Amazonas am Abgrund

Abholzung Degradation
Waldgebiet in Brasilien. Rechts degradiert, links wiederaufgeforstet.
Foto: Lucas Ninno / Diálogo Chino
CC BY-NC-ND 4.0

(Oxford, 09. Januar 2024, desinformémonos).- Jedes Jahr bestätigen Berichte über die Entwaldung im Amazonasgebiet, dass der größte Tropenwald der Welt seine Vegetationsdecke in immer höherem Tempo verliert. Der Jahresbericht von Global Forest Watch und der University of Maryland führt beispielsweise vier der neun Amazonasländer – Brasilien, Bolivien, Peru und Kolumbien – unter den Top 10 der Länder auf, die im Jahr 2022 weltweit am meisten Primärregenwald verloren haben.

Kleinbäuerliche Landwirtschaft und Viehzucht sowie illegaler Goldabbau und Holzeinschlag sind einige der Ursachen der Zerstörung des Amazonas. Hinzu kommen die Gewalt und der Druck durch illegalen Kokaanbau und Drogenhandel auf die Wälder und indigenen Gebiete. Waldbrände, vor allem durch Brandstiftung, sowie Monokulturen und Agroindustrie in ehemals bewaldeten Gebieten gehören ebenfalls zu dieser Liste von Bedrohungen, genauso wie Ölverschmutzungen, die fast nie beseitigt werden und Böden und Flüsse verseuchen.

Im Januar 2023 widmete die Zeitschrift Science ihr Titelbild dem Amazonas. In dieser Ausgabe veröffentlichten mehr als 30 Wissenschaftler*innen den Artikel „Antreiber und Wirkungen der Waldzerstörung im Amazonas“, der sich mit der Degradation dieses Lebensraums befasst. Aus den zwischen 2001 und 2018 erfassten Daten geht hervor, dass 360 000 Quadratkilometer (36 Millionen Hektar), d. h. 5,5 Prozent des Amazonas-Regenwaldes, in irgendeiner Form degradiert sind. Diese Zahl steigt auf 2,5 Millionen Quadratkilometer bzw. 38 Prozent des Amazonaswaldes, wenn die Daten über extreme Dürreperioden mit einbezogen werden.

Trotz ständiger Aufrufe von Wissenschaftler*innen, Expert*innen und Umweltschützer*innen, die Abholzung und Degradation des Amazonas zu stoppen, geht der Verlust des Waldes weiter. Die Umweltnachrichtenplattform Mongabay Latam bietet einen Überblick über die Entwicklungen im Jahr 2023 in fünf Amazonasländern: Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela.

Ein weiteres Jahr der Entwaldung

Bolivien war erneut das Land mit der weltweit drittgrößten Entwaldung. Nach Angaben der Satellitenüberwachungsplattform Global Forest Watch (GFW) hat das Land allein im Jahr 2022 385.000 Hektar Primärwald verloren. Das sind 32 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Hauptursache für den Verlust der Waldfläche in Bolivien ist die Ausdehnung von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Weitere Ursachen sind laut Analysen von GFW und der Stiftung der Naturfreunde (Fundación Amigos de la Naturaleza) der Ausbau von Infrastruktur, Neuansiedlungen sowie Waldbrände.

In Kolumbien hat eine in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie ergeben, dass das Land zwischen 1985 und 2019 mehr als drei Millionen Hektar Amazonaswald durch illegale Aktivitäten verloren hat.  Darüber hinaus hat das Amazonas-Institut für wissenschaftliche Forschung SINCHI eine Reihe möglicher Szenarien für die Zukunft des kolumbianischen Amazonasgebiets bis 2040 entwickelt. Dieser Analyse zufolge könnten in den nächsten zwei Jahrzehnten etwa 2,1 Millionen Hektar Wald verloren gehen, wenn keine politische Strategie zur Kontrolle der Entwaldung und der Waldschädigung umgesetzt wird. Obwohl das Institut für Hydrologie, Meteorologie und Umweltstudien (Ideam) für das Jahr 2022 einen Rückgang der Entwaldung um 29,1 Prozent meldete, weisen Expert*innen, die die Zahlen analysiert und andere Messungen vorgenommen haben, darauf hin, dass diese Daten noch mit Vorsicht zu genießen sind.

Peru steht weltweit an fünfter Stelle, was den Verlust an tropischen Primärwäldern angeht, und in Lateinamerika an dritter Stelle hinter Brasilien und Bolivien. Dem Bericht von Global Forest Watch zufolge erreichte im Jahr 2022 der Waldverlust in Peru 160.991 Hektar. Gleichzeitig macht ein Bericht des Monitoring the Andean Amazon Project (MAAP) auf Siedlungen der Mennoniten aufmerksam. Durch sie wird die Liste der Bedrohungen noch länger. Fünf der Siedlungen werden mit dem Verlust von 7032 Hektar in den letzten drei Jahren in Verbindung gebracht, davon 2426 Hektar zwischen Januar 2022 und August 2023.

Die Viehzucht und die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen sind nach wie vor die Hauptursachen für den Waldverlust. Laut dem jüngsten Bericht von MapBiomas Amazonía, der 844 Millionen Hektar in Südamerika untersucht, was der Fläche des Amazonas entspricht, ist die Erschließung neuer Weideflächen die Hauptursache für die Entwaldung. Die Studie zeigt, dass von den 86 Millionen Hektar natürlicher Vegetation, die in dem untersuchten Gebiet abgeholzt wurden, 84 Millionen Hektar in land- und forstwirtschaftliche Flächen umgewandelt wurden, wobei der Schwerpunkt auf Weideflächen lag.

Der Bericht, der sich auf Satellitenbilder stützt, zeigt, dass die Umwandlung von Wäldern in Weideflächen in Brasilien sowie in Kolumbien und Venezuela am stärksten ist. In Bolivien ist der Wald im südlichen Amazonas-Departement Santa Cruz einer großen landwirtschaftlichen Fläche gewichen. In Peru zeigen die Bilder über das gesamte Amazonasgebiet verstreute Flächen mit kleinräumiger Landwirtschaft.

Illegaler Bergbau und Waldzerstörung

Illegaler Bergbau verwüstet die Wälder des Amazonasgebiets. Eine von MAAP im Oktober 2023 veröffentlichte Studie dokumentiert die Existenz von 58 Standorten in Wäldern und Flüssen, an denen Bergbau betrieben wird, in 49 Fällen illegal. Der Bericht dokumentiert Gebiete mit illegalem Goldabbau in allen neun Amazonasländern.

In der ecuadorianischen Provinz Napo führt der illegale Bergbau praktisch zum Sterben von Flüssen, wie im Fall des Chumbiyaku, dessen Schwermetallbelastung die zulässigen Grenzwerte um das 500-fache überschreitet. Die Analyse von Satellitenbildern des Projekts MAAP und der Stiftung Ecociencia zeigt auch, wie der illegale Goldabbau in den Provinzen Zamora Chinchipe und Morona Santiago im Süden Ecuadors zugenommen hat. Einem Bericht vom März 2023 zufolge sind in der Provinz Napo zwischen 2015 und 2021 die Gebiete mit Bergbauaktivitäten um 855 Hektar gewachsen.

In Peru hat sich der illegale Bergbau in den Regionen Amazonas und Loreto im nördlichen Amazonasgebiet sowie im südlich gelegenen Madre de Dios ausgebreitet. Der Fluss Nanay in der Region Loreto ist am stärksten vom Goldabbau betroffen. Hier hat die Sondereinheit Umwelt der Staatsanwaltschaft seit 2020 mehr als 100 Baggerstellen registriert.  Im Fluss Cenepa in der Region Amazonas haben Mongabay Latam und die Nichtregierungsorganisation Paz y Esperanza bei einer Bootstour im September mindestens 70 Stellen illegalen Goldabbaus registriert. Madre de Dios im Süden Perus ist weiterhin ein Hotspot für solche illegalen Aktivitäten. Eine MAAP-Studie zeigt, dass der Goldabbau in den letzten zwei Jahren 18 421 Hektar Wald in dieser Region verwüstet hat.

Die Verwüstung durch illegalen Bergbau in Schutzgebieten ist nicht auf Peru beschränkt. Auch in Kolumbien ist die Situation kritisch. Seit 2020 sind die Ranger im Amacayacu-Nationalpark im Bundesstaat Amazonas nicht mehr in der Lage, das gesamte Schutzgebiet zu bewachen. Im Februar dieses Jahres wurden Beamte des Nationalparks von Dissidenten der inzwischen aufgelösten Guerillaorganisation FARC vorgeladen, um sie zu warnen, dass sie das Gebiet innerhalb weniger Stunden verlassen müssten. Bei diesem Treffen wurden den Beamten die Boote, Motoren, Benzin, GPS, Computer und Funkgeräte abgenommen, die sie bei sich hatten. Das Schutzgebiet ist inzwischen von illegalem Bergbau umgeben. Bei einem Überflug, der im Juli 2023 von der Regionalen Amazonas-Allianz für die Verringerung der Auswirkungen des Goldbergbaus durchgeführt wurde, wurden im Fluss Purité, der im Amacayacu-Nationalpark entspringt, 13 Bagger festgestellt. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und des Nationalen Amts für Statistik (DANE) gibt es in Kolumbien rund 200.000 Bergleute, von denen etwa 70 Prozent im illegalen Bergbau tätig sind.

Drogenschmuggel auf dem Vormarsch

In Bolivien wurden im Jahr 2022 mindestens 29.900 Hektar für den Anbau von Kokablättern genutzt, mehr als die 22.000 Hektar, die laut Gesetz für den traditionellen und angestammten Konsum vorgesehen sind. Die im Jahresbericht von UNODC (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung) über den Kokaanbau in Bolivien vorgelegten Daten zeigen auch, dass sechs Naturschutzgebiete durch illegalen Anbau bedroht sind. In diesen Gebieten ist der Anbau dieser traditionellen Pflanze illegal. Dennoch wurde hier dem Bericht zufolge eine Fläche von 435 Hektar für den Kokaanbau registriert.

In Kolumbien ist Putumayo eines der am stärksten vom Drogenhandel bedrohten Gebiete. Nach dem jüngsten Bericht von UNODC wurden in Putumayo insgesamt 48.034 Hektar Koka-Anbaufläche registriert, was einem Anstieg von 70 Prozent im Vergleich zu 2021 entspricht. Das Departement ist damit das mit dem mit Abstand größten illegalen Anbaugebiet im Amazonasgebiet. In diesem Grenzgebiet befindet sich der Nationalpark La Paya, in dem Dissidenten der FARC den Rangern das Betreten des Gebiets untersagt haben. Sie kämpfen mit anderen illegalen bewaffneten Gruppen um die Kontrolle des Drogenhandels und des Kokaanbaus.

Satellitenbilder aus dem zentralen peruanischen Amazonasgebiet bestätigten in diesem Jahr die Existenz geheimer Flugplätze im indigenen Schutzgebiet Kakataibo Nord und Süd. Umweltschützer*innen aus den Gemeinden der Kakataibo, die in der Nähe des Schutzgebietes leben, berichteten, dass sie illegalen Kokaanbau und Mazerationsbecken innerhalb der Schutzgebietsgrenzen gefunden haben. Auch der Otishi-Nationalpark im zentralen Regenwald ist vom Drogenhandel betroffen.

Ölverschmutzung

Ölverschmutzungen gibt es im Amazonasgebiet regelmäßig. Die Auswirkungen auf Flüsse und Böden betreffen Dutzende von indigenen Völkern. Im Jahr 2023 veröffentlichte Mongabay Latam in Zusammenarbeit mit Rutas del Conflicto und Cuestión Pública aus Kolumbien, La Barra Espaciadora aus Ecuador und El Deber aus Bolivien eine grenzüberschreitende Untersuchung, die die große Anzahl von Altlasten und kontaminierten Standorten in vier Amazonasländern aufdeckte: Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru. Der Sonderbericht „Ölschulden“ wurde auf der Grundlage von Informationen erstellt, die von den Regierungen im Rahmen von Transparenzgesetzen angefordert wurden. Er identifizierte in den vier Ländern 8278 kontaminierte Standorte auf indigenen Territorien der amazonischen Gemeinden und in Küstengebieten. An 6371 kontaminierten Standorten sind die Altlasten noch nicht saniert worden.

Die indigene Gemeinde José Olaya in der peruanischen Amazonasregion Loreto ist ein Beispiel dafür, was an mehr als 3000 ölverschmutzten Standorten im Lande geschieht. Hier sieht man Reihen von Säcken mit ölhaltiger Erde, die von den Ölverschmutzungen in dem Territorium stammen. Bei der Untersuchung konnten allein in Loreto 14 Altlasten und 171 „betroffene Stellen“ ermittelt werden, die zwar nicht als Altlasten eingestuft werden, aber das Gebiet stark verschmutzt haben.

Ölaustritte verursachen weiterhin Schäden im peruanischen Amazonasgebiet. Im Januar 2023 wurden durch den Bruch der Pipeline Oleoducto Nor Peruano (ONP) 3600 Barrel Öl freigesetzt, von denen mehr als 30 Gemeinden in der Umgebung betroffen waren. Das Rohöl gelangte von der Austrittstelle über eine Strecke von 222 Kilometern bis in den Marañón.

In Ecuador gibt es mehr als 4000 ölverseuchte Stellen. In der Gemeinde San Carlos in der Amazonasprovinz Orellana kann man noch immer die Ölpfützen sehen, die der US-amerikanischen Ölkonzern Texaco nach jahrzehntelangem Betrieb (1964 bis 1990) hinterlassen hat. Im Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen wegen der in den Fördergebieten verursachten Umweltschäden behauptete Texaco, während seiner Tätigkeit 333 Becken angelegt zu haben; Satellitenbilder haben jedoch bis zu 990 Becken registriert.

Ein weiterer der dramatischsten Fälle von Verschmutzung befindet sich in Bolivien, im Carrasco-Nationalpark in Cochabamba. Hier gibt es eine Altlast, die als ein Becken beschrieben wird, „das vollständig mit Wasser bedeckt war, das eine dunkle Färbung aufwies und deutlich nach Kohlenwasserstoff roch“. Innerhalb dieses Schutzgebiets wurden außerdem vier weitere verlassene Bohrlöcher im Bulo Bulo-Feld identifiziert. Trotz dieser Situation ist Bolivien weiterhin bestrebt, die Ölexploration im Land auszuweiten.

Ursprünglich veröffentlicht auf Mongabay Latam

 

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