Von Luis Hernández Navarro
(Mexiko-Stadt, 19. Dezember 2017, la jornada).- Die Ankündigung erschütterte die breite Bewegung aus indigenen Gemeinden, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Campesinos und Aktivist*innen, die die Aussaat von Genmais in Mexiko ablehnen. Víctor Villalobos, politischer Fädenzieher für die großen agroindustriellen Konzerne und Befürworter der gentechnischen veränderten Organismen (GVO), wird der zukünftige Landwirtschaftsminister sein, sollte Andrés Manuel López Obrador (AMLO) die Präsidentschaftswahlen 2018 gewinnen. Víctor Villalobos schwimmt in allen politischen Wassern. Gleich ob PRI oder PAN, oder jetzt AMLOs Nationale Erneuerungsbewegung (Morena). Er war externer Berater und Angestellter von Monsanto. Er war im Beirat der Unternehmensgruppe Pulsar, zu der Seminis gehörte, ein Gigant im GVO-Geschäft und dominant auf dem weltweiten Saatgutmarkt. Seminis war bis zu seinem Verkauf im Besitz von Alfredo Romo, dem Koordinator des „Projekts der Nation 2018-2024“ von López Obrador.
Die hochrangigen öffentlichen Ämter, die Villalobos bekleidet hat, sind zahlreich: Staatssekretär für Natürliche Ressourcen und Erster Geschäftsführer der Interministeriellen Kommission für Biosicherheit und Gentechnisch Veränderte Organismen (Cibiogem) unter der Regierung von Ernesto Zedillo (1994-2000), Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium unter Vicente Fox (2000-2006) sowie Chefkoordinator für Internationale Angelegenheiten im Landwirtschaftsministerium in den ersten drei Jahren der Regierung von Felipe Calderón (2006-2012). Als öffentlicher Amtsträger hat er einige „kleine Sünden“ begangen. Zum Beispiel, sein öffentliches Amt nicht von seinen Funktionen in der Privatwirtschaft zu trennen. Ohne jede Scham vertrat er die Interessen der Multis. Nicht umsonst war er ein enthusiastischer Verfechter des sogenannten Monsanto-Gesetzes. In der Zeit der Regierung Fox beschuldigten ihn Vía Campesina, Greenpeace und die Heinrich-Böll-Stiftung, gleichzeitig in der öffentlichen Verwaltung und in der Privatwirtschaft zu arbeiten.
Ernennung von Villalobos wäre Ohrfeige für Umweltschützer*innen
Aber nicht nur das. Als Repräsentant der mexikanischen Regierung sabotierte Villalobos im Jahr 2004 in Kuala Lumpur die Präventivmaßnahmen, die das Cartagena-Protokoll vertiefen sollten. Dieses internationale Instrument reguliert die Gentechnisch Veränderten Organismen. Stets stand Villalobos an der Seite der die Gentechnik befürwortenden Länder. Als ob dies nicht genug wäre, unterschlug er öffentliche Schlüsselinformationen über die gentechnische Kontaminierung einheimischer mexikanischer Maissorten. Die Designierung von Víctor Villalobos als zukünftigen Lenker der mexikanischen Landwirtschaft ist eine Ohrfeige für all die, die seit Januar 1998 die einheimischen Maissorten verteidigt haben. Diese Gemeinschaft gründete im Mai 2002 das Netzwerk zur Verteidigung des Mais; 2007 rief sie die Kampagne Ohne Mais kein Land (Sin Maíz no hay País) ins Leben, die wissenschaftliche Studien erarbeitet hat. Außerdem prozessiert sie seit mehr als vier Jahren vor Gericht, um die Gefahr aufzuzeigen, die die GVO für die Ernährungsgewohnheiten und die Umwelt in Mexiko bedeuten. Viele sind nun empört.
Die Ernennung von Villalobos für das zukünftige Kabinett von López Obrador ist längst nicht der einzige Beleg für die Präsenz der von AMLO sonst so bezeichneten „Machtmafia“ im Umfeld von Morena. So auch im Fall von Esteban Moctezuma, der als zukünftiger Bildungsminister vorgeschlagen ist. Der ehemalige Innen- und Sozialminister unter der Regierung Zedillo kennt sich bereits im Bildungssystem aus. So manövrierte er 1992 die Dezentralisierung des Bildungssystems ins Abseits. Seine Nominierung entreißt die Lehrer*innen den Klauen der Vereinigung „Mexikaner*innen Zuerst“ (eine privatwirtschaftliche neoliberale Bildungslobby, Anm. d. Ü.), nur um sie zu den Futternäpfen der Azteca Stiftung zu schicken – eine Einrichtung, dessen Vorsitz Moctezuma selbst innehat. Esteban Moctezuma gilt zudem als Urheber des Verrats gegen die zapatistische Bewegung am 9. Februar 1995 (eine Verantwortung, die er abstreitet).
Vorgesehene künftige Innenministerin segnete neoliberale Reformen ab
Auf der Liste fragwürdiger Figuren der alten Nomenklatur befindet sich auch Olga Sánchez Cordero, 20 Jahre lang Richterin am Obersten Gerichtshof der Nation. Nun als künftige Innenministerin auserkoren, kam sie Ende 1994 in das richterliche Amt. Der damalige Präsident Ernesto Zedillo hatte in einer Art technischem Staatsstreich den vorherigen aus 26 Richter*innen bestehenden Gerichtshof aufgelöst und einen neuen mit elf Mitgliedern bestellt. Wie der Wissenschaftler Miguel Ángel Romero dokumentiert hat, spielte das neu zusammengesetzte richterliche Gremium eine Schlüsselrolle dabei, die in Gang gesetzten neoliberalen Reformen juristisch abzusichern.
Sánchez Cordero kann ihre Herkunft nicht verleugnen. In fast allen Fällen, in denen das neue Verfassungsorgan die Regelungen zugunsten des Freihandels rechtlich abschirmen musste, stimmte sie entsprechend dafür. So im Oktober 1998, als das Oberste Gericht im Rahmen der Schuldner*innenkrise im Bankensektor entschied, dass die Banken bei ihren Geschäftsbeziehungen mit Kreditnehmer*innen in den Verträgen von Anfang an Zinseszinsen auf Schulden vereinbaren durften. Das heißt, mit der Legalisierung des Zinseszinses gestanden die Richter*innen den Herren des Geldes den Aufpreis gegenüber ihren Bankkund*innen zu. Die Bankenoberstern feierten das Urteil, López Obrador kritisierte es. Doch nun will er an die Spitze des Innenministeriums eine Person setzen, die diese Art Bankraub legitimierte.
Die Präsenz der erwähnten und weiterer Figuren im vorgesehenen Kabinett von López Obrador ist kein Einzelfall, sondern Teil eines vorsätzlichen Rechtsrucks der Morena-Partei. Ihr Projekt der Nation, das vom oben erwähnten Alfonso Romo koordiniert wird (der einst Augusto Pinochet rechtfertigte), enthält viele Vorschläge, die nichts mit der Linken zu tun haben. Teilweise scheinen sie sogar der Politik der „demokratischen Sicherheit“ von Álvaro Uribe entlehnt. Das Bündnis mit der PES, der Partei der Sozialen Begegnung, verschließt die Augen vor einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit: PES-Führungspersönlichkeit Hugo Éric Flores war der Hauptverteidiger der Paramilitärs, die 1997 für die brutale Ermordung von 45 Personen in Acteal verantwortlich waren. Dennoch versichert AMLO, Morena habe keine tiefergehenden politischen oder ideologischen Verbindungen mit dieser Partei.
Um die Wahlen 2018 zu gewinnen hat Morena natürlich das Recht, sich soweit nach rechts zu bewegen, wie die Partei es für notwendig hält. Ihre eigene Angelegenheit. Aber das Mindeste wäre, dies auch zuzugeben.
Morena driftet nach rechts von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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