María Consuelo Tapias und das Sprachrohr der ELN: Radio Insurgente

ELN Radio Friedensprozess
ELN Guerilla Poster, Foto: Julián Ortega Martínez via flickr, CC BY-SA 2.0 DEED.

(18. Februar 2024, Lanzas y Letras).- María Consuelo Tapias ist eine Frau aus Bajo Cauca mit einer festen Stimme und einem aufrichtigen und direkten Charakter. Bald werden es 30 Jahre sein, dass sie in der kolumbianischen Guerilla Ejército De Liberación Nacional (ELN) tätig ist. Ihre Aufgaben sind unter anderem die Koordination der Sprachrohre der Guerilla, die Kommunikation mit der Gemeinschaft und die der politischen Bildung. Lanzas Y Letras hat mit ihr gesprochen, über die Teilhabe der alternativen und populären Medien an den Gesprächen des Friedensprozesses.

In Ordnung, wir würden gerne mit der Frage beginnen, wer María Consuelo Tapias ist und wie sie zur ELN gekommen ist.

Ja, ich bin María Consuelo Tapias, ich bin Delegierte der ELN und sitze auch mit der kolumbianischen Regierung mit am Tisch. Ich bin schon ganz jung zur ELN gekommen. In meiner Studienzeit war ich Teil einer Theaterbewegung und da sind wir manchmal mit der ELN in Berührung gekommen. Und so haben wir begonnen, zusammenzuarbeiten, immer in dieser Studentenbewegung und im Bereich der Kultur. Dann begann die Verfolgung auf uns und viele meiner Freunde sind verschwunden. Das brachte uns dazu, uns der bewaffneten Gruppe anzuschließen. Um unser Überleben zu sichern.

So kam ich in die Guerilla. Wir waren eine ganze Gruppe, die aus dieser Studien- und Kulturwelt kamen. Dieses Wissen haben wir uns dann in der politischen Organisation zunutze gemacht, wie ich glaube, mit Erfolg. Dank diesem Hintergrund, mit dieser kulturellen und organisatorischen Vorgeschichte, hat die ELN dann auch mit aufständischen Radios begonnen. Viele von uns haben sich diesen Projekten angeschlossen, haben für die Guerilla-Radios gearbeitet, sie vorangetrieben, sie stärker gemacht.

Hast du dich seitdem ausschließlich dem Radio Insurgente gewidmet?

In der Guerilla widmet man sich nicht ausschließlich einer Aktivität. Was wir aber gemacht haben, war, andere organisatorische Aufgaben mit dem Radio zu verbinden, das war eine ganz eigene Erfahrung. Wir haben das Radio als Werkzeug genutzt, um Leute zusammenzutrommeln, um uns zu organisieren, und um die Gemeinschaften um uns zu organisieren.

Wann sind diese aufständischen Radios, von denen du sprichst, denn genau entstanden?

Sie sind im Jahr 1998 geboren. Zuerst nutzten wir AM-Sender (Amplitudenmodulation). Diese Sender waren sehr konzentriert, sodass wir dann zu einem Netz von FM-Sendern (Frequenzmodulation) übergingen, viel kleiner und handlicher. Mit diesem Equipment waren wir mobil und konnten uns und sie bewegen, und so haben wir lange Zeit gearbeitet. Diese Sender sind dann jedoch entdeckt und zerstört worden, sodass wir uns von den mobilen Sendern verabschiedet haben. Dadurch sind wir in die Onlinewelt gekommen.

Auch wenn die Antwort selbstverständlich scheint, wir würden gern wissen, welchen Zweck die ELN mit den Radios verfolgt. Und ob es noch weitere Medien wie Magazine oder Zeitungen gibt.

Natürlich, es gibt sogar Magazine und Zeitungen, die älter als das Radio selbst sind. Die ELN hat Erfahrungen in der Welt der Printmedien, die bis in die Siebziger zurückreichen. Zunächst gab es die nationale Zeitung Anorí (der Name einer Gemeinde). Danach kam Insurrección (Aufstand), das ist das Magazin, das wir bis heute herausgeben. Nebenbei führen aber auch die Guerilla-Fronten oder die regionalen Bündnisse eigene Zeitungen oder Magazine. Da gibt es mehrere, eigentlich hat jede Struktur ihr eigenes Printmedium.

In Ordnung, und wenn wir auf die Publikationen und Onlinesender blicken, was ist der Sinn dieser Art der Kommunikation aus der Perspektive der ELN?

Naja, der Sinn ist, die politischen Vorschläge der ELN zu verbreiten, die Gemeinschaft zu organisieren und Beschwerden zu veröffentlichen. Der gesamte informative Teil und die Beschwerden handeln vom Konflikt und von ganz Kolumbien. Die Regionalsender und -zeitungen versuchen auch, konkret über Lokalpolitik und das Militär vor Ort zu informieren. Auch wenn es zu Militäroperationen kommt, informieren wir darüber. Wir geben Bescheid, was vor sich geht und sagen zum Beispiel: “Die Militäreinheiten oder das Heer bewegen sich dort” oder “es wird dieses oder jenes gemacht”. So kann sich jeder über den politischen Kontext auf dem Laufenden halten und die Konfliktlage verstehen.

Mit den Sendern informieren Sie also über das Konfliktgeschehen und die Lage vor Ort. Man könnte also auch denken, dass es sich dabei um eine Kriegstaktik handelt: ein Versuch der Abschreckung des Feindes.

Nein, wir geben jegliche Information nach außen. Die Arbeit ist auch eine Chronik dessen, was passiert. Wir informieren auch darüber, ob der Feind – insbesondere offizielle Kräfte – Operationen unter falscher Flagge, perfide Operationen, entwickelt, oder sich als Guerilla oder Paramilitärs tarnt, um der Zivilbevölkerung zu schaden. Die Berichterstattung über den genauen Verbleib der Truppen, also wo lang sie marschieren, wann sie ankommen, wohin sie gehen, das hat also auch etwas mit dem Schutz der Gesellschaft zu tun. 

Sehr gut. Als die ELN entschieden hat, die Zivilgesellschaft am Friedensprozess zwischen der ELN und der kolumbianischen Regierung teilhaben zu lassen, haben sie vor allem die Medien eingeladen. Wieso wurde dieser Sektor so priorisiert? Was war der Grund dahinter, in diesem Bereich der politischen Teilhabe die Medienpräsenz zu verstärken?

Dafür gibt es einen logischen Grund. Allem voran: Dieser Dialog- und Verhandlungsprozess findet in der großen Berichterstattun nicht genug Platz. Außerdem gibt es nicht genügend Informationen darüber, was der Grund für die Teilhabe der Gesellschaft an diesem Prozess ist. Dass populäre wie alternative Medien zum Start des Dialogs hinzugezogen wurden, diente dazu, die Information über den Dialog zu verbreiten. Wir wollen die Informationen über diesen Friedensprozess demokratisieren, aber auch bewirken, dass in den Medien selbst ein Demokratisierungsprozess entsteht. Das ist einer der Hauptgründe. Die ELN will bewirken, dass populäre wie alternative Medien zur Wahrheit beitragen.

Somit werden die Berichte über die Verhandlungen in jeden Winkel Kolumbiens getragen. Dadurch wissen alle Bescheid über das, was die Beteiligten denken, was vonstatten geht an diesem runden Tisch. Wir laden alle Medien dazu ein, eine Kommunikationsbrücke zu sein, den Friedensprozess zu verbreiten und die Versöhnung der Gesellschaft zu begleiten.

Okay, aber wenn wir die andere Seite der Medaille betrachten, also die großen Medienkonzerne, dann sehen wir Sabotage des Verhandlungsprozesses. Das hat man ja seit Tag Eins am Verhandlungstisch gesehen. Sogar seit Tag Null, weil die korporativen Medien ja schon vor dem Waffenstillstand Nachrichten verbreiteten, die später von der UN-Verifizierungsmission widerlegt wurden.

Ja, das wurde dementiert. Darüber haben wir auch mit mehreren ELN-Mitteilungen berichtet. Wir mussten viele Dinge klarstellen, die die Massenmedien behaupteten.

Mal abgesehen von den Mitteilungen, gibt es denn eine Strategie gegen diese Art der Sabotage, sei es seitens des Verhandlungstisches oder seitens der ELN? Außerdem, was denkst du, wer hat Interesse an einer Sabotage des Friedensprozesses?

Die Massenmedien und großen Medienkonzerne haben Besitzer, die viel Macht haben. Sie haben politisches Interesse und eine gewisse Intention. Zunächst sind es Wirtschaftsverbände, die gegen die aktuelle Regierung sind, daher attackieren sie auch die Vorhaben der Regierung. In diesem Sinne steht dieser Friedensdialog vielfach unter Beschuss. In mehreren Interviews und Mitteilungen hat der Kommandant Pablo Beltrán [Verhandlungsführer der ELN im Friedensprozess von 2016 bis Abbruch in 2019] gesagt, dass der Dialogtisch und die Waffenruhe an sich schon unter Beschuss stehen. Diese politischen Angriffe sind es, die uns dazu zwingen, weiter zu kämpfen. Sie suchen immer weiter nach angeblichen Brüchen des Waffenstillstandes. Gleichzeitig gibt es aber diese Serien politischer Attacken, mit Absicht. Dessen Ziel ist es, dass die kolumbianische Gesellschaft sich gegen diesen Friedensprozess an sich stellt. Dass die Regierung den Dialog mit der ELN beendet und nicht in den Gesprächen weiterkommt.

Wir sind gerade erst dabei, den ersten Punkt auf der Agenda abzuhandeln, die Teilhabe. Um dort weiterzukommen, haben sich die ELN und die Regierung auf einen beidseitigen Waffenstillstand verständigt. Das garantiert, dass die Gesellschaft am runden Tisch teilnehmen kann. Die Reaktion darauf: Systematische Angriffe auf die Bevölkerung in den Regionen, alles, um zu verhindern, dass die Gesellschaft Garantien erhält, am Friedensprozess teilnehmen zu können. Es ist klar, woher diese Attacken stammen. Es gibt eine Strömung, ein politisches, historisches und hegemonisches System, das vom Krieg mehr profitiert als vom Frieden, und das merken wir gerade. Mit allen Mitteln wird versucht, die Politik des vollumfänglichen Friedens von Präsident Gustavo Petro zu schwächen. Die Leute fangen schon an zu denken, ein Leben in permanentem Krieg sei besser als Frieden und Ruhe für das Land.

Manche Stimmen fordern aber auch, dass die Medienkonzerne selbst auch teilhaben sollen am Friedensprozess. Wie steht die ELN dazu?

Der runde Tisch hat den Dialog mit der Gesellschaft begonnen, aber es werden 30 nationale und sektorale Treffen abgehalten, und dieses Treffen über alternative und populäre Medien ist nur das erste. Das Ziel ist, uns auch mit den Massenmedien an einen Tisch zu setzen. Mit ihnen steht noch ein Dialog an, ein weiteres Gespräch im Rahmen dieses Friedensprozesses. Über was werden wir sprechen? Naja: Worin die Kommunikation des Friedens besteht und wie bisher die Kommunikation des Krieges gewesen ist. Bislang ist jegliche Berichterstattung der hegemonischen Medien darauf ausgelegt, den Krieg weiterzuführen, nicht aber den Frieden zu propagieren. Das ist also der Diskurs mit den großen Medienhäusern.

Es ist paradox, dass manche Besitzer der Medienkonzerne auf mehreren Hochzeiten tanzen. Die Familie Gilinski zum Beispiel, denen mehrere Medien gehören. Auf der einen Seite sabotieren und zerstören sie den Prozess, auf der anderen Seite versuchen sie, einen Konsens mit der Regierung zu finden, aus einer versöhnenden Perspektive heraus. Wie stellt ihr euch einen Dialog mit solchen Mediengesellschaften vor?

Dieser gesamte Dialog mit der Gesellschaft und jegliche Teilhabe hat ja zum Ziel, Punkte der Einigung zu finden, an denen wir weiterarbeiten können bis hin zu konkreten Abkommen. In diesem Fall sprechen wir von Übereinkommen mit den Medien und den Verbänden. Wir werden einen Dialog führen, um solche Punkte zu finden, über die wir uns dann einigen können. Das werden keine großen Sachen sein, aber auch Kleinigkeiten werden den Weg für weitere Chancen eröffnen. Darunter wiederum werden dann allgemeinere Vorschläge sein, die der ganzen Gesellschaft zugutekommen und die Kolumbien zu einem Land in Frieden machen werden. Trotzdem werden wir die strukturelle Schuld nicht vergessen, die mit der Transformationsagenda zu tun hat. Und es ist auch richtig, dass wir Vereinbarungen mit denjenigen treffen müssen, die das Land in der Vergangenheit regiert haben.

Zum Abschluss noch eine Frage, Frau Consuelo Tapias: Wie lautet die Einladung für populäre und alternative Medien, was ist der Weg?

Wir hoffen, dass populäre Medien einen Weg der Demokratisierung der Kommunikation und der Medien einschlagen. Wir hoffen, dass hier eine Kommunikation mit Friedensbotschaften Gestalt annehmen kann, um eine gemeinsame Friedensmission aufzubauen, um für eine Kultur des Friedens zu arbeiten, die es uns auch ermöglicht, den Konflikt in der kollektiven Vorstellung der kolumbianischen Gesellschaft zu überwinden.

Übersetzung: Patricia Haensel

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