staate, der sich in vielen Fällen vor zivilen Instanzen keinerlei Verantwortung stellen muss, gleichzeitig aber Einfluss in vielen eigentlich zivilen Lebensbereichen hat.
Kanalisierte Institutionalisierung
Die ersten Präsidenten nach der mexikanischen Revolution waren allesamt Generäle, auch wenn die Regierungen zunehmend zivilen Charakter hatten. Und es waren ebenfalls maßgeblich Militärs, die ihren Machtkämpfen 1929 mit der Gründung der Nationalen Revolutionären Partei (PNR), dem Vorläufer der bis heute regierenden PRI, eine institutionalisierte Lösung gaben. Bis 1940, dem Ende der Regierungszeit des fortschrittlichen Generals Lazaro Cardenas, bildeten die Militärs offiziell eine der vier Säulen der Partei. Als sich immer mehr Revolutionskämpfer, darunter eine Menge Generäle, in der PRI an den Rand gedrängt fühlten, reagierte die Partei schnell: 1954 rief sie vor allem für diese Militärs als Satellit die Authentische Partei der Mexikanischen Revolution (PARM) ins Leben. Eine „politische Notwendigkeit, die darin bestand, die Militärs institutionell zu kanalisieren“, schreibt Octavio Rodríguez Araujo.(1). Aus biologischen Gründen zum Aussterben verdammt, wurde die Partei nach den 70er Jahren bis heute eher künstlich am Leben gehalten. Ironischerweise war es die PARM, die 1988 dem PRI-Dissidenten und Präsidentensohn Cuauhtémoc Cárdenas kurzfristig ihr Wahlregister als Plattform für seine Kandidatur zur Verfügung stellte. Der „Sohn des Generals“ gewann damals nach allgemeiner Einschätzung die Wahlen, das offizielle Ergebnis lautete anders. In diesem Zusammenhang ist eine Tatsache mit anekdotischem Charakter bezeichnend für das Verhalten der Militärs. Eine 1988 extra für sie im Präsidentenpalast aufgestellte Wahlurne ergab eine Mehrheit für Cuauhtémoc Cárdenas, doch den offensichtlichen Wahlbetrug der PRI- Regierung akzeptierten sie ohne Zögern.
Für politisch ambitionierte Militärs hat die PRI immer die Möglichkeit offen gelassen, „im Ruhestand“ Karriere zu machen. Generäle als Gouverneure, Senatoren oder Abgeordnete sind bis in die jüngste Vergangenheit keine Seltenheit. Ein sicher nicht unwesentlicher Beitrag zur institutionellen Stabilität. Ebenso wie die jeweiligen zivilen Administrationen die sechsjährigen Amtsperioden eines Präsidenten zur persönlichen Bereichung nutzen – beim Amtsübergang wird das Personal oft komplett ausgewechselt, um die nächste Generation nicht leer ausgehen zu lassen – kommen auch immer wieder Informationen über Privatgeschäfte der hohen Militärs an die Öffentlichkeit. Diese geduldete Linderung der „sozialen Not“ ist ein weiteres Element der Stabilisierung.
Von nationalistischer Rethorik und der Nachstellung historischer Schlachten gegen die Franzosen einmal abgesehen, zeigt sich die mexikanische Bundesarmee im Normalfall nicht besonders kriegerisch. Von außen drohte durch das kleine Nachbarland Guatemala nie militärische Gefahr, Widerstand gegen den nördlichen Nachbarn USA wäre im Falle einer Konfrontation immer Suizid gewesen. Ausländische Militärhilfe benötigte das Land nicht, die Kontakte zu den US- Militärs sind erst in den letzten Jahren verstärkt worden – vor allem nach dem Aufstand der Zapatisten im Bundesstaat Chiapas am 1. Januar 1994. Zumindest bis 1994 musste die Armee keinen „inneren Feind“ ernsthaft fürchten, militärisch gilt das bis heute.
Kein Problem mit der Repression
Wenn es allerdings darum ging, interne Oppositon gegen den Staat niederzuschlagen, sind die mexikanischen Streitkräfte dazu stets bereit gewesen, auch wenn die Initiative nicht immer von ihnen ausging. So massakrierten sie 1968 mehrere hundert protestierende Studenten auf dem Platz von Tlatlolco. Das Vorgehen gegen die Guerilla im Bundesstaat Guerrero Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre war ein Krieg ohne Gnade. Die heute 73jährige Menschenrechtlerin und zweimalige Präsidentschaftskandidatin Rosario Ibarra, deren Sohn 1975 verschwand, klagt die Militärs an, für das Schicksal ihres Sohnes und mehrerer hundert weiterer Verschwundener verantwortlich zu sein. Viele Spuren deuteten in der Vergangenheit auf das Militärcamp Nr. 1 in Mexiko-Stadt hin. Dort sollen vor allem in den 70er Jahren zahlreiche militante Oppositionelle gefoltert worden sein. Die Tatsache, dass bis heute immer wieder von Folterungen durch Armeeangehörige berichtet wird, zeigt eine Regierungsstrategie. Hat der Staat sich einmal entschieden, gegen Opposition vorzugehen und dabei Soldaten einzusetzen, lässt er dem Militär bei der Art der Verfolgung weitgehend freie Hand. Selbst wenn Folterungen von offizieller Seite verurteilt werden, muss die Armee nicht fürchten, dafür von zivilen Instanzen belangt zu werden.
Nicht-Regierungsorganisationen, speziell Menschenrechtsorganisationen, registrieren in Gebieten mit erhöhter Militärpräsenz viele Rechtsverletzungen durch Soldaten. Das reicht von Plünderungen, Vergewaltigungen bis hin zu Mord. Dabei lassen sich Militärs auch für die Zwecke lokaler Machteliten einspannen. Diese Repression in kleinem Maßstab gelangt meist nicht an die Öffentlichkeit, ist aber verbreitet. Der Fall des Campesinos Rodolfo Montiel Flores kann als exemplarisch gelten. Er wurde nur deswegen über die Grenzen seines Dorfes hinaus bekannt, weil Flores Anfang April in Abwesenheit der angesehene Goldman Environmental Prize für seine Umweltschutzaktivitäten verliehen wurde. Der Campesino gründete im Februar 1998 im Bundesstaat Guerrero eine Organisation, um den illegalen Holzschlag durch den multinationalen Konzern Bois Cascade zu stoppen. Die Behörden hatten zuvor nichts unternommen, Lokalfürsten verdienten an dem Geschäft mit dem Multi. Doch Flores und seine Mitstreiter versperrten die Wege, auf denen das Holz aus dem Hochland abtransportiert wurde. Boise Cascade gab schon im August 1998 auf und verließ den Bundesstaat.
Aber der erfolgreiche Protest der Kleinbauern roch den Autoritäten offenbar nach Subversion. Die Konsequenzen beschreibt die Schriftstellerin und Journalistin Elena Poniatowska in der Tageszeitung „La Jornada“ (2).
„Am 2. Mai 1999 brach ein Kommando des 40. Bataillons der Infanterie des Heeres in dem Dorf Pizotla ein und verhaftete Rodolfo Montiel Flores – und Teodoro Cabrera García – vor den verängstigten Augen seiner Frau, Ubalda Cortés, und seiner sechs Kinder. Es vergingen mehrere Tage, bevor Ubalda herausfinden konnte, wo ihr Mann war. Alle verleugneten ihn, Soldaten und Behörden. Die beiden Öko-Campesinos blieben fünf Tage in der Gewalt der Militärs, zwei davon im improvisierten Camp in der Gemeinde Pizotla und drei in der Kaserne des 40. Bataillons der Infanterie von Ciudad Altamirano, Guerrero, wo sie ständig gefoltert wurden.
Ein Jahr und fünf Tage nach ihrer Verhaftung leiden die beiden Öko-Campesinos an den Folgen der Folterungen: sie urinieren Blut, haben geschrumpfte Hoden, Knoten auf dem Rücken, Verletzungen am Kopf und am Bauch. Heute werden sie wegen der angeblichen Delikte angeklagt, Marihuana und Opium geerntet sowie Waffen getragen zu haben, über die ausschließlich die Streitkräfte verfügen dürfen. Das Verfahren stützt sich juristisch einzig und allein auf die Selbstbeschuldigungen, die sie unter der Folter unterschrieben.
„Wenn Ihr nicht unterschreibt, wisst Ihr schon. Mal sehen, was wir mit Euren Familien machen.“ Die Soldaten bedrohten sie damit, sie in den Kopf zu schießen und ihre Familien umzubringen, damit sie sich schuldig erklärten. Die Repression in Guerrero geht hin bis zum Tod. Sie unterschrieben, ihnen blieb nichts anderes übrig.“
Wer innerhalb der Streitkräfte Kritik übt, muss damit rechnen, mundtot gemacht zu werden. Der Brigadegeneral José Francisco Gallardo schlug Anfang der 90er Jahre vor, die Stelle eines Menschenrechtsbeauftragten beim Militär einzurichten. Zuvor hatte er sich schon unbeliebt gemacht, weil er die Korruption eines Vorgesetzten nicht decken wollte. Die Militärjustiz überzog ihn mit mehreren Verfahren. Seit November 1993 sitzt Gallardo in Haft, seine Forderungen nach einem Zivilprozess verhallen ungehört. Selbst die Aufforderung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, den General freizulassen und ihm ein reguläres Verfahren zu ermöglichen, hat die Regierung nicht zur Intervention bewegen können. Ende 1998 erregte eine kleine Protestdemonstration von Militärs im Zentrum von Mexiko-Stadt Aufmerksamkeit. Die Soldaten wiesen auf Misstände in der eigenen Institution hin. Ihr Anführer wurde bald darauf verhaftet und vor einem Militärgericht zu langjähriger Haft verurteilt.
Die Rolle der Armee nach Chiapas und mit Zedillo
Der Aufstand der Zapatisten und das Auftauchen der Guerilla-Gruppe EPR anderthalb Jahre später traf die mexikanischen Streitkräfte relativ unvorbereitet und sie versuchten, in den vergangenen Jahren darauf zu reagieren. Modernere Waffen, bessere Aufklärungsausrüstung, eine Reorganisierung des Geheimdienstapparates und eine Öffnung bezüglich der Zusammenarbeit mit den USA sind einige Elemente dieser Reaktion. In der Konfliktregion Chiapas, aber auch in Bundesstaaten wie Guerrero und Oaxaca, bleiben die Militärs viel weniger als früher in ihren Kasernen, sondern zeigen Präsenz in zahlreichen Camps. Besonders in Chiapas ist die Strategie deutlich, ohne erklärten Krieg die Zapatisten immer stärker einzukreisen und ihnen langsam, aber sicher die Luft abzudrücken. Dabei bietet die Armee auf der einen Seite Dienstleistungen wie medizinische Versorgung in Gemeinden an, auf der anderen Seite operieren paramilitärische Gruppen mit ihrer Duldung und unter ihrem Schutz gegen die mit den Zapatisten sympathisierende Bevölkerung. Die Militärs halten sich an die Linie der Regierung, keinen offenen Krieg oder Entscheidungsschlag gegen die Zapatisten zu führen – das heißt nicht, dass dies die Regierungslinie bleiben muss. Ein Konflikt könnte vielleicht dann eintreten, wenn eine neue Regierung den Rückzug aus Chiapas anordnen würde, um die Lage zu entspannen. Das könnten die Streitkräfte als eine aus militärischer Sicht völlig unnötige Niederlage werten und sich widersetzen.
Mit dem Amtsantritt von Präsident Ernesto Zedillo Ende 1994 begann für viele Beobachter eine Militarisierung der Gesellschaft. Anfang November 1995 sorgte eine Agenturmeldung über Panzer in Mexiko-Stadt sogar für Putschgerüchte und ließ kurzzeitig die Börse abstürzen. Das Parlament verkündete wenige Tage darauf einstimmig ein Gesetz über die Disziplin von Heer und Luftwaffe, dass aktiven Militärs „strikt“ verbietet, sich in politische Angelegenheiten einzumischen. Die Rangfolge der Aufgaben wurde mit dem Respekt vor der Verfassung, vor der Souveränität der Nation, der Treue gegenüber den Institutionen und der Ehre von Heer und Streitkräften festgelegt.
Der Autor dieses Artikels ist allerdings der Meinung, dass es wirkliche Putschabsichten nicht gegeben hat. Richtig ist, dass Zedillo ohne eigene Hausmacht in das Präsidentenamt kam und besonders zu Anfang seiner Regierungszeit auffällig die öffentliche Unterstützung der Armee suchte. Es war beispielsweise ein Novum, dass der Verteidigungsminister sich zur Wirtschaftspolitik der Regierung äußerte. Die Besetzung hoher Polizeiposten mit Generälen, vor allem die Militarisierung der Sicherheitskräfte in der Hauptstadt, sowie die von Militärs geführte Behörde zur Drogenbekämpfung verstärkten Befürchtungen, Zedillo sähe in den Uniformierten seine wichtigste Basis. Diese Entwicklung schwächte sich jedoch in den letzten Jahren wieder ab. Nachdem mit General Gutiérrez Rebollo 1997 der mexikanische Anti-Drogenzar als Kollaborateur der Drogenmafia geoutet wurde und in Mexiko-Stadt Cuauhtémoc Cárdenas als erster frei gewählter Bürgermeister nach einigen Monaten einen Zivilisten an der Polizeispitze der Stadt durchsetzte, kam das Thema Militarisierung etwas aus den Schlagzeilen. Vom Tisch ist es nicht: Die neu geschaffene Präventive Bundespolizei besteht zu etwa 90 Prozent aus ehemaligen Soldaten. Ihr erster Einsatz war gegen die streikenden Studenten der Nationaluniversität UNAM, zuletzt wurde sie zum Einsatz nach Chiapas geschickt.
Bei den Präsidentschaftswahlen am 2. Juli wird ein Sieg der Opposition nicht ausgeschlossen. Das würde mehr als 70 Jahre PRI-Herrschaft und die Koexistenz der Militärs mit dieser Partei beenden. Die Armee könnte damit wahrscheinlich leben. Genauso wie mit einem weiteren Wahlbetrug.
(1) Rodríguez Araujo, Octavio: La reforma política y los partidos políticos en México, 10. Aufl. 1989, México D.F., S.156 (2) La Jornada, 7. Mai 2000, S.7
PERU
„Gott als einziger unabhängiger Wahlbeobachter“
Unter massiven Protesten tritt Fujimori seine dritte Amtszeit an
Von Alicia Cerdano
(Lima, 29. Mai 2000, npl).- Begleitet von Protesten aus dem Ausland und Auseinandersetzungen zwischen Gegnern des aktuellen Präsidenten und Sicherheitskräften in allen größeren Städten Perus, fand am Sonntag (28.5.) mit nur einem Kandidaten – dem umstrittenen Autokraten Alberto Fujimori – die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in dem lateinamerikanischen Andenland statt.
Ersten offiziellen Hochrechungen der peruanischen Wahlbehörde zufolge, der unter anderem von der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) nach der ersten Wahlrunde am 9. April Verzerrung und Verzögerung des Wahlergebnisses vorgeworfen worden war, lag Fujimori nach Auszählung der Hälfte aller Stimmen bei etwa 50,3 Prozent. Damit hätte der das Land seit 1990 mit eiserner Hand regierende Staatschef die nötige absolute Mehrheit für eine dritte Amtszeit erreicht.
Doch das Ergebnis ist nicht nur aufgrund des offensichtlichen Wahlbetrugs aus dem ersten Urnengang anzuzweifeln. Der gesamte Wahlprozess gilt allgemein als Farce. Vor wenigen Tagen hatte der in der Bevölkerung zunehmend populärer gewordene Gegenkandidat für die Stichwahl, Alejandro Toledo, gefordert, die Wahl zu verschieben, mit der Begründung, schon in der Vorbereitung seien erneut Wähler bestochen, unter Druck gesetzt und Stimmen von Fujimori gekauft worden. Nachdem die Wahljunta aus Fujimori-Vertrauten sich dazu nicht bereit erklärt hatte zog Toledo seine Kandidatur zurück und rief zum Wahlboykott auf. Aus dem gleichen Grund sagten auch die Wahlbeobachter der OAS sowie andere nationale und internationale unabhängige Beobachtungsmissionen ihren Einsatz ab. Als sei nichts geschehen blieb Toledos Name jedoch auf den Stimmzetteln stehen. ONPE zufolge hätte er 16,5 Prozent der Stimmen erhalten.
Stiller Gewinner der Wahl war jedoch tatsächlich der Boykott. 30 Prozent der Stimmen mussten für ungültig erklärt werden und trotz Wahlpflicht gingen 18 Prozent der Stimmberechtigten nicht an die Urnen. Am Sonntagabend verkündete Toledo bei einer Protest-Kundgebung von etwa 50.000 Menschen in der Hauptstadt Lima, er werde das Ergebnis nicht anerkennen und rief zum nationalen Widerstand auf: „Heute beginnt für die Opposition die dritte Wahlrunde. Dies ist der Beginn eines friedlichen Widerstandes zur Verteidigung der Demokratie“, rief der studierte Wirtschaftswissenschaftler indianischer Herkunft seinen Anhängern zu. Außerdem forderte er das Militär auf, sich auf die Seite der Opposition zu stellen und gab bekannt, er werde am kommenden Sonntag zur OAS- Generalversammlung nach Kanada reisen.
Nicht nur in Lima, sondern auch in zahlreichen Städten im Landesinneren kam es zu Protesten gegen den offensichtlichen Wahlbetrug, Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften und zahlreichren Festnahmen. In Iquitos schoss die Polizei auf eine Demonstration von Fujimori-Gegnern und verletzte dabei mehrere Personen. In Trujillo, im Norden des Landes ging das Militär mit Tränengaspistolen gegen die Protestierenden vor.
Während Fujimori sich in Begleitung seiner beiden Töchter mit Journalisten zu einem „Pressefrühstück“ traf, bei dem er verkündete die Wahlen seien fair und sauber verlaufen und sich gegen Vermutungen aussprach, das Wahlergebnis könnte das Land destabilisieren sowie zur internationalen Isolation führen, wurde aus Botschaftskreisen bekannt, dass die USA und verschiedene Länder der EU über Sanktionen gegen Peru beraten.
Zwei „Legenden vom Tellerwäscher zu Millionär“
Kurzportraits von Autokrat Fujimori und seinem Gegenspieler Toledo
Von Alvaro Alfonso
(Lima, Mai 2000, npl).- Der eine ist Sohn japanischer Eltern, die, der Armut überdrüssig, den Ozean in Richtung eines fernen Landes überquerten, das billige Arbeitskräfte für die Landwirtschaft anwarb. Er wuchs in einem bescheidenen Stadtviertel der peruanischen Hauptstadt Lima auf, wo sein inzwischen gebrechlicher Vater als Näher arbeitete. Wegen seiner asiatischen Gesichtszüge wird er „El Chino“ – der Chinese – genannt. In seiner Kindheit lernte er den Hass der Peruaner auf die japanischen Einwanderer kennen – Vorurteile wegen der Allianz Japans mit Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg. Nur knapp entging seine Familie der Deportation in die USA. Er weis, was Intoleranz und Ungerechtigkeit bedeuten.
Der andere ist Sohn eines Bauarbeiters und einer Hausangestellten, deren größter Wunsch war, dass es einem ihrer 16 Kinder „einmal besser geht als uns“. Er wuchs in einem Elendsviertel auf, in einem Haus ohne Dach nahe der Hafenstadt Chimbote, wo die Hälfte seiner Geschwister in Armut starben. Ihn nennen sie „El Cholo“, da seine indianische Herkunft unübersehbar ist. Als Junge ertrug er die Prügel der Wächter eines Luxushotels in Chimbote, wenn er dort Gäste fragte, ob er ihnen die Schuhe putzen dürfe. Allerdings nur Wochentags, denn am Wochenende lief er barfuß durch die Straßen und verkaufte Fisch.
Der „Chino“ Alberto Fujimori und der „Cholo“ Alejandro Toledo sind zwei Beispiele für das Modell „vom Tellerwäscher zum Millionär“, wie sie sich im vergangenen Jahrhundert ein jeder Geschichtenerzähler erträumt hat. Zu Beginn des dritten Jahrtausends sind diese beiden die wichtigsten politischen Figuren in Peru, einem südamerikanischen Land mit großer Geschichte und vielen Möglichkeiten, aber gestraft von Armut, Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit.
Der konservative Agraringenieur Fujimori regiert Peru seit 1990. Er tat es mit eiserner Hand und kann Erfolge vorweisen: Die Guerilla im Land ist besiegt, die Inflation unter Kontrolle und die Wirtschaft weitgehend stabilisiert – obwohl die große Mehrheit der Peruaner nicht von den makroökonomischen Errungenschaften profitiert. Gleichzeitig ist der 61-jährige ein autoritärer Regent, dem es an demokratischem Geist fehlt. Seine Abgeordneten wirken wie Marionetten, die Justiz ist gleichgeschaltet und niemand glaubt an die Unabhängigkeit von Wahlbehörden oder der Presse. Insbesondere das Fernsehen gilt als Sprachrohr der Regierung.
Seine Macht beruht auf dem Militär und einem Geheimdienst, den sein sagenumwobener Berater Vladimiro Montesinos kontrolliert. Und auf Fujimoris Fähigkeit, mit den Menschen zu sprechen. Für viele Peruaner ist er schlicht ein Held. Viele verzeihen ihm gerne, dass er die Verfassung vergangenes Jahr widerrechtlich neu schreiben ließ, um ein drittes Mal kandidieren zu können.
Halb Peru ist seine Herrschaft satt und setzt – gegen die andere Hälfte der Fujimori-Fans – auf Alejandro Toledo. Der 54-jährige Ökonom wird der politischen Mitte zugeordnet und vereinigt die gesamte Opposition, die von Marxisten bis zur gemäßigten Rechten reicht. Sein politischer Aufstieg ist weniger seiner Person als dem Phänomen Fujimori geschuldet, sprich seine Wähler sind weniger „Toledistas“ denn „Antifujimoristas“: Alles, auch der weitgehend unbekannte Toledo ist ihnen lieber als „El Chino“.
ECUADOR
Spekulationen um Guerillagruppe
(Quito, Mai 2000, pulsar-Poonal).- Ein Gefecht in der Amazonas-Provinz Orellana zwischen einer Gruppe von elf Personen und einer Armeepatrouille hat Spekulationen über eine im Land operierende Guerilla-Organisation genährt. Die Soldaten töten bei dem Zusammenstoß angeblich zwei Personen und nahmen fünf weitere fest, darunter zwei mit kolumbianischer Staatsbürgerschaft. Präsident Gustavo Noboa hat angekündigt, mit „aller Rigurosität“ herauszufinden, ob es sich um eine Rebellengruppe oder gewöhnliche Kriminelle handelt. Heereskommandant Norton Narváez hatte bei Bekanntgabe des Gefechtes von den Revolutionären Streitkräften Ecuadors (FARE) gesprochen. Er könne aber nicht sagen, ob es sich um Rebellen, Kriminelle oder einen Ableger der kolombianischen Guerilla handele. Aus militärischen Geheimdienstkreisen verlautete, die FARE hätten ungefähr hundert Mitglied, Ecuadorianer und Kolumbianer. Ihre Präsenz sei vor einem Jahr in den nördlichen Landesprovinzen Carchi, Sucumbíos und Orellana entdeckt worden, ohne dass es bisher bewaffnete Zusammenstöße gegeben habe.
Die ökumenische Menschenrechtskommission drückte ihre Zweifel über die offizielle Version aus. Nach Aussage ihrer Vorsitzenden Elsie Monge könnte es sich auch nur um eine Rechtfertigung handeln, bestimmte soziale Gruppen zu unterdrücken. Sie erinnerte an Vorgänge in Putumayo-Region an der Grenze zu Kolumbien. Dort wurden 1994 mehrere Campesinos unter der Beschuldigung verhaftet, Guerilleros zu sein. Nachdem sie ein Jahr im Gefängnis verbrachten, musste der Staat sie freilassen und ihnen wegen begangener Ungerechtigkeit eine Entschädigung zahlen. Monge befürchtet ebenfalls, wie in zurückliegenden Dekaden könne die Folter als Ermittlungsmethode wieder aufleben. Das Auftauchen einer angeblich subversiven Gruppe „fällt mit einem politischen Moment zusammen, in dem das Land besonders verwundbar ist“, warnt sie.
KOLUMBIEN
Erneute Massenflucht
(Bogota, 24. Mai 2000, ac-Poonal).- Aufgrund von Drohungen der Paramilitärs haben sich etwa 3.000 Indigenas der Gemeinschaft Kankama im Nordosten der Sierra Nevada von Santa Marta gezwungen gesehen, in die Nachbarprovinz Cesar zu fliehen und dort den Schutz der Regierung einzufordern. Die Paramilitärs begründeten ihre Drohungen mit ihren geplanten Angriffen gegen Guerillagruppen, die sich in der Region befinden, und gaben der Bevölkerung eine Woche Zeit, ihr Territorium zu verlassen. Seither haben die Paramilitärs – um den Druck zu erhöhen – die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten völlig blockiert und damit eine Versorgungskrise ausgelöst.
Die indigene Gemeinschaft ist von mehreren bewaffneten Akteuren umgeben: Die Guerillagruppen FARC, ELN und EPL kontrollieren die hoch gelegenen Gebiete ihres Territoriums, die Paramilitärs die tiefer gelegenen. Paramilitärs und Guerilla machen sich auch die Kontrolle über des Gebiet im Norden der Provinz Cesar streitig. In einer ähnlichen Situation wie die Kankama befinden sich 1.500 Bauern im Süden der Provinz Tolima. Sie sahen sich gezwungen, ihre Parzellen zu verlassen und in die urbanen Zentren zu fliehen, um so den Kämpfen zwischen der FARC und paramilitärischen Gruppen zu entkommen. Die Regierung hat keinerlei Maßnahmen getroffen.
PARAGUAY
Unruhe nach dem Putschversuch
(Asuncion, 22. Mai 2000, pulsar-Poonal).- Nach einem gescheiterten Staatsstreich am 19. Mai versucht die Regierung von Präsident Gonzalo Macchi, ihre Machtbasis durch eine Reihe von Verhaftungen zu stärken. Sie sprach insgesamt knapp 100 Haftbefehle, mehrheitlich gegen Militärs, aus. Die Verfolgung der mutmaßlich Schuldigen wird jedoch zum Teil kritisiert. So gehört der Journalist Hugo Ruiz Olazar von der Tageszeitung „ABC Color“ unter der Anklage „Rechtfertigung des Verbrechens“ zu den festgenommenen Personen, weil er in seinen Artikeln zugunsten des seit über einem Jahr flüchtigen Generals Lino Cesar Oviedo geschrieben haben soll. Ruiz ist auch Korrespondent von AFP und der argentinischen Zeitung „Clarín“. In Paraguay herrscht nach dem versuchten Putsch für maximal 30 Tage der Ausnahmezustand. Er wurde von Präsident Macchi per Dekret verabschiedet und von einer Mehrheit im Senat bestätigt. Neben der erleichterten Möglichkeit, Personen festzunehmen, impliziert die Maßnahme das Verbot öffentlicher Versammlungen. Menschenrechtsorganisationen und Pressegremien fürchten den Missbrauch dieser Situation durch die Regierung.
Überlebenswichtig für die Macchi-Regierung ist das Verhalten der aktiven Militärs. Die Einheiten, die sich an der Rebellion beteiligten, sollen weitgehend entwaffnet werden. So musste die Erste Kavalleriedivision dem Armeekommando ihre 65 Panzer übergeben. Auch andere Einheiten übergaben ihr schweres Geschütz an die treuen Truppenteile, die unter dem Oberkommando ihr Hauptquartier 15 Kilometer nördlich der Hauptstadt Asunción haben. Anführer der Rebellion waren hauptsächlich Militärs im Ruhestand, die loyal zu Oviedo stehen. In Kollaboration mit einigen Truppeneinheiten fuhren sie in den frühen Morgenstunden des 19. Mai mit mehreren Panzern über die Hauptverkehrsstraßen auf das Kongressgebäude zu, das sie beschossen. Andere Militärtruppen und Polizei griffen anfangs nicht ein, was die schwache Position der Regierung zeigt. Auch im Parlament kann sie nicht auf volle Unterstützung rechnen. Ein Teil der in den ersten Monaten an der Regierung beteiligten Opposition hat sich zurückgezogen und in der regierenden Colorado-Partei selbst, ist der Oviedo-Flügel über noch von beachtlicher Stärke. Möglicherweise rettete die Luftwaffe den Präsidenten. Sie setzte ihre Kampflugzeuge zwar nur zur Drohung ein, hatte aber damit offenbar Erfolg.
Lino Oviedo hat inzwischen seine Mitwirkung an der Aktion der Militärs abgestritten. Glaubwürdig ist das nicht. Der in Putschversuchen erfahrene Ex- General wird von der paraguayischen Justiz vergeblich gesucht, weil er für den Mord an Vizepräsident Araña im März 1999 verantwortlich sein soll. Oviedo gelang damals die Ausreise ins argentinische Exil. Als ihn der bis zum 9. Dezember amtierende Carlos Menem in Argentinien nicht mehr schützen konnte, verließ er das Land und tauchte allem Anschein nach in Paraguay unter.
ARGENTINIEN
Kirche unterstützt Indigena-Völker
(Buenos Aires, 23. Mai 2000, alc-Poonal).- Die katholischen Bischöfe des Landes haben die Bundesregierung und die Provinzregierungen aufgefordert, „die Übergabe oder Rückgabe des Landes, das die Ursprungsvölker legitimer Weise verlangen, zu beschleunigen“. Zwar habe die Verfassung einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Würde der Indigenas anzuerkennen, doch gäbe es Situationen, die einen Angriff auf das Leben dieser Gemeinden darstellten. So würde Land überreicht, das nicht genügend groß sei, von anderen Siedlern beansprucht würde, keine territoriale Einheit bildete oder von den traditionellen Territorien entfernt liege. Die Bischöfe weisen auch auf den zunehmenden Konzentrationsprozess und die unrechtmäßige Aneignung von Boden durch Großgrundbesitzer und Unternehmen hin.
BRASILIEN
Dokument: Offener Brief des Nationalen Forums für Agrarreform und Gerechtigkeit
(Brasilia, Mai 2000, nt-Poonal).- Anfang Mai trafen sich in der Hauptstadt Brasilia die Organisationen und Gruppen, die im Nationalen Forum für Argrarreform und Gerechtigkeit auf dem Lande zusammengeschlossen sind. Ihr offener Brief zeigt ein eindrückliches Bild von der Situation auf dem Land. Poonal übernimmt die Übersetzung aus der deutschsprachigen Fassung von Noticias da Terra, dem Boletin der Pastoralen Landkommission der brasilianischen Bischofskonferenz.
„An die brasilianische Gesellschaft
Seit Beginn seiner ersten Amtszeit führte die Regierung Fernando Henrique Cardosos ein Agrarmodell ein, das die Marginalisierung der nationalen Landwirtschaft bewirkte sowie eine gewaltigen Verarmungsprozess der Menschen auslöste, die auf dem Lande leben. Seit langer Zeit schon klagen wir dieses Modell an, doch wir werden nicht angehört. Die Regierung wählt lieber den einfacheren Weg – den der illusorischen Propaganda und der an uns gerichteten Vorwürfe, „nur aus Opposition heraus zu kritisieren“.
Kürzlich wurden zwei Studien veröffentlicht, die die schwerwiegenden Konsequenzen dieses Modells aufdecken. Die Studien wurden von Spezialisten innerhalb der Regierung angefertigt und sind daher völlig unverdächtig: In den letzten Jahren sind 900.000 Kleinbetriebe mit weniger als 100 Hektar in den Konkurs gegangen. Von den 700.000 Betrieben, die dem „patronalen“ Bereich angehören, sind mittelfristig nur 88.000 überlebensfähig. Von den noch verbliebenen vier Millionen Kleinbetrieben, werden mittelfristig nur 700.000 überleben können. Es findet ein genereller Verarmungsprozess statt, und im Durchschnitt erreichen die Betriebe unter 50 Hektar nur ein Monatseinkommen, das einem Mindestlohn entspricht. Zwei Millionen Landarbeiter, die auf Lohnbasis arbeiteten, verloren ihre Arbeit. Die Agrarkredite, die in den 80er Jahren noch ein Volumen von jährlich circa 18 Milliarden (Dollar) umfassten, wurden in den letzten Jahren immer spärlicher und unerreichbarer für die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Sie sind auf jährlich etwa 8 Milliarden zusammengeschrumpft. Die gesamte Getreideproduktion stagniert seit den letzten zehn Jahren und liegt bei circa 80 Mill. Tonnen.
Im Hinblick auf die Agrarreform zieht die Regierung die virtuelle Propaganda der harten Realität vor. Es stimmt z. B. nicht, dass 1999 80.000 Familien Land bekommen haben. Die offiziellen INCRA-Daten decken auf, dass nur 25.000 Familien auf dem Weg der Landenteignung angesiedelt wurden. Dem Minister ist es viel lieber, sich mit neuen wunderbaren Lösungen an die Presse zu wenden. Diese sehen vor, den bundesstaatlichen Regierungen die Verantwortung für das Kredit-Programm PRONAF, die Grundsteuer (ITR) und die Banco da Terra zu übergeben. Damit entledigt er sich der Belastung, Siedlungen einrichten und sozialen Druck aushalten zu müssen. Sämtliche Experten vertreten die Meinung, dass das PRONAF- Programm unzureichend ist, seine Richtlinien zu bürokratisch und zu wenig auf die Bedürfnisse der Kleinproduzenten und in Camps siedelnden Personen zugeschnitten sind. Die Grundsteuer (ITR) könnte nur dann effektiv eingefordert werden, wenn die Steuerbehörden politischen Wille zeigen würden. Das geschieht jedoch nicht; die Angaben in den Steuererklärungen werden einfach nicht streng genug überprüft. Dadurch blieben die ITR-Einnahmen bislang unbedeutend niedrig. Das Landankaufs- und -verkaufsprogramm Banco da Terra ist nichts weiteres als eine große Seifenblase. ALLE Organisationen, die auf dem Lande arbeiten sind aus guten Gründen gegen dieses Projekt. Lediglich Minister Jungmann, die Weltbank und die Großgrundbesitzer sind dafür. Ferner hat die Regierung den Bau von Staudämmen privatisiert, wobei es zu einem Vertragsbruch bezüglich der Entschädigungsleistungen mit den betroffenen Bauern kam.
Angesichts dieser schwerwiegenden Situation haben die Landarbeiter*innen das Recht und sogar die Pflicht sich zu organisieren und für ihr Überleben zu kämpfen. Während des gesamten Aprilmonats und Anfang Mai fanden Kundgebungen aller Organisationen der Landarbeiter*innen statt – Landbesetzungen, Mobilisierungen und Protestmärsche. Zur Zeit gibt es im ganzen Land mehr als 500 provisorische Siedlungen (acampamentos) mit insgesamt mehr als 150.000 Familien, die mit der Gewerkschaftsbewegung, der MST, der CPT, der MLST und anderen Bewegungen verbunden sind. Straßen und öffentliche Gebäude wurden besetzt, um diese katastrophale Situation zum Ausdruck zu bringen. Keine dieser Mobilisierungen hatte Zerstörungen zum Ziel.
Die Regierung jedoch zieht es wiederum vor, die Landarbeiter*innen und ihre Organisationen zu kriminalisieren. Minister Jungmann richtete sich an die Presse und klagte die Gewerkschaftsbewegung, die MST und ihre Unterstützerorganisationen an, INCRA-Angestellte als Geiseln festgehalten zu haben. Die MitarbeiterInnenvertretung der INCRA (CNASI) hat diese Anklage eigens zurückgewiesen. Mit diesen Falschaussagen regt der Minister die Bundesstaatsregierungen an, mit Gewalt auf die gerechten Mobilisierungen zu reagieren. Wieder einmal sind wir Zeugen unnötiger Gewalt durch die Militärpolizei, insbesondere in São Paulo, Paraná und Pernambuco. Wir sagen immer, dass die Militärpolizei keine sozialen Probleme löst, sondern immer ein neues schafft, das der sozialen Gewalt. Darüber hinaus drohte man den Führern der sozialen Bewegungen Strafverfolgung an wegen „Banden“bildung und Terrorismus. Die wahren Banden, wie die vielen Untersuchungsausschüsse ergeben, findet man im Umkreis der Regierung.
Als ob die schändlichen Unterdrückungsepisoden angesichts der friedlichen Mobilisierungen der Indianer- Schwarzen- und populären Bewegungen durch die Militärpolizei in Bahia nicht ausreichen würde, müssen wir jetzt noch die faulen Tricks der paranaensischen Regierung ertragen. Während des Jahres 1999 gab es in Paraná zwei Morde, acht Fälle von Folterungen, an die 100 illegale Räumungen von Landbesetzungen sowie 173 willkürliche Festnahmen. Allein in den beiden ersten Monaten dieses Jahres kam es zur Durchführung von 12 gewaltsamen Räumungen mit 96 Festnahmen und 46 Verletzten, darunter Frauen und Kinder. Bei der Kundgebung gegen die Agrarpolitik der Regierung, kam es zu einem Mordfall, 70 Verletzten und dem stupiden Verbot, dass die Landarbeiter*innen nicht die Hauptstadt betreten dürften. Die Regierung Lerners nimmt feudalistische Züge an. Damals war es der Bauernschaft untersagt, in die mittelalterlichen Festungen einzudringen. Unsere Gesellschaft schämt sich für Governeur Lerner. Seine korrupten Freunde aus der Politik behandelt er ganz anders, wie der Drogenuntersuchungsausschuss sowie die Untersuchung der Stadtverwaltung von Londrina gezeigt hat.
Auf der anderen Seite geht die Straflosigkeit weiter. Die systematische und rigorose Erhebung der CPT-Dokumentation ergibt, dass in den letzten 15 Jahren 1.169 Personen – Landarbeiterführer, Gewerkschafter, Kirchenleute, Anwälte und sogar zwei Landtagsabgeordnete – auf dem Land ermordet wurden. Es gab nur elf Verurteilungen. Acht der Verurteilten sind flüchtig und nur drei sitzen ihre Strafe ab. Diese Situation klagen wir beim Juristenverein OAB, dem Abgeordnetenhaus, dem Bundesgerichtshof, der Menschenrechtskommision der UNO und der OAS an. Aber alle bleiben weiterhin straflos.
Wie aber war die Haltung der Organisationen der LandarbeiterInnen? Bei jeder Gelegenheit war die Suche nach einem Dialog das erste Ziel. Allein dieses Jahr fanden schon unzählige Sitzungen der CONTAG, der Kleinbauernbewegung MPA, der Landfrauenbewegungen und der MST mit verschiedenen Ministern sowie dem Präsidenten statt. Die Antwort war jedoch immer abwägend und diffus. Die Sitzungen mit dem Direktor der Banco do Brasil, dem INCRA-Präsidenten sowie dem Direktor des PRONAF-Programms ergaben einstimmig, dass unsere Sache für gerecht empfunden wurde. Ohne die Einwilligung der Ministerien des Wirtschaftsbereichs, die letztlich die Entscheidungsgewalt inne hätten, könnte jedoch nichts unternommen werden.
Angesichts dieser Zuspitzung der sozialen Spannung auf dem Lande wollen wir der brasilianischen Gesellschaft die Augen dafür öffnen, dass diese Situation eine Folge des uns aufgezwungenen Modells ist. So organisiert sich die Landbevölkerung nicht aus Ideologie oder aufgrund politischer Manipulation, sondern weil ihre Rechte zutiefst verletzt worden sind und ihr die Möglichkeit eines Lebens in Würde untersagt wurde. Die Regierung Fernando Henrique Cardosos schickte kürzlich einen Brief, in dem sie den Dialog sucht: „Es ist an der Zeit konkrete Beweise zu geben und sich mit den Landarbeiterorganisationen zusammenzusetzen, um ernsthaft über die Veränderungen auf dem Lande zu diskutieren, auf die die Landbevölkerung schon mit Spannung wartet.“
Brasília, den 3. Mai 2000 Nationales Forum für Agrarreform und Gerechtigkeit auf dem Lande
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