PGR behindert Untersuchungen im Falle Ayotzinapa

(Mexiko-Stadt, 12. Mai 2015, cimac).- Die Generalstaatsanwaltschaft PGR (Procuraduría General de la República) hat dem interdisziplinären und unabhängigen Expertenteam GIEI (Grupo Interdisciplinario de Expertos Independientes) untersagt, das militärische Personal des 27. Infanteriebataillons zu befragen. Das GIEI-Team ist mit den Nachforschungen im Falle gewaltsam verschwundenen Studenten in Iguala im mexikanischen Bundesstaat Guerrero betraut.

Nach Abschluss seines dritten Besuches in Mexiko informierte das GIEI, welches auf Bitten der Familien und Studenten von der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) ernannt worden war, in vier Punkten über seine ersten Erkenntnisse der Zwangsverschleppungen von den Studenten der Landschule „Raúl Isidro Burgos“ im Städtchen Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero.

Die Expert*innen gaben bekannt, dass die Familienangehörigen sich am 5. Mai 2015 als Teil der Suche der 43 Lehramtstudenten mit dem Generalkommissar der Bundespolizei Enrique Galindo Ceballos getroffen und mit ihm vereinbart hätten, dass die Suche fortgeführt werde, bis man Gewissheit über das Schicksal der Studenten habe. Sie kamen auch darin überein, dass das entsprechende Training, die Mittel und die gesetzlichen Garantien sichergestellt würden, um die Suche durchzuführen, ebenso wie die Beteiligung und die Information der Familienangehörigen und die Abstimmung über die jeweilige Auswahl der Orte.

Im Bezug auf den Fortschritt der Untersuchungen gab das GIEI jedoch an, dass die Generalstaatsanwaltschaft „zahlreiche Ermittlungen“ noch nicht durchgeführt habe, um Informationen zur Vervollständigung der Unterlagen beizusteuern.

PGR mauert bei Befragung von Soldaten

Die Expert*innen erinnerten daran, dass sie vor eineinhalb Monaten unter anderem bei der Generalstaatsanwaltschaft beantragt hätten, direkt mit dem Personal des 27. Infanteriebataillons sprechen zu können. Dies wurde bisher nicht bewilligt – obwohl diese Einheit wichtige Informationen zu der gerichtlichen Untersuchung beitragen könne.

Ursprünglich hatten die Behörden vorgeschlagen, dass die Generalstaatsanwaltschaft solche Befragungen durchführen solle. Später jedoch nahmen sie davon Abstand und sagten zu, den Expert*innen in den nächsten Tagen eine andere Antwort zu geben.

Die gleiche Antwort erhielt das GIEI auf seine Bitte, Angehörige der Bundes- und der Ministerialpolizei zu befragen, die mutmaßlich während der ersten Phase der Geschehnisse am 26. September 2014 anwesend waren.

Angehörige sollen erneut zu Opfern werden

Weiterhin erklärten die Expert*innen, dass sie während eines Arbeitsgespräches mit den Familien der verschwundenen Studenten vom 3. bis zum 5. Mai 2015 die ‚Herausforderungen‘ analysiert hätten, die für diese das Verstreichen der Zeit, das Fehlen von Antworten, der Druck und die „Manipulationsversuche von Dritten“, bedeuteten. Die Angehörigen der verschwundenen Studenten leiden unter diesen Versuchen Dritter, sie erneut zum Opfer zu machen. Das Innenministerium beeilte sich zu erklären, dass es bereits Anzeige erstattet habe – jedoch ohne Namen und Funktionen zu nennen.

Diesbezüglich legte das GIEI der Kommission zur Opferbetreuung CEAV (Comisión Ejecutiva de Atención a Víctimas) nahe, ein komplettes Verzeichnis der Opfer des Falles anzulegen. Sie riet der Kommission außerdem, aktiv auf die Opfer und die Familienangehörigen zuzugehen und diesen einen Betreuungsvorschlag zu unterbreiten, in dem jeder Angehörige über seine persönlichen Rechte aufgeklärt werde.

Die Expertengruppe informierte darüber, dass man bereits Vorkehrungen getroffen habe, um alle übrigen Familienangehörigen zu betreuen und eine erste medizinische Einschätzung abzugeben, die erlaube, die psychischen Auswirkungen und die speziellen gesundheitlichen Bedürfnisse einzuschätzen.

Untersuchung auf sechs Gerichte verstreut

Dem Bericht der GIEI zufolge bekräftigten die Behörden abermals, dass man die medizinische Versorgung von Edgar Vargas, dessen Oberkiefer durch eine Kugel zerstört wurde, und dessen Angehöriger bis zu seiner völligen Wiederherstellung aufrechterhalten werde. Im Fall von Julio César Mondragón, dessen Körper mit Spuren von Folterungen aufgefunden worden war, verpflichteten sie sich, diesen zu betreuen und auf die Bedürfnisse seiner Familie einzugehen.

Das GIEI zeigte sich außerdem besorgt darüber, dass die Untersuchungen über das Verschwinden der Studenten in 13 verschiedene Verfahren an sechs Gerichten in verschiedenen Städten des Landes gesplittet worden sei.

Die vermeintlich Schuldigen der Zwangsverschleppung befänden sich außerdem in Gefängnissen dreier verschiedener Bundesstaaten, was dazu führen könne, dass man den Gesamtüberblick über die Vorkommnisse verliere, dass das Treffen von Auftraggebern, deren Familien und ihren Rechtsvertreter*innen erschwert werde und dass der Zusammenhang zwischen miteinander verbundenen Ereignissen verloren gehe, so die Expert*innen.

Zwangsverschleppungen, Folter und Mordversuch

Auch gab das GIEI an, dass es sich bei den zu untersuchenden Tatbeständen um Zwangsverschleppungen handele und nicht um Entführung. Außerdem gäbe es weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, die sorgfältig untersucht werden müssten, wie Folter (im Falle von Julio César Mondragón Fontes), versuchter Mord, Verdeckung einer Straftat, Behinderung der Justiz und Machtmissbrauch, unsachgemäße Anwendung von Gewalt, Verletzungen und Bedrohungen der Überlebenden.

Das GIEI stellte zudem fest, dass die Studenten der Pädagogischen Landschule “Raúl Isidro Burgos” in der Nacht des 26. Septembers 2014 erst nach Beendigung der öffentlichen Veranstaltung der Präsidentin des Nationalen Instituts für Familienförderung DIF (Sistema Nacional para el Desarrollo Integral de la Familia) dort ankamen, um Geld zu sammeln und nicht, um die Veranstaltung zu sabotieren.

Das GIEI betonte, sich auf die Analyse und die Nachverfolgung der Vorkommnisse an den mehr als zehn Schauplätzen der Ereignisse des 26. September 2014 konzentriert zu haben, ausgehend von den Informationen, die in den Akten vorhanden seinen und die das Team selbst erhalten habe.

GIEI versucht, Ablauf der Ereignisse nachzuvollziehen

Die Expertengruppe erklärte, dass es die ersten Aktionen gegen die Studenten untersucht habe, ohne dass dies eine Beurteilung der eventuell strafrechtlichen Verantwortung des Ex-Bürgermeisters von Iguala, José Luis Abarca Velázquez, und dessen Ehefrau und Präsidentin des DIF, María de los Ángeles Pineda Villa, darstelle. Beide befinden sich zur Zeit in Haft.

Was den vierten Punkt des Berichtes angeht, der sich mit der generellen Problematik der Zwangsverschleppung befasst, so stufte das GIEI die kürzlich erfolgte Genehmigung der Verfassungsreform durch die Legislative, Gesetze zu den Themen Zwangsverschleppung und Folter zu erlassen, als „zufriedenstellend“ ein.

Das GIEI wird seine Nachforschungen in Mexiko fortführen. In den nächsten Monaten werden weitere Ergebnisse erwartet.

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