Mileis autoritäres politisches Projekt

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Protestplakate „Hunger ist auch Gewalt“ und „Für ein sozial gerechtes Argentinien ohne Hunger“, , 5.12.2024 in Buenos Aires, Foto: Ute Löhning

(Buenos Aires, 06. März 2025, npla).- Mal klingt der rechts-libertäre argentinische Präsident Javier Milei wie ein messianischer Heilsbringer, mal wie ein Verkünder der Apokalypse. Jedenfalls beruft sich der Ökonom auf Überirdisches, auf die „Kräfte des Himmels“ und bemüht weitere Zitate aus dem Alten Testament. Im Namen der Freiheit hetzt er aggressiv gegen Journalist*innen, beschimpft Andersdenkende entmenschlichend als „Ratten“, schürt Hass gegen Minderheiten. Seine Äußerungen beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos im Januar 2025, mit denen er LGBTIQ-Personen in den Kontext von sexualisierter Gewalt und Kindesmissbrauch stellte, gingen jedoch vielen zu weit – und zogen eine Welle von Protesten mit bis zu zwei Millionen Teilnehmenden in Argentinien und anderen Ländern nach sich.
In Davos sagte Milei auch, dass er „den Westen wieder groß machen“ wolle. In Anlehnung an Donald Trumps „Make America Great Again“ bringt er sein politisches Projekt in Stellung gegen den Wokismus, den er als Kampfbegriff und als Synonym für menschenrechtsorientierte, soziale und progressive Politik verwendet. Denn dieser sei „die große Epidemie unserer Zeit, die besiegt“ werden, der „Krebs, der ausgerottet werden“ müsse. In einer epochalen Auseinandersetzung stünden der Staat, der dem Untergang geweihte Wokismus auf der einen Seite und der Markt und die ökonomische Freiheit auf der anderen Seite einander diametral und unversöhnlich gegenüber.

Den Westen wieder groß machen

Mileis Projekt ist ein ökonomisches und ein politisches, beide Aspekte gehören untrennbar zusammen. Um den angeblich von radikalem Feminismus, Sozialismus, Ökologie- und Klimaschutzbewegungen bedrohten Westen „zurückzuerobern“ und ein „neues goldenes Zeitalter“ zu errichten, werde er den Staat drastisch verkleinern und seine Aufgaben auf die „Verteidigung des Rechts auf Leben, Freiheit und Eigentum“ beschränken, so Milei. Der Markt hingegen solle frei von Regulierungen sein und alles regeln, denn er habe „keine Fehler“.
Der rechts-libertäre Milei bezeichnet sich selbst als Anarcho-Kapitalisten und als „Maulwurf, der den Staat von innen zerstören“ will. Er steht in der Tradition des österreichischen Ökonomen Friedrich August Hayek – dem Vordenker des Neoliberalismus und des rechten Libertarismus – und der sogenannten österreichischen Schule. Diese räumt dem Markt oberste Priorität ein und lehnt jegliche staatlichen Eingriffe in die Ökonomie ab.
Tatsächlich setzt die argentinische Regierung einen drastischen marktradikalen Sparkurs mit brachialem Sozialkahlschlag durch. Seit Mileis Amtsantritt am 10. Dezember 2023 wurden mehr als 37.000 Staatsbedienstete entlassen, die Hälfte der Ministerien geschlossen und viele Staatsbetriebe privatisiert. Die Mietpreisbremse wurde aufgehoben, Unterstützungsangebote für Opfer sexualisierter Gewalt eingedampft, Sozialprogramme und die Finanzierung von Suppenküchen gestrichen. Das renommierte öffentliche Bildungssystem ist durch eine De-facto-Kürzung um 30 Prozent beschädigt. Die Armutsrate steigt, etwa 20 Prozent der Bevölkerung gelten als extrem arm, ihr Einkommen reicht nicht für den täglichen Nahrungsmittelbedarf.
Menschenrechtsprogramme und die Arbeit in Gedenkstätten werden durch Unterfinanzierung und den Abbau von Stellen ausgebremst – das bedient in der argentinischen Regierung die besonders von der Vizepräsidentin Victoria Villarruel vertretene geschichtsrevisionistische Linie in Bezug auf die Militärdiktatur (1976 bis 1983).
„Diese Regierung will einen Systemwechsel“, sagt Paula Litvachky, die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation CELS, die Ende der 1970er Jahre während der argentinischen Diktatur entstanden ist. „Milei will eine tiefgreifende Reform der Wirtschaft, des Staats und der Gesellschaft.“ Jedweder Ausdruck von solidarischer Politik, die nach Gleichheit und Gerechtigkeit strebe, sei für Milei gleichbedeutend mit Sozialismus und daher zu bekämpfen. Sein Diskurs rechtfertige staatliche Gewalt sowie Intoleranz und Hetze gegen kritische Berichterstattung.

Extrem rechte Allianzen

International verortet sich der argentinische Präsident in einer Rechtsaußen-Allianz, zu der neben Trump auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der Vorsitzende der spanischen VOX-Partei, Santiago Abascal, der salvadorianische Präsident Nayib Bukele, der brasilianische Ex-Präsident Jaír Bolsonaro nebst Sohn Eduardo und der ungarische Präsident Viktor Orbán zählen.
Seit 2024 tritt Milei bei zahlreichen extrem rechten Events als Starredner auf, im Mai 2024 bei der von der spanischen VOX in Madrid organisierten Europa VIVA24 oder bei diversen Treffen der Conservative Political Action Conference (CPAC), die im Dezember 2024 auch zum ersten Mal in Argentinien stattfand. Bei diesen Anlässen wird die junge Nachwuchselite herangezogen, es werden politische Kontakte ausgebaut und Netzwerke geknüpft.
Seit Mileis Amtsantritt stellt die argentinische Regierung internationale Abkommen infrage und sieht sich als Vorreiter auf dem Weg zu einem Gegenprojekt zur UNO. Argentinien stimmte bei den G20 und der UNO als einziges Land gegen Erklärungen zur Geschlechtergleichstellung und gegen Gewalt an Frauen, positionierte sich gegen die Agenda 2030 zur Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Umweltzerstörung und den Zukunftspakt der UNO. Seit die Erosion internationaler Institutionen durch Trumps Amtsantritt einen deutlichen Schub bekommen hat, segelt Argentinien im Windschatten der USA und vollzieht deren Entscheidungen wie den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation einfach nach.

Blaupause für Umsetzung von Project 2025

Argentinien setzte 2024 auch bereits zahlreiche Anweisungen aus dem Project 2025 um, das der einflussreiche erzkonservative US-Thinktank Heritage Foundation als Anleitung zur Übernahme des Staats für die Trump-US-Administration entwickelt hatte. Den Abbau staatlicher Strukturen im Namen der Entbürokratisierung verantwortet in Argentinien der Minister für Deregulierung und Transformation des Staats, Federico Sturzenegger. Die von dem früheren argentinischen Zentralbankpräsident angewandten Maßnahmen gefallen auch dem von Milei als „lieber Freund“ bezeichneten Elon Musk. Schon 2024 traf sich Milei bei mehreren Reisen in die USA mit Trump und Musk und im Mai 2024 auch mit CEOs von Google, Apple und Meta, die vermutlich zugleich Garanten und Gewinner der Umstrukturierungen in Argentinien wie den USA sein werden.

Zermürbte Bevölkerung

In Argentinien jedoch verzeichnet Milei immer noch Zustimmungswerte von etwa 50 Prozent. Das hat zum einen damit zu tun, dass er durch sein ökonomisches Schockprogramm mit dem fast flächendeckenden Stopp öffentlicher Ausgaben das Haushaltsdefizit kurzfristig behoben hat – wenngleich das alles andere als eine nachhaltige Lösung ist – und die Inflation von 25 Prozent auf 2,5 Prozent pro Monat bremsen konnte. Das bedeutet zwar immer noch eine Jahresinflation von 30 Prozent, die jedoch ist stabiler und somit kalkulierbarer als die vorherigen Raten von weit über 100 Prozent. Auch die Tauschkurse für Devisen wie Dollar oder Euro sind stabiler als zu Zeiten der Vorgängerregierungen.
Viele Menschen haben Milei gewählt, weil sie nach den Jahren der Vorgängerregierungen unter dem neoliberalen Mauricio Macri und dem kirchneristischen Mitte-Links-Präsidenten Alberto Fernández mit weit höheren Inflationsraten müde und mürbe waren. Da Milei harte Einschnitte und massive Kürzungen offen angekündigt hatte, scheinen viele Menschen noch bereit, diese auszuhalten. Wer sich widersetzt, ist mit verschärften Polizeigesetzen konfrontiert. Kundgebungen sind nur noch auf Gehwegen und Plätzen erlaubt. Wer seinen Fuß auf die Straße setzt, soll die Kosten für Polizeieinsätze tragen. Linke Opposition wurde kriminalisiert, soziale Organisationen mit Anklagen überzogen und Kräfte damit gebunden.
„Um die Pläne der Regierung umzusetzen, braucht es einen hohen Grad staatlicher Gewalt“, sagt Paula Litvachky vom CELS. Sollte es zu massiveren Protesten kommen, kann die Regierung das Militär bei internen Auseinandersetzungen einsetzen. Das beschloss die Regierung im Dezember 2024 per Dekret am Parlament vorbei. Möglich wurde das durch das im Juni 2024 im Parlament trotz massiver Proteste der Zivilgesellschaft verabschiedete „Ley Bases“. Dieses räumt dem Präsidenten für ein Jahr Vollmachten ein, Dekrete ohne parlamentarische Zustimmung zu erlassen.
Über kurz oder lang wird Mileis Erfolg davon abhängen, ob die argentinische Wirtschaft in Schwung kommt. Dazu setzt die Regierung auf einen neuen IWF-Kredit und das Gesetzespaket RIGI, das Kapital anziehen soll, indem ausländische Investitionen von mehr als 200 Millionen Dollar gefördert werden. Diese bleiben jedoch rar, die Verunsicherung potentieller Investoren ob der politischen Lage in Argentinien scheint groß.

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