von Markus Plate
(Berlin, 27. November 2009, npl).- Bodenschätze, Schätze unter der Erde: Nicht ein Schatz, den irgendjemand mal vergraben hat, mit Golddublonen und Juwelen drin – dafür aber noch viel mehr Wert. Keine lustigen Schatzsucher*innen, die mit Metalldetektoren durch die Landschaft streifen, sondern aufwändige, langwierige und teure Unterfangen, die große Firmen und Institute beschäftigen.
Boden…schätze. Erdöl zum Beispiel für Benzin, Diesel und Kerosin, für Kunststoffe und eine ganze Reihe weiterer Zwecke. Gas und Kohle vor allem für die kalten Winter im Norden, zum Kochen und zur Stromerzeugung. Metalle: Kupfer für Strom– und Wasserleitungen oder für elektrische Bauteile. Eisenerz für die Stahlproduktion für den Bau von Brücken, Hochhäusern, Stadien, Schiffen, Maschinen. Bauxit für die Gewinnung des Leichtmetalls Aluminium für die Flugzeug– und Fahrzeugproduktion, Edelmetalle wie Gold oder Silber als Wertanlage und für Schmuck, für die Elektroindustrie oder für optische Geräte. Nickel für rostfreie Stähle, Cadmium für Batterien. Oder Lithium für Raketenbrennstoffe, als Schmierfett und Trockenmittel.
Lateinamerika hat das, woran es in Deutschland mangelt: Bodenschätze in ungeheurer Menge und Vielfalt. Und diese Schätze wecken seit fünfhundert Jahren Begehrlichkeiten. Spanier*innen und Portugies*innen rissen sich fast einen ganzen Kontinent unter den Nagel, zerstörten die Hochkulturen der Inkas und Aztek*innen, versklavten die einheimische Bevölkerung und ließen sie in den Gold und Silberminen zu Tode schuften. Vergoldete und versilberte Kirchen in der neuen wie der alten Welt sind beeindruckendes Zeugnis eines schrecklichen Verbrechens. Andere, die nicht selber Zugriff auf ergiebige Minen hatte, verstanden es, dennoch reich zu werden. Bankiers aus Augsburg, Antwerpen, Amsterdam und London verdienten sich eine wahrhaft goldene Nase, holländische und englische Piraten gingen auf den Weltmeeren einklauen. Für Lateinamerika geriet der Run auf die Bodenschätze zur Tragödie: „Die Armut des Menschen als Ergebnis des Reichtums der Erde.“ Diesen Zusammenhang beschreibt der uruguayische Journalist und Schriftsteller Eduardo Galleano in seinem 1971 erschienenen Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“ am Beispiel Lateinamerikas seit der spanisch–portugiesischen Conquista bis in die Gegenwart.
Bis heute ist Lateinamerika der größte Rohstofflieferant der Welt. Chile steuert mit 40 Prozent zur weltweiten Kupferproduktion bei, Brasilien ist der größte Eisenerz– und wichtiger Bauxitlieferant. Mexiko und Venezuela sind bedeutende Erdöl– und Erdgasförderer, Bolivien verfügt über Lithium–Vorräte und Lateinamerika ist bis heute der wichtigste Silberproduzent. Und immer noch haben der Subkontinent und seine Menschen herzlich wenig davon.
Bodenschätze gehören fast immer dem Staat, zumindest, wenn sie tief im Boden liegen und nicht an der Oberfläche. Das ist in Deutschland nicht anders, als in Frankreich, den USA oder in Lateinamerika. Aber wenn die Bodenschätze auch in Lateinamerika dem Staat gehören, warum sind die Länder und die Menschen dort so arm? Zunächst mal, weil der Staat seine Bodenschätze oft nicht selber ausbeutet. Das lässt er oft große Firmen machen. Die haben das Knowhow, wie man so was macht. Und die haben das Geld oder bekommen genügend Kredite, um nach Vorräten zu suchen und wenn sie welche gefunden haben, die dann auch zu fördern.
Denn das ist ganz schön teuer! Da muss erst mit modernster Messtechnik gesucht werden, Probebohrungen kosten enorm viel, dann muss das Fördergebiet erschlossen werden, eine ganze Förderanlage muss geplant und gebaut werden und am Ende müssen die Rohstoffe ja auch irgendwie weggeschafft werden. Dahin, wo sie gebraucht werden. Und gebraucht werden sie nicht so sehr in Lateinamerika, sondern da wo Industrien sind, die Menschen viele Autos haben und das Geld, sich alle möglichen Sachen zu kaufen. Also nach Nordamerika, nach Europa und immer öfter auch nach China.
Jetzt verschenkt der Staat aber seine Rohstoffe natürlich nur ungern an ein Unternehmen! Deswegen erhebt er Förderabgaben und Steuern. Förderabgaben heißen im Englischen „Royalties“, weil die Abgaben früher an die Krone zu bezahlen waren, im Spanischen heißen sie „regalías“, was soviel wie königliches Recht heißt. Aber überall bedeuten Förderabgaben, dass ein Förderunternehmen dem jeweiligen Staat, der ja Besitzer ist, einen Teil seines Schatzes überlassen muss. Entweder bezogen auf den Verkaufserlös oder bezogen auf den Gewinn, also auf den Verkaufserlös abzüglich der Kosten des Unternehmens.
Förderabgaben sind aber nicht überall gleich! In Europa und Nordamerika liegen die Förderabgaben meistens zwischen acht und 15 Prozent, das spült dann zum Beispiel bei Ölfeldern üppig viel Geld in die Staatshaushalte. Es kann aber auch mal viel mehr und auch viel weniger sein! Guatemala will zum Beispiel gerade mal ein Prozentchen dessen, was seine Goldförderung abwirft. Und auch Peru begnügt sich mit einem bis zwei Prozent. In Peru verdienen Bergbauunternehmen pro Jahr mehrere Milliarden Euro, der Staat hat davon aber nur ein paar hundert Millionen abbekommen. Und so werden in den Bergbauregionen des Landes auch heute noch ungeheure Schätze zu Tage gefördert, während die Menschen, die über diesen Schätzen leben, wie eh und je bettelarm sind.
Aber warum denn nur? Aus Unternehmenssicht ist die Sache ja relativ klar: Unternehmen kalkulieren! Wie teuer ist es, in einer bestimmten Region der Welt einen Bodenschatz zu fördern und ihn dahin zu bringen, wo er nachgefragt wird. Wie hoch ist an diesem Ort das Risiko, dass es mit der Förderung Probleme gibt: Gesetze könnten sich ändern, die Sicherheitslage kann schlecht sein, ein bewaffneter Konflikt könnte ausbrechen und so weiter. Teure und riskante Unternehmungen müssen mehr Gewinn abwerfen, auch weil die Zinsen für Kredite dann höher sind. Das Unternehmen wird also der guatemaltekischen Regierung sagen: Hört mal, Ihr habt hier echt schlechte Bedingungen, wenn Ihr jetzt auch noch hohe Förderabgaben kassieren wollt, vergesst es!
Kaum ein Land hat ein Monopol auf einen bestimmten Rohstoff, ein Unternehmen wird also immer versuchen, in einem Land zu fördern, wo die Bedingungen, d.h. die Profitaussichten, am Besten sind. Und es wird Länder gegeneinander ausspielen. In Ghana ist es aber billiger, wenn ihr in Guatemala uns nicht bessere Bedingungen einräumt, vergesst es!
Die meisten Länder des Südens sind hoch verschuldet und brauchen dringend internationale Kredite. Die kriegen sie aber nur, wenn sie sich auf die Bedingungen der Kreditgeber einlassen und die sitzen da, wo die Förderunternehmen sitzen, im Norden. Ein günstiges Investitionsklima sollen die Länder schaffen, also weniger Bürokratie, mehr Investitionen in Infrastruktur, weniger Belastungen für Investoren. Heißt für die Staaten: Mehr Ausgaben, weniger Einnahmen für den Staat, mehr Gewinn für die Förderunternehmen, günstigere Rohstoffe für die Industrien und Verbraucher im Norden.
Das funktioniert natürlich nicht nur im Süden so: Auch Staaten im Norden garantieren den Unternehmen günstige Konditionen. In Deutschland wird der Braunkohletagebau subventioniert durch Aussetzen von Förderabgaben und verschenktem Wasser. In Nordkanada lockt die Regierung mit reduzierten Förderabgaben, damit sich endlich ein Unternehmen erbarmt, hier nach Öl zu bohren. Und in den USA hat die Bush–Regierung die Förderabgaben für die Ölförderung stark gesenkt, wobei Familie Bush und andere in der letzten Regierung selbst in Öl machen.
Was in den USA durchgeht, läuft in Lateinamerika traditionell wie geschmiert. Wer hier die politische Macht hat, hat auch die wirtschaftliche. Die Politik wird traditionell von den Unternehmern des Landes dominiert. Die sind ziemlich reich, die große Bevölkerungsmehrheit ist arm und damit das so bleibt, soll der Staat bloß nicht zu viel Geld zum Verteilen haben. Also wirbt man lieber mit ganz geringen Förderabgaben und Steuern, die Allgemeinheit profitiert dann nicht vom Bergbau, die Reichen des Landes aber schon. Die werden Geschäftspartner der internationalen Förderkonzerne, und von den hohen Gewinnen fällt dann schön was ab für die Oligarchie des jeweiligen Landes. In Guatemala zum Beispiel ist die Familie von Ex–Präsident Berger sehr aktiv in Anwaltskanzleien, die für transnationale Unternehmen arbeiten und Sohn Berger soll an der Goldmine von Glamis Gold beteiligt sein.
Die Bedingungen können sich aber ändern, wenn andere Akteure die Macht übernehmen. Die Militärs zum Beispiel. Die haben Waffen und wenn sie putschen, auch die politische Macht. Und da sie keine Unternehmen haben, wollen sie sich aus dem Staatshaushalt bedienen. In Guatemala hat die Militärdiktatur daher nicht ein Prozent Förderabgaben bei der Ölförderung kassiert, sondern die Hälfte. Das brachte dann mächtig Geld in die Staatskasse. Bis es den USA zu bunt wurde und man die eine Militärführung durch eine andere, kooperativere ersetzte.
Die Bedingungen ändern sich aber auch dann, wenn wie in Bolivien eine Bewegung die Wahlen gewinnt, die statt der Oberschicht eher die Armen des Landes vertritt. Präsident Morales verfügte die Verstaatlichung der Bodenschätze. Kommunismus schimpfte man in der weltweiten Wirtschafts– und Finanzwelt. Aber die Bodenschätze sind ja immer staatlich, Morales wollte vor allem die Kontrolle über die Förderung und den Export der Bodenschätze zurückgewinnen. Die internationalen Gasförderunternehmen sollten nur noch Juniorpartner in Joint Ventures mit dem Staat sein. Falls sie das nicht akzeptierten, würden sie rausgeworfen. Sie sind geblieben, die Gewinne waren immer noch üppig. Und der Staat hat erblich mehr Geld, Geld das jetzt endlich zur Verringerung der Armut eingesetzt werden kann. Bodenschätze nicht nur zum Wohle internationaler Investoren, sondern zum Wohle der Menschen in einem Land. Oder zum Wohle aller! So sollte es doch eigentlich auch sein!
(Der Audiobeitrag mit demselben Titel aus unserer Reihe “Knappe Ressourcen? Gemeinsame Verantwortung!” kann kostenlos hier heruntergeladen oder angehört werden.)
Wem gehören und wem nützen Lateinamerikas Bodenschätze? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar