Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 300 vom 31. Juli 1997
Inhalt
ARGENTINIEN
KOLUMBIEN
PARAGUAY
URUGUAY
KUBA
LATEINAMERIKA
GUATEMALA/USA
GUATEMALA
BOLIVIEN
VENEZUELA
CHILE
PERU
ARGENTINIEN
Regierung will Naturreservoir Chaco vernichten
(Buenos Aires/Montevideo, 25. Juli 1997, comcosur-Poonal).- Die letzten 200.000 Hektar des argentinischen Waldgebietes Chaco sind nach Aussagen von Umwelteinrichtungn bedroht. Der Chaco gilt als Naturreservoir mit einer der größten Artenvielfalten in der Welt. Jetzt soll dort nach den Plänen der Provinzregierung von Santiago del Estero Wald gerodet und ein Teil des Gebietes massiv besiedelt werden. Große Teile des Bestandes an Quebrachobäumen (Quebracho Blanco) und Quebrachoholzbäumen (Qübracho Colorado) würden dem Projekt zum Opfer fallen. Das Land soll für Vieh- und Landwirtschaft genutzt werden. Expert*innen raten von den Plänen ab, weil sie mit nachhaltiger Wirtschaftsweise nichts zu tun haben.
Spekulationen um den Tod von Menems Sohns
(Buenos Airs, 29. Juli 1997, pulsar-Poonal).- Der Tod von Carlos Menem Yoma, Sohn von Präsident Carlos Menem und seiner ehemaligen Frau Zulema, wirft weiterhin Fragen auf. Zulema Yoma erklärte gegenüber der Presse, sie könne noch nicht in Frieden weinen. Sie bezog sich damit auf viele ungeklärte Punkte im Zusammenhang mit dem Tod ihres Sohnes. Dieser war 1995 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. In einem ausführlichen Interview mit dem Magazin der Tageszeitung „La Nación“ brachte sie mehrere direkte Mitarbeiter des argentinischen Präsidenten mit dem Fall in Verbindung. Carlos Menem Jr. habe sich beobachtet gefühlt und bei verschiedenen Gelegenheiten auf seltsames Verhalten der Präsidentenmitarbeiter hingewiesen. Das Schweigen ihres Mannes zu neuen Spekulationen, es könne sich um Mord handeln, bezeichnete die Ex-Frau als besorgniserregend. Das Magazin von „La Nación“ zeigt auf, daß mindestens fünf Personen, die direkt mit den Untersuchungen zu tun hatten, auf gewaltsame Weise ums Leben kamen. Auf zwei weitere wurde geschossen und sie erhielten Todesdrohungen. Zulema Yoma hat mit ihren Aktionen erreicht, daß die Presse sich des Todesfalles erneut angenommen hat. Ausserdem trägt die Untersuchungsakte inzwischen auf ihr Drängen hin einen neuen Namen. Aus „Tod wegen Flugunfall“ wurde eine Nachforschung „über die Todesursachen“. In den offiziellen Berichten ist bisher zu lesen, daß der Hubschrauber, in dem Carlos Menem Jr. reiste, abstürzte, nachdem er gegen zwei Stromkabel geflogen war. Jetzt sind Versionen aufgetaucht, nach denen der Hubschrauber beschossen wurde und dies zum Absturz führte. Zulema Yoma hat immer von einem Mord gesprochen.
KOLUMBIEN
Neues Massaker durch Paramilitärs
(Urabá/Montevideo, 25. Juli 1997, comcosur-Poonal).- Die Aktivitäten der paramilitärischen Banden und ihre Gewalttätigkeiten nehmen zu. Das jüngste Beispiel ist ein Massaker an etwa 30 Campesinos, deren Leichen in den Fluß Guaviare geworfen wurden. Die Täter sollen ultrarechten paramilitärischen „Selbstverteidigungsgruppen“ aus Córdoba und Urabá im Norden des Landes angehören. Zeug*innen sagen aus, daß etwa hundert bewaffnete Männer die Ortschaft Mapiripán angriffen und von der Außenwelt abschnitten. Kontrollposten auf der Flugzeuglandepiste und der einzigen Landstraße zu dem Ort sorgten dafür, daß niemand Mapiripán verlassen konnte. Vor dem Massaker malten die Paramilitärs Sprüche gegen die Guerillabewegung Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) an die Wände. Mehreren getöteten Campesinos schnitten sie die Köpfe ab. Die Paramilitärs werden auch für die Erschießung eines 34jährigen Bürgermeisterkandidaten und zweier Ex-Guerilleros vor wenigen Tagen verantwortlich gemacht.
Schwarzes Gold, grüner Tod
Von Angela Castellanos
(Santafé de Bogotá, 25. Juli 1997, sem-Poonal).- Die Ölausbeutung in Kolumbien hat sich in den vergangenen Jahren stark beschleunigt. Die Konsequenzen sind vielfältig. Auf der einen Seite ist dadurch mehr Geld ins Land gekommen. Auf der anderen Seite sind alte Landkonflikte neu belebt worden. Die Einrichtungen der Ölkonzerne sind Ziel von Guerilla-Attacken.
In den fünfziger Jahren begann die Ölförderung in Kolumbien. Aber erst seit etwa 1985 und verstärkt in den 90er Jahren sind bedeutende Vorkommen gefunden worden. Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Produktionsmenge mehr als verdoppelt. Obwohl die Industrie weit von den Fördermengen in Venezuela und Mexiko entfernt ist, kann doch von einem Aufschwung geredet werden. 1996 wurden 67 Vorkommen ausgebeutet und bei 22 weiteren fanden Bohrungen statt. Die durchschnittliche tägliche Produktion von Rohöl betrug 626.000 Barrel. Während der Ölsektor 1990 erst 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmachte, werden es nach offiziellen Quellen 1997 schon 7 Prozent sein. Die Exporteinnahmen aus dem Ölverkauf erreichten im Vorjahr 1,6 Millarden Dollar.
Trotz des positiven Einflusses auf die Handelsbilanz gibt Carlos Manuel Herrera, Abteilungsleiter im Umweltministerium zu: „Der Ölboom hat vielen Ländern Reichtum und Entwicklung gebracht. In Kolumbien ist das nicht so gewesen, da die Ausbeutungsgebiete ökologisch und sozial verwundbar sind.“ Auf insgesamt rund 10.000 Hektar wird in Kolumbien Öl gefördert. Die Fördergebieten liegen in drei in drei kritischen Zonen: Im Osten des Landes, wo mehrere ethnische Minderheiten leben; in der Provinz Magdalena im Mittelosten, wo der bewaffnete Konflikt zunimmt und in der nordöstlichen Halbinsel von Guajira, wo die Bevölkerungsmehrheit Indígenas sind. Zwar spricht sich die Regierung offiziell gegen die Ausbeutung der Ölvorkommen im Amazonas aus. Tatsächlich aber wird in der Provinz Putumayo, die in der Amazonasregion liegt und eine Verteidigungsbastion der Umweltschützer*innen aus der ganzen Welt ist, bereits Öl gefördert. „Die größten Umweltschäden haben wir in den Regionen festgestellt, die noch nicht land- oder forstwirtschaftlich erschlossen sind. Diese von der Vernichtung bedrohten Ökosysteme stellen einen großen Reichtum für das Land dar“, versichert die Umweltberaterin María Teresa Szauer. „Auch wenn vermeintlich saubere Technologien bei der Ausbeutung angewendet werden, so werden Wege geschlagen, über die die Maschinen transportiert werden. Und nach den Bohrkolonnen kommen die Siedler*innen, die ohne jede Kontrolle vorgehen können“, fügt sie hinzu.
75 Prozent der Ölgebiete werden über Gemeinschaftsverträge zwischen ausländischen Unternehmen und der Kolumbianischen Ölgesellschaft (ECOPETROL) gemanagt. Über 22 Prozent der Gebiete hat ECOPETROL die direkte Kontrolle, bei den restlichen 3 Prozent handelt es sich um Konzessionen. Momentan existieren 93 Gemeinschaftsverträge. Die wichtigsten, was das Produktionsvolumen angeht, sind die mit der „British Petroleum Company“ (BP) und der „Occidental de Colombia“ (OXY). Genau diese beiden Unternehmen stehen im Zentrum der öffentlichen Debatte. Von den vier Strafen, die das Umweltministerium seit seiner Gründung im Jahr 1993 verhängt hat, entfielen zwei auf BP. Die Sanktionen werden aufgrund schwerer Vergehen verhängt, wenn beispielsweise eine Gemeinde geschädigt wird, Umweltnormen übergangen und Umweltpläne nicht erfüllt werden und wenn Arbeit ohne Erlaubnis stattfinden. Bevor eine Strafe ausgesprochen wird, gibt es einen Verweis und Auflagen. Erst wenn diese nicht beachtet werden, kommt es zu einem Verfahren, bei dem das Unternehmen noch Argumente zu seiner Entlastung vorbringen darf. Die Strafe ist das letzte Mittel und reicht von Geldstrafen bis zum Förderstop. BP mußte einmal 200.000 Dollar und einmal 250.000 Dollar Strafe zahlen. Die Gesellschaft „Cocodrill Oil“ mußte ihre Ölförderung im vergangenen Jahr zeitweise aussetzen.
Die Regierung will Schäden vermeiden, indem sie vor Aufnahme der Produktion Umweltlizenzen erteilt, die für das Unternehmen gleichzeitig eine Erlaubnis und eine Verpflichtung darstellen. Die Ölgesellschaften müssen einen Umweltplan ausarbeiten, dem das Umweltministerium die Zustimmung erteilen muß. Trotz der vorgesehenen Kontrollmaßnahmen bezüglich der physischen und chemischen Einwirkungen während aller Arbeitsphasen der Ölfirmen ist das Bewußtsein der Gesellschaften, Vertragsunternehmen und Landarbeiter*innen nicht sehr groß, wie eine Biologin bekräftigt, die ihren Namen nicht nennen wollte. Die offiziellen und privaten Anstrengungen, Wasser, Boden und Luft zu schützen, werden zudem durch Öllecks zunichte gemacht. Meistens sind diese Produkt von Guerilla-Angriffen (Die Ölkonzerne haben in der Vergangenheit allerdings auch schon Guerillaattacken vorgeschoben, um von eigenen Versäumnissen abzulenken; die Red.). Während der ersten vier Monate dieses Jahres gab es 24 Anschläge auf die Öl-Pipeline von Caño Limón nach Coveñas. Diese Pipeline ist 800 Kilometer lang und durchquert das Land von Osten nach Westen.
Etwa 50.000 Barrel Öl dürften allein 1997 aufgrund der Angriffe ausgeflossen sein. Seit 1987 gab es über 400 Sprengstoffanschläge auf die Pipeline. Dabei flossen nach Schätzungen insgesamt anderthalb Millionen Barrel Öl aus. Kolumbien belegt damit bei den durch Ölausfluß provozierten Umweltgefahren weltweit den ersten Platz. Die Ölfirmen haben als Folge ihre Sicherheitsausgaben erhöht. So gab BP in den letzten drei Jahren 8 Millionen Dollar für Sicherheitsverträge aus. Im Vergleich zu den Investitionsausgaben von 2 Milliarden Dollar und jährlichen Einnahmen von rund 1,6 Milliarden Dollar erscheinen diese Kosten jedoch eher gering.
Die Guerilla der Armee der Nationalen Befreiung (ELN), die für die Mehrheit der Anschläge verantwortlich ist, hat die Öl-Pipelines zu militärischen Zielen ernannt. Sie rechtfertigt die Attacken damit, Gegenmaßnahmen gegen die Plünderung des kolumbianischen Reichtums durch multinationale Ölkonzerne durchzuführen.
Die Tochtergesellschaften ausländischer Ölunternehmen in Kolumbien müssen 45 Prozent Einkommensteuer auf ihre Einnahmen zahlen. Doch das Geld hat für die kolumbianischen Ölregionen nicht immer nachhaltige Entwicklung bedeutet. Inzwischen hat der Staat beschlossen, daß die Abgaben in Entwicklungspläne für die Kommunen investiert werden, damit die millionenschweren Einnahmen für den Aufbau der Infrastruktur verwandt wird. „Der soziale Einfluß ist schwieriger zu kontrollieren. Kaum kommt eine Ölgesellschaft, macht sich die Gemeinde falsche Hoffnungen. Die örtliche Wirtschaft wird verdrängt und alles dreht sich nur noch ums Öl“, erklärt Carlos Manuel Herrera aus dem Umweltministerium.
Besonders schwerwiegenden Einfluß übt die Ölproduktion in bisher weitgehend unberührten Gebieten aus und dort, wo die Indígena- Bevölkerung lebt. Zum Beispiel im Reservat der Uwa im Osten Kolumbiens. Die Uwa haben mit Massensuizid gedroht, falls OXY und BP ihr Land betreten. „Das Öl ist das Blut der Erde und die Erde ist unsere Mutter“, hat Roberto Cobaría, der Führer dieses Stammes von Halbnomaden, vor kolumbianischen und nordamerikanischen Autoritäten erklärt. Der Streit ist bereits bis vor die höchsten Gerichte des Landes gegangen. Diese haben entschieden, daß die Uwa angehört werden müssen, bevor die Ölförderung genehmigt wird.
Zwar haben die beiden erwähnten Konzerne sich bisher gehütet, innerhalb des Indígena-Reservates zu operieren. Aber an den Grenzen des Territoriums haben sie mit dem Schutz der Gemeinschaftsverträge und der vom Ministerium ausgestellten Umweltlizenz mit Bohrungen begonnen. Manuel Herrera vom Umweltministerium: „Die Indígenas wurden angehört, um die Umweltlizenz für die Bohrphase zu erhalten. Es wurde vereinbart, daß die Bohrungen nicht auf dem geheiligten Land der Uwa stattfinden können. Doch wie groß ist das Land der Uwa? Es sind nur die Grenzen des Reservates festgelegt, nicht aber die Grenzen des Gebietes, das ursprünglich den Uwa gehörte. Wir stehen vor einem Problem fehlender Landmarkierung durch den Staat.“
Auf dem Land der Uwa befinden sich die ergiebigsten Ölquellen Kolumbiens. Die ausländischen Unternehmen werden nicht lange warten, die Lizenz für die Ausbeutung der Vorkommen zu beantragen. Milliarden stehen auf dem Spiel, und die Indígenas werden kaum eine Chance haben, die Bohrtrupps aufzuhalten. Straßen werden gebaut werden, tausende von Arbeitern aus der Stadt werden in das Gebiet ziehen. Die traditionelle Lebensweise der Indígenas wird sich gegen die Invasion der Förderkolonnen und Siedler kaum behaupten können.
Harte Strafen für Vergewaltigung in der Ehe
(Santafé de Bogotá, Juli 1997, fempress-Poonal).- Das kolumbianische Verfassungsgericht hat die Vergewaltigung in Ehe und Partnerschaft anderen Vergewaltigungen gleichgestellt. Damit gilt das in diesem Jahr für Vergewaltigungen allgemein festgelegte Strafmaß von acht bis 20 Jahren auch für Ehemänner bzw. Lebensgefährten. Ein 1995 speziell für Vergewaltigungen in der Ehe verabschiedetes Gesetz sieht nur Haftstrafen von zwei Monaten bis zu zwei Jahren vor. Das Verfassungsgericht begründete seine Entscheidung ausdrücklich damit, die privilegierte Stellung für die Ehemänner/Lebenspartner abschaffen zu wollen, da diese genauso wenig wie andere zur Gewaltanwendung berechtigt seien.
PARAGUAY
Tauziehen um Rechte der Community Radios
(Asunción, 25. Juli 1997, comcosur-Poonal).- In den vergangenen zwei Wochen erhielten die beiden Community Radios FM ARAMI und FM TRINIDAD Besuch von staatlichen Inspektoren. Obwohl Community und Volksradios seit Dezember 1995 gesetzlich anerkannt sind, ist das Verhältnis zu den Autoritäten nicht ungetrübt. Immer wieder werden in Treffen mit der Nationalkommission für Rundfunkübertragung die Möglichkeiten und Grenzen dieser Radios verhandelt. Die Vertreter*innen der Community und Volksradios hoffen, daß ihre anerkannte Legalität und Legitimität sich am Ende in einer gerechten und ausgewogenen Regelung ausdrückt, die das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit im paraguayischen Rundfunk nicht durch die Vergabe von Frequenzen diskriminiert oder über die ökonomischen Bedingungen erdrückt. Im August sind neue Gespräche mit der staatlichen Aufsichtsbehörde Conatel vorgesehen.
URUGUAY
Militär gegen Schmugglerbanden
(Montevideo, 25. Juli 1997, comcosur-Poonal).- Die Regierung will die Kompetenzen der Armee ausweiten, um den angekündigten Kampf gegen Schmugglerbanden zu forcieren. Die Soldaten übernehmen vielfach Polizeifunktionen. Derzeit wird nicht ausgeschlossen, daß das Innenministerium die Polizist*innen, die Botschaften und andere Einrichtungen bewachen, durch Mitglieder der Streitkräfte ersetzt. Die Ausweitung der Militäraufgaben hat in verschiedenen Bereichen Unruhe ausgelöst. Vor allem die Polizei fürchtet, daß ihre Position durch die Stärkung der Armee bedroht ist.
KUBA
Gewerkschaften gegen Neoliberalismus
(Havanna, 28. Juli 1997, prensa latina-Poonal).- Gewerkschaftsorganisationen aus etwa 60 Ländern werden Anfang August auf Kuba über ein Programm gegen die weltweite neoliberale Politik diskutieren. Der kubanische Gewerkschaftsführer Leonel González erklärte in einem Interview: „Wir haben uns vorgenommen, daß wir – auf der Grundlage der Unterschiedlichkeit des Denkens, der politischen Zugehörigkeit und der Ideologie – einen Vorschlag umreißen, der uns angesichts einer Situation eint, die uns alle gleich trifft und bedroht.“ González fügte hinzu, daß die Folgen des Neoliberalismus bei allen Gewerkschaftstreffen der vergangenen fünf Jahre ein Thema gewesen seien, doch sei es in der Regel bei der bloßen Reflexion geblieben. „Das muß uns nicht verwundern, wenn wir wissen, daß die Gewerkschaftsbewegung in der Haltung gegenüber dem Neoliberalismus gespalten ist. Das hat zweifellos ihre Rolle geschwächt.“ Zum dem Treffen auf Kuba hatten die 49 Gewerkschaftsdelegationen aus verschiedenen Ländern aufgerufen, die 1996 als Gäste an dem XVII. Kongreß der ArbeiterInnenzentrale Kubas teilnahmen. Bis jetzt haben sich über 1.200 Teilnehmer*innen aus 341 ausländischen Organisationen und 57 Ländern angemelet. Derzeit findet in Havanna noch ein weiteres Großereignis statt, das XIV. Weltjugend- und StudentInnenfestival. Einen Großteil der 6.000 jungen Leute stellen die Delegationen aus den USA, Nordkorea, Frankreich, Deutschlan, Argentinien und Puerto Rico.
LATEINAMERIKA
Die Tyrannei der Konzerne – Interview mit Noam Chomsky, Teil 3
(Quito, Juli 1997, Poonal).- Im dritten (leicht gekürzten) Teil des Interviews geht Noam Chomsky auf die nordamerikanische Politik der Drogenbekämpfung in Lateinamerika ein. Er konstatiert eine weltweite Tendenz zu „Dritte Welt-Strukturen“, auch in den USA. Im vierten und abschließenden Teil, der in der kommenden Poonal- Ausgabe erscheint, steht die Frage im Vordergrund, ob die neuen Kommunikationstechnologien eine Gefahr oder eine Chance für die Demokratie darstellen.
Frage: Die Politik zur Bekämpfung des Drogenhandels ist nach Ihrer Einschätzung eine Strategie, die Gesellschaft zu kontrollieren. Welchen Einfluß hat das auf die Gesellschaften?
Chomsky: Es ist ein Experiment. Niemand weiß die Antwort. Es handelt sich um komplizierte Dinge, die niemand richtig durchschaut. Ich beziehe mich darauf, daß diese Politik gerade jetzt entwickelt wird, seit etwa 20 Jahren. Sie dient im Wesentlichen dazu, aus der ganzen Welt so etwas wie die Dritte Welt zu machen. Nur die USA als reichstes, als privilegiertestes Land hat Gewicht. Die Idee der Sozialpolitik ist, sie so aussehen zu lassen wie in der Dritten Welt. Typische Länder der Dritten Welt wie Mexiko, Guatemala, Ägypten oder Indien, ganz egal welches Du bevorzugst, hat in etwa die gleichen strukturellen Merkmale: dort existiert eine sehr kleine Gruppe, die unglaubliche Reichtümer angehäuft hat. Du begibst Dich ins ärmste Land der Welt und wirst überrascht sein vom Reichtum der wohlhabenden Leute. Und wir haben die übrigen Gesellschaftsschichten, die sich zwischen Kummer und Elend befinden. Es gibt Teile der Bevölkerung, die unerwünscht sind, die „Wegwerfbaren“ (desechables), wie sie in Kolumbien heißen. Du willst Dich von ihnen befreien. Gut, damit kann man auf verschiedene Arten umgehen. In Kolumbien heuerst Du Todesschwadronen an und die bringen sie um. Eine weniger krasse Möglichkeit ist, sie in den städtischen Armenvierteln zusammenzupferchen. Das ist die Grundstruktur einer Gesellschaft der Dritten Welt.
Die Vereingten Staaten kommen mehr und mehr zu demselben Punkt. Es handelt sich um ein sehr reiches Land, das nicht wie Ägypten aussieht, aber seine Struktur ist sehr ähnlich. Wenn Du einen kleinen Spaziergang in einer amerikanischen Stadt machst, findest Du extremen Reichtum und anderthalb Straßenblocks weiter die völlige Misere. In den vergangenen 20 Jahren ist für etwa 90 Prozent der Bevölkerung der Lohn gleich geblieben oder gesunken. Dagegen besitzen die 1 Prozent an der Spitze einen solchen Reichtum, daß sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Du liest die Wirtschaftspresse und die sagt Dir: das große Problem dieser Leute ist, nicht zu wissen, wie die großen Vermögen verprasst werden können. In „Business Week“ nennen sie es das „lästige“ Problem (vexing problem). Dennoch besteht ihre Politik darin, weiterzumachen: die Steuern auf Kapitalgewinne sollen gekürzt werden, die Steuern der Bundesstaaten. Mehr Lasten für die Armen und so werden wir mehr Geld haben und das Problem verstärken, nicht zu wissen, wohin damit. Es gibt keine Grenzen für diese reichen Leute, sie werden nie sagen: „Ich habe genug.“ Die Mächtigen werden nie sagen, ich habe genug Macht. Stalin hatte niemals genug Macht und Rockefeller hatte niemals genug Geld. Das große Problem besteht also darin, daß sie soviel Liquidität haben, daß sie sie nicht bewältigen können. Und darin, daß man noch mehr haben muß. So hat sich im Kongreß ein neuer Zweiparteienkonsens entwickelt, um die Kapitalsteuer zu kürzen. Ihnen (den Reichen) mehr Geld und die Armen noch mehr leiden lassen.
Was sie die Reform des Wohlfahrtsstaates nennen ist nichts anderes als das sowieso schon begrenzte Unterstützungssystem für die Armen zurückzuziehen, um gleichzeitig die Reichen reicher zu machen und die Löhne einzuschränken. Der Effekt dieser Reform ist die Lohnreduzierung. Sie fördert die Präsenz armer Frauen auf dem Arbeitsmarkt mit vom Staat subventionierten Arbeiten – aber mit Löhnen unter dem Minimum. Was wird mit den Löhnen für die armen Leute passieren. Du brauchst keinen Doktor in Ökonomie, um das zu verstehen. Die Absicht ist es, die Löhne der ärmsten Bevölkerungsschichten zu reduzieren und den Privatsektor die Kontrolle übernehmen zu lassen. Das passiert auch in Brasilien mit der Privatisierung der Minengesellschaft von Vale do Rio in Brasilien, nur auf geringerem Niveau. Diese Politiken sind mehr oder weniger die gleichen. Sie stellen exakt das dar, was die Reichen machen werden, wenn sie die Kapazität dazu haben. Das muß uns nicht überraschen. Wenn Du die Wirtschaftspresse liest, erklären sie es sehr deutlich. Sie sprechen von dem, was sie die eindeutige Unterordnung der Arbeitskraft durch das Kapital in den zurückliegenden 15 Jahren nennen. Genau das, was die Löhne sinken läßt oder schärfere Arbeitsbedingungen festlegt, überflüssige Leute abschafft, die Macht reicher macht und dieselbe Politik im Rest der Welt durchsetzt. Die USA haben auch „Wegwerfbare“ wie Kolumbien und wir haben eine ähnliche Form der Buchführung: sie ins Gefängnis zu werfen. Darum hat sich die Kriminalität in den vergangenen 20 Jahren in den USA nicht erhöht, tatsächlich ist sie wahrscheinlich zurüchgegangen. Aber die Zahl der Häftlinge ist astronomisch gewachsen. Die Kriminalität bleibt gleich, aber die Zahl der Haftinsassen wächst. Mit dem Gerede vom ansteigenden Verbrechen wird für Aufregung gesorgt, darum haben die Leute in den USA vor der Kriminalität mehr Angst als sonstwo. Dabei bewegen wir uns im internationalen Rahmen. An diesem Punkt ist der Krieg gegen die Drogen nützlich.
Der Krieg gegen die Drogen hat nicht viel mit den Drogen zu tun, aber sehr viel damit, Leute damit in Verbindung zu bringen. Vor allem Schwarze und Hispanics, die in ihrer überwältigenden Mehrheit wegen Kokain- oder Marihuanabesitzes verhaftet und zu enormen Gefängnisstrafen verurteilt werden. So befreist Du Dich von diesem Bevölkerungsteil, der in gewisser Weise überflüssig wie die Wegwerfbaren in Kolumbien ist. Sie tragen in dieser Etappe nicht zum Gewinn bei, darum müssen wir sie ins Gefängnis bringen. Außerdem versetzt Du damit alle anderen in Schrecken, verbreitest Angst hinsichtlich des Drogenproblems. Wenn sie Dich jetzt mit zwei Unzen (eine Unze sind 28,35 Gramm; die Red.) Kokain in New York antreffen, erhälst Du wegen des Besitzes, nicht wegen des Verkaufs, die gleiche Strafe wie für vorsätzlichen Mord oder Vergewaltigung. An den internationalen Standards gemessen ist das sehr ausgefallen. Aber es macht Sinn, wenn es als Gegenstück zu den Todesschwadronen in Kolumbien betrachtet wird. Es ist eine Art, Dich der Unerwünschten zu befreien, derer, die für Dich überhaupt keinen Nutzen haben und die alle Welt erschrecken.
Frage: Im vergangenen Jahr haben Sie verschiedene Länder Lateinamerikas besucht und Kontakt mit unterschiedlichen Einrichtungen und Organisationen der Volksbewegungen gehabt, die für ihre Aktionen gegen eine neoliberale Politik bekannt sind. Was können Sie uns dazu sagen?
Chomsky: Am meisten habe ich von Brasilien gesehen. Brasilien ist das wichtigste Land Lateinamerikas, denn es ist potentiell reich und alles was dort passiert, beeinflußt den Kontinent. Die radikaldemokratische Partei der Arbeiter*innen (PT) ist die größte Partei des Landes. Sie würde leicht die Wahlen gewinnen, wenn es dort freie Wahlen gäbe. So wäre es bei den zwei vergangenen Wahlen gewesen. Sie ist eine Art Schirmorganisation, ein Dach, unter dem viele Strömungen Platz finden. Lula, der die bisher wichtigste Führungspersönlichkeit ist, ist eine sehr interessante Person. Ich habe den Eindruck, daß er zurücktreten und nicht mehr als die Hauptfigur weitermachen wird, weil er die Partei nicht personalisieren will. Er möchte eine demokratische Volkspartei aufbauen und nicht den Caudillismo neu beleben. Ich glaube er wird es machen und ich hoffe, die Partei kann sich neu strukturieren. Völlig unabhängig von der PT gibt es die enorme Bewegung derer ohne Land (MST). Deren hunderttausende Mitglieder haben keine formale Bindung zur PT, aber sie wählen sie. Die MST hat ihre eigene Organisation und auch städtische Aktivitäten.(…) Es gibt unabhängige Projekte für ein Volksfernsehen, die sehr wichtig sind. Sie gehen zum Beispiel an die Stadtrandviertel von Rio, wo die Bewohner*innen ihre eigenen Programme machen. Sie schreiben, leiten und treten in den Fernsehprogrammen auf. Die Programme werden auf einem Riesenbildschirm auf einem öffentlichen Platz gezeigt.
GUATEMALA/USA
US-Botschafter findet Fesseln normal
(Guatemala-Stadt, 29. Juli 1997, cerigua-Poonal).- US-Botschafter Donald Planty erklärte in Guatemala, es verstoße nicht gegen das Gesetz in seinem Land, Verhaftete aneinander zu ketten. Er bezog sich damit auf den jüngsten Fall der Deportation von 59 Guatemaltek*innen, die als illegal Eingewanderte in den USA aufgefriffen worden waren und am 21. Juli aneinandergefesselt in ihr Heimatland zurücktransportiert wurden. Daraufhin hatte es starken Protest gegeben und die USA wurden von zahlreichen Organisationen und Persönlichkeiten – darunter von der katholischen Kirche und dem staatlichen Menschenrechtsbeauftragten – beschuldigt, die Menschenrechte der Verhafteten mißachtet zu haben. Botschafter Planty versicherte nun nach einem Gespräch mit Guatemalas Innenminister Rodolfo Mendoza, die Behörden seines Landes würden die Verfahrensweisen bei der Migration überprüfen. Eine Stellungnahme seiner Regierung zu dem Fall gebe es bisher aber nicht.
GUATEMALA
Wahrheitskommission erwartet viel Arbeit
(Guatemala-Stadt, 29. Juli 1997, cerigua-Poonal).- Menschenrechtsorganisationen haben etwa 50.000 Fälle dokumentiert, in denen die guatemaltekische Armee und paramilitärische Gruppen für das Verschwinden von Menschen, für außergerichtliche Hinrichtungen und Folter in den vergangenen Jahren verantwortlich gemacht werden. Sie wollen alle Fälle vor der sogenannten Wahrheitskommission präsentieren, die die Verbrechen während des 36jährigen bewaffneten internen Konfliktes aufklären soll. Aldo Morales von der Nationalen Menschenrechtskoordination Guatemalas (CONADEHGUA) informierte, die Gruppe „Zusammenwirken für die Wahrheit“ werde der Kommission ungefähr 25.000 Fälle vorlegen. Deren Zahl könne sich sich bei weitergehenden Nachforschungen noch erhöhen. Zu den 27 Organisationen von „Zusammenwirken für die Wahrheit“ gehören unter anderem die Gruppe für gegenseitige Hilfe von Familienangehörigen Verhafteter und Verschwundener (GAM), die Guatemaltekische JuristInnenvereinigung (AGJ), die Nationale Koordination der Witwen Guatemalas (CONAVIGUA) und Organisationen von Menschen, die von ihrem Land vertrieben wurden.
Im Rahmen des Projektes zur Wiedergewinnung der geschichtlichen Erinnerung (REMHI) hat die katholische Kirche weitere 25.000 Menschenrechtsverletzungen registriert. Nach Angaben von Edgar Gutiérrez, dem Koordinator dieses Projektes, wurden dazu 5.500 Aussagen von Personen gehört, die Gewalttaten erlebt haben oder selbst zu den Opfern zählen. Die Zeugenaussagen sind auf Hunderten von Kassetten festgehalten. Da sie zu 70 Prozent in Maya-Sprachen abgegeben wurden, werden sie derzeit noch ins Spanische übersetzt. Ausserdem berichtet Gutiérrez von schriftlichen Zeugenaussagen über 500 Massaker.
Soto bestreitet Mordanklage gegen FAR
(Guatemala-Stadt, 29. Juli 1997, cerigua-Poonal).- Jorge Soto, als Guerillakommandant Pablo Monsanto früher verantwortlich für die Leitung der Aufständischen Streitkräfte (FAR), hat die Beteiligung seiner Organisation an der Entführung und dem Mord an der Journalistin Irma Flaquer im Jahr 1980 zurückgewiesen. Eine entsprechende Beschuldigung hatte das ehemalige Guerillamitglied Danilo Rodríguez erhoben. Der Mord an Flaquer wird während der Konferenz zur Sprache kommen, die die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) in diesen Tagen in Guatemala abhält. Jorge Soto erklärte, „wenn Danilo Rodríguez Beweise und Zeugen für seine Behauptungen hat, soll er eine formelle Anklage gegen mich einreichen, aber keine Mutmaßungen anstellen, die absolut falsch sind.“ Eine solche Art von Beschuldigungen würde nur die tatsächlichen Vorkommnisse verdecken und die Aufmerksamkeit der Guatemaltek*innen in die Irre führen. Soto informierte über seine absolute Bereitschaft, mit der Familie der ermordeten Journalistin zusammenzuarbeiten, um die Tat aufzuklären. Er habe dies bereits persönlich gegenüber der Schwester von Irma Flaquer zum Ausdruck gebracht. Anabella Flaquer wird aus Miami kommen, um an der Diskussion über den Tod ihrer Schwester auf der SIP-Konferenz teilzunehmen. Zum Zeitpunkt des Mordes im Oktober 1980 war Irma Flaquer nach Sotos Angaben damit beschäftigt, eine Menschenrechtskommission für Guatemala zu gründen. Dabei habe sie sich mit den FAR koordiniert.
Verhaftung von Regierungsfunktionären
(Guatemala-Stadt, 29. Juli 1997, cerigua-Poonal).- Hohe
Regierungsfunktionäre aus der Amtszeit von Präsident Ramiro De León sind am 29. Juli festgenommen worden. Sie stehen unter der Anklage, für den Mord an dem Universitätsstudenten Alioto López verantwortlich zu sein. Bisher waren sie noch auf freiem Fuß. Angesichts möglicher Haftstrafen von 20 Jahren und mehr wurden sie jedoch wegen Fluchtgefahr festgesetzt. Das Urteil wird im Laufe dieser Tage gesprochen werden. Unter den Verhafteten befinden sich der ehemalige Innenminister Danilo Parrinello und sein Stellvertreter Oberst Mario Mérida sowie der frührer Direktor der Nationalpolizei, Salvador Figueroa. Der ebenfalls verhaftete Polizist Carlos Venancio Escobar ist der einzige, der direkt für den Mord verantwortlich gemacht wird. Der stellvertretende Chef eines Polizeikorps versetzte dem aus einer Schußwunde blutenden und am Boden liegenden Studenten noch Fußtritte. Die Staatanwaltschaft hat für ihn 30 Jahre Haft gefordert, für seine Vorgesetzten 20 Jahre.
BOLIVIEN
Verfassung auf Aymara
(La Paz, 21. Juli 1997, alc-Poonal).- Mehr als eine Million Bolivianer*innen, deren Muttersprache das Aymara ist, werden ab Anfang August die Verfassung in ihrer eigenen Sprache lesen können. Für die Übersetzung ins Aymara, das auch von einer halben Million Menschen in der peruanischen Grenzprovinz Puno gesprochen wird, war ein Team aus Jurist*innen, Linguist*innen und Expert*innen anderer Berufe verantwortlich. Eine erste Fassung war von dem Indígena-Linguist und Aymara-Experten Vitaliano Huanca erstellt worden. An der Überarbeitung nahmen nicht nur Regierungsvertreter*innen, sonderen auch Mitglieder von Indígena- und Campesino-Organisationen, der Kirchen und anderer Nicht- Regierungsorganisationen teil. Für den Druck und die massive Verbreitung ist das Ministerium für Ethnische Angelegenheiten zuständig. Einen Anstoß für die Übersetzung gab unter anderem das von der UNO erklärte Internationalen Jahrzehnt der Indígena- Völker. Die Verbreitung der Verfassung in Aymara Anfang August hat noch eine besondere Bedeutung. Der 2. August erinnert an die Agrarreform von 1952, die den Indígenas nicht nur Land zusprach, sondern ihnen auch das Wahlrecht zubilligte. Aymara war zusammen mit dem Quechua vor der Ankunft der Spanier die gebräuchlichste Sprache in der gesamten südamerikanischen Andenregion. Es hat nach wie vor große Bedeutung.
VENEZUELA
Keine Landtitel für Indígenas in Sicht
(Caracas, 25. Juli 1997, alc-Poonal).- 73 Prozent der Indígenas in Venezuela verfügen nicht über Landtitel, die ihren legalen Besitz für der Böden beweisen, die sie seit Jahrhunderten bewohnen. Dies, obwohl das Agrarreformgesetz den Staat dazu verpflichtet und auch die Konvention 107 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), von Venezuela im Jahr 1983 unterzeichnet, dies vorschreibt. Ein Dokument, das 15 Menschenrechtseinrichtungen und Organisationen der Indígena-Völker für das UNO-Komitee zur Abschaffung der Rassendiskriminierung erarbeiteten, sieht in den fehlenden Landurkunden das zentrale Problem für die Völker der venezolanischen Ureinwohner*innen. Nach dem Zensus von 1992 leben in Venezuela 315.000 Indígenas aus 28 Ethnien. Das sind 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie verteilen sich auf acht Provinzen, die meisten leben jedoch in ländlichen Zonen und in den Grenzgebieten.
CHILE
Hauptstadt immer noch im Smog
(Santiago de Chile, 29. Juli 1997, pulsar-Poonal).- Die Stadtverwaltung von Santiago de Chile mußte die Schulen schließen lassen und den Umweltnotstand ausrufen. Die Regierung erteilte für 60 Prozent der Autos ohne Katalysator ein absolutes Fahrverbot in der Hauptstadt. 102 Industriebetriebe in der Stadt mussten schließen. Außerdem wird schwangeren Frauen, Kindern und alten Leuten empfohlen, die Häuser nicht zu verlassen. Nachdem die Luftbelastung in Santiago de Chile schon längere Zeit groß gewesen war, wurden die Schadstoffgrenzwerte für die Luft am Montag überschritten. Über der Stadt liegt ein Grauschleier. Kritiker*innen aus dem Parlament, Ärzt*innen und Umweltschützer*innen bezeichnen die ergriffenen Maßnahmen als Flickschusterei. Damit könne ein Problem, daß jeden Winter fünfeinhalb Millionen Chilen*innen zu erdrücken drohe, nicht an der Wurzel bekämpft werden. Santiago de Chile gehört mit Mexiko-Stadt und Sao Paulo zu den am meisten umweltbelasteten Städten Lateinamerikas.
PERU
Wer selbst im Glashaus sitzt…
(Lima/Montevideo, 29. Juli 1997, comcosur/pulsar-Poonal).- Perus Präsident Alberto Fujimori könnte von Anfang an unrechtmäßig das oberste Staatsamt besetzt haben. Der Grund: möglicherweise ist er in Japan und nicht wie offiziell behauptet in Peru geboren. Dies legen zumindest Untersuchungen der Wochenzeitschrift „Caretas“ nahe, die auch von mehreren Fernsehsendern verbreitet wurden. Die peruanische Verfassung bestimmt, daß der Präsident des Landes in Peru geboren sein muß. Darüber gibt es wachsende Zweifel. Die Geburtsurkunde Fujimoris ist unauffindbar. Sie soll durch einen Brand in einem Amtsgebäude vernichtet worden sein. Die zu Rate gezogene Taufurkunde weist eine Besonderheit auf: Die ursprünglichen Geburtsdaten sind mit einem Fleck übertüncht worden. Darüber sind mit anderer Tinte und anderer Schrift das Geburtsdatum 28. Juli 1938 und der Geburtsort Lima eingetragen. Fujimori selbst will sich zu den Vorwüfen nicht weiter äußern. Er hat seinen Anwalt beauftragt, die Vorwürfe auszuräumen. Dieser erklärte, der Präsident werde belegen, daß er am 28. Juli 1938 in Lima geboren sei. Der Anwalt legte eine Kopie des verschwundenen Originals der Geburtsurkunde vor. Die Taufurkunde werde von Expert*innen untersucht.
Einen ersten Rückschlag hat der Präsident bereits hinnehmen müssen. Der Kardinal Augusto Varas Almazara erklärte öffentlich, eine Taufurkunde könne korrigiert werden, wenn es einen Fehler bei der Eintragung gegeben habe. Aber nur wenn die Kirche dies autorisiere und das in einem Buch gesondert verzeichnet sei. Dies ist bei Fujimoris Taufurkunde nicht der Fall. Es gibt Versionen, daß der Präsident erst im Alter von zwei oder mehr Jahren von Japan nach Peru kam. Diese kamen schon früher auf. Angesichts der damaligen Popularität Fujimoris wurden sie jedoch über einen längeren Zeitraum nicht beachtet. Jetzt ist dies anders. Zudem bekommt der Fall dadurch eine besondere Note, daß die Behörden dem in Ungnade gefallenen und aus Israel stammenden Fernsehunternehmer Baruch Ivcher erst vor kurzem die peruanische Staatsbürgerschaft mit zweifelhaften Argumenten entzogen hatten. An jedem 28. Juli im Jahr, seinem Geburtstag, zieht der peruanische Präsident Alberto Fujimori eine Regierungsbalanz. Diesmal beschränkte er sich auf einen 30minütigen Diskurs, bei dem er auf die Probleme der vergangenen Monate nur ganz kurz einging. Der Streit um die Taufurkunde fand keine Erwähnung. Wenn Fujimori auch offiziell seinen 59. Geburtstag feierte, so glauben viele Peruaner*innen inzwischen, daß „El Chino“ mindestens 61. Jahre alt ist.
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