Der Fujimorismus und die Cosa Nostra

von Jose Alejandro Godoy

(Quito, 30. März 2011, alai).- Wenn der Begriff Menschenrechte nicht in den Regierungsprogrammen der drei wichtigsten Aspirant*innen auf das Präsidentenamt erscheint, ist das durchaus ein Anlass zur Sorge.

Schäbiges Mittelmaß

Die Vorschläge und Programme dieser Wahlkampagne waren nicht besonders herausragend. Im Gegenteil: Schlichte Beleidigungen, das Banalisieren wichtiger Themen, das Infragestellen des persönlichen Lebenswandels oder von Eigenschaften der Kandidat*innen und Kritik an Journalist*innen und Interviewer*innen charakterisierten diesen unverhohlen mittelmäßigen Wahlkampf.

Trotzdem lohnt es sich, sich zumindest einen Überblick über die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der Regierungspläne jener fünf Kandidat*innen zu verschaffen, deren Chancen auf das PräsidentInnenamt am größten sind. Alle versuchten, sich auf die eine oder andere Art und Weise voneinander abzugrenzen – sei es durch eine hervorstechende Idee oder dadurch, sich als völlig verschieden von allen anderen Kandidat*innen zu präsentieren. Wir werden sehen, inwieweit ihnen das bezüglich dreier Themen gelungen ist, die mit den demokratischen Institutionen verbunden sind.

Ein paar Rechte, nur wenig für die Menschen

Worin gleichen sich Keiko Fujimori vom Wahlbündnis „Die Macht 2011“ (Fuerza 2011), Luis Castañeda Lossio vom Wahlbündnis „Allianz für Nationale Solidarität“ (Alianza Solidaridad Nacional) und Pedro Pablo Kuzcynski vom Wahlbündnis „Allianz für den großen Wandel“ APGC (Alianza para el Gran Cambio) in ihren Vorschlägen bezüglich der Menschenrechte? Nun, in einem sehr wichtigen Punkt: Sie alle schweigen zum Thema. In ihren Regierungsplänen findet sich nicht einmal eine klitzekleine Bemerkung zu diesem Thema.

Das verwundert nicht, angesichts des Fujimorismus und seiner Verwicklungen mit diesem Thema. Doch es ist verwunderlich im Fall des ehemaligen Bürgermeisters von Lima, Luis Castañeda Lossio und von Pedro Pablo Kuzcynski, der unter Toledo schon einmal Wirtschaftsminister war. Beide sind Kandidaten von demokratischen Parteien. Obwohl nicht verschwiegen werden sollte, dass Castañeda bei Erscheinen des Abschlussberichts der Wahrheits- und Versöhnungskommission erklärte, man hätte man mit dem Geld, dass den Kommissionsmitgliedern gezahlt worden war – viele von ihnen arbeiteten ehrenamtlich – mehr öffentliche Bauten finanzieren können.

Seltsame Auslassungen

Doch für das Wahlbündnis „Allianz für den großen Wandel“ APGC von Kuzcynski, der die Populäre Christliche Partei PPC (Partido Popular Cristiano), die Humanistische Partei Perus PHP (Partido Humanista Peruano), die Partei der Nationalen Wiederherstellung PRN (Restauración Nacional) und die Partei Allianz für den Fortschritt (Alianza para el Progreso) angehören, ist es ein schweres Versäumnis, dieses Thema nicht aufgegriffen zu haben.

Auf dem vordersten Listenplatz der AGPC für Lima steht nämlich mit Humberto Lay ein Mitglied der Wahrheitskommission. Für das Amt der Vizepräsidentin hat die Allianz mit Marisol Pérez Tello eine Professorin für Menschenrechte an der Juristischen Fakultät der Universität von San Martín de Porres vorgesehen. Und mit dieser Auslassung wird das Bild einer demokratischen Rechten geschaffen, die die sich wenig um fundamentale Rechte sorgt.

Ein paar Brocken für Indigene und die LGBT-Community

Diejenigen, die sich sowohl mit ihren Erfolgen als auch mit ihren Versäumnissen das Thema zu einem Minimum auf ihre Agenda geschrieben haben, sind die beiden Kandidaten Alejandro Toledo vom Wahlbündnis „Peru ist möglich“ APP (Alianza Perú Posible) und Ollanta Humala vom Wahlbündnis „Peru gewinnt“ AGP (Alianza Gana Perú). Beide schlagen Maßnahmen bezüglich der indigenen Völker, zur Anerkennung des Rechts auf vorherige Konsultation sowie einige Rechte für die LGBT-Community von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*personen (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans*) vor.

Zudem wollen sie Impulse zur Umsetzung der Empfehlungen der Wahrheitskommission setzen. Doch die beiden Aspiranten unterlassen es, sich zum Nationalen Plan für Menschenrechte in irgendeiner Weise zu äußern – dabei ist dies das wichtigste politische Instrument zu diesem Thema.

Zwischen Nicht-Reform und institutionellem Wandel

Erneute Übereinstimmungen zwischen Luis Castañeda y Keiko Fujimori: Sie machen keinerlei Vorschläge zur Reform des politischen Systems. Ihre Gegenspieler hingegen sprechen sich für den Wandel aus, einige ambitionierter als andere. Pedro Pablo Kuzcynski präsentiert diese Vorschläge jedoch nicht im Regierungsprogramm sondern in seinem Buch „Peru jetzt oder nie“ (Perú ahora o nunca). Dort schlägt er die Reduzierung der Ministerämter auf 14 vor, die Fusion von Wohnungsbauministerium und Ministeriums für Verkehr und Kommunikation in einem gemeinsamen Ressort. Das Tourismusministerium soll dem Kulturministerium zugeschlagen werden und die Bereiche Produktion und Außenhandel sollen ebenfalls zusammengelegt werden. Am Parlament kritisiert er die Zahl der Kommissionen, macht allerdings keine Vorschläge, wie er das ändern möchte.

Toledo plädiert für mehr Ministerien

Toledo schlägt – im Gegensatz zu seinem ehemaligen Wirtschaftsminister Kuzcynski – die Bildung von zwei neuen Ministerien vor: des Ministeriums für Jugend und Sport und des Ministeriums für Technische Innovationen. Hinzu kommt die Wiedereinführung des Nationalen Rates für Dezentralisierung. Vorgesehen ist ebenfalls die Bildung eines Staatsrates, der aus den autonomen Verfassungsgremien und den Staatsminister*innen bestehen soll. Vorgeschlagen wird zudem eine ständige Evaluierung der Exekutive, die Stärkung der Funktion der Vizepräsidenten als politische Akteure sowie die Stärkung Mechanismen zur Kontrolle der Parteienfinanzierung und die Einführung einer staatlichen Parteienfinanzierung.

Bezüglich des Parlaments werden Reformen zur Verbesserung der Qualität von Gesetzen angesprochen sowie mehr Effizienz der parlamentarischen Procedere propagiert – ohne dass konkrete Punkte benannt würden.

Niemand will ans Eingemachte

Ollanta Humala insistiert seinerseits auf eine komplette Verfassungsreform. Lassen wir dabei die Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft einen Moment lang völlig außer acht und konzentrieren uns auf die vorgeschlagenen Änderungen des politischen Systems: Propagiert wird das Misstrauensvotum für alle Würdenträger*innen, inklusive des Präsidenten bzw. der Präsidentin selbst. Ferner will Humala die Parteienfinanzierung durch die öffentliche Hand einführen – genau wie Toledo auch – und die Aufgaben der Wahlbehörden begrenzen.

Das ist, ehrlich gesagt, nicht gerade viel. Und es überrascht doch, dass angesichts des Niveaus unseres Parlamentes, das wir hatten, nicht stärker auf eine Reform der Staatsmacht hingearbeitet wird.

Und Gerechtigkeit für alle?

Dies ist dann doch einmal ein Punkt, zu dem alle Kandidat*innen etwas zu sagen haben. Nur das Pathos ist unterschiedlich gelagert.

Der Fujimorismus kann sich nur zu einem Minimum durchringen. Seine einzigen diesbezüglichen Vorschläge bestehen in der Schaffung einer Jugendgerichtsbarkeit für Straftaten Minderjähriger, um schnelle Urteile bei derartigen Delikten zu erreichen. Im gleichen Sinne äußert sich diese politische Richtung hinsichtlich der gütlichen Einigung zur Beilegung rechtlicher Konflikte. Trotz der stattlichen Zahl an Anwält*innen in ihrem Team, präsentiert Keiko Fujimori keine nennenswerten Reformvorschläge für den Justizapparat. Das mag daran liegen, dass das Justizsystem zu Zeiten ihres Vaters fest in der Hand der Regierung lag.

Kuzcynski votiert für Reformen im Justizwesen

Kuzcynski geht auf diesem Feld mutig voran und wird erstaunlich konkret. So schlägt er vor, dass das Justizministerium die Regierung tatsächlich juristisch beraten und eine grundlegende Rolle bei der Systematisierung und Umsetzung der Rechtsordnung des Landes erhalten soll. In diesem Sinne wird auch die durch die jeweiligen Ämter bestimmte Zusammensetzung des Nationalen Rats der Richter*innen, der für die Einsetzung von Richter*innen zuständig ist, in Frage gestellt.

Alternative Vorschläge, wie das Gremium stattdessen gewählt werden soll, gibt es jedoch nicht. Bezüglich des richterlichen Berufsweges wird Wert auf Leistungen gelegt sowie ein Qualifizierungsprogramm von sechs Monaten vorgeschlagen, das vor dem Eintritt ins RichterInnenamt absolviert werden muss.

Außerdem plädiert Kuzcynski für die Nutzung der Informationstechnologie, um den Ablauf von Strafverfahren und die Benachrichtigungen besser verfolgen zu können. Zudem sollten auch die Mechanismen zur Kontrolle des Justizapparates verbessert werden.

Castañeda will Obersten Gerichtshof dezentralisieren

Castañeda will all dem einen sozialeren Anstrich verpassen. Der Oberste Gerichtshof soll in regionale Gerichtshöfe dezentralisiert werden – ohne zu sagen, wie viele – und die soeben als Anwält*innen Graduierten sollen auf die Stärkung von Mechanismen der gütlichen Einigung vor Gericht sowie der außergerichtlichen Einigung hinwirken. Für besonders gefährdete Gruppen soll es kostenlose Programme zur rechtlichen Orientierung geben. Bezüglich des Tempos im Justizwesen wird auf Schiedsgerichte und gütliche Einigungen gesetzt, eine neue Strafrechtsordnung soll es geben und die Erstellung von Richtlinien zur Mündlichkeit von Zivilprozessen und solchen vor den Verwaltungsgerichten.

Castañedas Partei der Nationalen Solidarität SN (Partido Solidaridad Nacional) will zudem alle richterlichen Urteile im Internet auf den Seiten des Justizwesens veröffentlichen, sie will ein Evaluationssystem anhand von Kriterien der Rechtssprechung in der Hand der Akademie der richterlichen Magistratur – wozu eine Verfassungsreform notwendig wäre – und die Stärkung der Richterlichen Kontrollbehörde OCMA (Oficina de Control de la Magistratura) für die interne Überprüfung sowie der Nationalen Strafvollzugsbehörde INPE (Instituto Nacional Penitenciario) für den Strafvollzug.

Das Bündnis „Perú Posible“ von Alejandro Toledo erwähnt die Wiederaufnahme eines – während der ersten Regierungsperiode von Toledo – von der Sonderkommission für eine umfassende Reform der Justizbehörden CERIAJUS (Comisión Especial para la Reforma Integral de la Administración de Justicia) vorgeschlagenen Plans zur Verbesserung des Justizapparates als Ziel. Problematisch daran ist, dass nicht gesagt wird, wie der Plan umgesetzt werden soll und welche Priorität er hat.

Toledo und Humala greifen alte Hüte wieder auf

So wie bei Kuzcynski und Castañeda wird die Einsetzung einer neuen Strafrechtsordnung als Maßnahme zur Beschleunigung von Strafprozessen angeführt. In diesem Sinne scheint die Stärkung des Innenministeriums eine durchdachte Maßnahme für die Untersuchung komplizierter Straftaten zu sein. Bezüglich der Strafvollzugspolitik will Toledo versuchen, die Untersuchungshaft zu verkürzen und die Autorität der Haftanstalten zu stärken.

Und schließlich bleibt noch zu sagen, dass auch das Bündnis von Ollanta Humala die Empfehlungen der Kommission CERIAJUS als Ziel für Justizreformen ausgibt. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den Zugang zur Justiz für die ärmsten Sektoren des Landes gelegt, vor allem was sprachliche und ökonomische Hindernisse angeht und die Anerkennung von Schiedssprüchen. Die Militärgerichtsbarkeit soll Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden. Die administrativen Arbeiten des Justizapparates soll ein spezielles Organ übernehmen und zudem sollen die besten Absolvent*innen der Rechtsfakultäten dazu animiert werden, eine berufliche Laufbahn im Justizapparat anzustreben.

Schweigen, Mittelmaß und Unkonkretes

Insgesamt betrachtet stellt sich bei den drei analysierten Themen die Situation so dar, dass Humala und Toledo mehr institutionelle Reformen propagieren, allerdings nicht konkret genug sind. Pedro Pablo Kuzcynski spricht einige wichtige Punkte an, lässt jedoch auch vieles unter den Tisch fallen. Castañeda steht für Mittelmaß und Keiko Fujimori für Schweigen – angesichts des Erbes ihres Vaters. Jetzt haben die Wähler*innen das Wort.

Der Originalartikel erschien in der Revista Ideele 206

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