Widerstand gegen grüne Wasserstoffprojekte

Wasserstoff
Tambores
Foto: Antje Vieth

(Berlin, 08. April 2025, npla).- Ein deutsches Unternehmen kauft Land in Uruguay und in Namibia, um dort grünen Wasserstoff herzustellen. Bewohner*innen vor Ort berichten. Es fällt auf, dass von diesem Vorhaben ausschließlich die Industrieländer profitieren. Interessant ist auch die Frage, warum vorliegende Studien zu grünem Wasserstoff aus dem globalen Süden, zum Beispiel aus Uruguay, scheinbar nicht mit einbezogen werden.

Im Landesinneren

November 2024: Ich reise nach Uruguay, ins Landesinnere in Richtung brasilianische Grenze. Die Region Tacuarembó ist dünn besiedelt; nur knapp hunderttausend Menschen leben in der größten Provinz des Landes. Villa Tambores, ein Dorf mit knapp tausendfünfhundert Seelen, ist umgeben von Land und weiter Steppe. Tambores wird auch der Ort des Windes genannt, denn er liegt auf einem Hügel, und es weht ein permanenter Wind. Bestens geeignet für die hier geplanten Windräder und für das Brandenburger Unternehmen ENERTRAG, das hier Land gekauft hat, um mit Windenergie grünen Wasserstoff zu produzieren. Für den Export nach Deutschland.

Eine der größten Süßwasserreserven der Erde

Oscar Nuñez wurde hier in Villa Tambores geboren. Er ist Sprecher der Gruppe Clan Gubaytasé, einer indigenen Organisation der Charrúa, die vor allem in Uruguay leben. Die meisten von ihnen wurden 1831 von den Spaniern ermordet, in einem Ort namens Salsipuedes, nicht weit von Tambores. Gubaytasé geht auf die Namen der vier Charrúa zurück, Gushunusa, Vaimaka, Tacuabé und Senaké, die nach dem Völkermord nach Frankreich entführt und dort im Museum zur Schau gestellt wurden. „Wir befinden uns hier im Widerstand gegen das Green Hydrogen Project. Es ist ein deutsches Unternehmen, das unser Land hier nutzen will und in unser Territorium investiert“, erklärt Oscar.

In der Region befindet sich eine der größten Süßwasserreserven unseres Planeten. Der Acuifero Guaraní erstreckt sich über Uruguay, Paraguay, Brasilien und Argentinien. In 50 bis 1500 Metern unter der Erde liegen die Wasserspeicher, die sich über mehr als eine Million Quadratkilometer ausdehnen. Megaprojekte wie zum Beispiel die Zelluloseproduktion und nun das Projekt zur Herstellung von grünem Wasserstoff benötigen viel Wasser, etwa neun Liter Wasser pro Kilogramm Wasserstoff. Es liegt daher nahe, diese riesigen unterirdischen Süßwasserreserven anzuzapfen. Aber welche Auswirkungen das auf die Umwelt hätte, lässt sich bisher nur erahnen. Oscar ist besorgt: „Wir sind ein Teil der Erde, wir bestehen zu 75 Prozent aus Wasser. Wenn wir diese lebenswichtige Quelle zerstören, werden auch wir aussterben. Deshalb verteidigen wir uns und unser Territorium und unsere Naturgüter.“ In einem kleinen Café im Zentrum des Dorfes trinke ich einen Kaffee. Die Besitzerin des Cafés und ihre Schwester, sehen das ähnlich: „Das Problem ist die Menge an Wasser, die sie verbrauchen. Und was auch problematisch ist: Am Anfang gibt es in solchen Projekten zwar viel Arbeit, aber danach verarmen die Menschen. Das Dorf verändert sich für immer.“

Wasserstoff
Valle Eden, Wasserfall.
Foto: Antje Vieth

Miguel Prieto ist Maler und Dichter und wohnt seit fünf Jahren in Tambores. Zusammen mit Ana María lebt er in einem kleinen Haus ganz am Rande des Dorfes. Er berichtet: „Die Menschen hier verstehen nicht, warum ein Unternehmen hierherkommt und ihnen das Wasser wegnimmt. Die Entnahme von Wasser aus dem Guarani-Grundwasserleiter könnte fatale Folgen haben. Bisher wird es aus einem oberflächennahen Grundwasserleiter entnommen, dem Arapey. Aber dessen Wasserreserven sind begrenzt.“

Welches Interesse hat eigentlich Uruguay überhaupt, Wasser aus dem Guaraní Aquifer für Großprojekte zur Verfügung zu stellen? Ich mache mich auf den Weg in das Rathaus am Ende des Dorfes. Hier treffe ich Bürgermeister Ricardo Suarez: „Ich glaube, dass jede natürliche Ressource, die wir in diesem Gebiet haben, wie Wind und Sonneneinstrahlung, ausgeschöpft werden sollte. Bei der Wasserentnahme habe ich meine Zweifel. Die Wissenschaft und die Techniker haben uns gesagt, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Produktion von Wasserstoff im Tambor-Projekt nur mit dem oberflächlicheren Grundwasser erfolgen könnte.“ Woher das Wasser schlussendlich kommen soll, wird bisher nirgends schriftlich festgehalten. Eins ist sicher: Ein Blick in die Verträge anderer Großprojekte wie zum Beispiel in der Zellulose-Produktion zeigt, dass ausländische Unternehmen in Uruguay das Wasser bisher einfach umsonst bekommen. Ebenso die nötige Infrastruktur wie Straßen, Schienen, Häfen. Miguel ist sehr nachdenklich: „Wir kennen Geschichten von anderen Territorien, in denen sich Unternehmen aus Europa vor allem in abgelegenen und sozial und kulturell schwachen Regionen angesiedelt haben. Ingenieure und Techniker führen Analysen und Machbarkeitsstudien durch, lassen aber die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen außer Acht. Die Bevölkerung wird daran rein gar nichts gewinnen.“ Vorteile für die Bevölkerung kann Miguel in dem Projekt nicht erkennen: „Die Menschen haben Angst um das Wasser. Sie haben Angst vor den sozialen Veränderungen. Ein weiteres Problem sind die Arbeitsplätze. Das Werk würde niemandem Arbeit geben, denn es ist eine erstklassige chemische Industrie mit der besten Technologie. Niemand von uns könnte da arbeiten. Selbst der Bürgermeister von Tambores sagte, dass er in der Fabrik keinen anderen Job bekommen würde als den, das Tor zu öffnen und zu schließen, damit die Lastwagen durchfahren können.“

Und in Deutschland?

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz macht deutschen Investoren den uruguayischen Markt schmackhaft, indem das hohe Demokratieniveau und die guten Bedingungen für ausländische Unternehmen dank der sogenannten Investitionsschutzgesetze gelobt werden. Außerdem geben staatliche Förderungen bei ausländischen Direktinvestitionen und diverse Freihandelszonen weitere Anreize für die Unternehmen. Bisher importiert Deutschland vor allem chemisches Holzsulfat, Rindfleisch und Wolle aus Uruguay. Deutsche Unternehmen scheinen im Wettbewerb ganz weit vorne zu liegen, was Fachwissen und fortschrittliche Technologien bei der Herstellung von grünem Wasserstoff betrifft. Auch die neue Energiepartnerschaft zwischen Uruguay und Deutschland fördert Unternehmen wie ENERTRAG. Forschungen der nationalen Universität Uruguays, die sich bereits seit Jahren mit dem Thema grüner Wasserstoff beschäftigen, werden in dieser Energiepartnerschaft nicht einmal berücksichtigt.

Wasserstoff
Oscar und Ana María.
Foto: Antje Vieth

Die Soziologin Ana María Barbosa arbeitet im interdisziplinären Forschungsteam rund um das Wasserstoffprojekt der uruguayischen Universität. Sie berichtet, dass in Uruguay bereits seit 30 Jahren an grünem Wasserstoff gearbeitet wird, und verweist auf die wissenschaftlichen Kapazitäten, die in diesem Bereich entwickelt wurden. Diese würden aber nicht berücksichtigt. Trotz des Booms des grünen Wasserstoffs im Land würden die nationalen Kapazitäten nicht genutzt. Das gleiche gelte für Investitionen von Unternehmen, die andere ausländische Unternehmen als Subunternehmer beauftragen, nicht aber inländische Unternehmen. Nationale Kapazitäten, die entwickelt wurden, würden nicht in Betracht gezogen. Staatlich geförderte Forschung und Entwicklung von Technologie und Wissenschaft werde hier de facto nicht genutzt. Ana María vermutet, dass die lokalen Kapazitäten vorsätzlich nicht berücksichtigt wurden.

Die Linksregierung setzt die neoliberale Politik fort

Eine Wende dieser neoliberalen Politik seitens des uruguayischen Staates ist auch durch den Wahlsieg des Linksbündnisses Frente Amplio und die Vereidigung des linken Präsidenten Yamandú Orsi nicht zu erwarten. So sprach sich Orsi für das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen aus und bekräftigte im Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier das Vorhaben. Steinmeiers Anreise zur Vereidigung des neuen uruguayischen Präsidenten Anfang März 2025 zeigt, wie wichtig Uruguay für Deutschland.

Ana María Barbosa berichtet etwas genauer von dem interdisziplinären Forschungsauftrag, den sie selber von der nationalen Universität erhalten hat. Im Rahmen des Auftrags soll eine statistische Erhebung rund um das Megaprojekt vorgenommen und die Auswirkungen auf Bevölkerung und Umwelt erfasst werden. Denn die meisten scheinen einfach gar nicht informiert worden zu sein. Bei der Ausarbeitung der anonymen Befragung in einem Umkreis von fünf Kilometern um die geplante Anlage wurden auch Daten wie Bildungsniveau, Alter und Aktivität der Menschen berücksichtigt. Eine weitere wichtige Frage war der ethnische Hintergrund.

Denn in den vorangegangenen Erhebungen war häufig die Frage nach der ethnischen Herkunft gestellt worden. Denn sowohl die indigene als auch die afroamerikanische Bevölkerung gelten als gefährdete Bevölkerungsgruppen. Wir wollten herausfinden, ob die Rechte dieser historisch verletzten Gruppen gefährdet sind. In den Volkszählungen im Jahre 2011 des statistischen Landesamts Uruguay hatten sich nur etwas mehr als vier Prozent als Afro oder Indigen bezeichnet. In der Erhebung in 2023 waren es fast 50 Prozent. Die Menschen trauen sich inzwischen eher, ihren ethnischen Ursprung zu benennen.

Diese Erhebung war wichtig, sagt Ana María, denn darin wurde deutlich, dass die Menschen weder ausreichend informiert sind, noch ihre Rechte auf Beteiligung, Mitsprache und Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung kennen. Wir sehen also, dass Uruguay sich nicht an die internationalen Abkommen hält, die es unterzeichnet hat. Zum Beispiel das Abkommen von Escazú, das die Beteiligung der Bürger*innen an der politischen Entscheidungsfindung in ihrem Territorium garantiert.

Grünes Wasserstoff-Projekt auch in Namibia

Wasserstoff
Land und Steppe.
Foto: Antje Vieth

Land kaufen in indigenen Gebieten. Die Ländereien und Naturgüter dort ausbeuten und Gleichgewichte zerstören. Warum ist das überhaupt erlaubt? Das Brandenburger Unternehmen ENERTRAG hat nicht nur in Uruguay Land gekauft, sondern auch in Namibia. Roman Kühn war zuletzt als Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker in Namibia. Er berichtet, es gebe große Sorge seitens der Nama um ihr Land, und so trafen sie sich mit Vertreter*innen der NTLA. Dort soll nun ein grünes Wasserstoffprojekt südlich von Naminus (früher Lüderitz) auf einem Gebiet zwischen 2000 und 4000 Quadratkilometern entstehen, wo große Windturbinen und Sonnenkollektoren installiert werden, um in einem Nationalpark grünes Ammoniak für den Transport nach Europa zu produzieren. Das Ganze in der Nähe der Haifischinsel, die deshalb von großer Bedeutung ist, weil dort die Überreste der Menschen liegen, die beim deutschen Völkermord an den Nama und Herero 1904 ums Leben kamen. „Dort gab es ja das Konzentrationslager, wo zwischen 1000 und 3000 Nama und Herero umgebracht wurden, bzw. an Hunger, Übermüdung, an Zwangsarbeit gestorben sind, und das ist eben ein zentraler Gedenkort“, erklärt Kühn.

Befürchtet wird nun seitens der Nama, dass die Haifischinsel als Ort des Gedenkens nicht mehr sichtbar sein wird, und das ausgerechnet auf Grund eines Deutschen Unternehmens, während in Deutschland Nama und Herero weiterhin für die vollständige Anerkennung des deutschen Völkermords protestieren. Die Bundesregierung ihrerseits betrachtet die Anerkennung als bereits erfolgt. „Von den betroffenen Gruppen wird vorgebracht, dass der Völkermord heute noch andauert, weil die Extermination Orders, die damals ausgestellt wurden und wo empfohlen wurde, diese Volksgruppen auszulöschen, eben nie zurückgenommen wurden. Deswegen ist der Völkermord aus ihrer Sicht auch noch gar nicht beendet“, erklärt Kühn.

Wasserstoff
Demo vor dem Potsdamer Landtag.
Foto: Antje Vieth

Im April 2024 fand dazu eine Demo vor dem Potsdamer Landtag statt. Organisiert wurde sie vom Bündnis „Völkermord verjährt nicht“ der in Deutschland lebenden Herero- Nachfahren. Es war zu spüren, dass die Geschichte nicht abgeschlossen ist. Israel Kaunatjike Pressesprecher des Bündnisses, erklärte: „Berichterstatter haben die deutsche Regierung aufgefordert, mit Hereros zu verhandeln. Nach der Menschenrechtskonvention der UNO von 2007 haben die indigenen Völker das Recht, sich selbst zu repräsentieren. Die gewählte Regierung muss auch dabei sein, ist aber nicht legitimiert, für uns zu sprechen. Das hat unsere Regierung ignoriert, und Deutschland benimmt sich wie eine Kolonialmacht, immer noch. Wir wollen keine Entwicklungshilfe von Deutschland. Was wir wollen, ist Reparation und Basta.“

Projekte wie die Energiepartnerschaft zum Klimaschutz treffen immer auch auf lokale Verhältnisse, eine lokale Bevölkerung, und auf Geschichte – zum Teil eben auch auf eine blutige deutsche Geschichte.

Zurück in Tambores: Es wird langsam dunkel, und Oscar macht ein Feuer. Auf seinem Land, wo Schafe weiden und Bäume im Wind rauschen, kann man in die Weite blicken. Ein Haus steht hier nicht, er ist die meiste Zeit draußen, meistens barfuß. Sein Leben ist einfach und eng mit der Natur verbunden. Er resümiert: „Europa hat seit dem Mittelalter in Konflikten gelebt, früher wurden alle krank, weil sie ihren gesamten Hausmüll auf die Straße warfen, und jetzt werden sie andere Dinge auf die Straße. Die Luft ist völlig verseucht, und gleichzeitig gibt es dieses Bild nach außen von Nachhaltigkeit. Und wir funktionieren weiter als Kolonie, wir geben alles, was wir haben und verdammen damit unsere eigene Bevölkerung, unser Land und unser Territorium.“ Auch Ana María fasst noch mal zusammen: „Grüner Wasserstoff kann eine Alternative zu fossilen Brennstoffen sein und zur Dekarbonisierung der Welt beitragen. Aber unter welchen Bedingungen? Warum in Tambores? Warum in Lateinamerika oder Afrika? Wenn man sich die Ziele der europäischen Staaten in Bezug auf die Dekarbonisierung anschaut, dann verzichten sie auf nichts. Ich meine, ihr Lebensstandard wird nicht hinterfragt. Ihr Konsumniveau verändert sich nicht. Und sie erfüllen ihre internationalen Verpflichtungen nicht.“

Einen spannenden onda-Beitrag zu diesem Thema findest du hier.

 

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