von Wolf-Dieter Vogel
(Berlin, 29. Januar 2016, npl).- Junín, eine kleine Gemeinde in den nordwestlichen Ausläufern der Anden Ecuadors. Dort betreibt Olga Curtíz mit einer Kooperative ein Gästehaus, das Abenteuerurlauber*innen Unterkunft bietet. Ökotourismus zwischen Bananenstauden, Orangenbäumen und Kaffeesträuchern, inmitten eines subtropischen Regenwaldes, der die Bergregion in ein grünes Paradies verzaubert. Viel Geld verdient die 41jährige alleinstehende Frau nicht, aber es reicht, um die drei Kinder über die Runden zu bringen. Doch damit könnte demnächst Schluss sein. Denn Curtíz befürchtet, dass sich das Projekt bald nicht mehr rentiert. „Die ausländischen Urlauber könnten wegbleiben, weil sich nun die staatliche Firma ENAMI in Junín niedergelassen hat“, erklärt sie.
Das Bergbau-Unternehmen ENAMI plant, eine 5000 Hektar große braune Wunde in den Dschungel zu schlagen. ENAMI will 2,2 Millionen Tonnen Kupfer im offenen Tagebau fördern. Das haben in den beiden letzten Jahrzehnten schon ein kanadisches sowie ein japanisches Unternehmen versucht und erste Bohrungen vorgenommen. Doch wegen des Widerstands der Bevölkerung zogen sie sich zurück. Nun prüfen Techniker von ENAMI, ob sich eine Förderung des Metalls lohnt. Olga Curtíz befürchtet das Schlimmste. „Wir leben ja schon jetzt mit den Schäden, die die Japaner hinterlassen haben. Nach deren Studien war klar, dass Junín und vier weitere Dörfer umgesiedelt werden müssen“, sagt Olga Curtíz.
Der Kupferabbau würde die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstören
Verseuchtes Wasser, zerstörter Wald, große Straßen. Der Kupferabbau würde die Lebensgrundlage vieler Menschen in der Region Intag vernichten. Deshalb hatten sie sich gegen die Bergbau-Gesellschaften aus Kanada und Japan gestellt. Erst vertrieben sie die bewaffnete Schutztruppe einer Firma, später brannten sie ein Camp der Arbeiter nieder. Zugleich erarbeiteten Bewohner*innen aber auch Projekte, die ihnen ein Einkommen sichern sollen. Dabei setzen sie auf nachhaltige Entwicklung.
Schon seit 1998 arbeiten sie an einem alternativen Modell, das sich an dem orientiert, was die Leute hier ohnehin tun: Landwirtschaft, Viehzucht, Waldwirtschaft. „Unsere Organisationen sind in 25 Projekten tätig. Da geht es zum Beispiel um die Produktion von organisch angebautem Kaffee, um Ökotourismus, Kunsthandwerk sowie die alternative Herstellung von Milch und Getreide“, beschreibt der Aktivist José Cueva. Alles basiere auf dem Gedanken, dass die Ressourcen behutsam genutzt werden, die die Natur zur Verfügung stellt. „Zugleich haben wir einen gesellschaftlichen Prozess in Gang gesetzt, der Themen wie die Genderproblematik einbezieht“, ergänzt er.
„Die Leute, die sich wehren, sind bezahlt“
Mauricio Diaz Léon hält wenig von Öko-Romantik und Leuten wie José Cueva und Olga Curtíz: „Die Leute, die sich hier wehren, kennen wir auch von außerhalb. Es sind immer die gleichen und sie sind bezahlt.“ Der 39jährige ist Cheftechniker bei ENAMI. Er soll herausfinden, ob sich die Förderung des Kupfers lohnt. Wer genau die Aktivist*innen finanziere, will er nicht sagen. Jedenfalls ausländische, imperialistische Kräfte, die Ecuadors linker Regierung schaden wollten.
Früher sei der Protest berechtigt gewesen. Damals, als es gegen die multinationalen Konzerne gegangen sei. Aber mit dem Präsidenten Rafael Correa käme die Ausbeutung von Kupfer, Erdöl und anderen Bodenschätzen den Armen zugute. So könne der Staat Bildung, Arbeitsplätze und eine Krankenversorgung für alle schaffen. „Die Verfassung legt fest, dass die Erlöse direkt in die Dörfer gehen. Früher hatten wir kein Bergbau-Gesetz. Aber jetzt gibt es das, und davon profitieren die Gemeinden“, erklärt Diaz León.
Davon könne keine Rede sein, widersprechen Aktivist*innen aus Intag. Allein die Regierung in Quito entscheide, was mit den Exporteinnahmen geschehe. Dabei hatten auch Olga Curtiz und José Cueva große Hoffnungen, als 2008 die neue Verfassung verabschiedet wurde. Die Konstitution war ein zentrales Projekt Correas, als er von Umweltschützer*innen und Indigenen zum Staatschef gewählt wurde. Sie sollte garantieren, das auch die Ureinwohner*innen zu ihrem Recht kommen. Die stellen immerhin 40 Prozent der Bevölkerung Ecuadors.
Correa unterstützte die Philosophie des „Buen Vivir“, des „guten Lebens“, das sich an einem postmaterialistischen Leben in Einklang mit der Natur orientiert. Doch davon will er längst nichts mehr wissen. Mittlerweile setzt der Staatschef auf den Export der Rohstoffe. Seine Gegner*innen hält er für Feinde des Sozialismus: „Diese Leute wollen den Staat ersetzen und selbst Politik machen. Das ist extrem gefährlich. Es bedeutet, Neoliberalismus auf rechtlicher Ebene zu betreiben. Sie wollen den Staat minimieren und staatliche Aufgaben dem privaten Sektor überlassen, und das angeblich ohne Gewinnabsichten.“ Die Linke müsse aufpassen, so betont er, und den Staat aufwerten.
Für Präsident Correa sind die Umweltschützer „Ökoterroristen“
Nachhaltige Entwicklung, indigene Selbstbestimmung und Basisorganisierung haben in diesem Konzept keinen Platz. Seine Kritiker*innen beschimpft Correa denn auch als
„infantile Indigene“ oder „Ökoterroristen“. Journalist*innen bezeichnet er als „Meuchelmörder mit Tinte“. Luis Angel Saavedra von der Menschenrechtsorganisation INREDH (Fundación Regional de Asesoría en Derechos Humanos) fühlt sich an klassische linke Prinzipien des untergegangenen Realsozialismus erinnert: Es geht um die vorbehaltlose Ausbeutung der Natur, die Kontrolle der Gesellschaft sowie das Bestreben, einheitliches Denken durchzusetzen und kritische Diskurse zu verhindern.
„Grundsätzlich will man alle kontrollieren, die in Kriterien wie Diversität denken. Man will eine homogene Gesellschaft schaffen, so wie im alten Sozialismus, davon ausgehend, dass wir alle gleich sind“, ist Saavedra überzeugt. Es dürfe keinen Platz für die Idee geben, dass verschiedene Menschen und Völker verschiedene Visionen haben. „Dieses Streben nach Homogenisierung führt dazu, dass zum Beispiel indigene Organisationen, die Umweltbewegung und Frauengruppen angegriffen werden.“
Immer wieder werden kritische Journalist*innen und Aktivist*innen eingeschüchtert und verfolgt. Anfang Dezember kritisierte die internationale Menschenrechtsorganisation FIDH (Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme), dass in Ecuador sozialer Protest kriminalisiert werde. Dabei bezog sie sich unter anderem auf die Verhaftung von Javier Ramirez, dem Gemeindevorsteher von Junín. Zehn Monate saß Ramirez im Gefängnis, nachdem es letztes Jahr bei Aktionen gegen die ENAMI-Arbeiten zu Rangeleien gekommen war. Der Vorwurf: Organisierter Terrorismus. Der Gemeindepräsident war zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Politischer Druck hat offenbar dafür gesorgt, dass er nun wieder auf freiem Fuß ist.
Mittlerweile ist es in Junín Nacht geworden. Der tropische Regen prasselt auf das Dach und Olga Curtíz spült die letzten Teller. Die Verhaftung von Ramirez hatte auch sie sehr beschäftigt. Dann ärgert sie sich über das Vertrauen, dass sie einst dem Präsidenten entgegengebracht hat. „Wir haben Correa unterstützt, weil er am Anfang ein Umweltschützer war, ein Herr, der sich für die Erhaltung der Natur einsetzte. In seinen Reden hat er sich immer so geäußert. Und weil das ja auch unser Ziel ist, haben wir ihm geglaubt“, erinnert sich Olga Curtíz. Heute, da ist sie sich sicher, würde ihr das nicht noch einmal passieren.
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Intag: Fortschritt für wen? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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