Die privatisierte Partei

von Markus Plate

(Berlin, 01. Mai 2012, npl).- In Nicaragua hat der offizielle Sandinismus unter Daniel Ortega mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Herbst letzten Jahres seine Macht gefestigt. Ortega wurde erneut und diesmal mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt, seine sandinistische FSLN errang eine klare Mehrheit im Parlament. Die Wahlen jedoch wurden von rechts, wie von links, in Nicaragua wie von der internationalen Gemeinschaft heftig kritisiert. Die EU und die Organisation amerikanischer Staaten, OEA, sprachen von Unregelmäßigkeiten, die nicaraguanische Opposition und NGOs gar von Wahlbetrug. Die Kritik innerhalb Nicaraguas kommt nicht nur von rechts, von der bei den Wahlen unterlegenen oppositionellen Allianz des rechts-konservativen Kandidaten Fabio Gadea. Auch von links, von Seiten sandinistischer Dissidentinnen und Dissidenten, kommt beissende Kritik, die poonal an dieser Stelle dokumentiert.

Linke Kritik an FSLN und Ortega-Sandinismus

In den Jahren seit dem Ende der sandinistischen Revolution im Jahre 1990 haben sich eine ganze Reihe ehemaliger Sandinist*innen von der FSLN distanziert oder sind aus der FSLN geworfen worden. Viele dieser Dissident*innen haben sich zum Movimiento por el Rescate del Sandinismo, der Bewegung zur Rettung des Sandinismus zusammengeschlossen. Eine der wichtigsten Vertreterinnen der Bewegung Rescate ist Monica Baltodano, Ex-Guerillera, Revolutionärin und bis 1997 Parlaments-Abgeordnete der FSLN – bis sie den berüchtigten Ortega-Aleman-Pakt ablehnte und dafür aus der Partei entfernt wurde. Baltodano erläutert, wie sehr sich die FSLN in der Zwischenzeit von den Idealen Carlos Fonsecas entfernt hat, der die Frente Sandinista als Alternative gegenüber den traditionellen Parteien einst mitgegründet hatte. Die Idee Carlos Fonsecas sei in einem Apparat geendet, in einer riesigen Wahlmaschinerie, sagt Baltodano. Mittlerweile bemühe sich die FSLN nicht einmal mehr um einen Anschein von Demokratie. Es gebe keine unabhängigen Parteistrukturen und keinerlei demokratische Entscheidungsfindung: „Die heutige Frente Sandinista ist ein privatisierter Apparat, die nur noch den Zweck hat, die Macht der Präsidentenfamilie zu garantieren“ meint die sandinistische Ex-Guerillera.

Kritik auch von Feministinnen

Die Feministin Sarah Hernández kritisiert die Kultur der Unterdrückung abweichender Meinungen innerhalb der FSLN, die sich in den letzten Jahren noch verschärft habe: Wahre sandinistische Überzeugungen, einen gerechten und revolutionären Prozess weiterzuverfolgen, diese Ideale gebe es in der heutigen FSLN nicht mehr. Die berüchtigte Parteidisziplin habe innerparteiliche Demokratie und eigenes kritisches Denken in der Partei erstickt. Nicht nur aus feministischer Sicht hätten vor allem zwei Vorgänge dem Sandinismus schweren Schaden zugefügt: Zum einen der berüchtigte Pakt zwischen Daniel Ortega und dem liberal-konservativen Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán aus dem Jahr 1997, der beide Politiker vor Strafverfolgung schützen sollte, Ortega vor Vergewaltigungs- und Aleman vor Korruptionsvorwürfen.

Für Sarah Hernández symbolisiert dieser Pakt den Machismus und die Frauenfeindlichkeit der FSLN unter Ortega, denn damit sei der sexuelle Missbrauch an seiner Stieftochter, Zoilamérica Narváez, ohne Konsequenzen für Ortega geblieben. Dass ausgerechnet die FSLN vor den Wahlen im Jahr 2007 mit der katholischen und den evangelikalen Kirchen paktierte und nach ihrem Wahlsieg jede Art von Schwangerschaftsabbruch bei der Reform des Strafrechts unter Strafe stellte, sei nicht nur aus feministischer Sicht unverzeihlich.

Nationalversammlung und Medien unter Ortegas Kontrolle

In den letzten Jahren habe Ortega mehr und mehr Macht angehäuft. Der Präsident, der schon vor den Wahlen im letzten Jahr sämtliche Institutionen des Staates kontrolliere, habe „mit dem Wahlbetrug des vergangenen Jahres nun auch die Nationalversammlung unter Kontrolle und kann sogar Verfassungsänderungen durchsetzen“, erklärt José Valdívia, ebenfalls vom Movimiento Rescate.

Bei der Kontrolle der Medien schreitete Ortega ebenfalls voran. Nachdem verbündete Geschäftsleute Zeitungen und Fernsehkanäle gekauft hätten, gebe es kaum noch grosse kritische Medien im Land. „Ortega kann heute auf die Unterstützung des internationalen Großbürgertums zählen, auf den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, auf die Streitkräfte und als wenn das noch nicht genug wäre, auch auf die linken Regierungen des Kontinents. Der Orteguismus befindet sich in eine Phase voller Expansion“, sagt Valdívia.

Ortegas Weg zu fast unbeschränkter Macht sei dabei natürlich auch das Ergebnis der verheerenden Politik der liberalen und konservativen Regierungen von 1990 bis 2007, räumt Sarah Hernández ein: „Natürlich, die vorangegangenen Regierungen hatten nichts als Verachtung für die Armen im Lande übrig und hatten wirklich gar nicht unternommen, um die Menschen aus der Armut zu führen“. Dies habe der Orteguismus sehr geschickt ausgenutzt, die Situation und die Bedürfnisse im Land scharf analysiert, darauf aufbauend aber eine Politik des Klientelismus und Populismus entwickelt mit dem einzigen Ziel, Wahlstimmen zu bekommen.

Zustimmung zur ALBA

Auf der anderen Seite findet Monica Baltonano, dass einige Grundzüge sandinistischer Politik im Prinzip gar nicht so schlecht seien: „Nicraragua ist Teil der Wirtschaftsgemeinschaft ALBA. Wir glauben, dass die Idee gut ist, dass sich die lateinamerikanischen Länder zusammenschliessen unter anderen Bedingungen, als wir dies unter der Vorherrschaft der USA gewöhnt waren.“ Denn die USA hätten stets versucht, die Länder Lateinamerikas gegeneinander auszuspielen. „Die ALBA verfolgt da eine vollkommen andere Idee, und wir finden es gut, dass Nicaragua Teil der ALBA ist. Klar, es gefällt uns gar nicht, dass die Gelder der großzügigen venezolanischen Hilfe privatisiert, dass sie nicht in den Haushalt eingestellt und nicht kontrolliert werden und dass sie so die Taschen einiger weniger füllen“, kristisert Baltodano.

Und wie geht es nun weiter, jetzt wo die Macht der FSLN gefestigt ist und der Präsident und die Partei in Nicaragua fast schalten und walten können, wie es ihnen beliebt? José Valdivia erwartet für die nächsten Regierungsjahre der FSLN nichts Gutes: „Wir befüchten, dass im ersten Regierungsjahr der zweiten Regierung Ortega neoliberale Maßnahmen vertieft werden!“ Valdívia befürchtet vor allem Einschnitte in die sozialen Sicherungssystemen und eine Steuerreform, die den Reichsten und nicht den Ärmsten zu Gute kommt.

Die Sozialprogramme der Regierung, die sich vor allem aus der venezolanischen Kooperation speisen und die eine halbe Milliarde US-Dollar jährlich erreichen, sie dürften aus Sicht des Movimiento Rescate in Zukunft nicht mehr ausreichen, um die steigenden sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Zumal die Abhängigkeit der Regierungsprogramme von venezolanischer Unterstützung die FSLN in große Schwierigkeiten bringen dürfte für den Fall, dass Hugo Chavez die anstehenden Wahlen in Venezuela verlieren sollte und der Geldhahn danach möglicherweise zugedreht wird. Spätestens dann werde es der FSLN schwer fallen, es gleichzeitig dem Kapital, der Kirche und der eigenen Basis recht zu machen.

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