(Berlin, 14. Juni 2021, poonal).- In Nicaragua geht die Verhaftungswelle gegen führende Oppositionelle weiter. Wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen ließ die umstrittene Regierung des Präsidenten Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo mögliche Bewerber*innen der Opposition verhaften. Am 13. Juni nahm die Polizei unter anderem die ehemalige Guerillera Dora María Téllez fest. Während der sandinistischen Revolution gegen die Somoza-Diktatur wurde Téllez als Comandante Dos berühmt. Nach der Revolution 1979 wurde die heute 65-jährige Gesundheitsministerin der ehemaligen Guerillabewegung FSLN. Doch seit den 90er Jahren sind Téllez und Ortega erbitterte Gegner*innen. Téllez würde Mitbegründerin der Bewegung der sandinistischen Erneuerung, die heute unter dem Namen Unamos firmiert. Auch fast die gesamte Unamos-Parteispitze sowie der ehemalige sandinistische General Hugo Torres wurden von der Polizei festgenommen.
Torres konnte kurz vor seiner Verhaftung noch ein Video auf Twitter veröffentlichen: „Das ist die verzweifelte Reaktion eines Regimes, das dem Tod geweiht ist“, schrieb er. „Ein Regime, das keine legale Basis hat, um sich über November hinaus an der Macht zu halten, wenn freie und durch Wahlbeobachter überwachte Wahlen stattzufinden haben. Ich bin mittlerweile 73 Jahre alt; ich hätte nie gedacht, noch einmal gegen eine Diktatur kämpfen zu müssen.“ 1974 gehörte Torres zu einem FSLN-Kommando, das mit einer Geiselnahme auf einer Party des Regierungsministers der Somoza-Diktatur die Freilassung von acht Gefangenen der FSLN durchsetzen konnte. Einer von ihnen war Daniel Ortega.
Oppositionelle befürchten erneute Diktatur
Die aktuelle Verhaftungswelle traf vor allem ehemalige revolutionäre Verbündete Ortegas. Diese werfen ihm seit langem vor, sandinistischer Ideale verraten zu haben und nach dem opferreichen Sturz des Diktators Somoza eine neue Familiendiktatur errichten zu wollen. Damit haben die Sicherheitskräfte seit Anfang des Monats bereits rund ein Dutzend Oppositionspolitiker*innen verhaftet. Darunter sind vier potenzielle Präsidentschaftskandidat*innen wie die Tochter der ehemaligen Präsidentin Violeta Chamorro, Christina Chamorro. Sie befindet sich unter Hausarrest.
Ihnen werden Verstöße gegen ein erst im Dezember erlassenes Gesetz vorgeworfen, das den Aufruf zu und die Teilnahme an sozialen Protesten zum „Staatsstreich“ und „Vaterlandsverrat“ erklärt. Den Festgenommenen wird unter anderem vorgeworfen, „zur ausländischen Intervention in innere Angelegenheiten“ aufgerufen und eine „militärische Intervention“ gefordert zu haben. Sie können bis zu 90 Tage ohne formale Anklage in Untersuchungshaft gehalten werden.
Murillo: Gegner*innen sind keine Nicaraguaner*innen
Ortegas Ehefrau und Nicaraguas Vizepräsidentin Rosario Murillo hatte schon vor der Verhaftungswelle in einer länglichen Ansprache eine Art Rechtfertigung für die Repressalien geliefert und ihre Gegner*innen als „widernatürlich“ gebrandmarkt: „Wir sagen allen, die sich offensichtlich nicht mehr als Nicaraguaner fühlen, weil sie denken wie Ausländer, die hier einmarschieren wollen: Wir sind Nicaraguaner und wir haben eine Kultur des Glaubens und der Werte. Die anderen sind eine Minderheit und wir sagen Euch: Lasst uns in Ruhe!“
Damit droht fast allen Kandidat*innen, die Ortega und Rosario Murillo gefährlich werden können, der Ausschluss von den Wahlen am 7. November, bei der Ortega für eine vierte Amtstzeit kandidiert.
Ausschluss der Opposition hat System
Bei Massenprotesten gegen die Regierung waren 2018 über 300 Menschen ums Leben gekommen, 800 wurden verhaftet, Tausende flohen aus dem Land. Auch gegen Medien geht die nicaraguanische Polizei regelmäßig vor, so Ende Mai zum wiederholten Mal gegen das Online-Medium „Confidencial“. Dessen Chef Carlos Fernando Chamorro ist seit Jahren ein ein scharfer Kritiker der Regierung.
Dass es auch speziell die Familie Chamorro trifft, hat Gründe: Die Verlegerfamilie war lange Zeit Verbündete der Sandinist*innen in der nicaraguanischen Revolution. Der Journalist und Herausgeber der wichtigsten Tageszeitung La Prensa, Pedro Joaquín Chamorro Cardenal, war ein Jahr vor der Revolution 1978 ermordet worden. Das Bündnis mit Ortega zerbrach schon 1980, Chamorros Witwe Violeta gewann 1990 unerwartet gegen Ortega die Präsidentschaftswahl. 2007 kehrte Ortega an die Macht zurück und hat seither, auch mithilfe von Repression und dem Ausschluss von Oppositionsparteien und -politiker*innen, seine Macht zementiert. Ein Rezept, dass wohl auch dieses Jahr wieder funktionieren soll.
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