(30. August 2023, taz/ND/npla).- Eine ruhige Wohnsiedlung im nordrhein-westfälischen Krefeld-Oppum, Einfamilienhäuser und dreistöckige Backsteinbauten, gegenüber ein Seniorenheim. Etwa fünfzig Personen haben sich hier am 26.8. zu einer Kundgebung versammelt und halten Fotos von verschwundenen chilenischen Oppositionellen. Sie stehen vor dem Haus, in dem seit kurzem Hartmut Hopp (79) lebt, der frühere Leiter des Krankenhauses der Colonia Dignidad und rechte Hand des 2010 verstorbenen Sektenchefs Paul Schäfer. Auf Transparenten fordern sie Aufklärung der Verbrechen jener deutschen Sektensiedlung in Chile, in der ab 1961 ein Regime von sexualisierter Gewalt und Zwangsarbeit herrschte und wo während der chilenischen Diktatur (1973 bis 1990) Hunderte Oppositionelle gefoltert und Dutzende ermordet wurden.
„Seit fast fünfzig Jahren suche ich meinen Vater und meinen Bruder“, sagt Juan Rojas Vásquez, der in der Umgebung der Colonia Dignidad aufgewachsen ist, inzwischen in Stuttgart lebt und auch deutscher Staatsbürger ist. Am 13. Oktober 1973 wurden sein Bruder Gilberto und sein Vater Miguel verschleppt und vermutlich in der Colonia Dignidad ermordet. Ihr Schicksal wurde nie aufgeklärt, sie sind bis heute verschwunden. „Heute stehe ich hier, weil ich nicht sterben möchte, ohne zu wissen, was mit ihnen geschehen ist“, erklärt Rojas Vásquez. Er ist sich sicher, dass Hopp, der als Verbindungsmann der Colonia Dignidad zum chilenischen Geheimdienst DINA galt, weiß, was seinen Angehörigen in der Colonia Dignidad widerfahren ist und wendet sich direkt an ihn: „Ich bitte Sie von Herzen, sagen Sie die Wahrheit. Ich muss wissen, wie und wo meine Angehörigen gestorben sind, damit ich Abschied nehmen kann.“
Aber Hartmut Hopp taucht an diesem Samstag Mittag nicht auf, und er spricht auch nicht gerne über seine Geschichte. In Chile wurde er rechtskräftig zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zu Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch von Minderjährigen verurteilt. Er setzte sich jedoch 2011 nach Deutschland ab, lebt seitdem in Krefeld und entzog sich dadurch seiner Strafe. Deutschland liefert ihn wegen seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht an Chile aus. 2018 lehnte die hiesige Justiz einen chilenischen Antrag ab, nach dem Hopp seine chilenische Haftstrafe in Deutschland absitzen sollte. 2019 stellte die deutsche Justiz schließlich auch eigenständige strafrechtliche Ermittlungen gegen Hopp wegen der Beteiligung am Mord bzw. Verschwindenlassen von Gefangenen, Körperverletzung in Form von zwangsweiser Verabreichung von Psychopharmaka und sexuellem Missbrauch ein.
Faktische Straflosigkeit in Deutschland
Die Berliner Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf hatte Opfer der Colonia Dignidad bei Ermittlungen der deutschen Justiz gegen Hartmut Hopp vertreten. Sie kritisiert, in Deutschland herrsche faktische Straflosigkeit. Mehrere Täter flüchteten sich inzwischen in den „sicheren Hafen Deutschland“ , um der chilenischen Justiz zu entgehen. Hierzulande habe die Justiz nie mit der nötigen Tiefe und Energie ermittelt. Insgesamt habe die deutsche Justiz vor den Verbrechen der Colonia Dignidad versagt und „nicht begriffen, in welcher Dimension diese stattgefunden haben“.
Zumindest ist die Nachbarschaft in Krefeld-Oppum nun durch die als „Funa“ bezeichnete Kundgebung darüber informiert, wer Hartmut Hopp ist. „Solange es keine Gerechtigkeit gibt, gibt es Funa“, ist das Motto dieser in Chile geläufigen Protestform, mit der die Geschichte von straflos lebenden Tätern in ihrem Umfeld bekannt gemacht wird. „Dabei zieht man in Scharen und lautstark vor die Häuser der Täter und macht darauf aufmerksam, dass hier jemand lebt, der straffrei Verbrechen gegen die Menschheit zu verantworten hat“, erklärt die Menschenrechtsreferentin bei der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum, Bianca Schmolze. Ihre Initiative ist Teil des Bochumer „Bündnis Solidarität und Erinnerung“, das sich rund um den 50. Jahrestag des Putsches in Chile gegründet und auch die Kundgebung in Krefeld organisiert hat.
Bei der Kundgebung, die kurz vor dem Internationalen Tag der Opfer des Verschwindenlassens (30.8.) stattfindet, werden auch Flugblätter an Nachbar*innen verteilt, der eine oder die andere hört zu oder beobachtet das Geschehen aus dem Fenster. Von der Colonia Dignidad hätten sie natürlich schon viel gehört, sagen interessierte Anwohner*innen, die nicht namentlich genannt werden wollen, „aber es ist ja was anderes, wenn das hier so direkt vor der Tür ist“.
Verschwindenlassen trifft vor allem die Angehörigen
Für Bianca Schmolze geht es darum, auf vielfältige Weise deutlich zu machen, dass die Überlebenden nicht alleine da stehen und für sie eine „Anerkennung des Erlittenen zu erreichen“. Sie fordert auch, eine chilenisch-deutsche Wahrheitskommission zu einzusetzen, um zur Aufklärung der Verbrechen und Heilung der Betroffenen beizutragen. Denn das Verschwindenlassen von Personen trifft vor allem auch deren Angehörige. „Solange nicht klar ist, was das Schicksal der geliebten verschwundenen Person ist, dauert das Verbrechen an, es ist nicht abgeschlossen, und die Suche nach den Verschwundenen geht weiter. Die Angehörigen werden diesen Kampf auch weiterführen, bis sie endlich erfahren, was mit ihren Geliebten passiert ist“, so Schmolze.
Die politische Aufarbeitung geht derweil nur sehr langsam voran. Die Regierungen Deutschlands und Chiles haben angesichts ihrer beidseitigen Verantwortung für das in der deutschen Sektensiedlung Geschehene zwar mehrfach erklärt, auf dem Gelände der Ex Colonia Dignidad, der heutigen Villa Baviera, eine Gedenk- und Dokumentationsstätte errichten zu wollen, zuletzt im April 2023 im Rahmen der XI. Sitzung ihrer bilateralen Gemischten Kommission zur Aufarbeitung in Berlin. Der deutsche Bundestag hatte dies bereits 2017 mit einem einstimmigen Beschluss zu Maßnahmen zur Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad gefordert. Ein von deutschen und chilenischen Expert*innen ausgearbeiteter Entwurf für eine Gedenk- und Bildungsstätte liegt seit 2021 bereits vor. Doch seit Jahren stockt dieser Prozess, und die deutsche Siedlung ist vor allem als touristisches Ausflugsziel mit einem Hotel-Restaurant-Betrieb im bayerischen Stil bekannt, was für die Angehörigen der Verschwundenen sehr verletzend ist.
Gedenkstätte fehlt in Ex Colonia Dignidad noch immer
„Das wichtigste ist jetzt, dass die chilenische Regierung die juristische Stiftung gründet, deren Aufgabe die Schaffung der Gedenkstätte ist“, sagt Renate Künast, Bundestagsabgeordnete der Grünen, und dahin, so fordert sie, müsse dann auch Geld aus Deutschland fließen.
Der Leiter der Abteilung für Menschenrechte im chilenischen Außenministerium, Tomás Pascual, erklärt, Chile sei noch dabei, die beste Form für zu dessen Umsetzung zu finden. Geplant ist nach wie vor außerdem, so Pascual, Gedenktafeln an historischen Orten auf dem Gelände der Ex Colonia Dignidad anzubringen. Ein standardisierter Entwurf dafür liege vor, und das chilenische Kulturministerium habe Gelder für die Anfertigung und das Anbringen dieser Tafeln eingeplant. Da es sich bei der Villa Baviera aber um Privatgelände handelt, sei eine ausdrückliche Genehmigung der Eigentümer nötig, um diese Tafeln anzubringen. Die habe die chilenische Regierung zwar bei der Leitung der inzwischen als Firmenholding strukturierten Villa Baviera beantragt, aber noch nicht erhalten. Die – ursprünglich für diesen September geplante – nächste Sitzung der bilateralen Regierungskommission werde wahrscheinlich im November stattfinden, so Pascual.
Für den deutschen Bundestag hatte sich Künast eine Debatte zum 50. Jahrestag des Militärputsches in Chile gewünscht, denn die „wäre schon deshalb angemessen, weil die von Deutschen in Chile gegründete Colonia Dignidad die darauf folgende Militärdiktatur mitgeprägt und unterstützt hat“, sagt die Abgeordnete der Grünen. „Leider hat es dazu in der Koalition keine Unterstützung gegeben“, so Künast.
Wenn die deutsche und die chilenische Regierung in diesem Tempo weitermachen, stehen die Chancen schlecht, dass sie es in ihrer jeweiligen Regierungszeit schaffen, die Errichtung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte festzumachen. Den Angehörigen der Opfer, die immer älter werden und immer noch keinen Ort zum Trauern haben und keine Ruhe finden, wären sie es schuldig.
Hier kannst du diesen Text auch auf Spanisch lesen.
Kundgebung in Krefeld bei Hartmut Hopp von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Unfassbar ! – der täterschutz!
Krefeld Opium ein schöner Platz zum Älterwerden .
Für Hopp???
Unfassbar…..
Wahrscheinlich sind zu viele „wichtige“ Persönlichkeiten in diesen Dreck verwickelt.
Es ist nur die Spitze des Eisberges
Das ist nichts Neues
Dank an die Journalisten, die sich unter Lebensgefahr
mit diesen Themen beschäftigen
meine Hochachtung
Leider bin ich kein Journalist …..