(Berlin, 18. November 2024, openDemocracy).- Das Project 2025 ist ein von der einflussreichen Heritage Foundation in den USA entworfenes Programm für Donald Trumps Regierungszeit. Ein Blick nach Argentinien macht schnell klar, wie die Umsetzung des Project 2025 aussehen wird. Denn in Argentinien hat die Regierung des rechts-libertären Präsidenten Javier Milei viele der beschriebenen Maßnahmen bereits umgesetzt. Mit der freundlichen Genehmigung der Autorin Diana Cariboni übernehmen wir diesen Artikel, der zuerst bei openDemocracy erschienen ist, in deutscher Übersetzung.
Wer wissen will, was das für Trumps Regierung entworfene Project 2025 bedeutet, schaue nach Argentinien, in das Labor der globalen extremen Rechten
Während die Welt die Wucht von Donald Trumps Triumph bei den US-Präsidentschaftswahlen erst verdaut, zeigt der von einer Handvoll Extremisten für Trump entworfene Regierungsplan Project 2025 schon seine ersten Folgen in Argentinien: einen geschwächten Staat und (ver)schwindende Rechte. Genau beschrieben ist das Project 2025 in dem fast 900 Seiten starken Handbuch „Mandate for Leadership“. Dieses Handbuch wurde von dem 1973 gegründeten ultrakonservativen Thinktank Heritage Foundation verfasst, und enthält Beiträge von mehr als hundert extrem rechten religiösen Gruppen und von zig ehemaligen Trump-Beamten.
„Wenn Du dir nicht vorstellen kannst, wie das Project 2025 umgesetzt werden wird, schau dir an, was im letzten Jahr in Argentinien passiert ist“, sagte mir die Menschenrechtsanwältin Paula Ávila-Guillén, Geschäftsführerin des Women’s Equality Center (WEC), das an Kommunikationsstrategien im Bereich Gesundheit und für reproduktive Rechte in Lateinamerika arbeitet. Ich weiß, was in meinem Land, Argentinien, geschieht, selbst wenn ich nicht dort lebe. Kürzungen der Staatsausgaben um dreißig Prozent, ein Anstieg der Armut um elf Prozent innerhalb eines halben Jahres und die Schwierigkeiten, mit denen Familie, Freund:innen und Kolleg:innen in dem von Wirtschaftskrisen gezeichneten Land umgehen müssen, hinterlassen ihre Spuren.
Ávila-Guilléns Aussage brachte mich dazu, zu überprüfen, ob das Project 2025 dem ähnelt, was in meinem Land geschieht.
Die Ziele des Project 2025 sind offensichtlich, so sehr Trump auch versucht hat, sich von diesen zu distanzieren. Die Presse und zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Global Project Against Hate and Extremism (GPAHE) haben sie genau analysiert, Politiker:innen der Demokratischen Partei, Menschenrechtsaktivist:innen und Gewerkschaften haben sie kritisiert.
Javier Milei, der seit Dezember 2023 Präsident Argentiniens und eine aufstrebende Figur der globalen extremen Rechten ist, hat sich nie öffentlich zum Project 2025 geäußert. Aber er hat mindestens seit 2023 versucht, Verbindungen zur Heritage Foundation aufzubauen; das belegen Dokumente eines beim US-Justizministerium registrierten Lobbyisten, der kurzzeitig für Trumps Wahlkampagne gearbeitet hat. Aus dem Register der argentinischen Regierung über Geschenke an den Präsidenten wiederum geht hervor, dass Derrick Morgan, der stellvertretende Vorsitzende der Heritage Foundation, Milei im Februar 2024, bei einer Begegnung der beiden auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Washington, ein Exemplar des Mandate for Leadership überreicht hat.
Das Land aus den Klauen der radikalen Linken befreien
„Uns Konservativen reicht es nicht, Wahlen zu gewinnen“, verkündet die Heritage Foundation bei der Vorstellung des Project 2025. „Um das Land aus den Klauen der radikalen Linken zu befreien, brauchen wir einerseits ein Regierungsprogramm und andererseits müssen wir die richtigen Personen aufbauen, die bereit sind, diese Agenda vom ersten Tag der nächsten konservativen Regierung an umzusetzen“. Ein zentrales Ziel des Project 2025 ist der „Abbau staatlicher Strukturen“, die vermeintlich unter Einfluss der Linken oder des Wokismus stehen. Das bedeutet die Auflösung von Bundesministerien und -behörden, Kürzungen öffentlicher Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Soziales sowie die Streichung von Programmen und Mitteln zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt, Diskriminierung, Umweltverschmutzung und Klimawandel.
Die ersten zehn Monate der Amtszeit Mileis zeigen, dass er diesem Drehbuch gefolgt ist. Er hat neun Ministerien abgeschafft, darunter das Bildungsministerium (wovon auch die Heritage Foundation und Trump besessen sind) und das Ministerium für Frauen, Gender und Diversität. Offiziellen Zahlen aus dem Jahr 2023 zufolge wird in Argentinien alle 35 Stunden ein Femizid begangen [red. Anm: also eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet]. Milei hat alle geschlechtsspezifischen Maßnahmen abgebaut und die Finanzierung für wichtige Aufgaben, wie die Betreuung von Opfern von Gewalttaten, gestrichen. Die von Januar bis November 2023 erfassten Daten zeigen, dass mehr als 170.000 Personen von diesem Betreuungssystem unterstützt wurden. Derzeit ist unklar, ob diese Statistiken überhaupt weitergeführt werden.
Mileis „Regierung der Freiheit“ schloss auch das Institut gegen Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, dem argentinischen Präsidenten zufolge eine „unheilvolle“ Einrichtung, die „zur ideologischen Verfolgung“ benutzt worden sei. Die Autor:innen des Project 2025 wären davon begeistert. Denn in ihrem Handbuch für Trump beschreiben sie genau, wie alle Maßnahmen, Programme und Gelder im Bereich Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) sowohl im Inland als auch in der Außenpolitik abgeschafft werden sollen, weil sie „diskriminierend“ seien.
„Ich liebe es, der Maulwurf im Staat zu sein“, sagte Milei in einem Interview im Juni 2024 und ergänzte: „Ich bin derjenige, der den Staat von innen heraus zerstört“. Milei beharrt auf der Notwendigkeit, die öffentlichen Ausgaben zu senken, um die aus dem Gleichgewicht geratene Wirtschaft mit einer jährlichen Inflationsrate von 211 % und einer hohen Verschuldung gegenüber dem Internationalen Währungsfonds auszugleichen. Den Preisanstieg zu bremsen und das Haushaltsdefizit abzubauen, habe demnach oberste Priorität. Denn es sei nichts Schlechtes daran, die Makroökonomie in Ordnung zu bringen und überflüssige Ausgaben zu streichen, so Milei.
Aber er ging noch viel weiter. Er setzte eine Ausgabenkürzung in bisher unbekanntem Ausmaß von fast dreißig Prozent um. Er bremste öffentliche Bauvorhaben aus, kürzte die Investitionen in das Bildungswesen um vierzig Prozent, lehnte Rentenerhöungen und die Bereitstellung von lebenswichtigen Medikamenten für Krebspatient:innen ab. Er stoppte die Finanzierung von Universitäten und des Wissenschafts- und Technologiesystems und entließ fast 27.000 öffentliche Bedienstete. Er schloss die öffentlichen Medien, legte die Verteilung von Lebensmitteln an Suppenküchen auf Eis und bereitet eine Privatisierungsrunde in den Bereichen Kernenergie, Luftfahrt, Treibstoffe, Bergbau, Elektrizität, Wasser, Frachttransporte, Straßen und Eisenbahn vor. Zwar gelang es ihm, die Inflation zu senken und einen Haushaltsüberschuss zu erzielen, doch schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 3,4 Prozent, und die Armut stieg in der ersten Jahreshälfte um 11 Prozentpunkte und betrifft nun 52,9 Prozent der Bevölkerung. Milei versprach, Privilegien abzubauen und „die Kaste“ die Rechnung dafür bezahlen zu lassen. Doch tatsächlich bestraft er die Armen, die Arbeiter:innen und die Mittelschicht.
Krieg gegen Gender und Abtreibung
Dem Project 2025 zufolge muss der nächste US-Präsident „die Begriffe sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität, Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion, Gender [red. Anm.: als soziales Geschlecht], Geschlechtergleichheit und -gleichberechtigung, Geschlechterbewusstsein und -sensibilität, Abtreibung, reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte aus allen bestehenden Vorschriften, Regulierungsbehörden, Verträgen, Zuschüssen, Verordnungen und Bundesgesetzen streichen“, weil diese Begriffe gegen die Religionsfreiheit der US-Amerikaner:innen verstoßen würden.
Abtreibung wird im Mandate for Leadership 199 Mal erwähnt. Die Autor:innen schlagen ein Abtreibungsverbot auf Bundesebene und eine schärfere Kriminalisierung vor. Zusätzlich soll es stärkere Einschränkungen bei der Versorgung von Fehlgeburten und Notfällen in der Geburtshilfe geben, Gelder für die Notfallverhütung [red. Anm.: „Pille danach“] und strenge Überwachungssysteme für Personen, die abtreiben oder Fehlgeburten haben, sollen gestrichen werden. Die Heritage Foundation will allen Menschen ihre Weltanschauung aufzwingen. Sie schlägt vor, die so genannte „Politik von Mexiko Stadt“ wieder einzuführen, die verbietet, dass ausländische Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Abtreibung befassen, aus öffentlichen Geldern der USA finanziert werden. Außerdem solle dieses Verbot auf humanitäre Hilfe ausgeweitet werden.
Das Recht auf Abtreibung, das in Argentinien im Jahr 2020 als Gesetz festgeschrieben wurde, ist durch die Regierung Mileis bedroht, zum einen weil seine Partei einen Entwurf zur Aufhebung dieses Gesetzes eingebracht hat, zum anderen, weil er selbst Abtreibung als Mord bzw. „Mord schweren Grades“ bezeichnet, und nicht zuletzt weil die Regierung die Finanzierung für die Verteilung von Abtreibungspillen und anderen Hilfsmitteln oder Substanzen sowie von Verhütungsmitteln eingestellt hat. Milei hat auch das Programm zur Vorbeugung von Schwangerschaften Minderjähriger gestoppt. Im Haushalt 2025 hat er keine Mittel für die gesetzlich vorgeschriebene umfassende Sexualerziehung (ESI) vorgesehen, die als entscheidend für die Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern gilt. Stattdessen haben die Behörden Teen Star, eine chilenische katholische Organisation, die für Keuschheit wirbt, mit der Ausbildung von Lehrkräften für Sexualerziehung beauftragt.
Die Heritage Foundation möchte die Sexualerziehung durch reine Enthaltsamkeitsprogramme ersetzen und „eine auf der Bibel basierende und sozialwissenschaftlich untermauerte Definition von Familie und Ehe“ durchsetzen. Milei hat die Verwendung einer inklusiven und geschlechtersensiblen Sprache in der öffentlichen Verwaltung Argentiniens verboten und die katholische Anwältin Ursula Basset damit beauftragt, alle außenpolitischen Positionen des Landes auf Bezüge zu Gender und Klimawandel zu überprüfen. Bei der letzten Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) blockierte Basset die Verhandlungen dadurch, dass sie verlangte, dass in den vereinbarten Dokumenten weder „LGBTI-Bevölkerung“ oder „Gender“ noch „Toleranz“, „Klimawandel“ oder „Familien“ erwähnt würden.
„Argentinien war das einzige G20-Land, das gegen die ministerielle Erklärung zur Gleichstellung der Geschlechter stimmte“, die am 11. Oktober in Rio de Janeiro unterzeichnet wurde, so Ávila-Guillén. Argentinien bezog damit eine extremere Position als Saudi-Arabien oder Russland, die das Dokument unterzeichneten. Der Grund für diese Uneinigkeit geht scheinbar darauf zurück, dass innerfamiliäre Betreuung und Pflege in der Erklärung als Arbeit definiert wurde und in diesem Kontext reproduktive Rechte benannt wurden. Ávila-Guillén sieht in der argentinischen Haltung einen „absurden Versuch, sich von der Geschlechterpolitik und unabhängig davon auch von Abtreibungen abzugrenzen. Es soll das Gefühl erzeugt, dass das Wort oder das Konzept ‚Gender‘ etwas Schädliches sei.“
Ein globales Netzwerk von Tyrannen
In der Einleitung von Mandate for Leadership heißt es, es müsse ein „Heer von Konservativen“ rekrutiert werden, um mit der Aufgabe, den Staat zu verkleinern, voranzukommen. Die Heritage Foundation verfügt bereits über eine Datenbank mit etwa 20.000 Personen, die als Übergangspersonal eingesetzt werden könnten. Dazu müssten jedoch Zehntausende von Berufsbeamten entlassen werden, um sie durch loyale Anhänger der konservativen Ideologe zu ersetzen, und gleichzeitig müsste die gewerkschaftliche Organisierung der öffentlichen Angestellten verboten oder eingeschränkt werden.
Milei ist auch entschlossen, Beamte zu verfolgen, die seiner Ideologie nicht folgen. In einem Brief an das diplomatische Korps forderte er von denjenigen, die mit seiner Außenpolitik nicht einverstanden sind, Anderen Platz zu machen. Dabei geht es vor allem um die Ablehnung der von Regierungen der ganzen Welt unterzeichneten UN-Agenda 2030 zur Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Umweltzerstörung. Einige Tage später kündigte er in einer Erklärung Säuberungen an: „Die Exekutive wird eine Überprüfung des Personals im Außenministeriums einleiten, um die Verfechter von Ideen zu identifizieren, die der Freiheit feindlich gesinnt sind“.
Der Schein der Seriosität und des akademischen Tons des Mandate for Leadership kann den darin enthalten Hass kaum verbergen. Die Sprache des Dokuments ist polarisierend, und die „Bürokraten des Verwaltungsstaates“ [red. Anm.: Behörden und generell staatliche Strukturen] werden zum Feind erklärt. Die Liste der Feinde, die alle „korrupt“ seien, umfasst demokratische Politiker:innen, Sozialist:innen, Klimaaktivist:innen und „Transgender-Extremisten“. „Für die – zumeist wohlhabenden – Sozialisten, ist der Sozialismus kein Mittel zur Angleichung der Einkommen oder Lebensbedingungen, sondern zur Anhäufung von Macht“, heißt es da. Die Regenbogenfahne sei ein „Symbol der Polarisierung“, das Einstehen für LGBTIQ-Rechte „Tyrannei“.
Der argentinische Präsident sticht durch die Verwendung aggressiver Sprache hervor. Milei bezeichnet seine Gegner:innen und sogar auch seine Verbündeten im Kongress als „Ratten“, „menschliche Exkremente“ und „Scheiß- Linke“; manchmal auch „Schwachköpfe“ oder „Verräter“. Journalist:innen, die ihre Arbeit machen, bezeichnet er als „korrupt“. Diejenigen, die seine Kürzungspolitik kritisieren oder selbst eine Politik expansiver Ausgaben betrieben, nennt er „finanziell degeneriert“.
Das ist der Modus Operandi der „neuen“ extremen Rechten, von Trump über den brasilianischen Jair Bolsonaro bis zu Spaniens ultrarechter Vox-Partei. „Die Vorstellung, dass Milei das Argentinischste in Argentinien ist, erscheint mir lächerlich“, sagt Ávila-Guillén. „Er ist Teil eines viel größeren Projekts, das in den Vereinigten Staaten entstanden ist und das in verschiedenen Teilen der Welt umgesetzt werden soll“.
Der Lobbyist, der Milei 2023 mit der Heritage Foundation in Verbindung bringen sollte, ist Damián Merlo, geschäftsführender Gesellschafter der Latin America Advisory Group, der in den USA auch für den salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele lobbiiert. Er steht Fernando Cerimedo nahe, einem digitalen Wahlkampfstrategen, der für Bolsonaro tätig war und auch für den argentinischen Präsidenten arbeitet. Gegen Cerimedo ermittelt die brasilianische Justiz wegen seiner mutmaßlichen Rolle bei dem Putschversuch, den Bolsonaro 2022 gegen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva anführte. Als Milei die Präsidentschaft übernahm, warnte er die Bevölkerung, die wirtschaftliche Lage werde sich durch die unausweichlich nötigen harten Anpassungen verschlechtern.
Seit den letzten Tagen des Wahlkampfs in den USA verbreiten sich dort ähnliche Botschaften. Der Wortführer ist Elon Musk, der Milliardär und extremistische Eigentümer von Bloggingdienst X, der fast 100 Millionen Dollar in Trumps Wahlkampf gesteckt hat und der nach Trumps eigenen Angaben dessen „Sekretär für Ausgabensenkungen“ werden wird. Musk kündigte bereits an, diese Kürzungen würden „vorübergehende Entbehrungen“ für die einfachen Leute mit sich bringen, seien aber der notwendige Weg zu „langfristigem Wohlstand“. Wer in den Genuss dieses Wohlstands kommen werde, sagte er nicht. Aber die Rezeptur für Not und Entbehrungen, für das Verweigern von Rechten und für Verfolgung [red. Anm. von Widerstand] werden allen, die es sehen wollen, in Argentinien bereits vorgeführt.
Dieser Artikel von Diana Cariboni wurde zuerst veröffentlicht bei openDemocracy. Mit deren freundlicher Genehmigung hat Ute Löhning ihn ins Deutsche übersetzt.
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