Poonal Nr. 465

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 465 vom 02. Februar 2001

Inhalt


 

MEXIKO

GUATEMALA

NICARAGUA

ECUADOR

CHILE

BRASILIEN

LATEINAMERIKA

USA/MEXIKO


 

INHALT

MEXIKO- Marcos hält den Frieden für greifbar nahe

GUATEMALA – Prozess gegen Pinochet auch für andere Länder wichtig – Katholische Kirche präsentiert Plan zur Krisenbewältigung in der Gesellschaft

NICARAGUA – Präsident plant Allianz gegen Sandinisten

ECUADOR – Proteste dauern an

CHILE – Untersuchungsrichter Guzman erlässt Haftbefehl gegen Pinochet

BRASILIEN – Porto Alegre: Keine Harmonie bei den „Unzufriedenen“ – Bauerrn zerstören genetisches Saatgut

LATEINAMERIKA – Serie zu Gefängnissen: Teil I: In Haft: ausgeschlossen und vergessen

USA/MEXIKO – Außenminister Mexikos verurteilt Gewalt gegen illegalisierte Migrant*innen

 

 

MEXIKO

Marcos hält Frieden für greifbar nahe

(Mexiko-Stadt, 30. Januar 2001, pulsar-Poonal).- „Noch nie waren wir dem Frieden, dem Ablegen der pasamontañas seitens der Zapatisten so nah wie jetzt“, erklärte Subcomandante Marcos, Sprecher der zapatistischen Rebellen im südmexikanischen Chiapas. „Wir sind weiter als bei den Dialogen von 1994 in der Kathedrale,“ denn in der Gesellschaft habe es tiefgreifende Veränderungen gegeben, die auf den 2. Juli (Tag der Präsidentschaftswahl, d.red.) zurückzuführen sind. Der Guerillero erläuterte, dass die Gesellschaft an diesem Tag eine Form zum Handeln gefunden habe. Sie wäre nicht nur informiert, sondern auch sehr unruhig und wolle am Friedensprozeß teilnehmen. Auf die Frage, ob er die Meinung des Präsidenten Vicente Fox, er habe mit dem Rückzug von Truppen aus Chiapas Zeichen des guten Willens gesetzt, teile, sagte Marcos, dass die EZLN großes Misstrauen in die vorherigen Regierungen hatte, was aber nicht die Schuld von Fox sei. Die Indígenas jedoch misstrauten der Regierung da sie fürchten müßten, man wolle nur Zeit gewinnen damit die die Zapatisten aus den Medien verschwänden. Danach wäre ein militärischer Schlag aus Sicht der Regierung möglich, ergänzte der Subcomandante.

 

GUATEMALA

Prozess gegen Pinochet auch für andere Länder wichtig

(Guatemala-Stadt, 30. Januar 2001, pulsar poonal).- Der Hausarrest für den chilenischen Ex-Diktator Pinochet ist ein Beispiel dafür, dass auch andere Länder Lateinamerikas, für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich Militärs vor Gericht bringen können, erklärten guatemaltekische Menschenrechtler*innen. Nach Meinung des Menschenrechtsprokurators Julio Arango Escobar ist der Fall Pinochet ein Vorbild für die betreffenden juristischen Instanzen. Angesichts der Entwicklung in Chile „träumen wir Guatemalteken weiterhin von einer soliden und respektierbaren Justiz, mit einem aufrichtigen Richter wie dem, der Pinochet angeklagt hat“, erklärte Arango Escobar. Auch der Direktor des bischöflichen Menschenrechtsbüros, Nery Rodenas, sagte, dass der Hausarrest für Pinochet eine Hoffnung für die Opfer des Genozids im Kampf gegen Straflosigkeit sei.

 

Katholische Kirche präsentiert Plan zur Krisenbewältigung in der Gesellschaft

(Guatemala, 26. Januar 2001, alc-Poonal).- Die katholische Kirche hat einen Sechs-Jahres-Plan vorgestellt, mit dem sie dem Verlust an Werten und der Gewalt begegnen will, die laut Kirche die Ursachen für die Krise sind, die Guatemala derzeit durchläuft.

Der Plan 'Begegnung mit Jesus Christus‘ wurde bereits am 20. Dezember 2000 von 17 Bischöfen des Landes gebilligt, aber erst jetzt auf einer außerordentlichen Sitzung der Guatemaltekischen Bischofskonferenz (CEG) vorgestellt. Er beschreibt auf der einen Seite die Probleme der guatemaltekischen Gesellschaft und definiert auf der anderen Seite die Vorgehensweise, die Diözesen und Kirchen einschlagen wollen, um den Schwierigkeiten beizukommen.

Die CEG, und darin stimmten alle Bischöfe überein, versucht eine Brücke zwischen Staat und den sozialen Einrichtungen sowie dem sozialen Sektor zu schlagen, um den besten Weg in Richtung auf eine gerechtere Gesellschaft mit mehr Unterstützung für alle Menschen Guatemalas innerhalb der nächsten sechs Jahre zu finden.

„Die Zeiten haben sich geändert und wir müssen uns, unter Berücksichtigung ihrer Probleme und Bedürfnisse, wieder der Bevölkerung annähern,“, sagte der Präsident der CEG, Víctor Hugo Martinez.

Unter den Problemen, die das Land durchlebt, heben die Bischöfe besonders die unzureichende politische Beteiligung, den Ansehensverlust der Parteien, die Korruption im Staat sowie ein ineffizientes Rechtssystem hervor. Außerdem habe der Werteverlust eine Trennung zwischen Glauben und Leben erlaubt, der sich darin zeige, dass immer mehr Familien auseinanderfielen und es immer mehr Fälle von Alkoholismus und Drogenmißbrauch gebe.

Der Plan der Kirche sei nichts Improvisiertes, sondern eine Sammlung von Richtlinien, die auf lange Zeit hin eine Änderung bei der Bevölkerung erreichen sollen, betonten die Bischöfe. Um diesen Plan umzusetzen, richtete die katholische Kirche Kommissionen ein, die sich um die verschiedensten Bereiche kümmern sollen.

 

NICARAGUA

Präsident plant Allianz gegen Sandinisten

(Managua, 29. Januar 2001, pulsar-Poonal).- Der Präsident Nicaraguas, Arnoldo Aleman, der der Liberalen Partei angehört, rief die oppositionelle Konservativen auf, eine Allianz zu bilden, um die Sandinisten bei der Präsidentschaftswahl im kommenden November zu besiegen. Dies werde auch andere politische Instanzen anziehen. Damit setzt die Regierung auch auf eine Neuauflage der Nationalen Oppositionsunion, die 1990 die Sandinisten von der Macht verdrängte. Anfänglich lehnten die Konservativen eine solche Allianz ab, denn sie fühlten sich durch die Kungeleien von Liberalen und Sandinisten ausgeschlossen. Doch die Angst, Sandinistenchef Daniel Ortega könne an die Macht zurückkehren, veranlassten die Konservativen, Gespräche mit den Liberalen nicht auszuschließen. Die Sandinisten ihrerseits suchen ebenfalls nach möglichen Partnern und denken in diesem Fall an die sogenannten Dissidenten, die unter ihrer Sprecherin Dora María Téllez die Bewegung der Sandinistischen Erneuerung gegründet haben.

 

ECUADOR

Proteste dauern an

(Quito, 1. Februar 2001, alai-Poonal).- Die seit Tagen andauernden Proteste in verschiedenen Städten Ecuadors dauern an. Seit kurzer Zeit besetzen 6000 Mitglieder der indigenen Bewegung den Platz vor der Salesianer Universität in Quito. Antonio Vargas, Führer der Vereinigung der Ureinwohner Ecuadors (CONAIE), dessen Festnahme vor wenigen Tagen zur Ausweitung der Proteste geführt hatte, ist wieder auf freiem Fuß.

Ohne von der Forderungen abzurücken, die von der Regierung bessere Bedingungen für die ekuadorianische Bevölkerung und eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftskurs verlangt, wertete Vargas seine Freilassung als Möglichkeit, mit der Regierung in Dialog zu treten. Hintergrund für den Widerstand der ekuadorianischen Bevölkerung ist der Jahrestag des Regierungswechsel (21. Januar), an dem ebenfalls nach starken Protesten gegen die Dollarisierung der Währung Jamil Mahuad als Präsident abgesetzt worden war. Nach ihm übernahm Gustavo Noboa die Regierungsführung, der jedoch am gleichen Wirtschaftskurs festhält.

Die jüngsten Anlässe für die Protestaktionen boten die Benzinpreiserhöhung um 100 Prozent und die Erhöhung der Fahrpreise im öffentlichen Transport um 75 Prozent. Die indigene Bevölkerung macht 30 Prozent der Einwohner*innen Ekuadors aus und gehört zu dem Ärmsten in dem lateinamerikanischen Land.

CHILE

Untersuchungsrichter Guzman erlässt Haftbefehl gegen Pinochet

Von Stefanie Kron und Leonel Yanez

(Santiago de Chile /Berlin, 30. Januar 2001, npl-Poonal).- „Was unglaublich erschien, ist Wirklichkeit geworden. Pinochet muss sich der Gerechtigkeit beugen.“ Die Worte von Viviana Diaz klingen bekannt. Schon mehrfach glaubte die Präsidentin der bekanntesten chilenischen Menschenrechtsorganisation AFDD an einen durchschlagenden juristischen Erfolg gegen den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet. Und genauso oft wurde sie enttäuscht. Zuletzt im Dezember vergangenen Jahres, als der Oberste Gerichtshof einen Haftbefehl gegen den ehemaligen Obersten Befehlshaber der chilenischen Streitkräfte wegen „formaler Fehler“ wieder aufhob.

Doch dieses Mal sind sich Rechtsexperten einig: Juristisch kann es nicht schlechter für Pinochet stehen. Zwar hat die Verteidigung des greisen Senators Einspruch gegen die Entscheidung von Ermittlungsrichter Guzman eingelegt, der Haftbefehl und gleichzeitige Hausarrest gegen Pinochet ist jedoch angeordnet. Der ehemalige Diktator darf nun bis zu seinem Prozess seine 120 südwestlich von Santiago gelegen Residenz nicht mehr verlassen und untersteht fortan militärischer Bewachung.

Guzman wirft Pinochet „geistige Urheberschaft“ an der Entführung und Ermordung von mindestens 18 der 57 linken Oppositionellen vor, die bei der so genannten Karawane des Todes im Oktober 1973, nur einen Monat nach dem Militärputsch gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, „verschwanden.“

Bereits am ersten Dezember vergangenen Jahres hatte Guzman einen Haftbefehl gegen Pinochet ausgesprochen. Der Oberster Gerichtshof hob die richterliche Anordnung kurz darauf jedoch mit der Begründung auf, dass zunächst anhand eines medizinischen Gutachtens die Prozessfähigkeit des 85-jährigen festgestellt werden und eine Vorbefragung des potentiellen Angeklagten durch Guzman stattfinden müsse.

Es folgte ein turbulenter Monat. Nach einem zermürbenden Tauziehen zwischen Guzman und Pinochets Anwälten, hatte sich Pinochet einer neurologischen Untersuchung unterzogen. Das Expertenteam stellte zwar eine leichte Altersdemenz fest, beurteilte Pinochet aber grundsätzlich als prozessfähig. Am vergangenen Dienstag hatte Guzman schließlich eine halbstündige Befragung des ehemaligen Militärherrschers zur Todeskarawane durchsetzen können.

Pinochet erklärte bei dem Treffen mit Guzman zwar, er könne sich nicht daran erinnern, „jemals persönlich einen Erschießungsbefehl gegen irgend jemanden angeordnet“ zu haben. Er zog sich darauf zurück, die Verantwortung für Entführungen und Exekutionen von Oppositionellen habe bei den befehlshabenden Offizieren der regionalen Garnisonen gelegen. Guzman konnte jedoch nach der Anhörung seinen Eindruck erhärten, dass Pinochet „außerordentlich normal“ sei.

Während man in Chile gespannt auf die Entscheidung Guzmans wartete, trat am Freitag ein wichtiger Belastungszeuge an die Öffentlichkeit. In einem Fernseh-Interview erklärte der am Putsch beteiligte ehemalige hohe General, Joaquin Lagos Osorio, dass die Veranwortung für die konkrete Ausführung von 18 der 57 Exekutionen im Rahmen der Karawne des Todes zwar bei General Sergio Arellano Stark gelegen habe. Aber in einer hierarchischen militärischen Struktur noch dazu in Zeiten des Krieges, seien alle Befehle von ganz oben gekommen. Der General im Ruhestand beschränkte sich nicht auf allgemeine Aussagen. Er habe, fuhr Osorio fort, Pinochet im Oktober 1973 ein amtliches Schreiben überbracht, in dem er dem Obersten Befehlshaber der Streitkräfte die Namen der Karawne-Opfer von Arrellano mitteilte. Pinochet selbst habe daraufhin das Schreiben verfälscht, um die Verbrechen zu verbergen.

Guzman stützt sich bei der Anklageerhebung nun vor allem darauf, dass Pinochet zumindest den Plan für die Karawane des Todes ausgearbeitet haben muss und auch wenn er die Exekutionen nicht selbst durchgeführt habe, so doch auch nichts dagegen unternommen hatte.

Seit Montag abend feiert die chilenische Linke die Entscheidung Guzmans. Glady Marin, Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chiles sieht in dem Haftbefehl gegen Pinochet das Ergebnis „einer kollektiven Anstrengung gegen die Straflosigkeit.“ Mehrmals hatte sie in den vergangenen Wochen Präsident Ricardo für sein nachgiebiges Verhalten gegenüber den Militärs kritisiert. Die Armee hatte dem Staatschef am vierten Januar ein äußerst umstrittenes Dokument über den Verbleib von rund 200 „Verschwundenen“ übergeben und die Amnestierung von Verbrechen gefordert, die bisher von den Straffreiheitsgesetzen ausgenommen waren.

Die regierende sozialdemokratische Partei von Lagos hatte zudem wiederholt geäußert, sie werde sich nicht in die Entscheidungen einer unabhängigen Justiz einmischen und glänzte eher durch politische Indifferenz gegenüber dem Fall Pinochet. Es kursierten sogar Gerüchte, Lagos würde von den Militärs unter Druck gesetzt, Guzman zu bewegen, von einem Verfahren gegen Pinochet abzusehen. Nun versucht man die Anklageerhebung als Erfolg für sich zu verbuchen. Blumig erklärte der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Ricardo Nunez: „Ein Lächeln breitet sich in der sozialistischen Welt aus.“

Weniger Anlass zur Freude sehen die Militärs und die chilenische Rechte. Ricardo Izurieta, aktueller Chef der Streitkräfte, bezeichnete den Haftbefehl als Demütigung für einen ehemaligen Staatschef und alten, kranken Mann. „Ich und die gesamte chilenische Armee sind zutiefst beunruhigt über den Gesundheitszustand von General Pinochet.“ Luis Cortes Villa, Direktor der ultrarechten Pinochetstiftung vermutet in Guzmans Entscheidung gar eine Art Sippenhaft: „Es ist eine Strafe für die Streitkräfte und die gesamte Familie des chilenischen Militärs.“

 

BRASILIEN

Porto Alegre: Keine Harmonie bei den „Unzufriedenen“

Von Lia Imanishi Rodriguez und Stefanie Kron

(Porto Alegre/Berlin, 30. Januar 2001, npl-Poonal).- Der spanische Journalist Joaquin Estefania bringt es auf den Punkt: „Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich in Davos die unverbesserlichen Neoliberalen und in Porto Alegre die unverbesserlichen linken Nostalgiker treffen. Der große Unterschied ist, dass die Zufriedenen in der Schweiz zusammenkommen und die Unzufriedenen in Brasilien.“

Am Dienstag endete in Porto Alegre das erste Weltsozialforum (WSF), das zugleich die erste große Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos sein sollte. Mit dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ hatte das brasilianische Organisationskomitee, unterstützt von der Monatszeitung le monde diplomatique sowie der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung, Globalisierungskritiker aus der ganzen Welt zu dem fünftägigen Gipfel in die wohlhabende brasilianische Hafenstadt mobilisiert. Finanziell getragen wurde der Kongress von der linken Stadtverwaltung Porto Alegres und dem Bundesstaat Rio Grande do Sul. Die dort regierende Arbeiterpartei (PT) rühmt die Stadt gerne als Modell für soziale Reformen und partizipative Bürgerdemokratie.

Die Werbung lohnte sich. Ein äußerst heterogenes Spektrum von 3000 Teilnehmern kam in der weltoffenen Metropole zusammen, um Fragen rund um die „Demokratisierung internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen“ zu diskutieren und die „Nord-Süd- Verständigung“ voranzutreiben: Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Bauern- und Indigenaverbänden, Frauengruppen, kritische Intellektuelle und oppositionelle Abgeordnete wie der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Cauthemoc Cardenas von der linksliberalen PRD. Sogar einige kleine und mittlere Unternehmer – die sich in gewisser Weise auch als Opfer der Globalisierung sehen – trafen ein.

Wie aufgeweicht die Grenzen zwischen reformorientierteren Teilnehmern in Davos, und reformistischen Delegierten in Porto Alegre inzwischen sind, zeigt die Entscheidung der französischen Regierung geradezu paradigmatisch auf: Wirtschaftsminister Fabius reiste nach Davos und Huwart, Ressortchef für Außenhandel, flog nach Brasilien.

Das WSF sollte den Gedanken einer sozial gerechteren Alternative zum herrschenden Modell des freien Marktes sowie eine weltweite Vernetzung von Bürgerbewegungen vorantreiben. Doch schon beim Auftakt zeigte sich, dass die Auffassungen darüber, wie der kapitalistischen Globalisierung zu begegnen sei, weit auseinander liegen: Der Leitsatz „gegen den Neoliberalismus und für das Leben“ des geplanten friedlichen Umzugs durch die Innenstadt von Porto Alegre am Donnerstag-Abend wurde von den 10.000 Demonstranten sehr unterschiedlich interpretiert. Eine größere Gruppe setzte sich ab, brannte US-amerikanische und spanische Flaggen nieder und zerstörte eine überlebensgroße Puppe mit dem Antlitz des basilianischen Präsidenten Fernando Enrique Cardoso.

Bemüht, das WSF als internationales Treffen einer neuen Linken zu präsentieren, hatte das Organisationskomitee rund 90 prominente Politiker und Intellektuelle aus der ganzen Welt geladen. Tosenden Beifall erhielt der Schriftstellers Eduardo Galeano aus Uruguay mit seinem polemischen Plädoyer dafür, „den Süden vom Kopf auf die Füße zu stellen“. Die ausgelassene Stimmung konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Süden weitgehend unter sich und die meisten der geladenen globalisierungskritische Intelligenz aus Europa und den USA zu Hause blieb.

So prägten vor allem die erstarkenden lateinamerikanischen Kleinbauernorganisationen das Treffen, allen voran die brasilianische Landlosenbewegung MST. Deren gemeinsame Themen sind die Forderungen nach Landreformen und Subventionen zugunsten kleiner landwirtschaftlicher Produzenten sowie die Ablehnung gentechnisch manipulierter Nahrungsmittel. MST-Chef Joao Pedro Stedile sah das WSF deshalb als Rahmen, um eine weltweite Landarbeiterbewegung nach dem Muster des MST zu initiieren.

Der brasilianische Wirtschaftswissenschaftler Emir Sader, einer der Organisatoren des Forums, sieht im Rückblick auf den Gipfel das größte Hindernis für die angestrebte weltweite Bürgerbewegung darin, dass die traditionellen westeuropäischen Gewerkschaften kaum Interesse am WSF zeigten. Sader, der die Stärkung des südamerikanischen Wirtschaftsraumes (Mercosur) propagiert, steht für eine Strömung innerhalb des Vorbereitungskomitees, die sich für eine Reregulierung der Weltwirtschaft, das heißt für eine politische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte, ausspricht. Als Protagonist dieses neokeyensianistischen Ansatzes gilt jedoch sein Kollege aus dem Organisationsteam, Bernard Cassen. Der Generalsekretär von le monde diplomatique ist zugleich Mitbegründer von Attac, einer Initiative zur Besteuerung der internationalen Finanzmärkte (Attac).

Spätestens ab dem Wochenende zeichneten sich deutlich die unterschiedlichen politischen Strategien gegen die kapitalistische Globalisierung ab. Eine stark europäisch geprägte Fraktion rund um die Reregulierungsbefürworter sucht nach „glaubwürdigen Alternativen zur Globalisierung und zum neoliberalen Kapitalismus“. Eine andere Strömung, die eher von ruralen und indigenen Organisationen getragen wird, zielt auf ein „neues globales Kräfteverhältnis“, von dem vor allem die Armen der Welt profitieren sollen. Zu deren Protagonist hat sich allerdings ein Europäer aufgeschwungen: der omnipräsente Bauernaktivist Jose Bove mit seinem Ausspruch „Das Problem war noch nie, dass es an Ideen mangelt, sondern an Macht.“

Verschiedene politische Strategien – verschiedene strategische Allianzen: So redeten die Reregulierungsanhänger anlässlich der zahlreichen Veranstaltungen, Arbeitsgruppen und Podiumsdiskussionen vor allem ausgiebig miteinander. Am Schluss einigten sie sich darauf, die Forderung von Attac nach einer 0,3 prozentigen Besteuerung aller internationalen Finanzströme zu unterstützen. „Wir sind nicht hier, um magische Formeln in die Welt zu tragen,“ stellte Olivio Durtra von der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) klar, „sondern ausgehend von der Realität auf mögliche Veränderungen des globalen Wertesystems aufmerksam machen.“ Währenddessen beschlossen die Landarbeiterbewegungen Via Campesina und MST in Anwesenheit von über 1000 Kleinbauern, in einem anderen Konferenzsaal einen weltweiten Aktionstag gegen genetisch manipulierte Lebensmittel am 17. April.

Doch den größten Applaus erhielt Bové, als er in Begleitung des MST-Chefs Stedile erschien. Bereits am Freitag hatte die Popularität des für seine ungewöhnlich militanten Aktionen bekannten Franzosen bei den brasilianischen Landorganisationen ihren Höhepunkt erreicht. Angeführt von Bove und Stedile stürmten 1300 brasilianische Bauern eine Anlage des US- Biotechnologieunternehmens Monsanto in Nau de Toque in der Nähe von Porto Alegre und zerstörten 400 Hektar Versuchsfelder mit genveränderten Pflanzen. Danach zogen sie friedlich wieder ab. Das Monsanto-Versuchlabor war von den Bundesbehörden in Rio Grande do Sul genehmigt worden. Bove wurde von der Polizei aufgefordert, das Land innerhalb von 24 Stunden zu verlassen, aber sein großer Verdienst am Weltsozialforum ist ihm nicht streitig zu machen: die trügerische Harmonie der „Unzufriedenen“ von Porto Alegre entlarvt zu haben.

 

Bauern zerstören genetisches Saatgut

(Porto Alegre, 29. Januar, alc-poonal) Mitglieder der Landlosenbewegung MST zerstörten ein zwei Hektar großes Versuchsfeld mit genetisch verändertem Saatgut. Das Feld war von dem transnationalen Unternehmen Monsanto im Ort Nao Me Toque im Norden des brasilianischen Bundesstaats Río Grande do Sul angelegt worden.

Die Bauern und Bäuerinnen wurden in ihrer Aktion durch den Landwirt José Bové unterstützt, der seiner Zeit die Proteste gegen die Verwendung von genetisch manipuliertem Gemüse in den Filialen von McDonalds in Millau, Frankreich geleitet hatte. Bové war in Porto Alegre, um dort am Weltsozialforum teilzunehmen, das vom 25.-30. Januar stattfand.

Die Bäuer*innen zerstörten die Anpflanzungen von Soya auf dem Versuchsfeld von Monsanto mit dem Argument, dass das Saatgut genetisch manipuliert sei. Bové begleitete sie dabei. Die Protestaktion zog die Aufmerksamkeit der internationalen Presse, die auf dem Forum anwesend war, auf sich. Bové ist der Meinung, dass genmanipuliertes Saatgut nicht als technologischer Fortschritt verstanden werden kann, da es große Mengen an Pestiziden und chemischen Konservierungsstoffen benötigt.

 

LATEINAMERIKA

Serie zu Gefängnissen: Teil I: In Haft: ausgeschlossen und vergessen

Von John Ludwick

(Quito, Januar 2001, pulsar-Poonal).- Die Horrorgeschichten über die lateinamerikanischen und karibischen Gefängnisse sind nichts Neues. Und dennoch: auch die erfahrensten Verteidiger der Menschenrechte wären entsetzt davon, was in der heutigen modernen Zeit in den Verliesen vorzufinden ist. „Ich lebe dort, aber ich bin jedesmal schockiert, wenn ich hinkomme“, sagte Joanne Mariner, eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch, die einige der erbärmlichsten Strafeinrichtungen der Region besucht hat. „Eines der schlimmsten Dinge, die ich gesehen habe, war das Gefängnis von Catia de Venezuela (in Caracas, der Hauptstadt), wo Menschen brutal zusammengepfercht werden und die Gewalt herrscht. Ein psychisch erkrankter Junge…war auf jede erdenkliche Weise schrecklich durch andere Gefangene missbraucht worden. Er hatte keine Möglichkeit, sich zu wehren oder fortzugehen“, beschrieb Mariner das Gefängnis.

Man sagt, eine Gesellschaft könne zuerst danach beurteilt werden, wie sie ihre Kinder behandelt, und dann, wie sie mit ihren Gefangenen umgeht. Nach dem zweitgenannten Kriterium müßten die lateinamerikanischen und karibischen Gesellschaften dafür verurteilt werden, welche Bedingungen ihre Strafgefangenen – mehr als zwei Drittel wurden weder für schuldig befunden noch erhielten sie ein ordentliches Gerichtverfahren – ertragen müssen.

In bestimmten Bereichen wird mit der Suche nach Lösungen für die Probleme begonnen. Dabei steht diesen Lösungen in vielen Fällen der Mangel an ernsthaftiger Beschäftigung seitens der Regierungsstellen mit dem Thema im Weg.

In dem dantesquen Panorama sprechen die Tatsachen für sich: Platzmangel, Unterernährung, Folter, Gewalt und Vergewaltigung. In manchen für zwei Personen konzipierten Zellen werden zehn bis zwanzig Personen zusammengepfercht.

Am neunten Juli vergangenen Jahres beklagte Papst Johannes Paul II den „erbärmlichen Zustand einiger Gefängnisse, wo die Gefangenen einer Hetze ausgesetzt sind, die ethnischer, sozialer, wirtschaftlicher, sexueller, politischer und religiöser Diskriminierung entspringt.“ Er fuhr fort: „Haftbedingungen, die der Würde und den grundsätzlichen Menschenrechten widersprechen, müssen, genauso wie die Gesetze, die die Religionsfreiheit beschneiden, endgültig durch die nationale Gesetzgebung aufgehoben werden.“ Amnesty International stimmte den päpstlichen Forderungen aufgrund des Hinweises auf die Menschenrechte zu. Allerdings ist sich ai darüber im klaren, dass es mehr als Worte des Papstes benötigt, um Veränderungen zu bewirken.

Eines der größten Probleme der Region liegt in der langen Zeitspanne, die vergehen muss, ehe ein Angeklagter vor Gericht gestellt wird. „Es kann zwei Jahre oder länger dauern, bis ein Fall vor Gericht verhandelt wird. Und während dieser ganzen Zeit eingekerkert zu sein bedeutet, ohne Verurteilung wegen eines Verbrechens im Gefängnis zu sitzen“, erklärt Joanne Mariner.

Einige lateinamerikanische Staaten haben versucht, Gesetze zur Beschleunigung der Verfahren einzuführen. Argentinien beispielsweise bringt langsam Gesetze zur Anwendung, die 1996 erlassen wurden. So sollen Gefangene innerhalb von zwei Jahren Untersuchungshaft dem Richter vorgeführt werden, oder sie müssen wieder freigelassen werden. Venezuela, wo mehr als zwei Drittel der 23.000 Strafgefangenen auf ihr Urteil warten, ist ebenfalls bekannt für seine letargische Umgangsweise mit Gerichtsverfahren. Im letzten Jahr wurde hier zwar eine Gesetzesreform eingeführt, um die Anhäufung der Verfahren zu reduzieren. Die Initiative hatte jedoch mit Problemen zu kämpfen: Eine Anzahl Inhaftierter, die mit baldiger Freilassung rechneten und weiterhin hinter Gittern blieben, revoltierte.

Große Schwierigkeiten bereitet der mangelhafte Zugang für Gefangene zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung. Mit diesem Problem setzen sich in Peru verschiedene Menschenrechtgruppen auseinander. Zusammen mit anderen Nicht-Regierungsorganisationen und religiösen Gruppierungen hat der „Zusammenschluß Für Menschenrechte“ (APRODEH) weitreichende Studien zu Problemen in den Haftanstalten Perus veranlasst und eine Anzahl von Vorschlägen unterbreitet, um die Haftbedinungen vor allem in den Hochsicherheitsgefängnissen zu verbessern. Außer der unzureichenden Gesundheitsversorgung kritisiert die Gruppe das Fehlen von psychologischem Beistand, Beratung und der Möglichkeit von Familienbesuchen insbesondere bei wegen Terrorismus inhaftierten Angehörigen vom „Leuchtenden Pfad“ und der „Revolutionären Bewegung Tupac Amarú“.

APRODEH verlangt die Beschleunigung der Gerichtsverfahren für die Unschuldigen und dass die Angeklagten in Gebäuden getrennt von den verurteilten Kriminellen untergebracht werden. Ausserdem fordert die Organisation, dass die Gefangenen nahe ihrer Heimatorte inhaftiert werden. Bis vor kurzem fehlten einer Vielzahl der „Hochsicherheitsggefangenen“ wie Gloria Cano, von APRODEH beschreibt, jegliche Möglichkeit, „in Werkstätten zu arbeiten, sich zu bilden oder an andere Bücher als die Bibel zu gelangen.“ Kleine Veränderungen, so Cano, habe es in letzter Zeit gegeben: „Diese Lebensbeschränkungen wurden Stückchen für Stückchen gelockert und kleine Konzessionen gemacht.“

Obwohl die peruanische Regierung einige Anstrengungen unternommen hat, um die Haftbedingungen zu verbessern und einige Vorschläge überdenken will, regt sich die im März letzten Jahres gegründete Kommision kaum, und Gloria Cano bezweifelt, dass sich bald etwas Grundlegendes ändern könnte.

Die unzureichende Gesundheitsversorgung ist normal in den Gefängnissen der Region. Das Fortschreiten von AIDS – was mit der Nichtbehandlung und dem Fehlen von ernsthaften Versuchen zusammenhängt, die Ausbreitung der Krankheit zu bekämpfen – ist ein ernstes Problem in den Haftanstalten Brasiliens. Obwohl es keine offiziellen Statistiken gibt, bestätigt Ricardo Marins, Epidemologe an der Universität von Campinas, dass AIDS die Haupttodesursache unter den Inhaftierten in den Gefängnissen Brasiliens ist. Nach seinen Aussagen tötet AIDS mehr Menschen in den Anstalten als die Gewalt oder Tuberkulose. Jüngst erhobene Daten besagen, dass 17,3 Prozent der Inhaftierten in Carandir, der größten Besserungsanstalt Brasiliens, mit dem AIDS-Virus infiziert sind, während es in Sorocaba, im Bundesstaat von San Paulo, 12,5 Prozent sind. Verschmutzte Injektionsnadeln und Geschlechtsverkehr scheinen die Hauptursache für die Ansteckung zu sein.

In Kolumbien, das für den schlechten Zustand seiner Häftlinge bekannt ist, hat der Ombudsmann José Fernando Castro in einem Menschenrechtsbericht, der letztes Jahr veröffentlicht wurde, erklärt, dass die Gefängnisbehörden „den grundlegenden Bestimmungen, die von internationalen Organisationen gefordert werden, nicht nachkommen.“ Den UNO-Forderungen gemäß stehen jedem Häftling 29 Quadratmeter zu, aber in den kolumbianischen Gefängnissen werden bis zu zehn Gefangene in eine Zelle für zwei Personen gesteckt. Castro zufolge ist das Gefängnisproblem „ein Zeitbombe, auf die die Regierung nicht vorbereitet ist.“

In dem Menschenrechtsbericht zeigt Castro auf, dass die Gefangenen nur unzureichend gesundheitsversorgt sind und es ihnen an Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten fehlt. Auch die Ernährung sei mangelhaft. Das Haftsystem, das für insgesamt 30.000 Häftlinge entworfen wurde, beherbergt derzeit 45.000 Inhaftierte und ist für die Regierungsbehörden außer Kontrolle geraten. 1998 gaben die Sicherheitsbehörden Zahlen von 683 erfolgreichen Fluchten, 373 Verletzten, 223 Morden und verschiedenen Aufständen bekannt. Die Häftlinge meuterten, um die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam zu machen und ihre Rechte einzufordern. Berichten aus den Gefängnissen zufolge sind die Gefangenen gezwungen, in starkem Platzmangel zu leben, die Wärter zu bestechen, um die sanitären Anlagen benutzen zu können oder einen privaten Raum bei Besuchen ihrer Angehörigen zu erhalten.

Kritiker der Haftbedingungen in El Salvador und Guatemala veröffentlichen Berichte Menschenrechtsverletzungen in den Gefängnissen, während die „Nationale Menschenrechtskommission“ in Mexiko bestätigt, dass es in der Mehrheit der Strafanstalten des Landes „an grundlegenden Leistungen“ fehlt und die Gefangenen „je nach Zahlungsfähigkeit Privilegien genießen oder unterversorgt sind.“

Die Mehrheit der argentinischen Gefangenen befinden sich ausserhalb der für sie vorgesehenen Anstalten. Nach Schätzungen des Justizministeriums werden zwischen 28.000 und 31.000 von insgesamt 55.000 Inhaftierten in Polizeihaft gehalten.

Das Strafsystem Brasiliens ist ein Paradoxum. Obwohl es nach wie vor allgemein bekannt ist, dass sich in dem Land einige der schlimmsten Strafvollzugsanstalten und Polizeireviere befinden, gibt es inzwischen ebenfalls fortschrittlichere Gesetze. So kann beispielsweise alternativ zur Haftstrafe das Urteil das Ableisten gemeinnütziger Arbeit vorsehen. Studien weisen darauf hin, dass die Rückfallquote unter den straffällig Gewordenenen, welche zu solch einer Arbeit verurteilt wurden, im Vergleich zu denen, die eine traditionelle Haftstrafe absitzen mußten, niedriger ist. Experten besagen, dass die Gefängnisse ausschließlich für die gewalttätigen Verbrecher benutzt werden sollten, die eine deutliche Gefahr für die Gemeinschaft darstellen.

Diese alternative Urteilssprechung wird allerdings wenig angewendet. Die Richter nehmen offensichtlich Rücksicht auf die Wünsche der Bevölkerung, die harte Strafmaßnahmen bevorzugt. Deswegen lassen sie weiterhin auch Menschen, die leichte Verbrechen begangen haben, einsperren und verschlimmern damit die Menschenanhäufung in den überfüllten Knästen.

In Brasilien sind derzeit ca. 170.000 Gefangenen auf mehr als 500 Gefängnisse, Tausende von Polizeirevieren und Vollzugsanstalten der Gemeinden verteilt. An viele dieser Orte herreschen Amnesty International zufolge lebensbedrohliche Zustände. Die Gefangenen müssen mit der ständigen Angst leben, von anderen Häftlingen angegriffen zu werden. Jährlich finden in der Haft zahlreiche Todesfälle als Resultat der Gewalt seitens der Polizei und der Aufseher statt. Die mangelhafte medizinischen Versorgung die Fahrlässigkeit der Behörden, die nichts gegen die Gewalt unter Häftlingen unternehmen, tun ihr Übriges. „Die Mehrheit der Todesfälle wird weder untersucht noch eingetragen“, besagte ein Bericht von Amnesty International von 1999 über das Gefängnissystem in Brasilien. Der Bericht fügt hinzu, daß die Häftlinge auch Gefahr laufen, von Polizeibeamten oder Aufsehern geschlagen oder gefoltert zu werden.

In den Staaten der Karibik ist die Lage nicht viel besser. Der Ministerpräsident von Santa Lucía, Kenny Anthony, räumte ein, dass das Hauptgefängnis des Landes „sich in einer bedauerlichen Lage“ befindet und, daß es „total überfüllt“ ist. Für 100 Gefangenen entworfen, befinden sich derzeit über 300 Inhaftierte in der Anstalt. Wegen der Überfüllung, so Anthony, sei es sehr schwierig, die Disziplin unter den Gefangenen aufrecht zu erhalten. Er wolle diese Lage aber nicht als Ausrede für die Fälle von körperlichen Mißbrauch, die dort stattfinden, ansehen.

Ein umfassender Bericht, der letztes Jahr von Human Rights Watch veröffentlicht wurde und die Haftbedingungen in Jamaika untersuchte, wies darauf hin, dass die Mehrzahl der Gefängnisse überfüllt sind: die Belegung der Zellen ist um das Doppelte höher als zulässig. Die Regierung kündigte an, eine Untersuchung zu den Geschehnissen Anfang des Jahres veranlassen zu wollen. Starke öffentliche Proteste haben sie dazu gezwungen, die Misshandlungen, als Aufseher arbeitende Soldaten an mehr als 300 Gefangenen begingen, aufzuklären. Dem Anschein nach wurden die Insassen mit Handschellen gefesset, dann geschlagen und darauf tagelang ohne medizinische Versorgung in ihren Zellen gelassen, obwohl einige von ihnen schwer verletzt waren.

Solche Geschichten überraschen niemanden, der im Bereich der Kontrolle von Haftbedingungen und Gefängnisreform tätig ist. „Wenn man verallgemeinern will, kann man sagen, daß die Lage im ganzen Gebiet absolut unter dem Standardniveau liegt: die Gefängnisse sind überfüllt, gewaltsam und gefährlich“, fasst Mariner von Human Rights Watch zusammen.

Human Rights Watch hat verschiedene Vorschläge gemacht, um die Lage der Gefangene in Lateinamerika und in der Karibik zu verbessern. Außer den Bemühungen, die Zahl der Häftlingen zu reduzieren, fordert die Organisation mehr Arbeitsplätze für die Einstellung von zusätzlichen Aufsehern. Die wenige Beamten können nicht viel mehr tun als das Haupttor zu bewachen. Human Rights Watch zufolge reicht ihre Anzahl nicht aus, um die Insassen zu kontrollieren und zu schützen. Die Organisation fordert zudem von den zuständigen Behörden, unabhängige Untersuchungen über die polizeiliche Gewalt durchzuführen sowie die Rehabilitation der Insassen zu fördern. Den Gefangenen sollen nützliche Aktivitäten angeboten und Familienbesuche erleichtert werden. Eine weitere Forderung ist, ernsthafte Maßnahmen gegen die Gefahr von ansteckenden Krankheiten wie AIDS einzuleiten und eine Basisversorgung wie passende Ernährung, medizinische Versorgung, Kleidung und Betten zu gewährleisten.

Aber genau dann, wenn es danach aussieht als könne das Leben in den Gefängnissen sich nicht noch weiter verschlechtern, nimmt leider die Zahl der Haftbevölkerung in ganz Lateinamerika und in der Karibik rapide zu. Der Niedergang der Wirtschaft und der Aufstieg der Kriminalitätsrate trocknen die Region aus. In Übereinstimmung mit dem Aufstieg der Kriminalität verschwindet die Besorgnis um die Rechte der Gefangenen beinahe. „Es gibt kein öffentliches Bestreben, die Lage der Häftlinge menschlicher zu gestalten“, berichtet Joanne Mariner. Für sie ist wenig Anlass gegeben, Hoffnungen zu hegen: „Die weit verbreitete Apathie nimmt auf die politische Entscheidungen, die das Leben in den Gefängnissen verbessern sollten, zusätzlich einen negativen Einfluß“.

 

USA/MEXIKO

Außenminister Mexikos verurteilt Gewalt gegen illegalisierte MigrantInnen

(Washington, 30. Januar 2001, pulsar-Poonal).- Der mexikanischen Außernminister Jorge Castañeda klagte in der US-Hauptstadt Washington die permanente Gewalt seitens us-amerikanischer Grenzpolizisten gegen mexikanische Migrant*innen an. Er meinte, diese Angelegenheit müsse ein Thema bei dem bilateralen Treffen kommenden Monat sein. Castañeda hält sich derzeit in Washington auf, um das für den 16. September geplante Treffen der Präsidenten beider Länder vorzubereiten. Weiter erklärte der Außenminister, die beidem Amtsträger Bush und Fox würden über ein mögliches Abkommen sprechen, um die Zahl der mexikanischen Saisonarbeiter*innen in der Vereinigten Staaten zu erhöhen. Zudem betonte er die mexikanische Ablehnung der US-Praxis, Ländern Zeugnisse im Kampf gegen den Drogenhandel auszustellen. Dies sei eine einseitige Massnahme, die die Souveränität und Autonomie anderer Länder mißachte.

 

 

 

   

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