Von Wolf-Dieter Vogel, Oaxaca
(Oaxaca-Berlin, 15. Mai 2017, npl). Die Angriffe auf Medienschaffende in Mexiko nehmen kein Ende. Vergangenen Samstag wurde eine Gruppe von Journalisten im südlichen Bundesstaat Guerrero von bewaffneten Männern und Jugendlichen auf einer Landstraße gestoppt, mit dem Tod bedroht und ausgeraubt. „Sie sagten, sie werden uns lebend verbrennen“, berichtete Sergio Ocampo, der dort seit vielen Jahren als Korrespondent der linken Tageszeitung „La Jornada“ tätig ist. Neben ihm waren sechs weitere Reporter von dem Überfall betroffen. Der Gouverneur des Bundesstaates, Héctor Astudillo, geht davon aus, dass hinter dem Angriff das kriminelle Kartell „La Familia Michoacana“ steckt. Zwei Tage später erschossen Unbekannte im Norden des Landes den Journalisten Javier Valdez.
„Wenn ihr uns anzeigt, werden wir euch lebend verspeisen“
Die lokalen und internationalen Journalisten waren am Samstagmorgen von der Provinzstadt Iguala aus in die von Banden der organisierten Kriminalität kontrollierte Region „Tierra Caliente“ gefahren. Dort hielten Soldaten mehrere Städte und Dörfer besetzt, nachdem sich die „Familie aus Michoacán“ blutige Gefechte mit den Rivalen „Los Tequileros“ geliefert hatte. Um die Armee aufzuhalten, hatten die Kriminellen zahlreiche LKW auf der Straße quergestellt und angezündet. Dennoch konnten die Presseleute durchkommen.
Auf dem Rückweg sei die Straße plötzlich mit Reifen und Holzstangen blockiert gewesen, schildert der deutsche Fotograf Hans Máximo Musielik. Als die Gruppe anhielt, tauchten etwa hundert Männer, Jugendliche sowie Kinder auf und nahmen den Journalisten alles ab, was sie dabei hatten: Filmausrüstungen, Laptops, Handys, Bargeld und nicht zuletzt Ocampos Wagen. „Einige waren nur acht, neun Jahre alt, die meisten nicht älter als 30“, berichtet Musielik, der für Vice arbeitet. Nur die Älteren seien vermummt, viele bewaffnet und alle auf Drogen gewesen. Er habe schon viele Straßensperren erlebt, ergänzt Ocampo, „aber das war einzigartig: nur sehr junge Typen“.
Nach 15 Minuten endete der Spuk. Die Journalisten konnten unverletzt im zweiten Fahrzeug weiterfahren. Allerdings unter der Bedingung, dass sie an der einen Kilometer entfernten Kontrollstelle des Militärs nicht über den Überfall sprechen. „Wenn ihr uns anzeigt, werden wir euch lebend verspeisen“, stellte einer der Angreifer klar. Man habe überall Späher. Trotz der Drohungen sei die Gruppe sehr ruhig geblieben, erinnert sich Musielik. „Es ist keine Panik ausgebrochen.“
Gezielter Angriff oder Raubüberfall?
Obwohl Ocampo, Musielik und ihre Kollegen mit dem Leben davon gekommen sind, ist der Angriff für sie ein schwerer Schlag. Die Zeitung „La Jornada“ spricht von einem Schaden von einer Million Pesos (50.000 Euro), der durch den Raub entstanden sei. Mexikanische Journalistinnen und Journalisten haben deshalb bereits dazu aufgerufen, Geld für ihre Kollegen zu spenden. Reporter Ocampo legte zugleich Wert darauf, nicht anders behandelt zu werden als alle Menschen, die in Guerrero die tägliche Gewalt ertragen müssten.
Ob es sich um einen gezielten Angriff auf die Presse oder nur um einen Raubüberfall handelte, bleibt unklar. „Auf jeden Fall kam die Anordnung von oben“, ist der Fotograf Musielik überzeugt und meint damit die „Familia Michoacana“. Außer Frage stehe, dass die Regierung im Gegensatz zu den Aussagen des Gouverneurs die Region nicht im Griff habe: „Der Überfall auf uns hat das einmal mehr bestätigt.“ Seit langem kämpfen in Tierra Caliente mehrere Kartelle um die Kontrolle über die Drogentransportwege sowie den Schlafmohnanbau. Etwa 80 Prozent des in Mexiko hergestellten Heroins stammen aus Guerrero.
Auch der Fall der 43 Studenten, die 2015 in Iguala von Polizisten und Kriminellen verschleppt wurden, könnte im Zusammenhang mit dem Drogengeschäft gestanden haben. Möglicherweise befand sich in einem der Busse, die von den jungen Männern der Ayotzinapa-Universität beschlagnahmt wurden, Heroin, das in die USA transportiert werden sollte. So jedenfalls erklärt sich die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingesetzte Expertengruppe zur Aufklärung des Falles (GIEI) die extreme Gewalt, mit der Polizeibeamte und Kartellmitglieder unter dem Schutz von Militärs und Bundespolizisten am 26. September versucht hatten, die Busse zu stürmen.
Journalist Javier Valdez mittags auf offener Straße erschossen
Wer über diese kriminellen Geschäfte von Mafia, Sicherheitskräften und korrupten Politikern schreibt, lebt mit einem extrem hohen Risiko. Nach dem Überfall erklärte die Nationale Menschenrechtskommission (CNDH), Guerrero sei „eine der gefährlichsten Regionen für journalistisches Arbeiten“. Von der Regierung forderte die Institution, die Sicherheit der Bevölkerung und die Pressefreiheit zu garantieren. Bislang haben jedoch weder eine neu geschaffene Sonderstaatsanwaltschaft noch ein staatlicher Mechanismus zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten große Erfolge gezeigt.
Allein in den letzten zwei Monaten sind in Mexiko fünf Pressevertreter*innen ermordet worden, seit dem Jahr 2000 sind es nach CNDH-Angaben 125 Medienschaffende. Just nach dem Überfall auf die Gruppe in Guerrero wurde am 15. Mai der Journalist Javier Valdez in Culiacán im Bundesstaat Sinaloa ermordet. Unbekannte erschossen ihn mittags um zwölf Uhr auf offener Straße – wenige Meter entfernt von der Redaktion der Zeitung Riodoce, wo er arbeitete. Valdez hatte das Buch „Narcoperiodismo“ veröffentlicht, in dem er über Kollegen schreibt, die Opfer der Mafia wurden.
Update: Es sind mittlerweile leider sechs ermordete Pressevertreter*innen in den letzten zwei Monaten.
Guerrero: Kriminelle überfallen Journalisten von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar