Mit Kunst gegen die Teruqueo-Politik

(Lima, 26. September 2023, npla).- Seit Dezember 2022 sind in Peru bei Protesten gegen die Machtübernahme von Dina Boluarte mehr als 70 Menschen getötet und Hunderte durch Polizeigewalt verletzt worden. Neben den Forderungen der Zivilgesellschaft kritisieren auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und Human Rights Watch die Kriminalisierung von Demonstrationen und die Verletzung der bürgerlichen und politischen Rechte im Land. Die Regierung ignoriert diese Stimmen und trifft politische Entscheidungen, die zu mehr Gewalt und Konfrontation führen und weit entfernt von Dialog und Prävention sind. Neben der direkten Gewalt, der die Bevölkerung bei Demonstrationen ausgesetzt ist, wird in Peru eine Form der strukturellen Unterdrückung durch die Stigmatisierung von Kollektiven, Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen sowie soziokulturellen Projekten und Initiativen praktiziert. Diese als „Terruqueo“ bekannte Praxis beruht auf der Kriminalisierung und Delegitimierung von Standpunkten, die nicht mit der herrschenden neoliberalen und konservativen Politik vereinbar sind. Durch gemeinnützige Projekte tragen peruanische Künstler*innen und Aktivist*innen zur sozialen Entwicklung des Landes bei. Sie nutzen die Kunst als Instrument der Begegnung, der Reflexion und der individuellen und kollektiven Ermächtigung. Diese Menschen erleben täglich verschiedene Arten von Schikanen und Stigmatisierung, die von bestimmten Teilen der Gesellschaft wie den Medien, politischen Parteien oder Wirtschaftsgruppen gefördert wird.

Pedro Mo und die „Escuela Rebelde Saturnino Huillca“

Hiphop wird nicht nur als diskursives Instrument genutzt, sondern auch für Kultur- und Bildungsarbeit und die Stärkung der Gemeinschaft. Pedro Mo kritisiert Unterdrückung, Ungleichheit und Diskriminierung nicht nur in seinen Liedern, sondern rt initiiert auch gemeinsame Aktionen mit der „Rebellischen Schule Saturnino Huillca“, einem Kollektiv, das aus einer Gruppe von Hiphop-Künstler*innen und anderen Aktivist*innen entstanden ist. Die Gruppe benennt sich nach einem Bauernkämpfer, der als Sklave geboren wurde, sich selbst befreite und half, andere indigene Gemeinschaften zu befreien. Die Schule fungiert als sozialer Raum für verschiedene ökologische, soziale und kulturelle Projekte, darunter das Tupac-Amaru-Festival, der Rap Proletario, Sicuris-Workshops, die Reinigung des Rímac-Flusses zusammen mit den Gemeinden und verschiedene Vorträge zu dekolonialen und politischen Themen. Dazu hat die Schule auch politischen Einfluss und ist bei sozialen Mobilisierungen präsent. Pedro erzählt uns von den Schikanen der Polizei, denen er wegen seiner politischen und sozialen Aktivitäten ausgesetzt ist: „Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Polizei gelehrt wird zu foltern, zu schießen und zu töten, und dass sie nicht zögert, das mit ihrer eigenen Bevölkerung zu machen. Mit der Bevölkerung, die sich wehrt. Sie haben es mit uns getan. Wir tragen in unseren Körpern die Wunden aus verschiedenen Jahren. Wir wissen, was auf uns zukommt, und wir wollen nur geschützt werden, weil wir wissen, dass die Repression in Peru immer stärker wird. Es werden immer mehr Menschenrechte verletzt.“ Die Polizeischikanen hören nach den Mobilisierungen nicht auf. Einzelpersonen oder Initiativen können auch weiterhin im privaten Bereich eingeschüchtert werden (zum Beispiel dank der Einführung eines Systems, das es ermöglicht, präventive Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft zur Verhinderung von Straftaten einzureichen). „Ich wurde mehrmals durchsucht, an verschiedenen Orten verfolgt, Autos mit getönten Scheiben fuhren neben mir her, solche Sachen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie dies mit Menschen tun, die anders denken in einem Land, in dem es nicht unbedingt Meinungsfreiheit gibt“, fügt Pedro hinzu.

Von der polizeilichen Repression zur Stigmatisierung durch die Medien

Die Terruqueo-Politik wird durch verschiedene Medien reproduziert und institutionalisiert. Sie verbreiten Fehlinformationen und fördern die Stigmatisierung von Aktivist*innen und künstlerischen oder soziokulturellen Initiativen. In Peru herrscht eine starke Konzentration der privaten Massenmedien (Fernsehen, Radio und Printmedien), die mit großen Unternehmen verbunden sind und deren Interessen vertreten. So werden alternative Informationen aus verschiedenen Quellen verdrängt  und die Meinungsfreiheit quasi abgeschafft. Auch Pedro und die Rebellische Schule Saturnino Huillca haben diese Art von Stigmatisierung erfahren. Pedro erzählt uns, dass das Kollektiv in einer Fernsehsendung als eine Zelle des MRTA (Movimiento Revolucionario Tupac Amaru) bezeichnet wurde, den er angeblich wiederbelebt haben soll: „Vor kurzem gab es eine regelrechte Kampagne gegen uns in den Medien. Die landesweit bekannte Reporterin Mavila Huertas trat zusammen mit dem Direktor des Geheimdienstes DINI an die Öffentlichkeit und erklärte, die Rebellische Schule Saturnino Huillca sei eine Tarnung für den MRTA und ich der Drahtzieher der Straßenblockaden. (…) das ist so, als würde ich als Terrorist beschuldigt werden. Das ist die Art von Stigmatisierung, die Künstler erleben, die die Zustände in unserem Land in Frage stellen“.

Kunst gegen Extraktivismus: Daniela Zambrano Almidón

Die meisten sozialen Konflikte in Peru stehen in engem Zusammenhang mit dem Extraktivismus. Viele Gemeinden in den Anden kämpfen darum, ihre Rechte gegenüber transnationalen Unternehmen durchzusetzen (z. B. gegen die Aneignung von kommunalem Land oder Umweltverschmutzung). In diesem Fall kann die Kunst zu einem mächtigen Instrument für Bildung und soziale Organisation werden. Die Aktivistin und Künstlerin Daniela unterstützt Gemeinden bei ihren Forderungen und nutzt die Kunst, um ihre Probleme sichtbar zu machen: „Und so kam ich 2016 dazu, an dem Projekt Hijos de la Patria Pacha zu arbeiten, bei dem ich mich mit dem Thema Umweltverschmutzung durch Extraktivismus beschäftigte und ein Projekt mit der betroffenen Gemeinden in Cotabambas Apurimac, in Cerro de Pasco und in Cusco durchführte, wo ein Gletscher gefährdet war“. Daniela ist wegen ihrer künstlerischen Arbeit im Projekt Hijos de la Patria Pacha und ihrer Bildungsarbeit nicht von polizeilichen Schikanen und Stigmatisierungen verschont geblieben. „Die Polizei begann, mir zu folgen, mich zu beobachten, mich anzusprechen. Wenn ich mich mit jemandem unterhielt oder ein Interview führte, kamen sie wie zufällig immer näher. (…) Mir ging es nur um die Kunst und den Unterricht mit den Kindern, die mehr über Kunst erfahren wollten, und es war, als wäre ich Teil einer polizeilichen Untersuchung, eine Kriminelle, eine Terroristin. Offensichtlich ging es um Dinge, die sie sich ausgedacht hatten“, erzählt sie.

Hoffnung und Aktion in feindlichen Zeiten

Die repressiven politischen Entscheidungen der Regierung Boluarte und der Sektoren der peruanischen extremen Rechten und der institutionalisierte Terruqueo bestimmen derzeit die Atmosphäre. Trotzdem setzen sich künstlerische und soziale Initiativen weiterhin aktiv für die Stärkung der Demokratie ein. Um sich zu solidarisieren und der Stigmatisierung und dem Terruqueo geeint entgegenzutreten, sei es besonders wichtig, „die Politik von unserer Geschichte her neu zu denken und nicht von der Geschichte her, die uns verkauft oder erzählt wurde, (…) und im Vordergund steht immer die Frage, wie wir diesen ganzen Prozess und unsere Identität, unsere Kosmovision Sumak Kawsay, unsere Praktiken und unsere alternativen Ökonomien zurückgewinnen“, betont Pedro. Daniela unterstreicht die Bedeutung der Bildung und der „Arbeit mit der lebendigen Erinnerung, mit der Generation unserer Großeltern, mit Projekten in Schulen, in Nachbarschaften, damit all diese Wunden zuerst heilen können und so diese Wellen des Hasses und der Gewalt vermieden werden“.

Soziokulturelle Projekte und Aktivitäten wie die von Daniela Zambrano Almidón und Pedro bieten Möglichkeiten der Selbstermächtigung, der Begegnung, Weiterbildung, Pflege der Erinnerung und Stärkung des lokalen und universellen Wissens – Dinge, die für den Aufbau eines solidarischeren und gerechteren Landes unerlässlich sind.

Zu diesem Bericht gibt es auch Audiobeiträge auf Deutsch und auf Spanisch.

CC BY-SA 4.0 Mit Kunst gegen die Teruqueo-Politik von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert