Gutes Leben statt schwarzem Gold

von Nils Brock, Sarayaku

(03. Dezember 2015, npl).- Ecuador war lange Zeit bekannt als „Nachspeisennation“. Doch Bananen und Kakao wurden in den 1970er Jahren von einem anderen Exportschlager verdrängt. Erdöl. Diktatoren, Neoliberale, Sozialisten des 21. Jahrhunderts – sie alle feierten und feiern das schmutzige Schmiermittel nationaler Entwicklung. Doch welcher Nation eigentlich? Zwar hat sich Ecuador 1996 zum plurinationalen Staat erklärt, die Mitbestimmung und Selbstbestimmung indigener Gruppen hört beim Thema Erdöl jedoch auf. Der staatliche Druck, auf indigenen Territorien zu fördern ist groß und für viele Gemeinden zur kollektiven Zerreißprobe geworden. Auch in Sarayaku, einer Gemeinde mitten im Amazonas sollten längst Bohrtürme stehen, doch die Kichua-Indigenas haben einen anderen Weg eingeschlagen…

Klare Sache für Rauschebart

Es ist heiß auf dem Dorfplatz von Sarayaku. Die Sonne steht im Zenit. Und doch herrscht dichtes Gedränge. Denn Sarayaku feiert eine Woche lang die Pachamama, die Mutter allen Lebens. Die Wände der Palmhütten sind mit bunten Blumen geschmückt. Die Gesichter der Menschen zieren rote und schwarze Linien. Und ein bisschen Verzückung. Denn gleich steht ein weiteres Highlight des Tages an: der Wettlauf zwischen José Gualinga, dem ältesten Sohn des Schamanen und Padre Fernando, einem kolumbianischen Missionar mit Rauschebart. Und schon geht es los…

Klare Sache für Rauschebart. Padre Fernando mag grau, aber nicht langsam geworden sein. Im Ziel genießt er es sichtlich, einmal die Nase vorn gehabt zu haben. Denn wenn er und José an anderen Tagen über das Leben im Amazonas philosophieren, hat meistens der Kichua-Indigena das letzte Wort. „José und ich haben immer wieder unsere Nickligkeiten, vor allem wenn wir uns über Religion unterhalten“, keucht Padre Fernando. „Er hat mir viele der spirituellen Wesen des Waldes näher gebracht. Ich hingegen verkünde das Evangelium von Jesus Christus, aber ich dränge es niemandem auf. Stattdessen segne ich auch die Chicha, Maniokbier, das betrunken macht. Das ist eben Teil des Lebens hier.“

Erst der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte stoppt Erdölunternehmen

In vielen der Hütten rings um den Dorfplatz tanzt und trommelt inzwischen die Jugend Sarayakus. Doch das Leben hier war nicht immer so idyllisch, berichtet der junge Waldhüter Celsius Aranguis bei einem Schälchen Chicha. Bereits 1996 wurden weite Teile des mehr als 130.000 Hektar großen Gemeindelands an die argentinische Erdölgesellschaft CGC verpachtet. Und als sie keine Einigung mit Sarayaku erzielen konnten, versuchte das Unternehmen im Jahr 2002 eben Tatsachen zu schaffen.

„Die Ölarbeiter drangen einfach in unser Land ein“ erinnert sich Celsius. „Sie hinterließen Spuren. Nicht nur die Umwelt, auch unser Zusammenleben war betroffen.“ Konflikte brachen im Dorf aus. Als bekannt wurde, dass CGC schon Hunderte Kilogramm Sprengstoff für seismische Untersuchungen vergraben hatte, resignierten viele, dachten der Kampf sei verloren. „Doch dann zogen wir vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und gewannen“, strahlt Celsius. Das Fördervorhaben wurde gestoppt, der Staat zu Entschädigungszahlungen verpflichtet.

Wie kommt es also, dass Ölunternehmen Sarayaku noch immer belästigen? Warum war es überhaupt nötig den Gang zum Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte Corte IDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) anzutreten? Nirgends sonst auf der Welt genießen ethnische Gruppen angeblich so weitgehende Rechte wie in Ecuador. „Die indigenen Gruppen und ihre Rechte sind in der Verfassung anerkannt, ja, ebenso wie das Recht aller auf eine saubere Umwelt. Aber diese Garantien werden von der Regierung nicht respektiert“, meint Celsius. Die Förderung von Bodenschätzen hat Priorität. Indigene Selbstbestimmung wird zweitrangig, wenn nationale Entwicklung zum Sachzwang verklärt wird.

Indigene Konzepte gegen starres Entwicklungsdenken

Um diesem offiziellen Diskurs etwas entgegenzusetzen, hat die Gemeinde Sarayaku konsequent einen eigenen Vorschlag entwickelt, die Kawsay Sacha, das Konzept des „Lebendigen Waldes“. Es soll helfen, die Unternehmen von indigenen Territorium fernzuhalten. Was genau darunter zu verstehen ist, erklärt José Gualinga am Nachmittag einer Gruppe Jugendlicher, die aus anderen Gemeinden zu Besuch sind.

Seine Sportsachen hat José längst gegen ein weißes Leinenhemd und eine imposante Kette aus Fischknochen getauscht, als er beginnt, von der Kosmovision der Urvölker zu erzählen, die die Natur stets als etwas Lebendiges verstanden. „Es gab großen Respekt, in Symbiose zu leben und Ressourcen zu teilen. Aber leider haben die westliche Wissenschaft und Technik dazu geführt, dass dieses Weltbild verschwindet“ sagt José und schaut in die Runde. „Das macht uns zu wandelnden Toten. Klar, wir leben, bilden Gemeinschaften aber die Kraft und die Bindung die wir zum Wald unterhielten, verschwindet.“ Und wer diese Bindung verliere, sei auch fähig seine Umwelt zu zerstören. Eben deshalb sei es wichtig, den Gedanken vom lebendigen Wald wieder populär zu machen.

Ghandi, ein jugendlicher Kijos-Indigena bittet um das Wort. Unentwegt hat er Fotos mit seinem Pad geschossen und scheint schwer an seiner westlichen Technologie zu hängen. Im Einklang mit der Natur zu leben, müsse ja auch nicht gleich totalen Verzicht bedeuten. „Das Konzept des Sumak Kawsay, wie die Indigenen das Gute Leben nennen, spricht doch von Gleichgewicht und Harmonie“, meint Ghandi. José nickt und Ghandi drückt den Aufnahme-Button. „Sumak Kawsay ist ein Plan für das Leben und der hat drei Eckpfeiler: Eine gesunde Erde, Weisheit und ein ausgeglichenes Sozialleben.” Das sei das Gegenteil von Entwicklungsplänen, meint José weiter, die immer nur den Bau von Straßen und Häusern vorsehen würden. “Wir lehnen Technologie nicht ab, aber es muss ein Gleichgewicht gewahrt bleiben. Unsere Aufgabe ist es Indikatoren dafür aufzustellen, was Reichtum wirklich bedeutet.”

Emissionshandel als Ausweg aus dem Extraktivismus des 21. Jahrhunderts?

Doch die Regierung von Präsident Rafael Correa hat an dieser Debatte gerade wenig Interesse, auch wenn das Gute Leben an prominenter Stelle in der Verfassung erwähnt wird. Vorbei die Zeiten, als man die Weltgemeinschaft mit der Idee aufscheuchte, gegen entsprechende Ersatzzahlungen kein Öl im Nationalpark Yasuni zu fördern. Keine Rede mehr von einem sozialistischen Ecuador, das sich vom Extraktivismus emanzipiert. Vielmehr drücken Kreditrückzahlungen an China in Milliardenhöhe. An einen Ausstieg aus dem Ölgeschäft ist nicht zu denken. Die indigenen Verbündeten von Gestern, sind die Fortschrittsfeinde von heute.

Gutes Leben. Kollektive Rechte. Nationale Entwicklung. In Ecuador tobt ein Kampf der Ideen und ein Kampf um die Köpfe. Doch im Moment ist Sarayaku geeinter denn je im Kampf gegen die Bohrtürme. Auf dem Dorfplatz feiern sich die Menschen selbst. Padre Fernando posiert mit seinem bemalten Gesicht für Gruppenfotos. Celsius steht nachdenklich etwas abseits. Er weiß, dass die Alternative zur Ölförderung nicht einfach Subsistenzwirtschaft lauten kann. Ökotourismus und eine eigene Fluggesellschaft betreibe man bereits, erzählt Celsius stolz, doch man habe noch ganz andere Möglichkeiten. „Der Emissionshandel zum Beispiel ist sehr interessant. Noch analysieren wir die Folgen und Restriktionen einer Zertifizierung“, erklärt der Waldhüter. „Praktisch wäre es schon. Wir leben nun mal mit dem Wald.“

Ob sich das Vorhaben umsetzen lässt, ist unklar. Viele indigene Gemeinden haben mit dem CO2-Handel negative Erfahrungen gemacht, durften am Ende nicht einmal mehr einen Baum verschneiden. Noch sucht Sarayaku deshalb eine Partnerorganisation, die es ihnen erlaubt, den Wald nach ihren Vorstellungen zu schützen und zu nutzen. Denn ja, sie leben nun mal mit dem Wald…

 

Zu diesem Thema gibt’s auch einen Radiobeitrag, den ihr euch hier anhören könnt.

 

 

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