Straflosigkeit bis 98 Prozent

von Cristina Fontenele

(Fortaleza, 10. Dezember 2014, adital).- Die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) der Organisation Amerikanischer Staaten hat Honduras vom 1. bis zum 5. Dezember eines Besuch abgestattet. Ziel der Visite war, die allgemeine Menschenrechtssituation im Land auszuwerten. Ersten Beobachtungen zufolge sind die Gewalt und die Unsicherheit die schwerwiegendsten Probleme im Land; und das bei einem Teufelskreis der Straflosigkeit, die sich bei 95 bis 98 Prozent der Fälle bewegt.

Nach Angaben des Leiters der CIDH, Emilio Álvarez Icaza, sei geplant, „bis zum zweiten Halbjahr 2015 einen Abschlussbericht des Honduras-Besuchs zu veröffentlichen“. Teil dieses Berichts sei das Kapitel IV des jährlichen Kommissionsreports, der als „schwarze Liste“ bekannt ist und in dem Honduras seit sechs Jahren aufgezählt wird. Icaza sprach von Fortschritten in Honduras im Bezug auf die Respektierung der Menschenrechte; dennoch zeigte er sich besorgt über einige offene Fragen, die sich in Honduras verbessern müssten.

Die Zahlen

Harte Kritik mussten die Sicherheitsbehörden einstecken. Die Bekämpfung der Gewalt habe keinerlei Ergebnisse gebracht; dies habe zu Angriffen auf Angehörige bestimmter Aktivitäten und Berufsgruppen geführt. 2013 hatte Honduras nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung UNODC die höchste Mordrate der Welt, mit 79 Getöteten auf 100.000 Enwohner*innen. 2011 lag diese Zahl mit 91,4 Getöteten sogar noch höher.

Gewalttaten gegen MenschenrechtsverteidigerInnen

Gewerkschaftsführer*innen werden kriminalisiert und sind Überwachung und Kontrolle unterworfen. Laut der Menschenrechtsorganisation Cofadeh (Comité de Familiares Desaparecidos en Honduras) sind seit 2010 3.064 Menschen kriminalisiert worden. Weiteres Ergebnis dieser Angriffe waren 22 Morde, zwei Fälle von Verschwindenlassen, 15 Entführungen und 53 Fälle von Sabotage an Fahrzeugen, in denen sich die Führungspersonen bewegten.

Gewalt gegen Journalist*innen und MedienmitarbeiterInnen

Seit Dezember 2013 sind drei Medienvertreter*innen ermordet worden. Die CIDH zeigte sich zudem besorgt darüber, dass sich die Gewalt auch auf Familienangehörige ausweitet. 2014 wurden fünf Angehörige von Journalist*innen ermordet. „Ich überlege, mir einen anderen Beruf zu suchen“, berichtete ein Journalist, der sich gezwungen sah, in einen anderen Landesteil zu ziehen, nachdem er Drohungen wegen der Aufdeckung eines Korruptionsfalles erhalten hatte.

Gewalt gegen indigene Führungspersönlichkeiten

Morde und Todesdrohungen sind für indigene Anführer*innen schon zur Routine geworden – speziell für diejenigen, die gegen die Entwicklung von Megaprojekten protestieren, die ohne vorhergehende Genehmigung auf indigenem Land vorangetrieben werden. Die Kommission hat festgestellt, dass Indigene und Afrohonduraner*innen stärker unter Armut, Unterernährung und ansteckenden Krankheiten leiden als der Rest der Bevölkerung. Dasselbe gilt für die Alphabetisierung Minderjähriger. Die Sterberate indigener Frauen gilt ebenfalls als höher als die von nicht-indigenen Frauen.

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Die Kommission zeigte sich ebenfalls bestürzt, dass von Januar bis Juni dieses Jahres 545 Kinder und Jugendliche umgebracht worden sind. Das zeige, dass der Staat nicht über die geeigneten Mittel und Behörden verfüge, um die Kinder zu schützen.

Gewalt gegen Frauen

Von 2010 bis zum November 2014 sind in dem mittelamerikanischen Land 2.592 Frauen ermordet worden. Wie die Beobachtungsstelle für Gewalt der Autonomen Universität von Honduras mitteilte, gab es von Januar bis November 2014 453 Femizide. In 71 Prozent der Fälle wurden die Frauen mit Schusswaffen umgebracht. Die Daten belegen, dass alle 17 Stunden eine Frau umgebracht wird. Zudem werden Frauen Opfer sexueller Gewalt seitens staatlicher Sicherheitskräfte und Beamter.

Gewalt gegen LGBT-Personen

Von 2009 bis zum 1. Dezember 2014 wurden 147 gewaltsame Tode von Personen der LGBT-Community gezählt; 90 Schwule, 15 Lesben und 69 Transsexuelle. Die Gewalt macht auch vor den Verteidiger*innen der Rechte von LGBT-Personen nicht halt. Die Kommission beobachtete ein ständiges Klima der Feindseligkeit und der Vorurteile gegen diese Gruppe.

Gewalt gegen honduranische MigrantInnen

Auf der Suche nach besseren Lebensschancen sind honduranische Migrant*innen verschiedenen Formen der Gewalt ausgesetzt. Auf der Route in die Vereinigten Staaten sind in den letzten Jahren um die 400 Migrant*innen verschwunden. Noch Besorgnis erregender ist die Situation bei unbegleitet reisenden Kindern und Jugendlichen. Von Oktober 2013 bis September 2014 wurden über 18.000 Kinder und Jugendliche aus Honduras in den USA verhaftet. Das ist die höchste bisher dort registrierte Zahl.

Bajo Aguán

Die Region Bajo Aguán rund um den Fluss Aguán im Department Colón ist ein 200.000 Hektar großes Tal im Norden des Landes. Seit Jahren gibt es dort einen Landkonflikt, unter dem die Region leidet. Die CIDH hat dort eine totale Hoffnungslosigkeit, extreme Armut und den Ausschluss der dortigen Gemeinden beobachtet. Gründe sind fehlende Möglichkeiten und fehlender Zugang zur Rechtssprechung.

Als Antwort auf die Gewalt wurde die honduranische Armee mit der Erweiterung ihrer Machtbefugnisse und Zuständigkeitsbereiche ausgestattet. Der Armee werden Aufgaben übertragen, die nicht in ihren Bereich gehören, wie etwa in Bereichen der Sicherheit der Bevölkerung, der Bewachung der Haftanstalten und der Bildung von Kindern und Jugendlichen. Das Programm „Hüter des Vaterlandes“ („Guardianes de la Patria“) ist für den Staat eine Strategie zur Bekämpfung der Gewalt. Für die CIDH hingegen ist klar, dass die Armee nicht über eine angemessene Ausbildung verfügt, um die Sicherheit der Bevölkerung effizient und unter Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren.

Angesichts der enormen Anzahl von Gewalttaten fordert die Kommission den Staat dazu auf, die Morde und Angriffe in Honduras effektiv zu untersuchen. Dazu sollten ausreichend Mitarbeiter*innen und Material zur Verfügung gestellt werden, um schnelle Ermittlungen und angemessene Bestrafungen zu gewährleisten. Es sei ebenfalls notwendig, eine Straflosigkeit bei systematischen Menschenrechtsverbrechen in Honduras zu vermeiden.

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