2023, ein Jahr voller Gewalt gegen Umweltschützer*innen

Holzschlag Erdölförderung Indigene
Ölverschmutzung im Distrikt Ventanillas, Peru
Foto: Joel Luna Prado via wikimedia
CC BY-SA 4.0 Deed

(Mexiko-Stadt, 1. Januar 2024, desinformémonos).- Nachrichten über Ermordungen und Verschwindenlassen von Umwelt- und Territoriumsschützer*innen wurden im Jahr 2023 in trauriger Regelmäßigkeit veröffentlicht. In Ländern wie Mexiko, Peru und Nicaragua kostete die Gewalt viele Umweltschützer*innen, insbesondere in indigenen Gemeinschaften, das Leben. Neben dem Drogenhandel und illegalen Anbauflächen haben die Ölindustrie, der legale und illegale Bergbau, die extensive Viehzucht und der wahllose Holzeinschlag in ganz Lateinamerika verseuchte Gebiete und Wüsten hinterlassen. Dabei kämpfen die Bewohner*innen zahlreicher Gemeinden angesichts der Gewalt durch bewaffnete Gruppen ums Überleben.

Erdölgewinnung: Tausende ungereinigte Abfälle in vier lateinamerikanischen Ländern

Vergessene Ölpfützen auf Territorien im Amazonasgebiet, verseuchte Böden, aufgelassene Bohrlöcher und Feuchtgebiete, auf denen Erdöl schwimmt, sind allgegenwärtig in Ecuador, Kolumbien, Bolivien und Peru. Mehr als 8.000 verseuchte Stellen, die zwar von den Regierungen identifiziert, aber größtenteils nicht vollständig saniert wurden, gehen auf Kosten der Erdölgewinnung in der Region. Im Amazonasgebiet und am Meer haben Ölgesellschaften Bohranlagen installiert und nach jahrzehntelanger Erdölförderung wieder aufgegeben, wenn sie ausgeschöpft waren. Sie hinterließen Ölpfützen, sumpfiges Land, aus dem schon beim Einstechen eines Astes Öl austritt, Abwassertümpel und marode Rohre rund um die Gebiete, in denen die Bewohner*innen inmitten von Giftmüll leben. Aurelio Pignola, Vorsitzender der indigenen Gemeinde José Olaya, einem Dorf am Ufer des Corrientes in Peru, bringt das Problem auf den Punkt: „Für uns ist es nicht gut, in einem Erdölgebiet zu leben. Denn wer profitiert, sind Unternehmen und Staat, und für uns bleibt die Umweltverschmutzung übrig.“

Fünf Jahre Straffreiheit für das Verschwinden eines Flussverteidigers

Sergio Rivera Hernández ist seit August 2018 verschwunden. Der Nahua-Indigene, gelernter Mechaniker und Vater von fünf Kindern, lebte mit seiner Familie in der Sierra Negra de Puebla, einer Region im südlichen Zentralmexiko, in der die Flüsse dem Territorium Leben spenden. Er wurde zum Verteidiger des Territoriums, als er von den Plänen für ein Wasserkraftwerk erfuhr, das Energie für das Bergbauunternehmen Autlan erzeugen sollte. Der kommunale Radiosender diente als Instrument für den Schutz der Umwelt und fordert seit Riveras Verschwinden Gerechtigkeit und Aufklärung. Doch auch fünf Jahre später ist noch immer niemand wegen des Verschwindens des Aktivisten verhaftet worden. Die Pläne für das Wasserkraftwerk wurden zwar gestoppt, aber nicht aufgegeben. Die Konzession für die Nutzung des Wassers aus dem Fluss Coyolapa, die die Behörden dem Unternehmen erteilt haben, ist immer noch in Kraft.

Verschwunden, weil sie die Umwelt und das Territorium verteidigt haben.

Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder für Umweltaktivist*innen und Territoriumsschützer*innen. Menschen, die das Land, die Flüsse, die Wälder und die Berge, in denen sie leben, schützen, erhalten zunehmend Todesdrohungen, werden ermordet oder verschwinden unter ungeklärten Umständen. Zwischen dem 1. Dezember 2006 und dem 1. August 2023 verschwanden mindestens 93 Umweltschützer*innen; 62 von ihnen waren Angehörige eines indigenen Volkes. Die meisten Verbrechen bleiben ungestraft.

Lithiumgewinnung: zweifache Ausbeutung der indigenen Gemeinschaften

Lithium, das als strategisches Material für die Herstellung „grüner“ Technologien gilt, wird zum großen Star des Bergbaus in Chile. Hier ist die Salzwüste Maricunga – das zweitgrößte Lithiumvorhaben des Landes, bisher noch unberührt vom Bergbau – im Visier der Bergbauindustrie. Drei Unternehmen wetteifern um das Recht, das Mineral abzubauen, während die indigene Gemeinschaft Colla Pai Ote versucht, ihr angestammtes Gebiet zu schützen. Ercilia Araya, Präsidentin der indigenen Colla-Gemeinde Pai Ote, erklärt, die Unternehmen wollten ihr Volk doppelt ausbeuten, indem sie ihnen die Salzwüste nehmen und ihnen gleichzeitig vormachten, ihnen Arbeit zu verschaffen.

Abholzung, Viehzucht und illegaler Bergbau bedrohen Schutzgebiete

Die Territorien, die sie schon immer bewohnt haben, sind für die indigenen Gemeinschaften keine sicheren Orte mehr. Diejenigen, die noch dort leben, kämpfen und wehren sich gegen den Verlust der Wälder in La Mosquitia, einer Region, in der drei Naturschutzgebiete aneinandergrenzen und sechs indigene Völker leben. Dieses von Bergwäldern, Tieflandsümpfen und tropischen Regenwäldern geprägte Gebiet ist von Abholzung, extensiver Viehzucht, illegalen Anbauflächen und illegalem Goldabbau betroffen. Die meisten Umweltschützer*innen und indigenen Führer*innen in diesem Gebiet haben ihre Gemeinden aus Sicherheitsgründen verlassen. Allein in der Tawahka-Gemeinde wurden 500 Menschen in die Departement-Hauptstädte zwangsumgesiedelt, weitere 150 haben das Land verlassen.

Brutale Morde als Vertreibungsstrategie

In Nicaragua wurde Mitte März 2023 erneut ein Massaker an den Mayangna-Indigenen gemeldet. Dabei kamen fünf Gemeindemitglieder ums Leben, zwei wurden verletzt und eine Gemeinde wurde vollständig niedergebrannt. Dies ist das dritte Massaker im Biosphärengebiet Bosawas, das durch Abholzung und illegalen Goldabbau bedroht ist. Die Überlebenden flohen in die Nachbargemeinde Musawas. Weitere Menschen aus den Nachbardörfern folgten aus Angst vor der drohenden Gewalt. Indigene Vertreter*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und Umweltschützer*innen in Nicaragua berichten, dass Nicht-Indigene aus anderen Teilen des Landes gewaltsam in das Gebiet eindringen und dass das Interesse an natürlichen Ressourcen hinter all diesen Invasionen steht. „Sie töten sie nicht nur, sie stechen ihnen auch die Augen aus und verwunden sie am ganzen Körper. Sie wissen genau, wann der Zeitpunkt günstig ist. Sie wollen Terror verbreiten, damit die Menschen nicht zurückkehren.“, erklärt Amaru Ruiz Alemán, Präsident der Stiftung Fundación del Río.

Mord trotz Schutzprogramm

Am 24. November 2023 verschwand Higinio Trinidad de la Cruz nach einem Termin im Büro des Gemeindevorstands von Cuautitlán de García Barragán in Jalisco. Einen Tag später wurde seine Leiche in der Sierra von Manantlán gefunden. Er war seit April 2021 im Schutzprogramm der Regierung für Menschenrechtsverteidiger*innen. Trinidad de la Cruz ist bereits der dritte Aktivist, der den Holzeinschlag, den illegalen Bergbau und die Kontrolle des Gebietes durch Drogenhändler öffentlich kritisierte und dafür ermordet wurde.

Umweltschützer*innen im peruanischen Amazonasgebiet

„Stellt euch vor, wenn wir alle gehen, wenn wir aus Angst keine Anzeigen mehr machen, was wird mit den übrigen Menschen geschehen? Sie werden der Willkür der Holzfäller und Drogenhändler ausgeliefert sein. Deshalb ist es nicht so einfach zu sagen, ich gehe.“ Es war nicht das erste Mal, dass Quinto Inuma Alvarado diese Vorfälle kritisierte, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es das letzte Mal sein würde. Der Anführer der Kichwa wurde am 29. November auf dem Fluss Yanayacu in der Region San Martín im peruanischen Amazonasgebiet ermordet. Das Boot, in dem er unterwegs war, wurde von vermummten Männern überfallen, die mehrmals auf ihn schossen und ihn töteten. Tage zuvor hatte Inuma in der Stadt Pucallpa im Bundesstaat Ucayali anderen Umweltschützer*innen und Aktivist*innen von den Überfällen, dem Land- und Drogenhandel und illegalem Holzeinschlag in seinem Gemeindegebiet berichtet.

Ecuador: Illegaler Bergbau dringt weiter in das Naturschutzgebiet Cofán Bermejo vor

Jahrzehntelang war das Naturschutzgebiet Cofán Bermejo eins der besterhaltenen Schutzgebiete in der Provinz Sucumbíos im nördlichen Amazonasgebiet Ecuadors. Dies begann sich 2020 zu ändern. Da stellte die Satellitenüberwachungsplattform Global Forest Watch zum ersten Mal eine schnellere Zunahme des Waldverlustes in dieser Region fest. Im Jahr 2022 schlugen mehrere Umweltorganisationen und indigene Gemeinschaften Alarm wegen der raschen Ausweitung des illegalen Goldabbaus in der Umgebung und der Pufferzone des Schutzgebiets. Dieser Trend hält auch im Jahr 2023 noch an. Dazu kommt, dass die Menschen, die in dem Gebiet leben oder arbeiten, aufgrund der Präsenz bewaffneter Gruppen und erheblicher Sicherheitsprobleme die Vorgänge nicht offenlegen können. Dazu ein Bewohner: „Uns sind die Hände gebunden. Wir können nicht öffentlich anzeigen, was in Sucumbíos im Schutzgebiet Cofán Bermejo passiert. Denn wir riskieren, dass sie uns etwas antun oder uns sogar töten.“

„Hier kann man nicht in Frieden leben.“

Im Jahr 2022 wurden 22 Mitglieder des indigenen Volks der Awá in Kolumbien ermordet. Darüber hinaus gab es sieben Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen, zehn Fälle von Massenvertreibung, acht Fälle von individueller Vertreibung, zwanzig Drohungen gegen indigene Anführer*innen, sieben gewaltsame Auseinandersetzungen und fünf „Ausgangssperren“, die von den bewaffneten Gruppen verhängt wurden. Außerdem wurden in drei Fällen Landminen aktiviert und zwei Massaker verübt, so die Angaben der Menschenrechtskommission für indigene Völker, einer Einrichtung, die durch das kolumbianische Gesetz geschaffen wurde und die ihnen würdige Lebensbedingungen garantieren soll.

Auch das Jahr 2023 zeigt keine ermutigende Bilanz. Trotz der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung von Gustavo Petro und einigen illegalen bewaffneten Gruppen kam es in der Gemeinschaft der Awá allein bis April zu einem Mord, drei Bedrohungen, zu „Ausgangssperren“ für 554 Personen, zwei Verletzten, einem Todesfall durch eine Antipersonenmine und der Vertreibung von fünfzehn Awá-Bewohner*innen, so die Angaben der Kommission. Ein Angehöriger des Awá-Volkes auf kolumbianischer Seite beschreibt die Angst seiner Mitmenschen: „Wir erhalten Drohungen per Post und per Telefon, man weiß nicht, von welcher bewaffneten Gruppe sie kommen, es gibt ja mehrere. Wir wissen nicht, welche Gruppe uns tötet, uns massakriert, uns vertreibt oder verfolgt.“

Sierra de Manantlán: indigenes Territorium zwischen Eisenabbau und Drogenhandel

Der verschwundene Aktivist Celedonio Monroy stammt aus der Sierra de Manantlán, dem „Ort der Quellen“. Heute geht in diesem Gebiet im Bundesstaat Jalisco, das Monroy sein ganzes Leben lang verteidigt hat, das Wasser langsam zu Ende. Die Bäche und Brunnen, die es einst gab, sind versiegt. Abholzung und Bergbau haben sie zerstört. Bäche und Quellen wurden teils einfach mit Bergbauabfällen zugeschüttet. Darüber hinaus wurde das hydrologische Gleichgewicht durch das Abtragen der Hügel verändert. Das Wasser sieht vielfach ölig aus und kann nicht mehr getrunken werden.

Der Kampf gegen die Interessen des Drogenhandels ist lebensgefährlich

Ein Kopfschuss beendete das Leben des bekannten Anführers des indigenen Volkes der Asháninka, Santiago Contoricón. Am 8. April 2023 kam der Attentäter zu seinem Haus in der Gemeinde Puerto Ocopa, Bezirk Río Tambo, Provinz Satipo, im zentralen Regenwald von Peru, und floh, nachdem er ihn erschossen hatte, mit einem Motorrad. Der Asháninka-Anführer war vor allem für seine intensive Arbeit zur Verteidigung seines Volkes als Vorsitzender des Selbstverteidigungskomitees von Río Tambo bekannt. Die Präsenz von Drogenhändlern im zentralperuanischen Regenwald mit ihren illegalen Kokapflanzungen und das ständige Eindringen in ihre Gebiete stellen eine wachsende Bedrohung für das Volk der Asháninka dar. Dazu Fabián Antúnez, Präsident von CART (Central Asháninka de Río Rambo: „Der Drogenhandel bringt Unruhe, Kriminalität und Tod. Wir wollen Frieden, aber wenn wir diese Verbote machen, kämpfen wir gegen ihre Interessen und was sie dann tun, ist uns zu töten.“

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