(Mexiko-Stadt, 9. Juli 2019, la jornada).- Zwei Ereignisse jüngsten Datums stehen in klarem Kontrast zueinander. Einmal das Interview, welches der mexikanische Präsident aus Anlass des ersten Jahrestages seines Wahlsieges dem Vorstand und Journalist*innen der Tageszeitung La Jornada gab. Zum anderen die Rede, die Andrés Manuel López Obrador am 6. Juli in Guadalupe Tepeyac im Bundesstaat Chiapas hielt. Guadalupe Tepeyac ist ein symbolischer Ort aus den Anfängen der zapatistischen Bewegung. Ich gehe zuerst auf die Äußerungen im Interview ein, danach auf die mögliche Bedeutung seines Diskurses in Chiapas. Dabei liegt es eindeutig in der Entscheidung der EZLN, ob und in welcher Form sie darauf antwortet. Eine Art, dies zu tun, könnte auch darin bestehen, überhaupt nicht zu reagieren.
Zu den Streitkräften befragt, wiederholte der Präsident, dass „die Armee Befehle erhält. Und jetzt haben sie keinen Befehl bekommen, der lautet, die Bevölkerung zu massakrieren, zu foltern, verschwindenzulassen oder zu unterdrücken. Das wird es nicht geben.“ Im Video des Interviews beobachten wir dann Fragen und Kommentare, deren Antworten heute in etwas anderem Licht erscheinen. „In den zapatistischen Gemeinden in Chiapas ist die Situation sehr angespannt. Es gibt militärische Tiefflüge.“ Amlo antwortet: „Das ist Fantasie. So als ob ich hier als Blumenvase stünde. Ich bin aber kein Zierstück. Nein, das Thema ist stark ideologisiert. Die Zapatisten, die ich respektiere, glauben nicht oder haben nicht geglaubt, dass sich die Transformation auf friedlichen Weg und an den Urnen durchführen ließ.“ Die Situation sei aber durch das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas dokumentiert, erwiderten die Journalist*innen. Die Antwort: „Dann lügen sie“. Die Replik: „Das pflegen sie nicht zu tun.“
Präsident leugnet kritische Gegenfragen
Anschließend kam die Problematik der Paramilitärs an die Reihe, die der Präsident ebenfalls leugnete. Es folgte die Kritik am Maya-Zug: Sollte nicht die indigene Bevölkerung befragt werden, durch deren Dörfer der geplante Zug fahren soll? Die übliche Antwort: „Das wird schon gemacht.“ Aber nicht gemäß den Bestimmungen der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, wird dem Präsidenten bedeutet. „Doch, das wird gemacht“, die Antwort. „Aber es gibt große Unzufriedenheit“, wird eingewandt. „Ich bin nicht deiner Meinung. Ich bin dort gewesen. Ich habe ihre Stimme gehört. Darum habe ich von zwei verschiedenen Welten gesprochen, denn ich habe befragt, wie die Konservativen anmerken. Ich würde sagen, es gibt keine Ablehnung, sie existiert nicht. Oder wenn, aber nur minoritär.“ Die Journalist*innen insistieren: Die Bevölkerung erinnert das alles an den Plan Puebla Panama.“ Amlo: „Ja, weil viele glauben, wir seien genauso. So war das mit den Zapatisten. ´Subcomandante Marcos´ kommentierte, wir seien das Schlangenei und es sei besser, nicht wählen zu gehen.“
Diese Ansichten sind bekannt. Die aktuelle Frage ist, warum López Obrador in Guadalupe Tepeyac das zapatistische Thema ansprach, ohne es wie sonst auf den „Subcomandante“, den heutigen „Galeano“ zu fokussieren. Er gab zu: „Mit dem zapatistischen Aufstand wandten sich viele Augen den Gemeinden zu. Das half, eine von Verlassenheit, Unterdrückung, Ungerechtigkeiten und Marginalisierung gekennzeichnete Wirklichkeit bekannt zu machen“. Amlo erinnerte daran, dass er damals das zapatistische Territorium besuchte und sich selbst für den friedlichen und von den Wahlurnen bestimmten Weg entschied. Er gestand zu, dass es die Vision gibt, eine unterdrückerische Realität mit Hilfe des bewaffneten Wegs zu transformieren, wie dies bei der mexikanischen Unabhängigkeit, der Reform und der Revolution geschehen sei. Er endete mit dem Aufruf: „Wir sollten uns nicht streiten, Schluss mit Spaltungen, wir müssen uns zusammentun. Zusammen und vereint wie Geschwister.“
Amlo: „Wir müssen uns zusammentun“
An diesem Punkt tauchen Fragen auf: Warum, mit welchem Ziel entschied sich der Präsident, dieses Gebiet zu besuchen und in Anwesenheit der Militärs und des Gouverneurs von Chiapas den Respekt vor dem Kampf und Weg der EZLN einzufordern, wenn er noch Tage zuvor die Feindseligkeiten gegen die Zapatist*innen leugnete und von Lügen sprach? Holte er Informationen ein, die ihn überzeugten, die Polarisierung mit der EZLN zu entschärfen? Denn diese Polarisierung wird recht sicher von denen ausgenutzt, die glauben, sich gut mit dem Obersten Chef zu stellen, wenn sie diejenigen attackieren, die dieser als Feind ansieht. Mein Eindruck ist, die Versöhnungsbotschaft an die EZLN ist in Wirklichkeit ein Befehl an seine Untergebenen. Wenn dies so ist, dann bekommen Ton und Inhalt des Diskurses Sinn. Sicher ist die Bilanz des Präsident hinsichtlich des Zapatismus unvollständig. Aber seine Anwesenheit und Botschaft in Guadalupe Tepeyac sind relevant.
Dass es Amlo ist und nicht ein nach dem Wahlsieg selbsternannter Bote [Anspielung auf den Pater Alejandro Solalinde], hat eine Bedeutung. Erinnern wir uns: Carlos Salinas erklärte [1994] den einseitigen Waffenstillstand aufgrund des Drucks der Zivilgesellschaft. Ernesto Zedillo praktizierte den Krieg mit allen Mitteln. Vicente Fox erklärte, er werde den Konflikt in 15 Minuten lösen und verabschiedete das Gegenteil einer wirklichen Verfassungsreform ohne den Versuch, den Gesprächsprozess zu erneuern. Felipe Calderón und Peña Nieto wendeten die salinistische Maxime an, die Zapatist*innen vollständig zu ignorieren. Soll seine Botschaft über die Einheit Erfolg zeitigen, müsste Amlo den Kurs seiner Regierung ohne Simulationen ändern; gegenüber der EZLN und den indigenen Völkern, die von seinen Megaprojekten bedroht sind, die ihre Rechte verletzen.
Präsidentenbotschaft an die EZLN? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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