Chinesische Investitionen gefährden indigene Gemeinschaften und Umwelt

(Quito, 4. April 2023, marcha).- Ein international besetzter Verband von Nichtregierungsorganisationen zeigt: Mehr als ein Dutzend Investitionsprojekte in Lateinamerika, die von China durchgeführt oder finanziert werden, haben die Rechte Indigener missachtet. Die untersuchten Aktivitäten stammen vor allem aus den Bereichen Bergbau, Erdöl und Wasserkraftwerke. Zu den häufigsten Auswirkungen zählen Wasser- und Luftverschmutzung sowie der Missachtung von vorherigen Absprachen mit indigenen Bewohner*innen. Auf Protestbewegungen reagieren Konzerne mit noch mehr Unterdrückung.

Investitionen in Milliardenhöhe

Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge haben chinesische Firmen zwischen 2010 und 2016 rund 172 Milliarden US-Dollar in Lateinamerika investiert. Hinzu kommen 200 Infrastrukturprojekte in 20 Ländern der Region. In den kommenden Jahren werden wohl beide Zahlen steigen, denn wenn die Hochrechnungen stimmen, wird sich der Handel zwischen dem asiatischen Land und Lateinamerika bis 2035 verdoppeln. Laut dem Bericht „China: Menschenrechte und Geschäftstätigkeiten in Lateinamerika“ (Februar 2023) geht nun hervor, dass von China finanzierte Firmen die Rechte indigener Gemeinschaften großflächig missachten.  Verfasst wurde die Studie von einer Gruppe NGOs für den UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Comité de Derechos Económicos, Sociales y Culturales). Das Ziel der Untersuchung bestand darin, auf die soziale wie ökologische Problematik chinesischer Investor*innen aufmerksam zu machen. In regelmäßigen Abständen prüft die UN die Einhaltung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den auch China ratifiziert hat. Dieser soll Menschen über ihre Grundrechte wie Nahrung hinaus auch einen würdigen Arbeitsplatz, soziale Sicherheit und Bildung garantieren.

14 problematische Projekte

Obwohl der UN-Ausschuss über keinen Sanktionsmechanismus verfügt, kann er dennoch Handlungsempfehlungen an ein Land richten und eine konstruktive Diskussion anstoßen, so dass angemahnte Länder sich freiwillig zu bestimmten Maßnahmen verpflichten. So hat die UN erst im vergangenen Monat ihre neuesten Empfehlungen an China gerichtet. Darin bat das Komitee die chinesische Regierung darum, Menschenrechte auch im Ausland zu schützen – genau das, was auch der NGO-Verband mit seiner Analyse forderte. Auch der Internationale Dienst für Menschenrechte (ISHR) mit Sitz in der Schweiz und das Kollektiv für Finanzierungen und Investitionen Chinas, Menschenrechte und Umwelt (CICDHA) befinden sich unter den NGOs. Sie haben 14 problematische Projekte in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Mexiko, Peru und Venezuela genauer analysiert. Sechs dieser Projekte sind im Bergbau angesiedelt, vier sind Wasserkraftwerke, zwei Kohlenwasserstoffprojekte und jeweils ein Projekt des Schienenausbaus und der Nahrungsmittelindustrie. Diverse Industrieprojekte haben Luftverschmutzung in Kolumbien, Chile und Peru zu verantworten. Die zusammenfassende Erkenntnis der Studie: Chinesische Investitionen sind wesentlich an der Umweltzerstörung in Lateinamerika beteiligt. „Viele Projekte sind in sensiblen Ökosystemen angesiedelt, zum Beispiel in bedeutenden Feuchtgebieten, in Naturschutzgebieten, die essentiell für die Erhaltung des globalen Klimas sind, oder sogar in Unesco-Naturerbe-Stätten“, klagt Sofía Jarrín Hidalgo, Beraterin bei Amazon Watch, einer Organisation, die an dem Bericht als Teil von CICDHA ebenfalls mitgewirkt hat. Ausgewählt hat die CICDHA mit den anderen NGOs ihre Fälle nach fünf Jahren Beobachtung chinesischer Aktivitäten in der Region. Der Bericht beruft sich dabei vor allem auf Anzeigen aus der lokalen Bevölkerung.

Betroffene Indigene und Umweltschäden

Die Analyse zeigt zunächst die vielfältigen negativen Umweltauswirkungen auf fragile Ökosysteme. Drei der Projekte gefährden den Amazonas, drei weitere belasten Naturschutzgebiete und eins ein Unesco-Weltnaturerbe. „Alle Projekte beeinträchtigen das Recht der umliegenden Bevölkerung auf eine intakte Umwelt. Ausschlaggebend sind Umweltverschmutzungen besonders im Wasser und in der Luft sowie Abholzungen. Beides schränkt die Ernährungssouveränität und den Wasserzugang angrenzender Gemeinschaften und indigener Völker ein.” Zu den analysierten ecuadorianischen Projekten gehören zwei Bergbaumienen und ein Kohlenwasserstoffprojekt. Alle drei befinden sich im Amazonasbecken im Osten des Landes. „Allein das Bergbauprojekt Mirador hat Auswirkungen auf 16 verschiedene Ökosysteme, wo sich insgesamt 4.000 Pflanzen- und bis zu 400 Algenarten befinden”, so die NGOs. Trotzdem hat die chinesische Firma Tongguan mit der Finanzierung sechs chinesischer Banken mindestens 1.300 Hektar Wald gerodet. Jarrín Hidalgo merkt an, dass es in allen drei Fällen Probleme mit der vorherigen freiwilligen und informierten Einwilligung indigener Gemeinschaften gab. So hat beispielsweise das Verfassungsgericht Ende 2022 festgestellt, dass das Recht des Volkes Shuar Arutam auf angemessene Informationen  vor Beginn des Projekts in der Kupfermine San Carlos-Panantza verletzt wurde. Auch hier ist die Firma Tongguan mit dem Geld von mindestens fünf chinesischen Banken involviert, darunter auch die Chinesische Entwicklungsbank. Das Verfassungsgericht entzog dem Projekt die Umweltlizenz. „Trotzdem wirbt die ecuadorianische Regierung weiterhin für das Projekt im lokalen Radio“, so Jarrín Hidalgo.

Gefährdung von Naturschutzgebieten durch industrielle Projekte

Mit besonderem Fokus arbeitet der Bericht außerdem chinesische Investitionsprojekte in Naturschutzgebieten auf. Eines davon ist das Biosphärenreservat Yasuní. Dieses Feuchtgebiet im Nordosten Ecuadors sei von „globaler Bedeutung. Es beherbergt rund 1.500 Pflanzenarten, 600 Spezies an Vögeln und 178 Säugetieren”, darunter die Amazonas-Seekuh (Trichechus inunguis), Riesenotter (Pteronura brasiliensis) und zwei Flussdelfin-Spezies (Inia geoffrensis und Sotalia fluviatilis). Weiterhin leben im Yasuní-Nationalpark sechs indigene Gemeinschaften: Cofán, Kichwa, Huaorani, Shuar, Secoyas und Sionas. Dessen ungeachtet bohrt hier die China National Petroleum Corporation im Ölfeld Ishpingo. Im Süden Chiles gefährdet die Lachsverarbeitungsanlage Dumestre geschützte Tier- und Pflanzenarten. Sie wird von der chinesischen Firma Joyvio betrieben. Auch das Wasserkraftwerk Santa Cruz in Argentinien arbeitet umweltschädlich. Dessen Betrieb wurde an ein Konsortium vergeben, in dem auch die chinesische Firma China Gezhouba Group Company Ltd vertreten ist. Zudem stammt die Finanzierung des Wasserkraftwerks Ivirizu in Bolivien von der Chinesischen Entwicklungsbank, der Chinesischen Industrie- und Handelsbank und der Bank of China. Der Betreiber des Wasserkraftwerks ist die chinesische Sinohydro Corporation Ltd. Franco Albarracin, Experte für Menschenrechte im Bolivianischen Zentrum für Dokumentation und Information (Centro de Documentación e Información Bolivia, CEDIB) hat am dem Bericht mitgearbeitet und erklärt: „Die Aktivitäten des Wasserkraftwerks wirken sich auf mehrere Ökosysteme mit hoher Artenvielfalt aus. Man schätzt, dass im dortigen Nationalpark Carrasco über 3.000 Pflanzenarten leben, von denen jedoch bislang nur 614 registriert worden sind. Unter den Bemerkenswertesten sind Queñua-Bäume (Polylepis), Huaycha-Sträucher (Weinmannia boliviana) und Walnussbäume (Juglans)”, so Albarracin. „Die geplante Abholzung von mehr als 280 Hektar Wald bedroht besonders wilde Tiere.” So leben im Nationalpark Carrasco mehr als 382 Spezies, darunter 52 höhere Säugetiere, wie beispielsweise Andenbären (Tremarctos ornatus), Nordandenhirsche (Hippocamelus antisensis), Jaguare (Panthera onca) und Bergkatzen (Leopardus jacobita). Außerdem ist die Region Heimat für mehr als 700 verschiedene Vogelarten. Das wohl am stärksten vom Aussterben bedrohte Tier der Region ist der Sehuencas-Wasserfrosch (Telmatobius yuracare). Der Ausbau von Zufahrtsstraßen zum Wasserkraftwerk habe dafür gesorgt, dass der Anbau von Koka-Blättern in der Region ansteigt, so Albarracin. Dieser ist nicht nur illegal, sondern gefährdet auch das natürliche Gleichgewicht des Ökosystems im Nationalpark Carrasco sowie das Leben der Indigenen. Außerdem kritisiert der Experte, dass der Betreiber Sinohydro 120 Mitarbeiter*innen an ein Subunternehmen vergeben hat, jedoch keine weiteren Informationen darüber preisgibt. Weiterhin berichten die zusammengeschlossenen NGOs über die Ölfelder Junín und Ayacucho in Venezuela, denn beide bedrohen das Gleichgewicht des Feuchtgebietes um den Orinoco sowie den Fluss selbst. Junín und Ayacucho gehören zum Projekt Entwicklung des Orinoco-Ölgürtels der Firma China National Petroleum Corporation, abermals finanziert von der Chinesischen Entwicklungsbank. Der Bericht spricht darüber hinaus von einem Bergbauprojekt in Buriticá im Nordwesten Kolumbiens. Die Zijin-Continental Group bedroht dort den seltenen tropischen Trockenwald um den Fluss Cauca – eine Region, die zwischen 1957 und 1986 rund 66 Prozent ihres Waldes verloren hat.

Wasserverschmutzung und ihre Folgen

Bei all diesen Aktivitäten ist das Wasser die Ressource, die am stärksten unter Bedrohung steht, erklärt das 44-seitige Dokument und nennt ein Beispiel aus Chile: „Der Industriekomplex Dumestre hat die Wasserverfügbarkeit für umliegende Gemeinden um 12.000 Liter verringert. In Venezuela haben vergleichbare Einschränkungen Proteste ausgelöst.” Bei sechs der untersuchten Fälle wurde Wasser kontaminiert. In Buriticá beispielsweise gelangt Abwasser des Bergbaus in die Umwelt, obwohl das Projekt hochgiftige Cyanide verwendet, so die Veröffentlichung. In den Orinoco in Venezuela wird zwar kein Abwasser geleitet, es wird aber Öl verschüttet, das letzten Endes im Grundwasser landet. Ähnlich ergeht es der Umwelt nahe der Mine Toromocho in Peru. Das Abwasser- und Abfallsystem der Firma Aluminum Corporation of China (finanziert von der Chinesischen Entwicklungsbank und der Chinesischen Bank für Exporte und Importe) hat nachhaltige Auswirkungen auf die Wasserqualität der Region, so der Bericht. Außerdem warnen die NGOs vor dem Risiko eines Schadstoffaustritts im Bergbauprojekt Mirador in Ecuador. Die Organisationen ISHR und CICDHA sprechen außerdem von unkontrolliertem Austritt von Antibiotika der Anlage Dumestre ins Abwasser. Auch in São Manuel in Brasilien verschmutzt das Konsortium privater und öffentlicher Firmen (darunter China Three Gorges und Gelder der Chinesischen Entwicklungsbank) mit ihrem Wasserkraftwerk das Grundwasser. Der Verantwortliche für die Beziehungen für China und Lateinamerika in der Organisation ISHR, Raphaël Viana David, ist einer der Autor*innen des Berichts. Er kommentiert: „Es gibt Fälle, wo Menschen das Recht auf Wasser und damit die Ernährungssouveränität entzogen wird. Werden Luft und Wasser verschmutzt, gefährdet das wiederum die Gesundheit derer, die darauf angewiesen sind. Traditionellen Nahrungsquellen, insbesondere von indigenen Völkern, sind bedroht. Zusätzlich bringen Verschmutzungen vom Aussterben bedrohte Spezies und ihre Ökosysteme weiter in Gefahr”.

Indigene Gemeinschaften in Gefahr

Ein weiterer Fokus der Veröffentlichung „China: Menschenrechte und Geschäftstätigkeiten in Lateinamerika” sind die Rechte Indigener. So fanden sich in elf der 14 Projekte „Nachweise für den Missbrauch indigener Gemeinschaften. Es fehlt eine angemessene Beratung, in der ihr freiwilliges und informiertes Einverständnis vorab eingeholt wird. (…) Die Zwangsräumungen, Einschränkungen im Zugang zu ihren Dörfern und die Zerstörung ihres Grund und Bodens haben sich negativ auf die mentale Gesundheit Einzelner und des gesamten Kollektivs ausgewirkt. Das gemeinschaftliche Netzwerk und ihre soziokulturelle Organisation haben sehr stark gelitten.” Zur Veranschaulichung beschreibt der Bericht die Situation der Shuar Arutam: 1.200 Familien, die in 47 Gemeinschaften leben, sind vom Bergbauprojekt San Carlos-Panantza in Ecuador betroffen. Sie beklagen, nicht ordentlich beraten worden zu sein. Die industriellen Aktivitäten könnten darüber hinaus dazu führen, dass indigene Völker, die bislang in freiwilliger Isolation leben, kontaktiert werden müssen. In Ecuador zählen die Tagaeri und Taromenane zu den isolierten Gruppen, die relativ nah leben. „Wegen der Schwere des Falls und des möglichen Ethnozids wird der Fall aktuell vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte bewertet“, so schreiben die NGOs in ihrer Veröffentlichung. Die durchgeführten Umweltstudien und die Beratungsprozesse mit den Indigenen seien unvollständig, erklärt Marco Gandarillas von der NGO Latinoamérica Sustentable. „Es liegt eine systematische Respektlosigkeit in Bezug auf die Rechte lokaler und indigener Bevölkerungen vor“.

“China hat eine große Verantwortung”

Die Autor*innen der Untersuchung sprechen von systematischer Unterdrückung der Gemeinschaften durch die Investitionsprojekte. „Es existieren Verträge mit Sicherheitsfirmen, die die Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht einschränken”, so Gandarillas. „Trotz aller Bemühungen der Gemeinschaften und unterstützenden Organisationen war bisher nur ein sporadischer Dialog mit den chinesischen Firmen möglich”. Es sei üblich, dass weder die Regierung Chinas noch die verantwortlichen Firmen auf Kommunikationsversuche von Betroffenen oder lateinamerikanischen NGOs reagieren. Aber wer steht hinter den untersuchten Investitionsprojekten? Insgesamt werden 13 der 14 analysierten Projekte von elf chinesischen Firmen oder Konsortien betrieben. Acht werden darüber hinaus von Banken des asiatischen Landes finanziert, die sich ebenfalls in staatlicher Hand befinden. Für die Autor*innen des Berichts kann sich die Regierung Chinas daher nicht von der Pflicht lösen, Menschenrechte auch außerhalb Chinas zu schützen. „China hat eine große Verantwortung. Die involvierten Firmen sind mehrheitlich ganz oder teilweise in chinesischem Staatsbesitz oder haben vom Staat Finanzierungshilfen erhalten”, hebt Gandarillas hervor. Viana fügt hinzu: „Es ist klar, dass China auch außerhalb seines Territoriums Verpflichtungen hat. Die Regierung muss sicherstellen, dass die Akteure, die unter ihrer Rechtsprechung stehen, keine Menschenrechte verletzen, denn das würde eine Nichterfüllung von den Pflichten des chinesischen Staates darstellen. Für uns stellen diese Fälle Vertragsbrüche ausländischer Verpflichtungen dar, die unter internationalem Recht stehen.” Sofía Jarrín hält es daher für unumgänglich, dass wirksame Mechanismen geschaffen werden, die Geschäftstätigkeiten zu überwachen und zu kontrollieren – insbesondere da, wo es schon Anzeigen gegen Unternehmen gegeben hat. „Es muss offizielle Stellen geben, die für Beschwerden und Anzeigen zuständig sind. Firmen und ihre Geldgeber müssen zur Verantwortung gezogen werden können. Es muss Methoden geben, die den Missbrauch gesetzlich sanktionieren. Weiterhin sind Maßnahmen der Sanierung und Entschädigung betroffener Gemeinschaften unumgänglich.”

Für den Moment aber ist der NGO-Verband froh, dass der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im März 2023 ähnliche Empfehlungen an China gerichtet hat und vor allem eine erhöhte Sorgfaltspflicht in den chinesischen Investitionsprojekten im Ausland anmahnt. „Der Ausschuss hat die Verantwortung Chinas in seinen Menschenrechtsverpflichtungen bei Investitionsprojekten im Ausland benannt und eingefordert und damit einen historischen Schritt getan. Wir hoffen, dass dieses Land sich nun daran macht, die Empfehlungen des Komitees umzusetzen”, so Gandarillas.

Übersetzung: Patricia Haensel

 

 

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