Träger für Gedenkstätte soll gegründet werden

(25. April 2023, taz/npla) Chile bereitet die Gründung einer gemeinnützigen privaten Körperschaft vor, die die nötigen Maßnahmen für die Errichtung einer Gedenkstätte und eines Dokumentationszentrums in der Ex Colonia Dignidad vorbereiten soll. Leitlinien dazu haben Vertreter:innen der chilenischen Regierung am 18. April in Berlin im Rahmen der 11. Sitzung der „Chilenisch-Deutschen Gemischte Kommission zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad und Integration der Opfer in die Gesellschaft“ zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad vorgestellt.

Wie aus einer gemeinsamen Erklärung der beiden Regierungen hervorgeht, soll diese Einrichtung alle Opfergruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft einbeziehen und auch Vorschläge für die Situation der aktuell auf dem Gelände lebenden Personen entwickeln. Die deutsche Seite befürwortet diese Pläne, die die Errichtung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte beschleunigen sollen und wird Möglichkeiten der finanziellen Beteiligung prüfen, heißt es in der Erklärung.

Der Leiter der Abteilung für Menschenrechte im chilenischen Außenministerium, Tomás Pascual, sagte nach dem Kommissionstreffen: „Wir werden zügig klären, welche Organisationsform am besten in der Lage ist, die komplexen Aufgaben zu lösen und dann Möglichkeiten einer Beteiligung von der deutschen Seite klären“.
Die zu schaffende Einrichtung könne dabei auf ein Konzept für eine Gedenk-, Dokumentations- und Bildungsstätte aufbauen, das deutsche und chilenische Expert:innen 2021 bereits im Auftrag der „Gemischten Kommission“ erstellt haben, so Pascual.

„Eine Gedenk- und Bildungsstätte in der Ex Colonia Dignidad soll drei Funktionen erfüllen“, sagt
Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, er ist einer der Autor:innen des Gedenkstättenkonzepts. „Erstens eine kommemorative Funktion, das heißt, es soll an die verschiedenen Opfergruppen erinnert werden. Zweitens eine dokumentierende Funktion, das heißt dass die Beweismittel der dort begangenen Verbrechen in Ausstellungen dokumentiert, erhalten und erklärt werden müssen.“
Als dritte Komponente, die Bildungsfunktion, ist ein Konzept von dezentralen Ausstellungen vorgesehen, „in denen an die unterschiedlichen Opfergruppen an jeweils relevanten historischen Orten erinnert wird“, so Wagner. Dazu gehören neben Opfern von Folter, Mord und Verschwindenlassen auf dem Gelände während der Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) auch Chilen:innen aus der Umgebung und deutsche Bewohner:innen der Siedlung, die Zwangsarbeit und sexualisierter Gewalt unterworfen waren.

Bei der Umsetzung des Konzepts sind jedoch komplexe Fragen zu lösen. Denn derzeit floriert auf dem Gelände der Siedlung, die sich inzwischen Villa Baviera nennt, allerdings ein Tourismusbetrieb im bayerischen Stil. Besucher:innen kommen trinken Bier und essen Eisbein mit Sauerkraut, sie kommen zu Spaziergängen an der frischen Luft und zu Touren im Unimog über das Gelände. Diese Art von Vergnügungstourismus könnte es mit einer Gedenkstätte nicht weitergeben. Dem vorliegenden Konzept zufolge könnten die rund 120 Personen, die heute noch in der 1961 gegründeten Siedlung am Fuß der Anden leben, in bestimmten Bereichen des Gelände allerdings weiterhin wohnen und arbeiten können, erklärt die Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen, Elke Gryglewski, auch sie ist eine der Expert:innen, die das Konzept für eine Gedenkstätte geschrieben haben. Die Ergebnisse der Sitzung der „Gemischten Kommission“ bewertet sie positiv: „Sie zeigen ein durchdachtes strategisches Vorgehen, bei dem konkrete Maßnahmen geplant werden“.

Auch die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) hält die Gründung einer Stiftung oder eines Trägervereins für eine Schlüsselfrage. An ihr hänge die Möglichkeit der Finanzierung aus deutschen und chilenischen Regierungsgeldern. Vor allem die Klärung der Eigentumsverhältnisse des Geländes und der Gebäude, die unter Denkmalsschutz gestellt wurden, und Teil der Gedenkstätte werden sollen, sei entscheidend. „Es gibt verschiedene Rechtswege. Man könnte eine Enteignung machen“, das aber sei kompliziert und langwierig, betont Künast. „Aber man kann auch versuchen, eine einvernehmliche Lösung zu finden“. Für die heutigen Bewohner:innen müsse geklärt werden, wo sie auf Dauer angemessenen Wohnraum finden. Außerdem untersucht die chilenische Justiz das Gelände weiterhin auf Spuren von Verschwundenen, auch das müsse natürlich bei Umbauten berücksichtigt werden.

Dass der Gedenkstättenprozess voran geht, begrüßt auch Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika. „Angesichts der gemeinsamen Verantwortung Deutschlands und Chiles für die Verbrechen der Colonia Dignidad sollten an der Umsetzung der Gedenkstättenkonzeption und ihrer Trägerschaft jedoch auch beide Regierungen zu gleichen Teilen mitwirken“, erklärt er, denn die Gesamtverantwortung dafür dürfe nicht nach Chile geschoben werden.

Weiterhin plant die „Gemischte Kommission“, zwölf Gedenktafeln an historisch relevanten Orten in der Villa Baviera anzubringen, wie sich die Siedlung inzwischen nennt. Die chilenische Seite bereitet die Einweihung im Kontext von offiziellen Veranstaltungen rund um den 50. Jahrestag des Putsches in Chile vor.

Laut der gemeinsamen Erklärung will die „Gemischte Kommission“ auch bei der sozialen Unterstützung der Opfer der Colonia Dignidad vorankommen, die in der deutschen Sektensiedlung aufgewachsen sind. Im Rahmen eines Hilfskonzepts der Bundesregierung für Opfer der Colonia Dignidad ist ein Fonds „Pflege und Alter“ beschlossen, aber noch nicht umgesetzt. Mit diesem Fonds sollen vor allem frühere Bewohner:innen der Siedlung unterstützt werden, die heute außerhalb der Villa Baviera an anderen Orten Chiles leben und kaum Unterstützung erhalten. Renate Künast (Grüne) erklärt, „diesen Fonds müssen wir in der laufenden Legislaturperiode schaffen“. Sie ist als Mitglied einer „Gemeinsamen Kommission“ von Abgeordneten und Bundesregierung direkt an der Ausarbeitung beteiligt.

Die „Gemischte Kommission“ will laut ihrer Erklärung auch die wirtschaftliche und juristische Struktur der Villa Baviera untersuchen. Seit Ende der 1980er Jahre ist die Siedlung als intransparente Firmenholding eng verflochtener Aktiengesellschaften konstituiert. Wenige Personen besetzen entscheidende Posten in den Leitungsgremien der Firmen. Eine Untersuchung soll diese Struktur transparenter machen und eine mögliche Umstrukturierung erleichtern, mit dem Ziel, gleichberechtigte Teilhabe aller Bewohner:innen zu fördern.
Eine als Sozial-AG bezeichnete Gruppe von heutigen und früheren Bewohner:innen kritisiert die ungleiche Verteilung von Macht, Aktien und Vermögen in der Villa Baviera und hat bei der bilateralen Regierungskommission professionelle Unterstützung für eine Umstrukturierung der Firmenholding beantragt.

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