Mónica Baltodano: „Der 7. November wird ein völliger Zirkus“

(San Pedro, 4. Oktober 2021, desinformémonos).- Dass die Zukunft ihres Landes ungewiss ist, gibt sie freimütig zu. Dennoch kämpft die Aktivistin Mónica Baltodano im Rahmen ihrer Möglichkeiten und mit Überzeugung gegen die Diktatur von Daniel Ortega und Rosario Murillo in Nicaragua an. Der Zusammenschluss Articulación de Movimientos Sociales (AMS), in dem Baltodano aktiv ist, besteht aus den verschiedensten sozial-politischen Organisationen und gilt als die elementare Einheit im Widerstand gegen die Regierung.

Baltodano war während der Revolution, die den Diktator Anastasio Somoza stürzte, Guerilla-Kommandantin. Außerdem wurde sie in den 90er Jahren  Abgeordnete der linken Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN). Die Grundideologie der Partei wurde jedoch nach einem Bündnis zwischen dem Parteivorsitzenden Ortega und dem rechtsgerichteten Politiker Arnoldo Alemán zerrüttet. Im August 2018, wenige Monate nach dem landesweiten Aufstand, der von Ortegas Regime mit Gewalt bekämpft wurde, erklärte Baltodano in einem Interview mit dem Nachrichtenportal UNIVERSIDAD, wie es dem eigentlich linksorientierten Ortega gelingen konnte, seine aktuelle Machtstellung zu erlangen und insbesondere diese zu halten.

Nun, drei Jahre später, hält sich Baltodano als Geflüchtete in Costa Rica auf. Vor wenigen Wochen endete der eigentliche Wahlprozess mit Festnahmen von Aktivist*innen und möglichen Präsidentschaftskandidat*innen durch die Ortega-Murillo-Regierung. Im Gespräch erläutert und deutet Baltodano erneut die aktuelle Lage ihres Landes.

 

Vor drei Jahren haben Sie angedeutet, dass das Blutvergießen des sogenannten Orteguismo die Hingabe für den Aufstand noch weiter geschürt hat und somit auch zur Niederlage seines Regimes führen würde. Seitdem scheint es allerdings, dass sich seine Macht verstärkt und verfestigt hat…

Jener Orteguismo, der eine hegemoniale Machtstellung zu etablieren versuchte, ist tatsächlich besiegt. Seit dem Aufstand und den darauffolgenden Ereignissen hat er sich jedoch verändert. Nun unterliegt die alleinige Macht, die absolute Kontrolle dem amtierenden Präsidenten. Diese Macht schießt damit auch das Militär und jegliche staatliche Institutionen mit ein. Dennoch hat der Orteguismo die Mehrheit der Zustimmung von bürgerlicher Seite verloren. Mehr noch: Es herrscht eine generelle Ablehnung gegenüber dem Regime, auch auf internationaler Ebene.

Schwächt die weltweit vornehmlich ablehnende Haltung gegenüber dem Regime es in irgendeiner Art und Weise?

Die internationale Gemeinschaft konnte bisher noch keinen effizienten oder wirksamen Weg gegen den Orteguismo erbringen. Internationale Finanzbehörden wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und insbesondere die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftsintegration unterstützen das Regime weiterhin, um ihren internationalen Handels- und Wirtschaftsstatus beizubehalten.

Die gegenseitige internationale Abhängigkeit verhilft der Diktatur weiterhin zu bestehen, ja sich zu verfestigen und staatliche Isinstitutionen wie die Polizei bezahlen zu können. Diese hat sich seither nicht nur personell, sondern auch an Waffenausrüstung und Kommunikationsmöglichkeiten vergrößert. Und nicht nur die Polizei, sondern auch das Militär.

Ortega wird von Seiten der Waffenlobby unterstützt. Das wiederum bedeutet, dass er der völligen Kontrolle des Obersten Wahlrates (CSE) unterliegt. Die Machtstellung und Kontrolle über jegliche politische Organisationen des CSE hat sich seit einer Reform Anfang des Jahres vergrößert. Mögliche Wahlen wurden daher durch die Verhaftung potenzieller Gegenkandidaten vereitelt.

Diese Handlung verdeutlicht die Macht, die Ortega momentan hat. Eine Macht, die er bei den angeblich geplanten Neuwahlen am siebten November mit aller Kraft, mit Wahlbetrug, Lügen und Täuschung, versuchen wird, aufrechtzuerhalten. Die Verlängerung seiner Stellung innerhalb der Staatsmacht wird wegen all der Dinge die passiert sind und der damit einhergehenden internationalen Ablehnung fragil und wacklig sein. Er selbst und seine Familie sind Gefangene im eigenen Land. Ihm ist es unmöglich, das Land zu verlassen, egal wie viel er dafür zahlen kann.

Sie haben erwähnt, dass das Regime von ausländischen Geldmitteln unterstützt wird und dass die Rolle der Polizei eindeutig ist. Gibt es weitere gesellschaftliche Institutionen, die das aktuelle Regime unterstützen?

Zum Teil haben die Obersten der evangelischen Kirche ihre Unterstützung zugesichert und versucht die Widersprüchlichkeiten mit der katholischen Kirche zu nutzen, um mehr Unterstützung hinsichtlich ihrer eigenen finanziellen Situation zu bekommen.

Die Bischofskonferenz bewahrte stets eine kritische Haltung. Seit 2019 waren sie eher stille Beobachter – mit Ausnahme einiger wesentlich kampflustigerer Bischöfe und Priester, darunter der aktuelle Bischof der Stadt Matagalpa, Álvarez.

Ähnliche Positionen – auf der einen Seite die offensive, kriegerische und auf der anderen Seite die defensive, stillschweigende – lassen sich ebenfalls auf dem nationalen Finanzmarkt feststellen. Dieser bangt um seine Finanzgeschäfte und das damit einhergehende regelmäßige Einkommen. Unter den von Ortega Festgenommenen war unter anderem José Adán Aguerri, der über zehn Jahre lang einer der obersten Finanzleiter im nicaraguanischen Geldgeschäft war. Weder zu seiner Festnahme, zu denen weiterer Mitarbeitern noch zum Wahlprozess wurde sich vonseiten der Bank geäußert. Diese stillschweigen Haltung wird zu nichts führen!

Das Schweigen ist auf die gewaltvoll erzwungene Unterwerfung zurückzuführen. Institutionen und Menschen, die zuvor den Mut hatten, sich zu äußern, schweigen nun aus Angst, dass ihr Eigentum zerstört wird oder Konten eingefroren werden. Denn so arbeitet das aktuelle Regime: mit Druck und Erpressung, mit Angstmache und Gewalt.

In den letzten Monaten hat die Unterdrückung gegenüber potenziellen Präsidentschaftsanwärtern und die Anzahl der Festnahmen nachgelassen. Wie schätzen Sie die Situation politischer Gefangener ein?

Der internationale Druck und interne Übereinkünfte haben zur Freilassung von ca. 700 politisch motivierten Gefangenen im Juni 2019 verholfen. Danach begannen sie mit dem sogenannten Schwingtür-Effekt, das heißt 100 werden festgenommen und 80 freigelassen, sodass 20 in Haft bleiben. Weitere 50 wurden festgenommen, 40 freigelassen, zehn bleiben in Gefangenschaft – ein stetiger Wechsel zwischen Ungerechtigkeit und dem Versuch, die Farce eines vermeintlich gerechten Systems aufrecht zu erhalten. Mit jeder neuen Welle an Häftlingen sollen so viele in Gewahrsam behalten werden, dass im Juni dieses Jahres ca. 130 politische Häftlinge im Gefängnis sitzen. Dazu müsste man die zehn Gefangen, die seit 2018 in Gewahrsam sind, addieren.

Aktuell begann erneut eine regelrechte Festnahmewelle. Momentan lassen sich bereits 25 Festgenommene zählen. Die meisten davon mögliche Präsidentschaftskandidaten, Führungspersonen von politischen Organisationen bis hin zu Helden der Revolution – wie im Falle von Dora María Téllez und Hugo Torres.

Die Besonderheit dieser Festgenommenen besteht in der 90-tägigen Haft während noch laufender Nachforschungen für einen möglichen Haftbefehl oder eine handfeste Anklage. In dieser Zeit der absoluten Isolation war es ihnen untersagt, Kontakt zu ihren Anwälten aufzunehmen. Nun wissen wir auch über die unwürdigen Zustände in der Gefangenschaft Bescheid: Essensentzug, absoluter Kontaktverbot zu anderen Menschen – wie im Fall von Dora María Téllez – ohne die Möglichkeit eine Zeitung, einen Stift oder Papier benutzen zu dürfen, tagelange Dunkelheit oder Tag und Nacht grelles Licht ertragen zu müssen, Isolation. Ja, es sind Zustände, die auch laut internationalen Menschenrechtsorganisationen eindeutig als Menschenrechtsverletzungen, ja als Folter einzuordnen sind.

Auf der anderen Seite wird von Seiten des Staates die Gerüchteküche um eine imperialistische Machtübernahme der USA gegen eine Revolution geschürt. Dabei handle es sich beim aktuellen Vorgehen des Regimes um reine Schutzmaßnahmen. Ein Regime und Schutzmaßnahmen, die rein gar nichts revolutionäres an sich haben. Die zwar scheinbar links sind, sich diese Ideologie jedoch noch zu Nutze machen, um einige übriggebliebene zu blenden – die linken Konservativen in unserer Welt.

Kürzlich geschah etwas schreckliches in Costa Rica: Das Attentat auf Joao Maldonado, Aktivist und Regimegegner Ortegas. Glauben Sie, dass dieses Attentat von Seiten des Regimes verübt wurden ist?

Dies kann ich momentan noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Es bleibt abzuwarten, was die laufenden Ermittlungen zu Tage bringen. Ich hoffe nur, dass die costa-ricanischen Beamten den Fall nachdrücklich und eingehend untersuchen. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Macht der nicaraguanischen Diktatur bis weit hinter die Grenzen, also auch nach Costa Rica, reicht. Wir als politisch motivierte Geflüchtete und Migranten müssen auf der Hut sein und die Vorsicht vor möglichen Spionen und Angriffen wahren.

Natürlich fühlen wir uns als Teil der costa-ricanischen Gesellschaft – und ich sage dies aus der Position einer in diesem Land Zuflucht Suchenden heraus – die Solidarität der verschiedenen Akteuren Costa Ricas und die Position des Staates ist eindeutig, wie es die Rede des Präsidenten vor den Vereinten Nationen bewiesen hat.

Welche Bedeutung hat der voraussichtliche Wahlprozess am 7. November für den nicaraguanischen Widerstand?

Es gibt einige Bereiche, die sich trotz der neuen strengeren Gesetzesregeln für eine Wahl ausgesprochen haben. Die strikteren Konditionen in Zusammenhang mit möglichen Neuwahlen sind allerdings Steilvorlage für eine werdende Farce. Nichtsdestotrotz ist es dem aktuellen Regime mit den neuen Auflagen unterbunden jegliche andere Parteien für ungesetzlich zu erklären.

Wir als Articulación de Movimientos Sociales setzen uns für rechtmäßige Teilnahme unter den gegeben Konditionen ein. Dennoch wird die kommende Wahl ein Zirkus, ja zur völligen Farce werden. Schlimmer noch als zu Zeiten der Diktatur Somozas. Dieser gestand den Gegenpositionen wenigstens oberflächlich zu, sich als mögliche Konkurrenten an der Wahl zu beteiligen. Was gerade passiert bzw. passieren wird ist schlimmer als die Scheinwahlen Somozas.

Mir scheint es, als ob Ortega Zeit schindet, weil er insgeheim weiß, dass dieser Zirkus nicht anerkannt werden wird, ja dass sich internationale Behörden einschalten und seine Kandidatur als rechtswidrig und unzulässig zurückweisen werden.

Nichtsdestotrotz denke ich, dass er zum einen immer noch die Rückendeckung und die Unterstützung Russlands genießt und zum anderen von der neutralen Position Chinas abgesichert wird. Was am 7. November passieren wird, lässt sich nicht mal mehr mit einem Puppentheater vergleichen, es ist vielmehr ein völliger Zirkus. Daher hat die Articulación de Movimientos Sociales zu einem Wahlstreik aufgerufen: Alle sollen am 7. November zu Hause bleiben, eine Nichtbeteiligung ist elementar! Mit diesem Stillschweigen und auch wenn damit nur der letzte Rest einer Gegenmacht gewährleistet werden kann, soll die ganze Nation, alle bürgerliche Mobilisierung und die öffentlichen Straßen, ja die Wahlen paralysiert werden. Es ist notwendig, so die Ablehnung gegenüber der geplanten Farce zu demonstrieren.

Wenn diese sogenannte Scheinwahl in die Tat umgesetzt wird, auf welche Art und Weise lässt sich die internationale Unterstützung, die das Regime genießt, davon überzeugen, davon abzulassen?

Leider müssen wir gestehen, dass wir momentan beim besten Willen nicht wissen, wie es weitergehen soll, was mit unserem Land Nicaragua geschehen wird oder wie wir uns als Nation von dieser Diktatur lösen können.

Vergleicht man unseren Kampf mit anderen, gewaltvollen Diktaturen in Lateinamerika, wird deutlich, dass es nur eine Lösung gibt: der Griff zu den Waffen. Dieser Weg wird  nun allerdings von ebendiesen Betroffenen, den Bürgern, verweigert. Die Hoffnung, gegen das Regime Ortegas anzukommen ist gering, die Energie für eine Beteiligung gegen die Diktatur geschwächt.

Ein Aufstand der Bevölkerung benötigt die Anwesenheit seiner Anführer. Die meisten davon sitzen im Gefängnis oder sind gezwungen, im Exil zu leben. Jegliche Verbindungen und Netzwerke, die wir zuvor für den Kampf um einen gerechteren Staat aufgebaut haben, wurden von eben diesem zunichte gemacht.

Wir sind uns absolut sicher, dass wir es gemeinschaftlich schaffen können, gegen das uns beherrschende Regime anzukämpfen. Denn darauf zu hoffen und zu warten, dass Hilfe von außen kommt, ist schier hoffnungslos. Wir selbst müssen uns als Mitbürger gegenseitig unterstützen und helfen. Natürlich – wenn möglich – mit internationaler Unterstützung, mit Respekt und Glaube an die Menschenrechte und der Freiheit eines politischen Systems.

Es stellt sich jedoch die Frage, nach welchem Ausweg wir Ausschau halten sollen bzw. können. Das einzige, wobei ich mir sicher bin, ist die Notwendigkeit, dass der Widerstand Kraft sammeln muss. Nur so können wir uns gestärkt für einen neuen Aufstand bereit machen. Diesmal mit fokussierten Zielen und genaueren Anweisungen, damit die gemeinsame Energie nicht wieder verschwendet wird – so wie 2018. Allerdings ist ein solcher Weg noch nicht wirklich in Aussicht.

Übersetzung: Amelie Stettner

CC BY-SA 4.0 Mónica Baltodano: „Der 7. November wird ein völliger Zirkus“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

2 Antworten zu “Mónica Baltodano: „Der 7. November wird ein völliger Zirkus“”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert