Von Jessica Zeller
(Berlin, 02. Juni 2016, npl).- „Eternauta“, Argentiniens bekanntester Comic von Héctor Germán Oesterheld, ist erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Der Klassiker aus dem Jahr 1957 handelt vom gemeinsamen Kampf von Juan Salvo und seinen Freunden gegen eine außerirdische Invasion, die alles Leben in Buenos Aires vernichtet. Eine Ausstellung in Berlin zieht jetzt Parallelen zwischen der fiktiven Geschichte und dem tragischen Schicksal ihres Schöpfers während der letzten Militärdiktatur.
Wo ist Oesterheld?
„¿Donde está Oesterheld?“ – Wo ist Osterheld? – steht in großen Buchstaben über dem Eingang des Literarischen Colloquiums Berlin, einer geradezu herrschaftlichen Villa am Berliner Wannsee. Héctor Gérman Oesterheld, der bekannteste Comiczeichner Argentiniens, zählt zu den Opfern der letzten Militärdiktatur in dem südamerikanischen Land. Niemand kennt die genauen Umstände seiner Ermordung, die wohl im Jahr 1978 in einem der vielen geheimen Folterlager im Land stattgefunden hat. Sein Körper wurde bis heute nicht gefunden. Er ist „verschwunden“.
Bilder so lebendiger Mädchen
„2009 habe ich zu deutschen Verschwundenen in Argentinien recherchiert. Oesterheld hatte auch deutsche Vorfahren. In diesem Zusammenhang habe ich Fotos von ihm und seinen vier Töchtern gesehen. Die Bilder dieser so lebendigen Mädchen haben mich von da an nicht mehr losgelassen“, erzählt die Journalistin Anna Kemper.
Im Jahr 2014 fährt sie erneut nach Buenos Aires und schreibt eine längere Geschichte über das Schicksal der Familie Oesterheld, die Anfang vergangenen Jahres im ZEIT-Magazin erscheint. „Die Familie war eine sehr offene Familie, sehr intellektuell, es wurde sehr viel über Politik diskutiert. So sind diese Mädchen aufgewachsen. Sie gehörten ja der Generation der 68er an und haben sich anstecken lassen von der Kubanischen Revolution, dem Mai in Paris. Ich habe mit vielen Freunden von ihnen gesprochen, die mir gesagt haben: Damals schien einfach eine andere Welt möglich, es lag so was Revolutionäres in der Luft.“
Von der großen Familie überlebt nur die Mutter
Kurz bevor sich im März 1976 die Militärs in Argentinien an die Macht putschen, gehen die vier Oesterheld-Schwestern in den Untergrund. Wenig später folgt ihnen ihr Vater, der Comiczeichner Hector Oesterheld nach. Gemeinsam kämpfen sie gegen die Militärdiktatur – einen übermächtigen Gegner. Hector Oesterheld und seine vier Töchter Marina, Diana, Estela und Beatríz werden einer nach dem anderen verschleppt und ermordet.
Aus der einst großen Familie überleben nur die Mutter Elsa Oesterheld sowie die zwei Enkel Fernando und Martín. Sie wird eine wichtige Aktivistin der „Abuelas“, der Großmütter der Plaza de Mayo und kämpft für Wahrheit, Erinnerung und Gerechtigkeit.
Eternauta und der geheimnisvolle Schnee
In ihrem Artikel verbindet die Journalistin Anna Kemper die Biografie des Comiczeichners Héctor Oesterheld und seiner Familie mit seinem bekanntesten Werk: „Eternauta“, einer Wortschöpfung, die im Deutschen etwa mit „der ewig Reisende“ übersetzt werden kann. In dem Comic, gezeichnet von Francisco Solano López und erschienen als Fortsetzungsgeschichte zwischen 1957 und 1959, kämpfen der Protagonist Juan Salvo und seine Freunde gemeinsam gegen eine außerirdische Invasion, die mit einem geheimnisvollen Schnee die Erde vergiftet und fast alle Bewohner*innen von Buenos Aires tötet. Dazu sollte man vielleicht noch wissen, dass es in der argentinischen Hauptstadt vielleicht alle hundert Jahre einmal schneit. Die kleine Gruppe Überlebender erkennt die Gefahr rechtzeitig. Die Freunde stellen luftdichte Anzüge her und beschließen gegen SIE, die anonyme Übermacht, zu kämpfen.
Eine Geschichte von geradezu prophetischer Dimension – liest sich der Comic doch wie eine Ahnung des Autors in Bezug auf sein späteres Schicksal. Das findet auch die argentinische Soziologin Estela Schindel: „Man kann viel hinein interpretieren in diese Invasion, die als eine Art magischer, rätselhafter Schnee anfängt. Viele haben darin eine unsichtbare Repressionsmethode gesehen – wie auch das gewaltsame Verschwindenlassen, das sich später in der Diktatur entwickeln sollte.“
Comic-Ausstellung und Übersetzung ins Deutsche
Der Text von Anna Kemper über die Familie Oesterheld gab Anstoß für das Literaturhaus Stuttgart, bei ihr eine Eternauta-Ausstellung in Auftrag zu geben, die zuerst in der baden-württembergischen Hauptstadt, und seit dem 10. Mai für zwei Monate in Berlin zu sehen ist.
In diesem Zusammenhang wurde in Kooperation mit dem Berliner Avant-Verlag der gesamte Eternauta erstmals ins Deutsche übersetzt und als überaus gelungener Bildband mit mehreren Begleittexten veröffentlicht. Verlagsleiter Johann Ulrich kennt den Comic bereits aus Jugendzeiten: „Eternauta ist ein Klassiker für mich. In den Achtzigern zum Beispiel, wenn ich in Italien oder Spanien im Urlaub war, gab es in beiden Ländern Magazine, die sich „Eternauta“ nannten. Den Comic dahinter kannte ich bis dato noch gar nicht. Er hat schon eine große Strahlkraft als Werk, und das bezieht sich, glaube ich, vor allem daraus, dass sich diese Science Fiction-Handlung an ganz authentischen Orten vollzieht, nämlich im Buenos Aires der Fünfziger Jahre.“
Der Eternauta ist sehr lang – fast 400 Seiten – und für einen Comic ausgesprochen textlastig. Die Übersetzerin Claudia Wente hat ganze Arbeit geleistet. Für die deutsche Ausgabe wurden die Originalzeichnungen neu eingescannt. Lopez’ sehr realitätsnahe schwarz-weiß-Zeichnungen sind an Schärfe und Kontrast kaum zu überbieten und besitzen eine weit bessere Qualität als frühere Editionen. Auch wer nie in Buenos Aires war, bekommt eine Vorstellung von den Straßen und charakteristischen Orten, an denen die Geschichte spielt, von den Menschen und ihrer Kultur.
Rezeption in Argentinien und Deutschland
„Eternauta“, wohl eines der bekanntesten argentinischen Bücher überhaupt, wird bis heute in seinem Entstehungsland vielfältig aufgegriffen – als Symbol für Solidarität, Menschlichkeit und den gemeinsamen Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner. Die Soziologin Estela Schindel sieht jedoch auch für das deutsche Publikum gute Anknüpfungsmöglichkeiten – gerade mit Blick auf den Ort der Ausstellung: „Sie findet hier in dieser Villa statt. Und da musste ich daran denken, dass eine von den wirklich sehr gelungenen Sachen in Eternauta ist, wie er zeigt, dass auch eine anscheinend harmlose Stadt, so ein Vorort von Buenos Aires, Schauplatz für den Horror sein kann. Und wenn ich daran denke, dass ganz in der Nähe von hier, auch in so einer tollen Villa, nämlich im Haus der Wannsee-Konferenz, die Entscheidung für die Ermordung von Millionen von Menschen aus rassistischen Gründen getroffen wurde, dann denke ich, dass es schon einiges gibt, das auch in Deutschland rezipiert werden kann.“
Dieser Artikel ist Teil unseres diesjährigen Themenschwerpunkts „Fokus Menschenrechte“. Einen Audiobeitrag von Radio onda dazu könnt ihr hier anhören.
Héctor Germán Oesterheld: Der Mythos „Eternauta“. Comic-Ausstellung. Mai bis 10. Juli 2016 im Literarischen Colloquium Berlin, www.lcb.de.
Zu sehen vor und nach den Abendveranstaltungen bzw. nach telefonischer Voranmeldung (030-8169960).
Oesterheld/López: Eternauta, avant-verlag 2016, 392 Seiten, 39,95€
Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch: Claudia Wente.
Eternauta: Ein Comic für Solidarität und Menschlichkeit von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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