Poonal Nr. 443

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 443 vom 11. August 2000

Inhalt


KOLUMBIEN/USA

CHILE

BOLIVIEN

ECUADOR

HINWEIS:


KOLUMBIEN/USA

Der Plan Colombia und seine Kritiker

Von James Petras

(Juli 2000, alai-Poonal).- Die kolumbianische Regierung des Präsidenten Andrés Pastrana hat mit dem Einverständnis Washingtons den „Plan Colombia“ in Gang gesetzt, ein Hilfsprogramm von mehreren Milliarden Dollar, finanziert von den USA und der Europäischen Union. Der US-Kongress bewilligte 1,3 Milliarden Dollar, größtenteils Militär- und Polizeihilfe, während Europa mehr als 2,5 Milliarden Dollar an sozio-ökonomischer Hilfe stellen wird.

Das vorgeschlagene Militärpaket aus den USA wird schweres Geschütz, Ausbildungsprogramme durch mehr als 300 nordamerikanische Militärberater, 80 High-Tech-Helikopter und Spitzentechnologie bei der Kommunikationsausrüstung einschließen. Ein Diplomat aus Westeuropa äußerte kürzlich über die Rolle der EU im „Plan Colombia“: „Mit unserer wirtschaftlichen Beteiligung wird die Schweinerei gesäubert, die die Amerikaner hinterlassen, wenn sie gehen“.

Bisher ist der Plan Colombia bei den meisten Teilen der Gesellschaft sowohl in den USA als auch in Europa auf generelle Ablehnung gestoßen. Die Gründe für diese Opposition sind vielfältig und fundiert, basieren sie doch auf den bisherigen Erfahrungen mit Militärhilfe-Programmen der USA für Kolumbien und Mittelamerika. In Kolumbien sind mehr als eine Million Bauern aufgrund der Politik der verbrannten Erde von Soldaten und Paramilitärs aus den ländlichen Gebieten vertrieben worden.

Die Rechtfertigung der Clinton-Administration, die Militärhilfe diene dem Ziel, die Drogenhändler zu verfolgen, hört sich faul an, angesichts der Tatsache, dass deren wichtigsten Bosse Teil der politischen, militärischen und paramilitärischen Kräfte sind, denen Washington nun Hilfe leistet. Am 4. Juli dieses Jahres wurden der größten rechtsextremen paramilitärischen Gruppe, die im übrigen eng mit der kolumbianischen Armee verflochten ist, 1.485 Kilo reines Kokain im Wert 53 Millionen Dollar abgenommen.

Während sich die Popularität Pastranas auf dem Tiefpunkt befindet, und seine Regierung mit wachsender Kritik der internationalen Kommissionen konfrontiert wist, die die Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien untersuchen, flog Javier Solana kürzlich nach Bogota, um den „Plan Colombia“ und der Absicht Washingtons, das Land weiter zu militarisieren, abzusegnen. Die Verbindungen zwischen der Unterstützung Solanas für die Militärintervention Washingtons in Jugoslawien und sein Aufstieg zum „Mister GASP“ der Europäischen Union sind offensichtlich. Wie es ein hoher US- Funktionär in Washington unterstrich, „ist Solana unser Mann in Brüssel“.

Die Geschichte früherer US-Militärprogramme in Zentralamerika legt einige Leitlinien der zerstörerischern, breit angelegten Intervention offen. In Zentralamerika schüttete Washington mehr als 15 Milliarden Dollar für Militärhilfe an die paramilitärischen Contras in Nicaragua sowie an die guatemaltekische und salvadoreanische Armee aus, die mehr als 75.000, Salvadoreaner, 50.000 Nicaraguaner und 200.000 Guatemalteken umbrachten. Später wurden diese verwüsteten Länder mit den sogenannten Friedensabkommen zum Paradies für Spekulanten, die Klein-Bauern blieben ohne Land. Diejenigen, die die Menschenrechte niederwalzten, blieben an der Macht und die Oligarchien forderten – von Miami aus – ihren Besitz zurück.

Die ehemaligen Guerillakommandanten passten sich ohne größere Anstrengung ihren neuen Posten in den Parlamenten an, einigten sich mit den Politikern der Rechten, genehmigen sich ansehnliche Gehälter und leben geschützt von Stacheldraht und hohen Mauern in ihren Villen, während die unteren Bevölkerungsschichten den Wahlprozessen fernbleiben, so wie mehr als 65 Prozent der Stimmberechtigten bei den jüngsten Wahlen in El Salvador. Die in Zentralamerika angewandte Strategie des zerstörenden Krieges und Friedensabkommen mit Guerilla-Organisationen, die den neoliberalen Status Quo schützen, das ist das strategische Ziel Washingtons hinter einem Friedensabkommen für Kolumbien.

Einziges Problem: die wichtigste Guerillagruppe, die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), sind kein dienstfertiger Partner in einer von Washington orquestrierten „zentralamerikanischen“ Lösung. Erstens, weil die FARC die sozio- ökonomischen Themen, darunter die Agrarreform und der Wohlfahrtsstaat, ins Zentrum ihres Verhandlungsprogrammes gerückt haben. Zweitens haben die FARC bereits die Erfahrung eines gescheiterten Friedensabkommens in der Periode von 1984 bis 1990 gemacht, als über 5.000 Mitglieder und drei Präsidentschaftskandidaten der linken Wahlplattform Patriotische Union (UP), die von den FARC unterstützt wurde, ermordet wurden, als sie sich an der Politik des Urnengangs beteiligten. Drittens sind die Köpfe der FARC, allen voran ihr Generalsekretär Manuel Marulanda, letztlich Bauern und keine Politfunktionäre, die bereit wären, in der sozialen Skala aufzusteigen, wie es der Fall in Zentralamerika war. Es ist also nicht wahrscheinlich, dass sich die FARC auf einen Pakt einlassen, der dem von Washington unterstützten neoliberalen Programm Pastranas zur Kontinuität verhilft.

In einer Antwort auf den erdrückenden Kolumbien-Plan der USA haben die FARC die entmilitarisierte Region, in der die Friedensverhandlungen abgehalten werden, in ein beispielloses öffentliches Forum verwandelt. Dessen Ziel ist es, die großen sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Fragen zu debattieren, die niemals im kolumbianischen Parlament oder im US- Kongress erörtert werden. Im Juli dieses Jahres haben die FARC eine umfassende Diskussion über „Alternativen zum verbotenen Anbau“ der Koka-Pflanze eröffnet. Mehr als tausend Teilnehmer erarbeiteten eine breite Palette von Vorschlägen. Die Antwort von Clinton und Pastrana bestand darin, den Gebrauch tödlicher Herbizide zu intensivieren, die nicht nur die Koka-Pflanzungen, sondern auch viele Nährpflanzen zerstören. Das hat unter den empörten Bauern eine neue Sympathiewelle für die Guerilla ausgelöst. Die Foren der FARC haben Gewerkschafts- und Bauernvertreter angezogen, Investmentbanker von der Wall Street, Diplomaten aus Brüssel sowie ein Heer von Journalisten aus allen Ecken der Welt.

Die FARC haben also eine Antwort mit politischem Charakter gegeben, die international wie lokal den breiten Zuspruch der Bevölkerung findet, während der „Plan Colombia“ von Washington und Pastrana lediglich auf die begrenzte Unterstützung des Pentagons, der kolumbianischen Armee – und der Paramilitärs – sowie der Drogenkapitalisten zählen kann, die in Bogotá boomen … und in Miami, in der Hitze der kubanischen Exilmafia. Der Dialog, den die FARC in der entmilitarisierten Zone mit der zivilen Gesellschaft eröffneten, könnte als Modell für ein zukünftiges demokratisches Kolumbien dienen. In den Orten, die unter dem Einfluss der FARC stehen, hat sich die Kriminalitätsrate in den vergangenen Monaten auf ein Minimum reduziert, die Behörden erpressen nicht weiter die kleinen Unternehmer, der Verkauf von Drogen ist verboten. Der Dialog und die offene Debatte, auf die sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen in Kolumbien eingelassen haben, räumt mit dem von Washington lancierten diabolischen Image der FARC als einer stalinistischen, militaristischen Narco-Organisation auf.

Wären Washington und Pastrana bereit, eine offene Debatte über die Verbindungen wichtiger Bankiers und Drogenhändler mit der Finanzierung von Wahlkampagnen für den nordamerikanischen oder kolumbianischen Senat zu erlauben, an der Vertreter der FARC, Seattle-Aktivisten und Nicht-Regierungsorganisationen aus Europa teilnehmen könnten? Eines der großen Paradoxe ist, dass in dem Maß, in dem die FARC sich zu einem umfassenden politischen Dialog anschicken, öffentlich auf den FARC-Foren neue Alternativen zum Neoliberalismus und der Hegemonie der Vereinigten Staaten debattiert werden, und diese Ideen sich breit in ganz Kolumbien verbreiten, Pastrana und Washington die Militarisierung der öffentlichen Politik beschleunigen.

Vielleicht richtet sich die Militärpolitik von Clinton und Pastrana gar nicht so sehr gegen den Drogenschmuggel oder die Guerilla, sondern auf die Zerstörung der entstehende Demokratie, die in der entmilitarisierten Zone aufblüht? Es existiert eine lange und verabscheuenswürdige Interventionsgeschichte Washingtons, um der Beteiligung der Bevölkerung ein Ende zu setzen, wenn sie sich der Kontrolle der Hauptakteure entzieht …die Dominikanische Republik 1965, Chile 1973 oder Nicaragua 1981- 90 sind nur einige Beispiele. Der einzige Unterschied besteht nun darin, dass der Plan Colombia nicht einmal suggeriert, eine under cover action zu sein: Nein, es ist ein militärischer, öffentlicher und gegenwärtiger Versuch, den Dialog und die Bewegungen zu zerstören, die sich herausnehmen, den imperialen Monolith herauszufordern.

James Petras ist Professor für Soziologie an der Universität von Binghamton (SUNY), New Yock. Seine Forschungsfelder sind soziale Bewegungen in Lateinamerika, Klassenkonfikte und Wirtschaftspolitik.

 

CHILE

Die Demontage des Despoten Oberster Gerichtshof hebt Immunität Pinochets auf

Von Leonel Yanez

(Santiago de Chile, 9. August 2000, npl). – Am Dienstag (8.8.) gab der Oberste Gerichtshof in der chilenischen Hauptstadt Santiago seine mit 14 zu sechs Stimmen gefällte Entscheidung öffentlich bekannt, die parlamentarische Immunität Augusto Pinochets aufzuheben, Voraussetzung um ihn wegen massiver Menschenrechtsverletzungen während seiner Zeit als Militärherrscher (1973-1990) in Chile vor Gericht zu stellen. Den verschiedenen Spekulationen im Vorfeld war eines gemeinsam: Alle sprechen von der entgültigen Demontage des ehemaligen Diktators, Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte und Senator auf Lebenszeit.

In erster Instanz hatte ein Berufungsgericht Anfang Juni die Aberkennung der Immunität des heute 84-jährigen verfügt. Dem Urteil des Berufsgerichtes war in Chile eine erhitzte Diskussion vorausgegangen. Nachdem der Ex-General im März aus der über ein Jahr andauernden Haft in London zurückgekehrte, war klar, dass eine baldige Lösung auf die Frage gefunden werden musste, ob Pinochet in Chile vor Gericht gestellt werden kann oder nicht. Mehr als 120 Klagen wegen Verbrechen gegen die Menschheit lagen gegen Pinochet bei seiner Rückkehr aus Europa vor. Darunter auch sehr konkretes Belastungsmaterial: Schriftstücke, die ihn als Befehlsgeber für eine Mordserie an Oppositionellen Ende 1973 – bekannt geworden unter dem Namen „Karawane des Todes“ – persönlich verantwortlich machen.

Um sich einem Prozess entgegen zu stemmen wird die Verteidigung des greisen Ex-Diktators allerdings auch weiterhin nichts unversucht lassen. Möglich ist, dass sie die Berichte verschiedener Ärzte präsentieren wird, die Pinochet geistige Unzurechnungsfähigkeit bescheinigen. In der chilenischen Gesetzgebung existiert die Möglichkeit, eine Person über 70 Jahre aufgrund „geistiger Immobilität“ von einem drohenden Strafprozess zu befreien. Bekannt ist jedoch, dass die Familie von Pinochets nicht hinter den Versuchen der Verteidigung steht, ihn geistig für umnachtet zu erklären. Sie sehen es als schlechten Scherz gegenüber allen bedingungslosen „Pinochetistas“, wenn man ihn für verrückt erklärte.

Für niemanden ist es in Chile indes überraschend, dass die Mehrheit der 20 Richter des Obersten Gerichtshofes bereits während der Diktatur ihre Karriere an chilenischen Gerichten begannen. Richter Oscar Faundez zum Beispiel, macht aus seiner Sympathie für die Diktatur bis heute kein Hehl. Er äußerte vergangene Woche während der Beratungen des Obersten Gerichtshofes, „für Fälle wie diesen“ seien die Amnestiegesetz geschaffen worden, „die nun auch Anwendung finden müssen“.

Ganz Chile weiß auch, dass sich unter den Richtern des Obersten Gerichtshofes sogar drei befinden, die ihrerzeit von Pinochet persönlich in dieses Amt berufen wurden. Einer von ihnen, Alvarez, ist heute Vorsitzende des Gerichts. Sie haben aber zumindest anerkannt, „dass der Fall Pinochet einen juristischen Weg nehmen wird und dass die Öffentlichkeit ein Recht auf Transparenz hat“.

Die Menschenrechtsgruppen in Chile ihrerseits hoffen nun mehr denn je auf Gerechtigkeit. 10 Jahre der „demokratischen Transition“ haben nicht zur Aufarbeitung der Vergangenheit geführt. Die verschiedenen Abkommen, in denen vereinbart wurde, dass die Streitkräfte die Mauer des Schweigens aufbrechen und Informationen über den Verbleib der mehr als 1000 Verhafteten-Verschwundenen öffentlich machen sollen, stocken in der Umsetzung. Die in den Verträgen bestimmten runden Tischen, an denen verschiedene Sektoren der Bevölkerung beteiligt sind, tagt seit fünf Monaten, um Informationen im Fall der Verschwundenen zusammen zu tragen. Bis heute gibt es keine konkreten Ergebnisse, weder ein „Pardon“ noch Entschädigungszahlungen an die Angehörigen der Diktaturopfer. Nach der Bekanntgabe des Urteils des Obersten Gerichtshofes drohten die Militäs denn auch gleich, sich nun gar nicht mehr an der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen

Für die chilenische Rechte jedoch ist Pinochet mehr und mehr ein „Klotz der Vergangenheit am Bein“, vor allem weil sie mit einem sauberen Image Ende des Jahres die Bezirks- und Gemeindewahlen antreten möchte. So wollen sich nicht wenige, auch Ultrarechte, gerne von Pinochet distanzieren und ihn vor Gericht sehen. Nur eine Minderheit innerhalb der Rechten fährt fort, Pinochet zu verteidigen, und argumentiert, dass hinter dem ganzen Fall nur Rachegelüste der Linken stehen. Ganz jedoch gleich wie der Fall weitergehen wird, Pinochet ist nicht der gleiche wie vorher. Das Leben hat ihn in ein Stadium gebracht, wo vielleicht der Tod das beste wäre, eine Lösung, die den meisten Chilenen – wenn auch aus verschiedenen Gründen – inzwischen Anlass zum Aufatmen geben würde

 

BOLIVIEN

Banzers Regierung in der Krise

Von José Antonio Aruquipa Z.

(La Paz, Juni 2000, noticias aliadas/Poonal).- „Statt in die Drogenbekämpfung zu investieren, sollten die USA besser Wirtschaftshilfe geben, um die brüchige bolivianische Demokratie zu stärken“, meint Ex-Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada (1993- 97). So äußerte er sich jedenfalls im Mai bei einem Treffen in Washington, an dem einflussreiche Funktionäre der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) teilnahmen. Sanchez de Lozada schätzt die amtierende Regierung von Präsident Hugo Bánzer als „immens geschwächt“ ein. Es gebe große Zweifel über die Stabilität des demokratischen Prozesses. Außerdem sei Jaime Paz Zamora – ein weiterer Ex-Präsident (1989-93) -, der mit seiner Bewegung der Revolutionären Linken (MIR) heute der stärkste Koalitionspartner von Banzer ist, „ein heftigerer Regierungsoppositioneller als ich selbst“, so Sanchez de Lozada. Tatsächlich gehört Paz Zamora zu den Hauptkritikern der Wirtschaftspolitik der Regierung.

Sánchez de Lozada sieht in den Absichten des amtierenden Staatschefes, die Verfassung zu reformieren, unter anderem um sich eine Wiederwahl zu ermöglichen, den „Weg zum Fujimorismo“ – in Anspielung auf die Praktiken des peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori. Auch wenn die Regierung auf die Erklärungen des konservativen Ex-Präsidenten „empört“ reagierte, so zeigen Zahlen und verschiedene Vorkommnisse der vergangenen Monate, dass Banzer eine der heftigsten Krisen erlebt, seit er am 6. August 1997 sein Amt übernahm.

Die Wirtschaft weist für 1999 das geringste Wachstum seit zehn Jahren auf. Das Bruttoinlandsprodukt stieg um gerade einmal 0,6 Prozent. Zuvor bewegte sich der Zuwachs zwischen 4 und 7 Prozent. Zwar soll sich die makro-ökonomische Lage in diesem Jahr etwas entspannen, doch Wirtschaftsexperten äußern Zweifel, dass die Regierung ihren versprochenen „Kampf gegen die Armut“ gewinnt. Inzwischen musste Banzer selbst zugeben, dass Bolivien erst „im Jahr 2025“ ein Land sein wird, in dem nicht mehr sieben von zehn Personen in Armut leben.

Während die Monatslöhne im öffentlichen Sektor 1999 bei umgerechnet etwas mehr als 50 US-Dollar eingefroren wurden – nur im Bildungs- und Gesundheitssektor gab es kleine Erhöhungen – erreichten die Preise für Brennstoffe Rekordhöhen. Insgesamt fünfmal stiegen sie an. Ein Gas-Tank von 12 Kilogramm, der in den Haushalten zum Kochen und Heizen benutzt wird, kostete im Januar 1999 noch 1,90 US-Dollar. Derzeit (Juni 2000) ist der Preis bei 3,56 US-Dollar angelangt.

Als kurzfristigste Lösung, mit der die Regierung das Elend angehen kann, gilt ihr das Programm zur Erleichterung der Auslandsschuld für die hochverschuldeten armen Länder. Bolivien kann nach offiziellen Angaben damit rechnen, 1,3 Milliarden von 4 Milliarden Dollar Auslandschuld von Internationalen Währungsfonds und Weltbank „verziehen“ – gestrichen – zu bekommen. Obwohl dieser Rettungsanker unter der Bevölkerung und von dern Fachministern positiv aufgenommen wurde, hat sich Koalitionspartner Paz Zamora öffentlich dagegen ausgesprochen.

Das Programm „war ein Fehler und lässt uns wie Bettler aussehen“ so Paz, der gleichzeitig anmerkt, der Wirtschaftspolitik der Regierung fehle es „an sozialem Verständnis“. Die Kritik aus dem Lager der MIR verstärkte sich nach dem Vorkommnissen im April dieses Jahres. Um der verschiedenen sozialen Proteste im Land Herr zu werden, verhängte Banzer vom 7. bis 19. April den Ausnahmezustand. Fünf Tote, mehr als 50 Verletzte und mehrere Dutzend Verhaftetete waren das Ergebnis der Konfrontationen zwischen Demonstranten und staatlichen Sicherheitskräften.

Die politische Instabilität, ohnehin ein Kennzeichen der Banzer- Regierung, nahm bereits Anfang März zu, als mit der Neuen Republikanischen Kraft (NFR) der drittwichtigste Koalitionspartner die Regierung verliess. Banzers Nationalistische Demokratische Aktion (ADN) ist seitdem noch mehr auf die MIR und die Partei Buerger-Einheit und Solidarität (UCS) angewiesen. Ohne ihre Stimmen gibt es im Parlament keine Mehrheit für den Präsidenten. Beide Parteien nutzten dies, um bei der Verhandlung der Machtquoten und Posten ihre Position auszubauen. Der Präsident musste Mitglieder seiner eigenen Partei praktisch zum Rücktritt von wichtigen Ämtern zwingen, um MIR und UCS zufrieden zu stellen. Ende April trat das gesamte Kabinett zurück, es gab wichtige Rücktritte wie den des scharf kritisierten Verteidigungsministers Jorge Crespo sowie eine Stühle-Rücken zwischen den verschiedenen Ministerien. Nur die Außen- und Bildungsminister begleiten den Präsidenten seit Beginn der Regierungsperiode. In den übrigens 13 Ministerien hat es insgesamt 31 Wechsel gegeben. In der Mehrheit der Fälle war die Verwicklung in Korruptionsfälle Anlass für den Abschied aus dem Ministeramt. Die Anklagen selbst kamen aber bis heute nicht zur Aufklärung.

Banzer kämpft auch mit seiner Vergangenheit als Diktator in den 70er Jahren. Wenige nehmen ihm einen Wandel zum Demokraten wirklich ab. Von seinen Verbündeten unter Druck gesetzt und angesichts der zunehmenden sozialen Proteste, tat Banzer, wozu er vorher nie bereit war: Am 20. April, einem Tag vor dem Karfreitag, unterbrach er eine Messe, um „die Bolivianer um Vergebung“ zu bitten. „Als Staatschef Boliviens und Sohn der Kirche bitte ich um Vergebung wegen der verfolgten und verhafteten politischen Dissidenten in den Zeiten der Konfrontation. Ich bitte um Vergebung wegen der schutzlosen Kinder in der Dunkelheit der Nacht“, lauteten die blumigen Äußerungen des heute 74-jährigen, in Anspielung auf sein Militär-Regime (1971-78).

Doch Banzers Verhalten wurde von den Menschenrechtsorganisationen nicht gerade positiv aufgenommen. Waldo Albarracín, Präsident der Ständigen Menschenrechtsversammlung Boliviens, meint, der Ex- Diktator müsse nicht nur um Vergebung bitten, sondern helfen, das Schicksal der etwa hundert Verschwundenen aufzuklären, die es unter seinem Militärregime gab.

Ein ständiger Konfliktpunkt für die Regierung sind die Auseinandersetzungen mit den Kokapflanzern, deren wiederholte Protestmärsche das Land aufrütteln. Um den USA Genüge zu tun, verspricht Banzer die Vernichtung der Pflanzungen. Auf der anderen Seite kann er den Campesinos jedoch keine wirtschaftliche Alternative bilden.

Ein nationaler Dialog zwischen den drei Staatsgewalten und der Zivilgesellschaft, um die Armut wirksam zu bekämpfen, sollte nach Banzers Vorstellung einen Ausweg aus der Krise darstellen. Doch wichtige Sektoren der Gesellschaft, wie beispielsweise der Gewerkschaftsdachverband COB, nahmen erst gar nicht daran teil, weil sie der Regierung ernsthaften Gesprächswillen abstreiten. Straßenmärsche und sporadische Streiks sind in Bolivien fast alltäglich. „Wenn die Regierung unsere Forderungen nicht hört, kann es dazu kommen, dass sich Bevölkerung und Streitkräfte erheben, und einen bewaffneten Aufstand provozieren“, sagt Felipe Quispe Huanca von der Landarbeitergewerkschaft CSTUCB voraus.

 

ECUADOR

Druck des IWF bringt neue Regierung in die Zwickmühle Die Bevölkerung treffen die Anpassungsmaßnahmen in Etappen

Von Luis Angel Saavedra

(Quito, Juni 2000, noticias aliadas/Poonal).- Politisch waren die letzten Jahren in Ecuador stürmisch. Die Bevölkerung stürzte mit Duldung und Unterstützung der Militärs zwei Staatschefs und ist nicht bereit, einschneidende strukturelle Anpassungsmaßnahmen widerstandslos hinzunehmen. Auch die seit Januar amtierende Regierung von Präsident Gustavo Noboa muss sich auf heftige Proteste gefasst machen. Denn sie hat als Gegenleistung für Finanzhilfen versprochen, drastische Aktionen in der Wirtschaftspolitik durchzuführen. Die Reaktion der sozialen Organisation vorhersehend, entschloss sich das Kabinett allerdings, den Rythmus der Maßnahmen zu verlangsamen und sie mit Sozialprogrammen zu begleiten.

Nach dreijährigen Verhandlungen unterschrieben der Internationale Währungsfonds (IWF) und Ecuador am 19. April dieses Jahres das sogenannte stand by-Abkommen, mit dem das Andenland Zugang zu 304 Millionen US-Dollar bekommt. Damit sollen die Devisenreserven gestärkt und das bankrotte Bankensystem wieder aufgebaut werden. Nacheinander sahen sich die Regierungen von Fabián Alarcón (1997- 98), Jamil Mahuad (1998-2000) und Noboa in der Zwickmühle, denn die Forderungen des IWF stellen die Aussicht auf eine längerfristige soziale Stabilität in Frage.

In den zurückliegenden Monaten verkündeten die Wirtschaftsdelegationen von Regierung und IWF, eine Vereinbarung könne nur erreicht werden, wenn alle Subventionen für Treibstoffe sowie Wasser, Strom und Telefon gestrichen würden. Zusätzlich verkauften sie die Erhöhung bestehender und Schaffung neuer Steuern als ebenso unvermeidlich wie das Einfrieren der Löhne im öffentlichen Dienst. „Wir wollen keine sozialen Probleme verursachen, aber es muss deutlich gesagt werden, dass das derzeitige Niveau der Subventionen innerhalb eines Systems der Dollarisierung (der Wirtschaft) nicht beibehalten werden kann“, erklärte der Abgesandte des Währungsfonds, Jeffrey Franks, bezüglich der vorgesehenen vollständigen Umstellung der Landeswährung Sucre auf den US-Dollar.

Der IWF geht sogar davon aus, dass die radikale Abschaffung der Subventionen die Marktverzerrungen korregieren würden, von denen nach Ansicht seiner Funktionäre die wohlhabenden Gruppen der Gesellschaft bisher profitiert haben. Der Währungsfonds erwähnt als Beispiel den Schmuggel mit Gas in die Nachbarländer. Sein Vorschlag dazu: ein Anstieg der Gaspreise von 40 und noch einmal 60 Prozent in den Monaten Juni und Oktober. Damit soll die Rezession der Wirtschaft gestoppt werden. Erfüllten sich die Wunschvorstellungen des Fonds, könnte das durchschnittliche Jahreswachstum so noch in positives Terrain kommen.

Begleitend zu den IWF-Vorschlägen haben die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID) und der Andenförderungsfonds ebenfalls die Freigabe erster Gelder im Rahmen eines langfristigen Kreditprogrammes mit einem Volumen von zwei Milliarden US-Dollar verfügt. Auch dieses Geld soll vorrangig in den Finanzsektor gepumpt werden. Dessen Zusammenbruch kostete den Staat im zweiten Halbjahr 1999 etwa 2,7 Milliarden Dollar. Vom Geldregen der internationalen Finanzorganisationen wird die arme Bevölkerung nach Meinung der Kritiker aber in keinster Weise profitieren.

„Indem das Geld für die Devisenreserven oder die Reaktivierung des Bankenwesens verwandt wird, bildet es einen Teil desselben Korruptionsnetzes, das die Spareinlagen der Kunden bei den geschlossenen Banken plünderte“, sagt der ehemalige Abgeordnete Diego Delgado. Er nennt als konkretes Beispiel das persönliche Interesse von Jorge Guzmán in den Krisenzeiten. „Guzmán leitete den Bankenverband und kannte die Probleme. Als die Krise ausbrach, war er der Oberaufseher der Banken. Und als Finanzminister verhandelte er die Gelder für die Banken, die er schützte.“

Die sozialen Organisationen Ecuadors zeigten sich über die Regelungen mit dem IWF empört. „Die Art, wie den Ecuadorianern ein Selbstmordabkommen aufgedrängt wird, wie wir zur Dollarisierung gezwungen werden, all das beweist uns, dass wir zu einer Kolonie Nordamerikas gemacht werden“, äußerte der Indigenaführer Salvador Quishpe während einer friedlichen Besetzung der Kirche San Francisco in der Hauptstadt Quito. Die Besetzung war der Schlusspunkt eines gigantischen Protestmarsches am 1. Mai gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung. Der Marsch war der größte der vergangenen zehn Jahre und die massive Beteiligung von Nicht- Indigenas lehrte die Regierung das Fürchten. Denn, wenn die Mobilisierungen des gut organisierten Dachverbandes CONAIE der Indigenabevölkerung mit den Aktionen anderer Gruppen wie den Gewerkschaften zusammen treffen, ist es um die Stabilität der Regierung geschehen. Und die Ablehnung der offiziellen Wirtschaftspolitik ist ein einigender Faktor.

Abgesehen vom komplizierten ökonomischen Panorama mit einer voraussichtlichen Inflation von etwa 90 Prozent zu Jahresende, die den Regierungsdiskurs über die wohltätigen Wirkungen der Dollarisierung bloß stellen würde, haben sich bei den Regionalwahlen am 21. Mai die politischen Kräfteverhältnisse verschoben. Der CONAIE und die „Plurinationale Bewegung Pachakutik“, die beide für die Organisation der sozialen Bewegungen im Land eine entscheidende Rolle spielen, erreichten wichtige Siege.

Noboa versucht seitdem zu retten, was vielleicht nicht mehr zu retten ist. Noch im Mai entließ r den erwähnten Finanzminister Guzmán, ein radikaler Verfechter der Anpassungsrezepte des Internationalen Währungsfonds. Außerdem stellte er einen neuen, verlangsamten Zeitplan für die Einschnitte auf. Schließlich verkündete er ein begleitendes Sozialprogramm, von dem im Abkommen mit dem IWF nicht die Rede ist. Die Gaspreise für den Hausgebrauch werden vorerst nicht erhöht, der monatliche Mindestlohn dagegen soll von 54 auf 116 Dollar mehr als verdoppelt werden. Die Rentner bekommen höhere Pensionen und arme Familien zusätzliche staatliche Zahlungen.

„Noboa hat es vorgezogen, die Massnahmen abzuschwächen, weil er um die Kapazität der sozialen Mobilisierung weiß. Wir müssen aber aufmerksam sein, denn die Vereinbarung mit dem IWF sieht die Anpassungen bis Oktober vor. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Großteil der Maßnahmen für die Zeit nach den sozialen Ausgleichszahlungen aufbewahrt wird“, versichert Virgilio Hernández von der Volkskoordination der Sozialen Bewegungen. Die Regierung wird es nicht leicht haben. Gerade erst (Ende Juli) haben die Volksorganisationen dem Obersten Gerichtshof des Landes mehr als anderthalb Millionen Unterschriften überreicht, mit denen ein Plebiszit über die Wirtschaftspolitik und andere wichtige Punkte gefordert wird.

 

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