Poonal Nr. 698

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 06. Dezember 2005

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

EL SALVADOR

KOLUMBIEN

ECUADOR

BRASILIEN

PERU

URUGUAY

ARGENTINIEN

CHILE

LATEINAMERIKA


MEXIKO

Mordversuch an Menschenrechtler in Chiapas

(Mexiko-Stadt, 30. November 2005, poonal).- Diechiapanekische Menschenrechtsorganisation Fray Bartolomé de Las Casas (FrayBa) rief zu einer Eilaktion auf, nachdem am Sonntag (20. November) Gustavo Jiménez Pérez von der Organisation Alianza Civica in seinem Haus in San Cristóbal de las Casas niedergestochen wurde.

Gegen 21:30 Uhr griffen sechs schwarz gekleidete Personen den Menschenrechtsverteidiger in seiner Wohnung mit scharfen Stichwaffen an. Die Angreifer waren ca. 20-25 Jahre alt, hatten kurze Haare, waren „gut gekleidet“, hatten ein indigenes Aussehen und sprachen mit lokalem (San-Cristóbal-)Dialekt. Laut Aussage von Gustavo Jiménez klingelte es und er wurde beim Öffnen der Tür in sein Haus gestoßen und dann von den sechs Personen, die alle mit Messern bewaffnet waren, gewalttätig angegriffen. Dabei wurden ihm Wunden im Gesicht und am Hals zugefügt.

Gustavo Jiménez wurde mit Stößen und Schlägen, die im Karate-Stil ausschließlich auf Hals und Gesicht gerichtet waren, sowie mit Messerstichen attackiert. Die Angreifer sagten: „Wir sind gekommen, um Dich zu töten; beeil Dich und töte ihn!“ Nachdem Jiménez zu Boden gegangen war, hörte er die Angreifer sagen: „Lass uns gehen, der ist schon tot.“ Aus dem Vorgehen schließt FrayBa, dass die Angreifer den Menschenrechtler ermorden wollten. Die Art, wie die Täter operierten, lasse zudem vermuten, dass es sich um eine trainierte Gruppe mit Führungsstruktur handele.

Bald danach, gegen 22:00 Uhr, kam Luis Gabriel Ramírez Cuevas nach Hause. Er ist ebenfalls Mitglied von Alianza Civica und wohnt in der gleichen Wohnung wie das Opfer. Er fand Gustavo Jiménez halb bewusstlos und blutüberströmt auf dem Boden liegend. Das Haus befand sich in Unordnung. Auf dem Fußboden waren Blutspuren.

Bei dem Überfall wurden folgende Gegenstände mitgenommen: ein 14-Zoll Fernsehgerät, eine Videokamera, ein Tonbandgerät sowie ein Rucksack, in dem sich die Identifikation und die Papiere eines Fahrzeugs sowie eine Kreditkarte und andere Dinge befanden. Das Auto gehört der Alianza Civica. Die Angreifer ließen jedoch andere wertvollere Gegenstände unberührt. So zum Beispiel sichtbar herumliegendes Bargeld.

Nach einer Pressekonferenz am 22. November gingen Gustavo Jiménez und Gabriel Ramírez begleitet von einem Rechtsanwalt gegen 14:20 Uhr in ihre Wohnung. Als sie die Tür öffneten, fanden sie im Haus einen etwa 30jährigen Mann vor, der eine drohende Haltung einnahm. Als sie die Person bemerkten, flohen die drei aus dem Haus, weil sie Angst hatten, dass die Person bewaffnet sein könnte. Die Person nutzte die Situation, um unter Ausstoß von Drohungen zu fliehen.

Dann stellten sie zunächst sicher, dass keine weiteren Fremden mehr im Haus waren. Danach bemerkten sie, dass die Wohnungseinrichtung durcheinander gebracht worden war. Dabei waren Schäden entstanden, ohne dass es den Anschein hatte, dass etwas gestohlen wurde. Der offensichtlich unter Drogeneinfluss stehende Fremde hatte die Hintertür zerstört, um ins Haus zu gelangen. Das bedeutet, dass er über das Dach des Nachbarhauses gekommen sein muss. Es wird angenommen, dass es eine jener Personen war, die Gustavo Jiménez in der Nacht vom 20. November gewaltsam angegriffen hatten.

Nach Angaben des Menschenrechtszentrums müssen die Aggressionen im Zusammenhang mit den öffentlichen Aktivitäten von Gustavo und Gabríel gesehen werden. Die beiden machten Unregelmäßigkeiten bezüglich der Maßnahmen der chiapanekischen Regierung für die Opfer von Hurrikan Stan öffentlich und nahmen aktiv an der „Anderen Kampagne“ teil, zu der das Zapatistische Befreiungsheer EZLN aufgerufen hat.

Das Menschrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas fordert nun eine ernsthafte und unabhängige Untersuchung der Tatbestände und eine Bestrafung jener, die für die Angriffe auf Gustavo Jiménez Pérez und Luis Gabriel Ramírez verantwortlich sind .Zudem sollen Schutzmaßnahmen für die beiden Menschrechtler gewährt werden.

Coca-Cola muss Kioskbesitzerin entschädigen

(Buenos Aires, 29. November 2005,púlsar-poonal).- Das transnationale Coca-Cola-Unternehmen muss der Besitzerin eines Kioskes in einem der ärmsten Viertel in Mexiko-Stadt 35 Millionen US-Dollar Entschädigung bezahlen. Die Frau hatte Anzeige gegen den Konzern gestellt, da dieser Druck auf sie ausgeübt hatte, um zu unterbinden, dass sie weiterhin Produkte der Konkurrenz verkauft.

Frau Chávez befürchtete Einbußen für ihr Geschäft, da nach ihren Angaben der Verkauf von Coca-Cola-Produkten ca. 75 Prozent ihrer Einnahmen ausmacht. Mit diesem Urteil wurde die höchste Strafe für Monopolpraktiken in der mexikanischen Geschichte verhängt.

GUATEMALA

Europäische Union organisiert Gespräch über Frauenmorde

(Guatemala-Stadt, 30. November 2005, cerigua-poonal).-Vertreter der Europäischen Union in Guatemala organisierten eine Gesprächsrunde zum Thema Gewalt gegen Frauen und Feminizide. Eingeladen waren sowohl Regierungsbeamte als auch Vertreterinnen sozialer Organisationen, die sich für die Sicherheit der guatemaltekischen Frauen einsetzen. Während des Treffens wurden Teile einer Studie über Feminizide vorgestellt, die vom Menschenrechtszentrum CALDH (Centro para la Acción Legal en Derechos Humanos) erarbeitet wurde.

Die Studie gibt dem Staat die Schuld für die steigende Zahl der Frauenmorde in Guatemala. Dieser habe weder die Charakteristika der Verbrechen untersucht noch die Täter verurteilt. Laut dem Bericht stütze sich der Staat auf Machismus in der guatemaltekischen Gesellschaft und vereinige die in verschiedenen staatlichen Institutionen vorherrschende Straflosigkeit. Die Situation für Frauen im Land sei weiterhin unsi
cher. Viele der Verbrechen aus der letzten Zeit wiesen die gleichen Charakteristika auf wie während des Bürgerkriegs begangene Verbrechen. Damals habe man die Frauen als Kriegsbeute und sexuelle Objekte behandelt.

Mitglieder der Überlebenden-Organisation „Asociación de Sobrevivientes“ beklagten während des Gesprächs öffentlich gegenüber den Staatsvertretern, dass ihre Fälle nicht aufgeklärt worden seien. Die Betroffenen würden weiter zu Opfern gemacht, da sie diskriminiert und vom Rechtssystem ausgeschlossen würden.

Staatliche Funktionäre stellten verschiedene Projekte vor, die derzeit in Arbeit sind. Luis Fernández, Richter am Obersten Gerichtshof, sagte, dass circa 700 Gerichtsangestellte über die Bedeutung von Frauenrechten sensibilisiert würden. Vize-Außenministerin Marta Altolaguirre meinte, dass die Regierung zugesagt habe, das Problem vor internationalen Gremien anzuklagen. Die Vize-Innenministerin Silvia Vásquez versicherte, dass man durch die Verstärkung der Zivilen Nationalpolizei und die Abschaffung der polizeilichen Korruption mehr Sicherheit für die Guatemaltekinnen schaffen werde.

Der Vertreter der Europäischen Union Joao Melo de Sampaio sagte, dass über die Diskussion klar geworden sei, dass das staatliche System Schwächen habe. So könne der Gewalt gegen Frauen und den Frauenmorden weder vorgebeugt noch diese abgeschafft werden.

Erster indígen-sprachiger Fernsehkanal Lateinamerikas geplant

(Montevideo, 30. November 2005, recosur).- DieOrganisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur der Vereinten Nationen (UNESCO) in Guatemala hat der Akademie für Maya-Sprachen ALMG (Academia de Lenguas Mayas) ein Projekt übergeben, das die Installation eines Senders „Maya TV“ vorsieht. Dies wäre der erste Fernsehkanal in Lateinamerika, der sein Programm in einer indigenen Sprache ausstrahlt. Mit der Übergabe des UNESCO-Dokuments beginnt auch die erste Projektphase. Diese soll Mitte nächsten Jahres mit der Ausstrahlung des Signals des neuen Indígena-Kanals abgeschlossen werden, erklärte AMLG-Präsident Modesto.

Nach Angaben von Baquiax sei das Hauptziel des Senders, am Aufbau eines demokratischen und partizipativen Staates mitzuwirken, der die multikulturelle Nation widerspiegelt. Länder wie Spanien und Frankreich boten sich an, in der Ausbildung von Personal zu kooperieren.

Der Kommunikationsberater der UNESCO Alejandro Alfonzo kündigte an, dass das von der ALMG, der Universität San Carlos Guatemala und dem Kultur- und Sportministerium unterzeichnete Projekt verschiedene Vorschläge berücksichtigen werde, die auf einer auf das Vorhaben abgestimmten Technologie basieren. Durch das Programm könnten die Maya-Gemeinden ihre eigenes Medium gestalten und über ihre Kultur, ihre Weltanschauung und ihre Kosmovision sprechen, erklärte der UNESCO-Vertreter.

Abschließend wies Alfonzo darauf hin, dass der Sender dazu beitragen könne, den besonderen Stellenwert der Maya-Kultur zu diskutieren und zu festigen. Außerdem werde das Projekt ein Forum darstellen, in dem indigene Gruppen die ungleiche Behandlung bei der Teilnahme am politischen Leben des Landes erklären und kritisieren können.

EL SALVADOR

Versagen des Staates bei der Aufklärung von Frauenmorden kritisiert

(Buenos Aires, 24. November 2005, púlsar).-Verschiedene salvadorianische Frauenrechtsorganisationen analysierten die in diesem Jahr begangenen Morde an Frauen im Land und erstellten auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen für die Regierung. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft wurden in den ersten neun Monaten des Jahres 256 Frauen ermordet.

Die Frauenrechtsorganisationen beklagen, dass es keine besonderen Ermittlungsverfahren und -behörden für die Untersuchung der Feminizide gebe. Vielmehr würden diese wie andere Mordfälle in einfache und schwerwiegende Morde unterteilt. Von den 256 ermordeten Frauen seien jedoch mindestens 15 Frauen vor ihrem Tod vergewaltigt und gefoltert worden. Die Geschäftsführerin der Organisation Salvadorianischer Frauen für den Frieden ORMUSA (Organización de Mujeres Salvadoreñas por la Paz) Janet Urquilla fordert daher, diese Fälle als Feminizide zu definieren und gesondert zu untersuchen.

Auch Abraham Abrego von der Stiftung für Studien über Rechtsanwendung (Fundación de Estudios para la Aplicación del Derecho) kritisierte die Gleichgültigkeit des Staates angesichts der hohen Zahl an Frauenmorden. Er ist der Ansicht, dass es an einer tiefgehenden Untersuchung der Fälle mangele, „denn die Staatsanwaltschaft legt Beweise nur aufgrund von Zeugenaussagen vor, jedoch nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Analysen. Das macht die Aufklärung der Fälle jedoch sehr schwierig. Denn wenn es dann keine Zeugen gibt, gibt es auch keine Täter.“

Arbeiter bewachen Fabrik

(Buenos Aires, 29. November 2005,púlsar-poonal).- Seit dem 25. November harrt eine Gruppe von Arbeitern vor den Toren der Textilfabrik Evergreen in Ilopango aus. So wollen sie vermeiden, dass die Fabrikbesitzer die Maschinen aus der Fabrik abtransportieren und die Arbeiter arbeitslos werden. Diese äußerten gegenüber der Zeitung Diario Co Latino, dass seit einigen Wochen in der Fabrik „verdächtige Bewegungen im Gange sind“. Man habe Maschinen, die nicht benutzt wurden, abgezogen. Die Arbeiter hätten deshalb beschlossen, Wachen gegenüber der Fabrik aufzustellen, um zu vermeiden, dass auch noch der verbliebene Maschinenpark heraus geholt werde.

Die Arbeiter beklagen zudem, dass die Unternehmer seit einigen Monaten die Beiträge zur Renten- und Sozialversicherung nicht bezahlt hätten. Auch Urlaubsgeld hätten sie nicht erhalten. Ana Susana López, eine der Arbeiterinnen meinte: „In den letzten Tage wurden Stoffe aus der Fabrik geschafft. Uns hat man jedoch dafür nie eine Erklärung gegeben.“ Die Maquilaarbeiterin vermutet, dass die Unternehmer „in ein anderes Land gehen, weil sie die Maschinen abgezogen haben. Deshalb haben Leute aus der letzten Schicht am Freitag beschlossen, in der Fabrik zu bleiben.“

KOLUMBIEN

Öffentliche Anhörung zu Nestlé in der Schweiz

(Fortaleza, 24. November 2005, adital).- Über 200Teilnehmer und Vertreter verschiedener Organisationen haben am 29. und 30. Oktober in einer öffentlichen Anhörung in Bern, wo das multinationale Unternehmen Nestlé seinen Sitz hat, die Praktiken des Konzerns in seinen kolumbianischen Niederlassungen analysiert. Die Veranstaltung war von MultiWatch, einem Zusammenschluss von Vertretern Schweizer Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Parteien, organisiert worden. Angeprangert wurden die Verfolgung gewerkschaftlich organisierter Arbeiter sowie von Nestlé verursachte Umweltschäden.

Laut Aussage von Vertretern der Arbeiter aus Kolumbien hat das Unternehmen im Jahre 2003, als die Tarifverträge neu verhandelt wurden, 175 Beschäftigte ihrer Firma Cicolac zur Kündigung gezwungen und anschließend Zeitarbeiter eingestellt. Die Zeitarbeiter erhalten die Hälfte des normalen Lohns, haben keinen Anspruch auf Sozialversicherung und dürfen sich nicht gewerkschaftlich organisieren.

Auf der Veranstaltung wurde außerdem auf die durch Nestlé verursachte Verschmutzung der Flüsse Guatapurí
und Bugalagrande sowie den Verkauf ungenießbarer Milch im Jahre 2002 aufmerksam gemacht. Damals war verfallenes Milchpulver mit einem neuen Haltbarkeitsdatum versehen worden.

Bei der öffentlichen Anhörung waren fünf kolumbianische Zeugen und Experten anwesend. Als Beweismittel wurde eine mehrere hundert Seiten umfassende Dokumentation zu den genannten Fällen übergeben. Trotz der Einladung zur Teilnahme an der Anhörung waren keine Vertreter von Nestlé erschienen.

ECUADOR

Folter in Gefängnissen

(Fortaleza, 28. November 2005, adital-poonal).- DerAusschuss der Vereinten Nationen gegen Folter (Comittee Against Torture) ist besorgt über die prekäre Situation in den ecuadorianischen Gefängnissen. Der Präsident des Ausschusses Fernando Mariño Menéndez hat einen Bericht präsentiert, nachdem eine zunehmende Anzahl von Gefangenen, die in Isolationshaft gefangen gehalten werden, angeblich von Folterungen betroffen seien. Des Weiteren berichtet die ecuadorianische Presse, dass einige Anwälte im UN-Report die Gefängnispolizei anklagen. Demnach sei der freie Zugang zu den Klienten ebenso untersagt wie die Möglichkeit der Angeklagten, einen unabhängigen Arzt zu konsultieren.

Der Ausschuss – bestehend aus zehn internationalen Experten – beklagt besonders die Zustände in den Haftanstalten und den Resozialisierungszentren, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung seien. Die Gefahr von Folterungen bestehe zudem speziell während der Phase einer „präventiven Festnahme“, die in Ecuador ohne weiteres verlängert werden kann. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass in Ecuador der Straftatbestand der Folter nicht vollständig im Einklang mit der UN-Konvention stehe.

Menéndez fordert den ecuadorianischen Staat, auf Maßnahmen zu ergreifen, die es ermöglichen, in jedem Einzelfall adäquate Strafen unter Berücksichtigung der Schwere des Deliktes zu verhängen. Zugleich bestätigte Menéndez, dass die kontinuierliche Immigration aus Kolumbien ein zusätzliches Problem darstelle. Er forderte die ecuadorianischen Behörden auf, Immigranten, deren Sicherheit in Kolumbien in Gefahr sei, nicht zurückzuschicken, sondern ihnen vielmehr einen ausreichenden Schutz zu gewährleisten. Zudem nimmt der UN-Bericht Bezug auf Vorwürfe, nach denen Mitglieder indigener Gemeinschaften und sexueller Minderheiten sowie Frauen (im Rahmen häuslicher Gewalt) gefoltert worden seien.

Das Komitee fordert, dass die Anklagen minutiös untersucht werden. Gesetze müssten angepasst werden, damit die Straftaten, die als Folter eingestuft werden, entsprechend bestraft werden können. Außerdem hebt der Bericht hervor, dass auch die Gesetze zur Entschädigung von Folteropfern in Einklang mit der Schwere des Vergehens gebracht werden müssten.

BRASILIEN

Gewerkschaft verlangt Gefängnisstrafe für VW-Chef

(Buenos Aires, 1. Dezember 2005, púlsar).- DieMetallgewerkschaft der Industrieregion des Staats San Pablo fordert eine Haftstrafe für den Präsidenten von Volkswagen Brasilien Hans Christian Maergener. Außerdem fordert die Gewerkschaft die Beschlagnahme des Besitzes und die Sperrung der Bankkonten des multinationalen Unternehmens. Der Antrag auf Inhaftierung wurde dem regionalen Gericht von San Pablo (TRT-SP) mittels einer juristischen Klage zur Urteilsvollstreckung vorgelegt.

Der Gewerkschaft zufolge hat Volkwagen eine richterliche Entscheidung zugunsten der streikenden Arbeiter nicht umgesetzt. Ein Urteil des Arbeitsgerichts von San Pablo vom 10. November beurteilte Streik als legales Mittel und wies Volkswagen zur Zahlung der ausgesetzten Arbeitstage an. Volkswagen wandte sich an das Oberste Arbeitsgericht als höchste Instanz im Gebiet des Arbeitsrechts und wurde erneut zurückgewiesen. Eine richterliche Anordnungen nicht zu befolgen gilt in Brasilien als kriminell. „Volkswagen schuf eine zermürbende Situation. Aber wir werden bis zum Letzten gehen, um unsere Rechte zu erwirken“ sagte der Gewerkschafter Valdir Freire im Namen der Gewerkschaft.

PERU

Erzwungene Austragung eines missgebildeten Fötus verurteilt

(Fortaleza, 25. November 2005, adital-poonal).- Zumersten Mal hat sich das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen auf die Seite einer Frau gestellt, die zur Austragung eines missgebildeten, nicht lebensfähigen Fötus gezwungen worden war. Es handelt sich um den Fall der Peruanerin Karen Llontoy. In der Urteilsbegründung hieß es, das Verbot einer Abtreibung habe in diesem Fall die Grundrechte der Frau eindeutig verletzt. Nie zuvor hat eine staatenübergreifende Menschenrechtsorganisation eine Regierung aufgefordert, die Durchführung einer legalen Abtreibung zu gewährleisten. Das Komitee ist mit der Einhaltung der Internationalen Konvention für Menschenrechte betraut.

Luisa Cabal, Leiterin des Programms Internationales Recht des Zentrums für Reproduktivrechte, äußerte gegenüber der lateinamerikanischen Presse: „Zum ersten Mal hat das Komitee zugunsten des essentiellsten Menschenrechts der Frauen entschieden. Für uns bedeutet dieses Urteil sehr viel. In allen 154 Staaten, die dieser Konvention angehören, können sich Frauen zur Verteidigung ihrer Rechte auf diesen Entscheid berufen. Dieses Urteil bestätigt, dass es nicht ausreicht, wenn Rechte irgendwo geschrieben stehen. Wenn Abtreibungen legal sind, muss die Regierung den Frauen auch den Zugang zu dieser Möglichkeit gewähren.“

Der Fall wurde vom DEMUS (Zentrum zur Verteidigung der Rechte der Frauen) und anderen Organisationen vorgetragen. Gemeinsam vertraten sie Karen, eine junge Peruanerin, die von den Behörden gezwungen worden war, einen missgebildeten Fötus auszutragen. Die Schwangerschaft hat die junge Frau psychisch und physisch schwer belastet.

Im Jahr 2001 war die damals 17-jährige Karin in der 14. Woche schwanger, als die Ärzte in einem städtischen Krankenhaus in Lima ihr mitteilten, dass der Fötus an Ananzephalie, einer tödlichen Fehlbildung des zentralen Nervensystems, leide und nicht lebensfähig sei. Nach langem Überlegen entschied sich Karen für eine Abtreibung. In Peru ist die Abtreibung mit einer medizinischen Indikation legal, in der Praxis existieren jedoch keine klaren Vorgaben für die Umsetzung dieser Regelung. Der Leiter des Krankenhauses verweigerte Karin seine Zustimmung zu der Abtreibung. Somit war sie gezwungen, die Schwangerschaft zuende zu führen und das Kind während der vier Tage, die es am Leben blieb, zu stillen.

In dem Urteil hieß es, diese Entscheidung habe das Recht auf Schutz vor unmenschlicher, grausamer und entwürdigender Behandlung, auf Privatsphäre sowie auf den besonderen Schutz der Rechte von Kindern verletzt. Der Staat Peru wurde aufgefordert, Karen Llontoy zu entschädigen und dafür zu sorgen, dass Frauen im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen abtreiben können.

URUGUAY

Sterbliche Überreste von Verschwundenen entdeckt

(Buenos Aires, 30. November 2005, púlsar).- DieRegierung Uruguays hat den Fund von Knochenresten bestätigt, die zum Körper eines der kommunistischen Parteiführer gehören könnten, die in einer Einheit der Luftwaffe zur Zeit der Diktatur umgebracht worden waren. Die Knochenreste wurden auf einem Grundstück in der Stadt Pando, 30 Kilometer nördlich von Montevideo, gefunden. Einem Bericht der Lu
ftwaffe zufolge sollen dort die Körper von zwei Menschen begraben worden sein, die während der Diktatur (1973-1986) verhaftet worden und dann verschwunden seien.

Die Ausgrabungen auf dem Gelände in Pando hatten am 18. August dieses Jahres begonnen. Mehr als einhundert Tage später hat nun eine junge Anthropologiestudentin die unteren Gliedmaßen eines Skeletts entdeckt. Der Leiter der Anthropologengruppe benachrichtigte unverzüglich den Präsidenten der Republik sowie das Strafgericht der Stadt Pando. Die Luftwaffe hatte in ihrem am 8. August an Präsident Tabaré Vázquez übergebenen Bericht versichert, dass auf dem Grundstück zwei Körper unter Kalk begraben worden waren. In dem Bericht wurde auch bestätigt, dass die Körper nicht von dort entfernt worden seien.

Der Anthropologe José López Mass teilte mit, man habe den Fund am letzten Ausgrabungstag gemacht, nachdem schon praktisch 99 Prozent der 600 Quadratmeter großen Fläche ohne Ergebnis untersucht worden waren.

ARGENTINIEN

Mütter der Plaza de Mayo machen Radio

(Buenos Aires, 27. November 2005,púlsar-poonal).- Mit einer Livesendung vom historisch bedeutsamen „Plaza de Mayo“ eröffneten die Angehörigen von während der Militärdiktatur Verschwundenen ihren Mittelwelle-Radiosender „La voz de las Madres“ (Die Stimme der Mütter). Hebe de Bonafini, die Präsidentin der Mütterorganisation, sagte, dass es neben den Beiträgen über politische und soziale Themen auch Sendungen zu Musik, Kultur, Geschichte und Sport geben werde. Während der Erstsendung betonte Bonafíni, dass man das Radio im ganzen Land hören können werde.

CHILE

„Angela Merkels Wahlsieg macht mich zufrieden“

Interview mit der chilenischen Präsidentschaftskandidatin Michelle Bachelet

(Santiago de Chile, November 2005, npl).- Sie trägt nicht nur die gleichen Anzüge wie Angela Merkel: Michelle Bachelet von der sozialistischen Partei (PS) gilt auch als die aussichtsreichste Präsidentschaftskandidatin in Chile. Wenige Tage vor der Wahl am 11. Dezember würde sie laut Umfragen mit 60 Prozent der Stimmen gewählt werden. Die 54-jährige Ärztin bekleidete unter der aktuellen Regierung von Ricardo Lagos die Ämter der Gesundheits- und der Verteidigungsministerin. Sie tritt an gegen Joaquín Lavín von der rechtsliberalen Partei UDI, gegen Sebastián Pinera von der „Nationalen Erneuerung“ sowie gegen Thomas Hirsch vom linken Wahlbündnis „Gemeinsam schaffen wir es“. Nancy Garin sprach mit Michelle Bachelet in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile.

Frau Bachelet, wenn Sie die Wahlen gewinnen, sind Sie die erste weibliche Staatschefin in der Geschichte Chiles. Wie fühlen Sie sich angesichts Ihrer steigenden Umfragewerte?

Ich bin stolz und spüre eine große Verantwortung. Und ich fühle mich sehr geehrt von dem Vertrauen, das mir die Menschen entgegen bringen. Ich sehe es als einen Vorschuss, den ich erst noch einlösen muss. Außerdem hat niemand die Wahlen gewonnen, bis die letzte Stimme ausgezählt ist. Und so lange bin ich noch nicht die erste Präsidentin Chiles.

Sie sind seit Ihrer Zeit als Studentin in der Sozialistischen Partei aktiv, sie wurden während der Diktatur unter Augusto Pinochet gefoltert und Ihr Vater, ein General, wurde ermordet. Als Verteidigungsministerin in der Regierung von Ricardo Lagos waren Sie mit den Klagen gegen Pinochet beschäftigt – wegen Genozid und illegalen Konten im Ausland -, aber auch mit vielen weiteren Fällen von Menschenrechtsverletzungen der Militärs während der Diktatur. Andererseits treten Sie für eine finanzielle und institutionelle Stärkung der Polizei ein. Wie geht das zusammen? Werden sie die Menschenrechtsprozesse weiter verfolgen?

Polizei und Militär sind zwei verschiedene Dinge. Eine starke zivile Polizei schützt die Bürger und Bürgerinnen. Sie stellt ein Korrektiv zum Militär dar. Was Pinochet betrifft, bin ich der Meinung, dass er bereits verurteilt wurde. Und nicht nur in Chile, sondern in der ganzen Welt. Es gibt ein Urteil gegen ihn und gegen die Verbrechen, die er während seiner Diktatur begangen hat. Viele der damals verfolgten Menschen haben ihr Wissen über die brutale Repression in die Welt getragen. Aber es gab auch Sympathisanten von Pinochet, die Zweifel an den Menschenrechtsverletzungen und den Folterpraktiken hatten. Doch als die Öffentlichkeit von den Formen der illegalen Bereicherung Pinochets erfuhr, haben auch die Zweifler begonnen, alle Aspekte der Diktatur neu zu interpretieren. Das hatte einen demokratisierenden Effekt. Dennoch glaube ich nicht, dass man die Geschichte mit einem Dekret abschließen kann. In meiner Regierung wird es kein Schlusspunktgesetz geben, wir werden fortfahren, nach mehr Wahrheit und mehr Gerechtigkeit zu suchen.

Sie machen sich dafür stark, dass die Frauen mehr Macht in der politischen Arena erhalten. Wie soll das aussehen?

Wir möchten in allen öffentlichen Institutionen, von der Regierung hinab bis auf die lokale Ebene, eine Frauenquote von 50 Prozent einführen. Mein Ziel ist es, dass sich die Räume der Entscheidungsfindung in diesem Land grundlegend transformieren: Mehr Frauen, aber auch mehr Jugendliche sollen politisch partizipieren können. Kurz gesagt, ich möchte eine politische Generation fördern, die nicht nur aus „großen“ Männern besteht.

Welche Bedeutung wird Europa und insbesondere Deutschland für Ihre Regierung haben?

In Europa ist uns die Kooperation mit Deutschland am wichtigsten. Sie wurde bereits in den vergangenen sechs Jahren ausgebaut. Ich persönlich kann auch meine Zufriedenheit über den Wahlsieg von Angela Merkel nicht verleugnen. Merkels Kanzlerinnenschaft ist ein Meilenstein in Richtung Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen.

LATEINAMERIKA

Die Armut sinkt

(Fortaleza, 28. November 2005, adital-poonal).- 13Millionen Menschen in Lateinamerika und der Karibik sind zwischen 2003 und 2005 der Armut entkommen, schätzt die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik CEPAL (Comisión Económica para América Latina y el Caribe) in ihrem aktuellen Bericht zu den sozialen Verhältnissen. Die Armut ist aber nach wie vor hoch: 213 Millionen Menschen sind von ihr betroffen, das entspricht etwa 40 Prozent der Bevölkerung. Davon leben 88 Millionen (16,8 Prozent) in unter absolut notdürftigen Umständen.

Die verbesserte Wirtschaftslage, Geldüberweisungen von Auswanderern und der Anstieg der Ausgaben im sozialen Sektor haben dazu beigetragen, den laut CEPAL seit 1990 vorherrschenden Trend zum Anstieg der Armut umzukehren. Nach den neuen Messungen ist die Armutsgeißel in den meisten Ländern auf dem Rückzug.

In Argentinien ist die Armutsquote in den urbanen Gebieten im Laufe des Jahres 2004 um 16 Prozentpunkte gefallen, die Notdürftigkeit ist im Vergleich zu 2002 um 9,8 Punkte geringer. In Mexiko hält die seit 1996 vorherrschende Tendenz zur sinkenden Armut weiter an. Zwischen 2002 und 2004 ist die Armutsquote um 2,4 Prozentpunkte, die Notdürftigkeit um 0,9 Prozent gesunken. In Peru ist die Notdürftigkeit nach den Messungen um 2,8 Prozentpunkte gesunken.

Die für das laufende Jahr erwarteten Zahlen zeigen, dass die Region sich d
em ersten Millenniumsziel um 51 Prozent angenähert hat. Das erste Ziel für das neue Millennium besteht darin, die Armut in der Bevölkerung auf die Hälfte des 1990 festgestellten Wertes zu senken. Für CEPAL sind die ermittelten Zahlen eine “ermutigende Nachricht”, auch wenn man nicht vergessen sollte, dass von der Zeit, die zum Erreichen des Zieles zur Verfügung steht, bereits 60 Prozent vergangen sind, nämlich 15 von insgesamt 25 Jahren. So betrachtet ist das Ergebnis trotz der Fortschritte unzureichend.

Der Bericht über die sozialen Verhältnissen untersucht die Situation in den Ländern anhand einer Reihe sozialer Kriterien. Erfasst wird der Mangel an grundlegenden Bedürfnissen wie Wohnung, Zugang zu Trinkwasser, medizinischer Versorgung und Bildung. Am meisten fehlt es den Menschen an Wohnungen, wie die Studie ergeben hat. Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung in neun von insgesamt 14 Ländern fehlt es an Wohnraum. Häufig teilen sich drei oder vier Personen ein Zimmer. In 13 von 17 Ländern fehlt einem Drittel der Bevölkerung der Zugang zum öffentlichen Abwassersystem oder, in ländlichen Gegenden, zu einer hygienisch reinen Latrine.

„Mit Telesur können wir uns gegenseitig kennen lernen“

Interview mit Edgardo Lander, Sozialwissenschaftler an der Zentralen Universität in Caracas, Venezuela

Von Birgit Marzinka, Nils Brock und Niklaas Hofmann

In Lateinamerika wird oft nur eine bestimmte Auswahl an Informationen verbreitet. Die Medien richten sich nach bestimmten Interessen. Doch dadurch werden demokratische Prozesse erschwert. Wie sehen sie die Verbindung zwischen Medien und Demokratie?

Die Vorraussetzung einer pluralistischen Demokratie ist, dass Menschen Zugang zu verschiedenen Sichtweisen, Versionen, Ideen haben. Wenn aber die privaten Medien in wenigen Händen sind, nur einseitig berichten und dadurch die öffentliche Meinung sehr stark beeinflussen, gibt es keine Möglichkeit, in einer Demokratie zu leben, nicht einmal, wenn man dies unter liberalen Gesichtspunkten betrachtet. Die Voraussetzung für eine liberale Demokratie ist, dass öffentlich diskutiert oder debattiert wird, die Bürger zwischen verschiedenen Sichtweise, Alternativen, Projekten, Parteien wählen können und Zugang zu Informationen haben. Ohne diese Bedingungen kann keine Demokratie aufgebaut werden.

Heutzutage sind die Medien in immer weniger Händen. Sie werden aufgekauft und kontrolliert von den großen transnationalen Konzernen. Viele der Medienkonzerne wie General Electric sind direkt in Kriege verwickelt. General Electric ist zum Beispiel in Geschäfte mit dem Irakkrieg verwickelt. So kann man nicht davon ausgehen, dass Medien wie General Electric eine unabhängige Berichterstattung über den Irakkrieg liefern. Aus diesen Gründen ist es sehr wichtig, dass alternative Medien existieren, wie zum Beispiel Basismedien, um ein Gegengewicht aufzubauen.

Einer der großen Medienmogule Lateinamerikas ist Gustavo Cisneros aus Venezuela. Er besitzt Fernsehkanäle, Radiostationen, Zeitungen und Zeitschriften. Wie geht die venezolanische Regierung mit diesem Umstand um?

In Venezuela kontrollierten stets die privaten Medien die Informationen. Deswegen begann die Regierung nach Alternativen zu suchen. Es wurden staatliche Rundfunkstationen geschaffen. So verfügt inzwischen jeder Bundesstaat über einen eigenen Kanal mit einem zunächst kleinen Publikum. Seit den innerpolitischen Konflikten der letzten Jahre wurde das Publikum des nationalen staatlichen Fernsehkanals sehr viel größer. Nicht weil er qualitativ sehr gut ist, ich würde sagen, er ist eher von schlechter Qualität. Aber die Leute haben dort die Möglichkeit sich zu informieren und eine andere Version zu hören, als die der privaten Medien.

Es gibt noch weitere staatliche Kanäle. Zum Beispiel Vive. Der ist sehr interessant, weil er eine pluralistischen Charakter hat. Er zeigt viel von dem, was in den Dörfern und Stadtteilen passiert. Die Journalisten besuchen häufig die Bürgerversammlungen und übertragen sie live. Diese Sendungen sind sehr lebendig. Für Menschen, die nichts mit dem bolivarianischen Prozess anfangen können, ist der Kanal bestimmt langweilig. Denn bei den Sendungen sieht man die Entwicklungen und hört die Fragen, denen sich die Bewegungen stellen.

Die Medien in Venezuela sind in der Hand der Opposition und sie üben einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinung aus. Welche Rolle spielen die Basisradios bei den Konflikten der letzten Jahre?

In Venezuela haben die Basisradiostationen sehr stark zugenommen. Die Radiosender sind lokal ausgerichtet und werden meistens von kleinen Gruppen organisiert. Ihre Programme sind eng mit den sozialen Bewegungen verbunden. Beim Putsch im Jahr 2002 spielten die Basisradiostationen eine Schlüsselrolle. Die privaten Medien berichteten nichts darüber und die Putschisten haben die staatlichen Stationen geschlossen. Nur einige Basisradios informierten über das, was gerade im Land passierte und übten so einen großen Einfluss auf die Situation aus. Das machte deutlich, wie wichtig es ist, dass es Medien gibt, die nicht von den großen Medienkonzernen kontrolliert und zentral geleitet werden und dadurch unabhängiger arbeiten können. Für die Putschisten war es sehr einfach, die staatlichen Rundfunkstationen zu schließen, denn diese haben einen zentralen Übertragungsort.

Wenn jetzt über die Medien und über den Zugang zu Informationen diskutiert wird, dann spielen die Basisradios eine wichtige Rolle. Doch es gibt nicht genug davon. Die gesamte Zuhörerschaft aller dieser Radiostationen ist relativ klein im Vergleich zu jener der großen Medien. Solange man nicht konkurrenzfähig mit den großen Medien ist, kann man keine breit gefächerteren demokratischen Debatten beginnen.

Seit Mai 2005 gibt es den lateinamerikanischen Fernsehkanal Telesur und seit Ende Oktober überträgt er 24 Stunden. Welche Rolle wird Telesur zukünftig in Lateinamerika spielen?

Wenn wir von einer lateinamerikanischen Integration reden, einer geopolitischen, kulturellen und sozialen Integration, wenn wir also an eine viel weitgreifenderen Integration als die rein kommerzielle denken, müssen wir Informationen untereinander austauschen und gemeinsame Debatten beginnen. Wir müssen wissen, was in den einzelnen Ländern passiert. Aber nicht aus der Perspektive von CNN und den großen Fernsehkanälen, sondern aus den unterschiedlichen lateinamerikanischen Blickwinkeln.

Die Filmproduktion wird zum Beispiel von den USA dominiert, 90 bis 95 Prozent der Filme, die in Lateinamerika gezeigt werden, stammen aus den USA. In jedem lateinamerikanischen Land kann man zwar die eigenen, nationalen Filme sehen, aber diejenigen aus anderen lateinamerikanischen Ländern werden schlichtweg nicht gezeigt. Mit Telesur wird eine Möglichkeit geschaffen, dass man das lateinamerikanische Kino kennen lernen kann. Schon alleine das ermöglicht eine kulturelle Integration. Man kann sich gegenseitig kennen lernen.

Telesur wird oft vorgeworfen, dass es sich um einen Propagandakanal des venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez für ganz Lateinamerika handelt, wie sehen Sie das?

Bei Telesur handelt es sich nicht um ein rein venezolanisches Projekt. Auch die Regierungen von Kuba, Argentinien und Uruguay kooperieren. Es ist ein lateinamerikanisches Projekt. Noch besser wäre es, wenn sich n
och andere Regierungen und auch soziale Bewegungen mit anschließen würden. Dadurch könnte mit Telesur ein offener, pluralistischer und demokratischer Kanal aufgebaut werden. Es könnten verschiedene Sichtweisen der Geschehnisse, andere Informationen und kulturelle Vorstellungen gezeigt werden.

Damit Telesur ein großes Publikum aufbauen kann, müssen nicht nur technische oder finanzielle Probleme gelöst werden. Das Programm muss entsprechend sein. Es muss abwechslungsreich, interessant, pluralistisch, offen gestaltet werden. Die Leute schauen sich Telesur nicht an, wenn die Informationen nicht glaubwürdig, einseitig oder sehr langweilig sind oder wenn sie den Eindruck haben, dass es sich um einen Propagandakanal handelt.

Telesur darf sich selbst nicht als eine didaktische oder pädagogische Anstalt sehen, die dem Publikum zeigt, was politisch korrekt ist. So wäre Telesur zum Scheitern verurteilt und es würde es sich um eine Randerscheinung handeln. Es muss ein Kanal sein, der die Pluralität des Kontinents repräsentiert, der Debatten vorstellt, in dem lateinamerikanische Filme und Theaterstücke gezeigt werden. Ein Sender, der die sozialen Bewegungen der verschiedenen sozialen Gruppierungen in Lateinamerika vorstellt. Das ist keine leichte Herausforderung, aber aktuell die Interessanteste in Lateinamerika.

Wer macht alles bei Telesur mit und wie funktioniert der Kanal?

Die Sender, die mitarbeiten, stammen aus verschiedenen Regionen Lateinamerikas. Es sind staatliche und regionale Fernsehkanäle. Einige haben versprochen, dass sie eine bestimmte Sendezeit füllen werden. Sie fangen deswegen nicht bei Null an, sondern können schon produzieren. Die Kanäle haben bisher nur einen lokalen, regionalen oder nationalen Sendebereich.

Wird Telesur unabhängig sein können, obwohl das staatliche Fernsehen eine große Rolle spielt?

Es gab im Sommer 2005 ein Treffen des redaktionellen Gremiums, das sich international und pluralistisch zusammensetzt. Da wurde genau dieses Thema sehr ausführlich diskutiert. Es wurde darüber gesprochen, wie man die Vorraussetzungen herstellen kann, dass sich Telesur nicht zu einem Propagandakanal entwickelt. So war der Präsident von Telesur Andrés Izarra Minister für Kommunikation in Venezuela. Nach diesem Treffen ist er von seinem Ministeramt zurückgetreten. Ich persönlich denke aber, dass die Frage nicht sehr einfach zu lösen sein wird. Schon allein die Tatsache, dass der Kanal von der venezolanischen Regierung initiiert wurde und ein großer Teil des Geldes aus Venezuela stammt, wird immer wieder Konflikte provozieren.

Es ist nicht leicht, andere lateinamerikanische Regierungen von diesem Projekt zu überzeugen. Es gab zum Beispiel große Schwierigkeiten mit der brasilianischen Regierung, aber ohne Brasilien ist Telesur nur ein sehr eingeschränktes Projekt. Noch viel schwieriger ist es mit Mexiko und Zentralamerika. Doch es ist wichtig, dass es schon mal mit vier Ländern los geht und Leute mitarbeiten, die Erfahrungen mit den Medien haben und genau wissen, dass eine einseitige Berichterstattung absolut unnütz ist. Leute, die wissen, dass sie demokratische Prozesse unterstützen und über Lateinamerika informieren müssen, damit man weiß. was auf dem Kontinent passiert.

Telesur soll über das Satellitensystem auch in Europa zu sehen sein. Was erhoffen Sie sich davon?

Die Informationen, die in Lateinamerika über Lateinamerika berichtet werden, stammen von CNN, vom spanischen Fernsehen, von BBC und etwas weniger vom deutschen und französischen Fernsehen. Die ersten drei Kanäle geben eine absolut verzerrte und entstellte Visionen der Geschehnisse wider. Der spanische Fernsehkanal hat sich mit der Regierung von Zapatero etwas verändert, er ist pluralistischer geworden. Der Kanal war unter der Regierung von Aznar radikal gegen Chávez und den venezolanischen Prozess eingestellt. Die Berichterstattung war genauso tendenziös wie bei CNN. Das, was man in Lateinamerika über Lateinamerika erfährt ist das gleiche wie das, was man in Europa über Lateinamerika erfährt. Die Informationen sind sehr reduziert, verstellt oder manchmal schlichtweg falsch. Deswegen ist es sehr wichtig, dass es noch andere Informationsquellen gibt.

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