Poonal Nr. 542

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 1. Oktober 2002

Inhalt


BRASILIEN

URUGUAY

ARGENTINIEN

KOLUMBIEN

VENEZUELA

CHILE

PUERTO RICO

GUATEMALA

COSTA RICA


BRASILIEN

Lulas Gegner beschimpft den PT-Kandidaten als „ungebildet“

Von Lia Rodriguez und Roberto Roa

(Rio de Janeiro, 25. September 2002, npl).- Lula habe kein Universitätsdiplom und sei folglich nicht geeignet, Brasilien zu regieren. Mit dieser Aussage in der Schlussphase des Wahlkampfs hoffte der Regierungskandidat José Serra, den in Umfragen klar führenden Kandidaten der Arbeiterpartei Luiz Inácio Lula da Silva doch noch stoppen zu können. Doch die Diffamierung wurde zum Eigentor: Bis hin zum scheidenden Präsidenten Fernando Cardoso distanzierten sich fast alle Sektoren der brasilianischen Gesellschaft von dieser Aussage, und das Oberste Wahlgericht verdonnerte Serra dazu, Lula während seiner kostenfreien Fernsehzeit die Möglichkeit zum Widerspruch zu geben. Serras Wahlspots, denen zufolge sogar Verkehrspolizisten höhere Schulabschlüsse vorlegen müssten, bezeichnete das Gericht als beleidigend.

Inzwischen betreibt die Arbeiterpartei PT erfolgreich Wahlkampf mit der vermeintlichen Vorwurf. „Wir werden sehen, ob nicht ein Mechaniker das schafft, was die brasilianische Elite bis heute nicht geschafft hat: die Lage im Land zu verbessern,“ so Lula, der vor seiner Politikerlaufbahn als Metallarbeiter und später als Gewerkschafter tätig war. „20 Millionen der 180 Millionen Brasilianer sind Analphabeten, in dem größten Land des Kontinents haben nur elf Prozent der Jugendlichen Zugang zur höheren Bildung. In Argentinien hingegen haben 42 Prozent diese Möglichkeit, und sogar in Bolivien, dem ärmsten Land Südamerikas, noch 24 Prozent. Immer wieder fragen jetzt PT-Politiker, warum José Serra, der in Brasilien, Chile und den USA studierte, den Kandidaten Lula und mit ihm 164 Millionen Brasilianer, die ebenfalls keine Universität besuchten, beleidigt hat. „Wir brauchen Politiker, die nicht nur Englisch, sondern unsere Sprache sprechen und durch Brasilien reisen,“ so Lula in Anspielung auf Präsident Cardoso, der – so eine Rechnung der PT – von seinen knapp acht Regierungsjahren insgesamt ein Jahr auf Auslandsreisen verbrachte.

In Umfragen zum Ausgang der Präsidentschaftswahl am 6. Oktober konnte Lula seine Führung weiter ausbauen. Dem Forschungsinstitut Ibope zufolge gewann der PT-Kandidat in der vergangenen Woche zwei Prozent hinzu und kommt nunmehr auf 41 Prozent Zustimmung. Andere Institute sehen Lula gar bei 44 Prozent. Übereinstimmung herrscht darüber, dass, sollte sich diese Tendenz fortsetzen, die Stichwahl am 27 Oktober ausfallen werde. Sollte es dennoch einem Konkurrenten gelingen, die absolute Mehrheit für Lula zu verhindern, dürfte dieser die Stichwahl mit 15 Prozent Vorsprung gewinnen, errechnete Ibope.

Weiterhin auf Platz zwei der Umfragen liegt der Kandidat der regierenden sozialdemokratischen Partei PSDB José Serra. Doch der Wunschkandidat der Wirtschaft und einziger verbliebener Vertreter des konservativen Brasiliens büßte jüngst ein weiteres Prozent ein und kommt in Umfragen lediglich auf 18 Prozent. Auf Platz drei mit nunmehr 15 Prozent schob sich Anthony Garotinho von der Sozialistischen Partei und verwies damit den ebenfalls gemäßigt linken Ciro Gomez mit zwölf Prozent auf den vierten Platz.

Weniger als zwei Wochen vor dem Urnengang scheint es Lula sogar gelungen zu sein, Teile der Wirtschaft auf seine Seite zu ziehen. „Lula ist der Kandidat, der am ehesten Einverständnis zwischen Unternehmern, Arbeitern und sogar dem Finanzsektor schaffen kann,“ erklärte kürzlich Ivo Rosset, Chef eines großen Textilunternehmens in Brasilien. Dies ist nur eine der Stimmen von Unternehmerseite, nachdem Anfang dieser Woche Eugenio Staub das Eis gebrochen hatte. Staub, einer der bekanntesten Unternehmer des Landes, hatte im Radio erklärt, er werde Lula seine Stimme geben, weil er der einzige Kandidat mit einer „strategische Vision“ sei. Seitdem häufen sich Aussagen von Unternehmern, die dem Vorurteil widersprechen, dass Lula für die gesamte Wirtschaft ein Schreckgespenst sei.

Allerdings komme die Unterstützung in Unternehmerkreisen für Lula fast ausschließlich aus dem produktiven Sektor, schränkt Lawrence Pih, Präsident von Moinho Pacifico, dem größten Getreideproduzenten Lateinamerikas, ein. Von dort kommen auch seit Monaten die immer gleichen schlechten Nachrichten: Minusrekorde an der Börse und stetige Abwertung der Landeswährung Real, die am vergangenen Montag mit 3,57 Real für einen US-Dollar einen neuen historischen Tiefstand erreichte. Bei der Bewertung des für Investoren richtungsweisenden Länderrisikos nimmt Brasilien inzwischen nach Argentinien und Nigeria den drittletzten Platz ein. Die Tatsache, dass sich der PT-Kandidat schon lange von seiner einstigen radikalen Rhetorik verabschiedet hat, scheint den Finanzsektor ebenso wenig zu interessieren wie die Abkehr Lulas von der Forderung, die Bedienung der Auslandsschulden in Frage zu stellen.

Offenbar ist Lulas Ankündigung, eine eigenständige Wirtschaftspolitik zu betreiben, Grund genug für die Sorge auf den Finanzmärkten. Im Fernsehen sagte der PT-Politiker am Dienstag (24.9.), er bewerte ein Wachstum der stagnierenden Wirtschaft höher als das Ziel einer niedrigen Inflation. Damit widerspricht Lula den Vorgaben des Weltwährungsfonds IWF, die das Land auf eine Hochzinspolitik und Anti-Inflationsmaßnahmen festlegen, damit Brasilien mittels eines Haushaltüberschusses die Auslandsschulden zurückzahlen kann. Erst im August hatte der IWF Brasilien einen Riesenkredit von 30 Milliarden US-Dollar zur Bewältigung der Krise bewilligt.

Lula, der sich bereits zum vierten Mal um das höchste Staatsamt bewirbt, beteuerte erneut, er werde keine Weisungen des IWF bei der Definition seiner Wirtschaftspolitik akzeptieren, ohne allerdings seine Vorstellungen einer anderen Schwerpunktsetzung zu konkretisieren. Lediglich die Ablösung des Zentralbank-Präsidenten Arminio Fraga, Architekt der guten Beziehungen Brasiliens zum IWF, sei bei einem Wahlsieg beschlossene Sache.

Deutlicher wird Lula jedoch in Fragen der internationalen Kooperation: Eine klare Absage erteilte er dem Wunsch Washingtons, Brasilien als wichtigste Wirtschaftsmacht Südamerikas solle der gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA beitreten. Für die Arbeiterpartei wie für ihren Kandidaten bedeutet der ALCA nichts weiter als die „Annexion Brasiliens entsprechend den Interessen der USA und einen Verlust an Souveränität“. Die beste Haltung Brasiliens bei den Verhandlungen zum ALCA wäre, „die weitere Einbindung in den MERCOSUR voran zu treiben,“ sagte Lula mit Bezug auf den gemeinsamen Markt Südamerikas, der immer mehr in Konkurrenz zum ALCA steht.

Auch in der Außenpolitik fand Lula da Silva klare Worte. George W. Bush sei zu guten Teilen für die internationale Instabilität verantwortlich. In Bezug auf die Irak-Frage sagte Lula, Bush denke nur an Krieg. „Die Vereinigten Staaten haben einen Präsidenten, bei dem neun von zehn Worten, die er ausspricht, vom Krieg handeln.

Der Wetteinsatz des Kandidaten Lula

(Montevideo, 20.September 2002, comcosur).- Der Favorit unter den Präsidentschaftskandidaten, Luis Inacio Lula da Silva, betonte, dass es notwendig sei, den MERCOSUR zu stärken, damit Brasilien seine Verhandlungsposition innerhalb des nordamerikanischen Projektes ALCA verbessern könne. Die USA planen eine gemeinsame Handelszone aller amerikanischen Länder (ALCA). Verschiedene Organisationen befürchten allerdings dramatische Auswirkungen im Hinblick auf die Entwicklung der Industrie und der Arbeitskraft in Lateinamerika.

Der Vorsitzende der Arbeiterpartei PT Lula meinte, er wolle viel dazu beitragen, den MERCOSUR zu stärken, denn dieser sei unverzichtbar. „Wir wollen ein Bewusstsein in Lateinamerika schaffen, das sowohl dem Außenhandel als auch einer strukturellen Politik dient.“ Das sei sehr wichtig. Er fügte hinzu, dass die gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA in der geplanten Form, „in Wirklichkeit keine Politik der Integration darstelle, sondern Ausdruck einer Annektionspolitik“ sei, der er nicht zustimmen könne.

Der Präsidentschaftskandidat legt in den Umfragen beständig zu und erhält inzwischen auch von bis vor kurzem noch unerwarteten Seiten Unterstützung. Diesmal möchte Lula die Niederlagen der letzten Wahlen vermeiden und setzt auf eine Strategie, in der er sich an die Sektoren, die ihm bislang entgegenstanden, annähert. So z.B. an das Militär: 22 Jahre, nachdem er selbst unter der Diktatur im Gefängnis gesessen hat, erhält Lula für seine Haushaltspläne in Sachen Streitkräfte nun Beifall von ranghohen Militärs.

Unter anderem erklärte Lula, dass es den Soldaten gut gehen solle und sie drei Mal am Tag essen sollten. Zu Beginn des Jahres waren Rekruten wieder nach Hause geschickt worden, weil es nicht genügend Nahrungsmittel gab. Lula hielt seine Rede in der Höheren Militärakademie. Dort sagte er, sein Ziel sei es, dass ein Brasilianer aufgrund seiner ökonomischen, technologischen und militärischen Stärke respektiert werde. Außerdem verurteilte er die Tendenz, dass die Streitkräfte zur Bekämpfung der Straßenkriminalität eingesetzt würden.

Im Bezug auf ökonomische Themen meinte Lula, dass weder Brasilien noch Argentinien auf Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) angewiesen seien. Er griff Fernando Collor de Melo, Ex-Präsidenten Carlos Menem und den Mexikaner Carlos Salinas an und erklärte, es müsse eine „Wiederaneignung von Argentinien und Brasilien“ beginnen, und zwar durch deren „industrielle Produktivkräfte, durch ihre Landwirtschaft, durch den Tourismus und durch ein Anwachsen des Dienstleistungssektors“. Das sei es, was der Ökonomie eines Landes Stabilität verleihe und nicht geliehenes Geld. Lula erklärte, er werde dafür arbeiten, dass sich Brasilien kein Geld vom IWF leihen müsse.

Nein zum Beitritt in die Freihandelszone ALCA

(São Paulo, September 2002, oficina informa-poonal).- Mehr als zehn Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer, das entspricht einem Zehntel der Wahlberechtigten Brasiliens, nahmen Anfang September an der Volksabstimmung über den Beitritt Brasiliens in die Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA teil. 98,33 Prozent der Befragten sprachen sich gegen den Beitritt Brasiliens aus. 95,94 Prozent votierten darüber hinaus auch für den Ausstieg Brasiliens aus den Verhandlungen über die ALCA.

Die Umfrage, deren Ergebnisse am 16. September veröffentlicht wurden, fand in 3.900 Bezirken statt. Wahlurnen wurden in Schulen, Universitäten, Gemeinden, bei Gewerkschaften und auf öffentlichen Plätzen aufgestellt. Die größte Wahlbeteiligung gab es in den Bundesstaaten São Paulo und Minas Gerais mit 2,3 Millionen bzw. 1,3 Millionen Stimmen.

Die Ergebnisse der Volksabstimmung wurden den Mitgliedern des Parlaments, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, dem Minister Marco Aurélio und dem Staatssekretär Euclides Scalco vorgelegt. Am selben Vormittag wurde auch die Botschafterin der Vereinigten Staaten, Donna Hrinak, von den Zahlen in Kenntnis gesetzt.

Zahlreiche Organisationen aus der sozialen Bewegung sowie aus religiösen und gewerkschaftlichen Zusammenhängen hatten die Volksabstimmung ins Leben gerufen, unter ihnen die Nationale Bischofskonferenz Brasiliens, der Dachverband der Gewerkschaften (CUT), die Gewerkschaft für Anwält*innen in São Paulo und die arbeiternahe Partei PSTU. Bereits vor zwei Jahren hatten diese Organisationen eine vergleichbare Umfrage gestartet, bei der mehr als sechs Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer gegen die Zahlung der Auslandschulden Brasiliens votierten. Diese Umfrage fand im Rahmen einer kontinentweiten Kampagne von Organisationen der Zivilgesellschaft statt, die nicht zu dem Treffen der 34 Staatschefs der amerikanischen Länder eingeladen worden waren, das im April 2001 in Québec, Kanada, stattgefunden hatte. Bis April nächsten Jahres sind in weiteren zehn Ländern Mittel- und Südamerikas Volksbefragungen gegen den Beitritt zur ALCA vorgesehen.

So eindeutig die Ergebnisse auch sein mögen, hätte die Arbeiterpartei PT im Vorfeld offiziell mitgewirkt, wären sie wahrscheinlich noch deutlicher. Die Parteispitze hatte sich aus politischen Gründen gegen eine Teilnahme an der Kampagne entschieden, wobei sich dennoch ein großer Teil der aktiven PT-Mitglieder eine Unterstützung der Umfrage nicht nehmen ließ.

Der Rückzug der Parteiführung wurde zum einen damit begründet, dass die Organisator*innen allgemein den politischen Parteien als Körperschaften die Teilnahme am Plebiszit untersagt hatten. Zum anderen hieß es, die Angelegenheit dürfe nicht auf das linke Lager beschränkt bleiben, denn sie sei für weitaus mehr Sektoren von Interesse, so zum Beispiel für die im Verband der Industriellen organisierten Unternehmer*innen des Bundesstaates São Paulo.

Dem PT-Führung schien zudem die dritte Frage der Volksbefragung über die Übergabe der US-Raketenbasis in Alcântara unangebracht. In einer der Diskussionen mit den Organisator*innen des Plebiszits sagte ein Mitglied der PT- Führung sogar, die Frage könne eine Welle des Antiamerikanismus provozieren, wodurch seiner Meinung nach die Wahlkampagne ihres Präsidentschaftskandidaten Luiz Inácio Lula da Silva gefährdet sei. Es ist kurioserweise diese dritte Frage, die laut der Umfrage mit 98, 56 Prozent die meisten negativen Antworten erntete. Abgesehen davon bleibt zu bemerken, dass durch die zurückgenommene Unterstützung seitens der PT die Plebiszit-Kampagne „an politischer Ausstrahlung verlor, da sie im Fernsehen lediglich in den Wahlkampfsendungen der arbeiternahen PSTU vorkam“.

In derselben Erklärung, in der der PT seine Distanzierung ankündigte, entschied die PT-Führung, ihre eigene Kampagne gegen den ALCA zu starten. Dabei greift sie Begriffe auf, die in Zusammenhang mit dem derzeitigen ALCA-Vorschlag stehen. Wortwahl und Reihenfolge, wie sie die Organisator*innen der Volksbefragung gebrauchen („Souveränität – Ja“) und wie der PT es formuliert („Nein zur Annektierung, Ja zur souveränen Integration“), zeigen den Grad der Unterschiedlichkeit.

Luiz Inácio Lula da Silva begrüßte das Plebiszit als „ein Ereignis, das gut ist, weil es die Demokratie konsolidiert“. Lula äußerte sich zwar für eine Freihandelspolitik, gab aber zu bedenken, dass der Vertrag, so wie er derzeit verhandelt würde, eine Ungleichheit beinhalte angesichts eines Tarifs von durchschnittlich 46,5 Prozent, den Brasilien bei der Einfuhr in die USA auf seine 15 Hauptexportprodukte zu zahlen hätte. Dem stünden 13,5 Prozent für die 15 Hauptexportprodukte der USA beim Verkauf an Brasilien gegenüber.

Nach Lulas Auffassung basiert Freier Handel auf der Gleichheit der Handelnden, und so wie der Vertrag es ursprünglich vorsähe, sei diese mitnichten vorgesehen. So sei die Politik der ALCA keine Integrationspolitik, sondern eine Politik der Annektierung. Dies könne gravierende Folgen für die brasilianische Landwirtschaft und die Industrie haben.

Auch José Serra, Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratischen Partei Brasiliens, PSDB, tat seinen Standpunkt bezüglich des Themas kund. So erklärte er kürzlich während einer Rede in der Hochschulstudienstiftung der Höchsten Militärschule in Rio de Janeiro, Brasilien müsse bereit sein, sich an einen Tisch zu setzen, um zu verhandeln, „wenn es allerdings nach einem schlechten Geschäft aussieht, werden wir nicht einsteigen [in die ALCA, d. Red], zumindest nicht unter meiner Regierung“, schloss er.

Kritik an Verfolgung eines Campesino-Führers

(San Jose, 20. September 2002, sem).- Menschenrechtsorganisationen haben die Autoritäten Brasiliens aufgefordert, die Verfolgung von Mitgliedern der Landlosenbewegung Movimento Sem Terra (MST) zu unterlassen. Ebenso forderten sie, dass die Bestrebungen unterlassen werden, den Campesino-Führer José Rainha wegen „des Versuchs der Gründung von Guerillagruppen, um subversive Tätigkeiten in der Region Pontal do Paranapanema im Westen Sao Paulos durchzuführen“, vor Gericht zu verurteilen.

Das internationale Nichtregierungsprojekt „Observatorium zum Schutz von Menschenrechtsaktivist*innen“ gab bekannt, dass Mitglieder des MST einen „Kriminalisierungsprozess“ durch Polizei und Gerichte der Region Pontal do Paranapanema erleben. Diese MST-Aktivisten verteidigen u.a. die Rechte von Arbeiter*innen, die sich „gewaltfrei den Großgrundbesitzern“ entgegenstellen.

In einer Presseerklärung schreibt das Observatorium, dass der Präsident der Landlosenbewegung (MST) der Region ohne vorläufigen Haftbefehl festgenommen worden wäre. Dieser sei jedoch laut Dekret vom 23. Mai 2002 der Justizbehörde der Gemeinde Teodoro Sampaio erforderlich. Die Polizei habe Rainha auf Anordnung des Richters der Gemeinde Teodoro Sampaio sowie des Richters von Mirante do Paranapanema Claudio Luiz Pavao festgenommen, um ihn zu Berichten der örtlichen Polizei zu befragen. Demnach soll Rainha verantwortlich sein für die Organisierung einer Landbesetzung in der Gemeinde Mirante do Paranapanema.

Nach Angaben des Observatoriums hat in den letzten Monaten in Pontal Do Paranapanema ein Kriminalisierungsprozess gegen Mitgliedern des MST stattgefunden, der gegen Grundrechte wie das Recht, Mitglieder der Landlosenbewegung zu verteidigen, verstoße. Der MST hat seit 1990 wiederholt öffentlich angeklagt, dass eine „unheilige Allianz“ zwischen Großgrundbesitzern und Mitgliedern der Judikative in der Zone, der zweitärmsten Region Brasiliens, bestünde.

US-Amerikaner verkaufen Amazonien und sollen dafür hinter Gitter

(Montevideo, 20.September 2002, comcosur-poonal).- Ein brasilianisches Gericht hat Haftbefehl gegen drei US-Amerikaner*innen erlassen, die per Internet Grundstücke im Amazonasgebiet verkauften. Sie benutzten den Namen einer Umweltstiftung, der ähnlich der des Musikers Sting klingt. Donald und Mary Davis und Joao da Cruz Veloso veräußerten Gutscheine der Waldstiftung, für die man unter Naturschutz stehendes Land in der ökologisch einmaligen Region bekommen konnte. Ein nordamerikanischer Unternehmer, der der Sting-Stiftung eine Millionen Dollar gespendet hatte, erstattete die Anzeige.

URUGUAY

Illegale Immigrant*innen sollen raus

(Montevideo, 20. September 2002, alc.-poonal).- Wegen der steigenden Zahl von Peruaner*innen, Paraguayer*innen, Bolivianer*innen und Ecuadorianer*innen, die illegal nach Uruguay einreisen, wird das Innenministerium dem Parlament einen restriktiven Gesetzesentwurf vorlegen, der die Einwanderung regeln soll.

Nach Angaben des Vizeministers für Innere Angelegenheiten Daniel Borelli bedeutet der Entwurf, dass Ausländer*innen, die nicht über einen geregelten Aufenthaltsstatus verfügen, die weder Besitztümer noch ein regelmäßiges Einkommen hätten und in den Städten „herumstreifen“, wieder in ihre Ursprungsländer ausgewiesen werden sollen.

Er wies darauf hin, dass die Mehrheit der Immigrant*innen auf dem Landweg als Tourist*innen eingereist seien. Nach den 90 legalen Aufenthaltstagen blieben die Immigrant*innen in verschiedenen Wohnungen in Montevideo und in Canelones wohnen. Er fügte hinzu, dass eine „große Anzahl“ von diesen illegalen Immigrant*innen von der Polizei wegen kleineren Straftaten gefasst würden, so z.B. Diebstahl und Betrug. Sie würden aber nicht ausgewiesen, weil die Gerichtsprozesse sich hinauszögerten.

Nur wenn die Justiz die Angeklagten für schuldig erkläre, könnten die Ausländer*innen in ihr Land zurückgeschickt werden. So sehe es eine alten Gesetzgebung vor, die erlaube, dass der Staat sie als „Unerwünschte“ ausweise. Wenn die Immigrant*innen ohne Papiere im Land blieben, ohne eine Straftat zu begehen, existiere ein juristisches Vakuum, erklärte Borelli.

Diese Situation verkompliziert den Handlungsrahmen der staatlichen Stellen, hauptsächlich dann, wenn die Immigrant*innen eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Der Antrag wird abgelehnt, wenn die Person nicht über Besitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt. Es gebe aber keine klaren Verordnungen, die die Ausweisungen erlaubten, bemerkte der Untersekretär.

Bisher sei keine Organisation entdeckt worden, die die Einreise von Illegalen forciere. Die Mehrheit, nach offiziellen Schätzungen mehr als Tausend, kämen aus Peru, wenige aus Paraguay, Bolivien und Ekuador. Die Anzahl der Anträge, die um eine Aufenthaltsgenehmigung bäten, würden steigen, sagte Borelli.

In den Stadtgebieten von Montevideo, zum Beispiel im Zentrum und der Altstadt, steigt die Anzahl der peruanischen Bewohner*innen. Viele von ihnen wohnen in größeren Gruppen in großen Gebäuden. Es wurde auch festgestellt, dass es zumindest zwei Gaststätten gibt, die hauptsächlich von Personen dieser Nationalität besucht würden.

Die vermeintliche Besorgnis des Innenministeriums basiert auf dem hohen Grad der Arbeitslosigkeit der letzten Monaten. Nach offiziellen Statistiken hat die Arbeitslosenquote im letzten Trimester ein historisches Hoch von 16,7 Prozent erreicht.

„Es gibt Leute die illegal nach Uruguay kommen und die mit der nationalen Arbeitskraft konkurrieren, und das können wir nicht erlauben „. Der Immigrationsgesetzesentwurf könnte im Parlament noch vor Ende diesen Jahres eingereicht werden, oder wenn das Parlament am 15. Februar 2003 wieder seine normalen Aktivitäten aufnehmen werde, meinte Borelli.

Innenminister Guillermo Stirling erklärte, dass die Anzahl der Plünderungen, Überfälle, und Diebstähle angestiegen sei. Auffällig an der Situation sei das “ wachsende Unsicherheitsgefühl, hervorgerufen durch die Art, wie die Straftaten begannen werden: blutig, heftig, mit Verletzungen „. Stirling behauptet, dass die Polizei angesichts dieser Situation „nicht aufgeben wird“. Trotzdem sei es zur Zeit „praktisch unmöglich“, die höhere Nachfrage von Wachdiensten mit steigendem Gehalt zu kompensieren, das zwischen 40 und 60 Prozent liegen solle.

Basisradios durch Gesetzesvorhaben gefährdet

(Montevideo, 16.September 2002, comcosur-poonal).- Die Medienkontrollbehörde in Uruguay URSEC (Unidad Reguladora de Servicios de Comunicaciones) gab der Öffentlichkeit bis zum 27. September die Möglichkeit, sich zu einem Gesetzesvorhaben zu äußern. Demnach soll die Reichweite der freien Sender auf 1,5 km beschränkt werden und das Betreiben von Basisradios ohne Genehmigung mit Haftstrafen von bis zu zwei Jahren belegt werden.

AMARC-Uruguay, der uruguayische Zweig des Internationalen Verbandes der Betreiber von Basisradios, in dem derzeit zwanzig Sender des Landes organisiert sind, äußerte sich kürzlich zu der Gesetzesinitiative. Zwar honorierte AMARC-Uruguay, dass die Regierung die Regulierung freier Radios auf dem gesetzlichen Weg vorziehe, statt weiterhin repressiv gegen diese vorzugehen. Das Gesetzesvorhaben sei jedoch unannehmbar, da es nicht das Problem löse. „Unsere Lage verschlechtert sich noch zusätzlich“, erklärt Mauricio de los Santos als Vertreter von AMARC-Uruguay.

Nach Einschätzung der Organisation sind es vor allem folgende grundsätzliche Aspekte, die die Gesetzesvorlage inakzeptabel machen: Erstens die begrenzte Reichweite. Als maximale Reichweite sollen eineinhalb Kilometer festgesetzt werden. Zweitens sollen den derzeit tätigen Basisradios keine Frequenzen zur Verfügung gestellt werden. Drittens würde künftig die Entscheidung über die Vergabe von Frequenzen nach freiem Ermessen der Medienkontrollstelle (URSEC) getroffen. In der von der URSEC erarbeiteten Gesetzesvorlage findet sich das momentan gültige Gesetz weder in veränderter noch in ratifizierter Form wieder. Dadurch hätten die Behörde völlig freie Hand. Der vierte Punkt betrifft die Strafmaßnahmen. Diese würden verschärft und könnten den Betreiber*innen von Basisradios ohne Zulassung bis zu zwei Jahre Haft einbringen.

ARGENTINIEN

Attentat gegen die Präsidentin der Großmütter der Plaza de Mayo

(Buenos Aires, 23. September 2002, comcosur-ponal).- Am frühen Morgen des 20.September schossen Unbekannte auf das Haus von Estela Carlotto in Ciudad de la Plata, der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires. Es wurden Schäden an der Fassade und im Inneren des Hauses verursacht. Carlotto ist die Präsidentin der Großmütter der Plaza de Mayo.

Claudia, die Tochter von Estela Carlotta, erklärte gegenüber der Presse, der Anschlag habe morgens um 3.45 Uhr stattgefunden. Sie sagte auch, es “ hätte es keinen Grund zu besonderer Vorsicht gegeben“, obwohl ihr Mutter komische Anrufe erhalten habe.

Ihre Angaben wurden Stunden später von Juan Pablo Cafiero, dem Minister für Sicherheit in der Provinz bestätigt. „Das ist kein versuchter Diebstahl gewesen, sondern ein ziemlich ernster Anschlag, bei dem nicht ausgeschlossen ist, dass er im Zusammenhang mit dem Bericht steht, der vor einigen Tagen dem Obersten Gerichtshof von Buenos Aires vorgelegt wurde“. Dabei handelt es sich um einen Bericht der Erinnerungskommission, einer gemischten Organisation aus Richtern, Menschenrechtsorganisationen und Beamten aus Buenos Aires, der Estela Carlotta vorsteht. Die Kommission klagt den Missbrauch und die terroristischen Praktiken der Polizei von Buenos Aires an.

In besagtem Bericht, der jetzt dem Obersten Gerichtshof von Buenos Aires vorliegt, wird die Heftigkeit der von der Polizei angewendeten Methoden beschrieben, die denen der Todesschwadrone aus der Vergangenheit ähnelten. „Sie genießen Straflosigkeit, um mit den Gefangenen zu machen, was sie wollen. Ihre Methoden erinnern an das, was die Diktatur zwischen 1976 und 1983 charakterisiert hat,“ erklärte Carlotto. Der Staatsanwalt der Provinz, Eduardo de la Cruz, bestätigte einige Tage später, es sei “ absurd anzunehmen, dass die Folterungen in der Provinz Buenos Aires durch meine Anordnungen unterlassen wurden“.

Sergio Sorin, der Sprecher von Amnesty International (ai) ließ durch die argentinische Sektion von ai wissen: „Das ist nicht das erste Mal, dass gegen Verteidiger von Menschenrechten in Argentinien vorgegangen wird. Vergessen wir nicht die Drohungen gegen Anwälte wie Esteban Cuya, Sergio Smietniasnsky und Claudio Pandolfi, die Folterungen an der Tochter von Hebe de Bonafini, die Drohungen gegen die Gruppe Kinder der Verschwundenen (HIJOS) und anderer Organisationen bis hin zu Attentaten gegen soziale Kämpfer wie Darío Santillan, und vor allem die Belästigungen, die die Familien und Opfer der Verbrechen der argentinischen Sicherheitskräfte erleiden.“

Mapuchefamilie besetzt Benettonfarm

(Buenos Aires, 20. September 2002, comcosur).- Eine Familie der Mapuche-Indígenas besetzte im August einen Teil einer dem bekannten italienischen Konzern Benetton gehörenden Farm in Patagonien. Die Besetzer*innen erklärten, das Land gehöre ihren Vorfahren. Atilio, Rosa und ihre vier Kinder bauten eine Hütte und erklärten, sie würden dort bleiben und das Land bestellen. Mauro Millán, Mitglied der Organisation von Mapuche-Tehuelche-Gemeinden „Elfter Oktober“ erklärte:“ die Familie ist aus dieser Gegend, sie wurde hier geboren und hat das Recht, sich hier wieder niederzulassen“.

Millán fügte hinzu: „So entsteht der Konflikt zwischen den Indígena-Gesetzen und den Rechten, die man heutzutage den Ausländern und den multinationalen Konzernen zugesteht.“ Benetton strengt nun einen Räumungsprozess gegen die Mapuchefamilie an, der im krassen Widerspruch zum Image steht, das in den Werbekampagnen des Konzerns verbreitet wird.

Die Mapuche wurden von ihren Territorien verdrängt, marginalisiert und in die Elendsgürtel der Städte gedrängt. Nun machen sie sich auf den Rückweg. Sie kehren in das Land zurück, das ihnen seit Urzeiten gehört, zugunsten anderer jedoch enteignet wurde. Die Armut, die sich im argentinischen Teil Patagoniens ausbreitet, erreicht dort schon 40 Prozent der Bevölkerung- Am härtesten trifft sie die 40.000 Mapuche.

KOLUMBIEN

Zunahme staatlicher Gewalt

(Montevideo, 20. September 2002, comcosur) – Die kolumbianische Regierung hat den am Montag (17.9.) begonnenen Streik der Gewerkschaftszentralen für illegal erklärt und angekündigt, dass sie Strafaktionen gegen jene Arbeiter der „lebenswichtigen Bereiche“ einleiten werde, die sich an den Protesten beteiligten. Die Regierung drohte in diesem Fall Entlassungen an.

An den Protesten nahmen Richter, Feuerwehrleute, Beschäftigte des Gesundheitsbereichs, der Erziehung und der Kommunikationsmedien teil. Der Sekretär der Vereinigten Arbeiterzentrale (Central Unitaria de Trabajadores) Héctor Fajardo nannte den Streik einen Erfolg und beklagte die Festnahme von mehr als 150 Personen durch die Regierung. Studenten, die die Bewegung unterstützen, erklärten, dass mindestens 40 Jugendliche festgenommen worden seien. Gleichzeitig wurde die bevorstehende Mobilisierung von Bauern, die von der Armut erdrückt werden, angekündigt. Gewerkschafter kritisierten Staatspräsident Alvaro Uribe wegen seines autoritären Verhaltens. Er kümmere sich nicht um Vereinbarungen und Dialoge. Sie beschuldigten mehrere Minister, „soziale Faustkämpfer“ zu sein.

VENEZUELA

Terroristische Kampagne gegen Bauern

(Montevideo, 22. September 2002, comcosur-poonal).- Die Nationale Agrarkoordination Ezequiel Zamora (Canez) beklagt eine Reihe von Hinrichtungen von Bauernführern und Verfolgungen von Landarbeitern. Es handele sich um eine Einschüchterungskampagne, die das Ziel verfolge, die Anwendung des Land- und Agrarentwicklungsgesetzes zu bremsen. Braulio Álvarez, Geschäftsführer von Canez, erklärte, dass „in mehr als zehn Bundesstaaten des Landes im Laufe des Jahres über 50 Exekutionen an Bauernführern durchgeführt“ worden seien. Für Álvarez stecken „die reaktionärsten Sektoren von Fedenaga (Viehzüchterverband, d. Red.) und die Spitze von Fedecámaras (Unternehmerverband, d. Red)“ hinter diesen Aktionen.

Àlvarez kündigte an, dass verschiedene Gruppen der Agrarkoordination die Stadt Caracas am 11. und 12. Oktober einnehmen werden, „um diese Ungerechtigkeiten anzuklagen und um Dokumente und Beweismittel über die Vorfälle sowohl der Nationalversammlung als auch dem Präsident der Republik Hugo Chávez Frías zu übergeben. Wir sind überzeugt davon, dass die Bauern eingeschüchtert und eine Front aufgebaut werden soll, damit dieses Gesetz nicht angewendet wird. Das Gesetz hat einen sozialen und solidarischen Charakter und sein hauptsächliches Ziel ist es, Lebensmittel für die 24 Millionen Venezulaner*innen zu produzieren.“

Jhonny Milano, Mitglied der Canez, beunruhigt, dass die Kommission für wirtschaftliche Entwicklung der Nationalversammlung schlecht über die Reform des Landgesetztes informiert. „Wir haben bei der Nationalversammlung Informationen beantragt, um zu wissen auf was sich die so genannten Reformen berufen, aus denen dieses Gesetz gemacht wurde. Der Presse wurde mitgeteilt, dass bis zu 80 Prozent des Gesetzes reformiert wurden und dies sollte nicht ohne das Wissen der Betroffenen aus dem Agrarbereich passieren. Eine statistische Erhebung im Agrarsektors von 1997 ergab, dass es nicht weniger als 500 976 landwirtschaftliche Betriebe gibt. Davon haben 75 Prozent eine Nutzfläche zwischen einem und hundert Hektar, das heißt, es sind kleine und mittlere Produzenten. Es kann nicht sein, dass Gesetzesreformen gemacht werden, wenn diese Produzenten weder gefragt noch informiert wurden“.

CHILE

Getrennt lebende Paare teilen sich die Aufsicht ihres Sprösslings

(San Jose, 18. September 2002, sem-poonal).- Auch wenn es dafür in Chile keine gesetzliche Grundlage gibt, haben sich viele getrennt lebende Paare freiwillig für eine Art der Aufsicht ihrer Kinder entschieden, die ihnen erlaubt, mehrere Tage der Woche mit ihnen zu verbringen. Das enthüllte das unabhängige Zentrum für Frauenstudien (CEM).

Es handelt sich um ein Erziehungsmodell, dass unter dem Namen Gemeinsames Sorgerecht bekannt ist und aus einer Konvention, die 1999 in Frankreich stattfand, hervorgegangen ist. Diese erlaubt dem Sprössling, wöchentlich vier Tage mit der Muter und drei Tage mit dem Vater zu verbringen, mit der Möglichkeit, dass in der folgenden Woche das Schema getauscht werden kann.

Carolina Espinola vom Zentrum für Frauenstudien sagte, dass sie inoffizielle Statistiken hätten, die belegen, dass diese Vereinbarungen vor allem Paare treffen, die jünger als 30 Jahre sind. Dies bedeute in der Praxis, dass sich 20 Prozent der getrennt lebenden Paare des Landes die Beaufsichtigung ihrer Sprösslinge auf diese Art teilen.

PUERTO RICO

Vieques -Übungsschiessen der US-Marine und kein Ende?

(Santo Domingo, 28.Septeber 2002,textosdom-poonal).- US-amerikanische Truppen haben am Montag, den 23. September, ihre dreiwöchigen Militärübungen auf der puertoricanischen Insel Vieques beendet. Die Übungsbombardements der Marine aus der Luft und von der See aus waren von ständigen Protesten der Bevölkerung und deren Unterstützungsgruppen begleitet.

Rund 9.600 Menschen leben heute noch auf der kleinen Insel im Osten des mit den USA frei assoziierten Puerto Rico. Mehrmals gelang es Protestierern, in das Übungsgelände des US-Militärs einzudringen, sich dort zu verstecken und dadurch die Schiessübungen zu behindern. Dutzende der Aktivisten wurden bei den Aktionen des „Zivilen Ungehorsams“ inhaftiert.

Am letzten Tag der Bombardements waren in New York 24 Unterstützer der Aktivisten aus Vieques vor dem Eingang der Vereinten Nationen festgenommen worden. Sie hatten die Einstellung der Militärübungen und den Abzug der US-Marine aus Vieques gefordert.

Das Ende der Militärübung und die New Yorker Demonstration fielen zusammen mit der Erinnerung an den so genannten „Schrei von Lares“ im Jahre 1868. Damals, vor 134 Jahren, riefen in der Kleinstadt Lares rund 400 schlechtbewaffnete Puertoricaner die Loslösung Puerto Ricos von den spanischen Kolonialherren aus. Die Unabhängigkeitsbewegung wurde innerhalb weniger Tage blutig unterdrückt. Einer der New Yorker Demonstranten, der Priester Luis Barrios, der bereits dreimal wegen seines Widerstandes gegen die Militärübungen festgenommen wurde, erklärte bei seiner Festnahme: „Wir haben den ,Schrei von Lares' und die UNO-Feier des ,Tag des Friedens' zum Anlass genommen, um zu sagen: Raus mit der Marine aus Vieques – jetzt.“

Seit 60 Jahren benutzt die US-Marine die Insel als Übungsgelände. Auf der Insel ist die Krebsrate inzwischen höher als auf der Mutterinsel Puerto Rico. In Vieques wurde unter anderem in den Sechzigerjahren das Entlaubungsgift „Agent Orange“ ausprobiert, bevor es im Krieg der USA gegen die vietnamesische Bevölkerung zum Einsatz kam.

In den sechs Jahrzehnten hat es immer wieder Proteste gegeben, weil sich das Militärgelände „Camp Garcia“ immer weiter ausbreitete und die Insel systematisch entvölkert wurde. Im Jahre 1999 eskalierte der Protest der Bevölkerung, als bei einem Übungsschiessen ein ziviler Wachposten von einer Rakete tödlich getroffen wurde und die Marine den tragischen Unfall zu vertuschen versuchte. Mitglieder der puertoricanischen Unabhängigkeitsbewegung und der örtlichen Bürgerbewegung eröffneten einen neue Phase des Kampfes gegen die unbeliebte Militärbasis.

Die Mobilisierung hatte in Puerto Rico einigen Erfolg, im Gegensatz zu verschiedenen Volksbefragungen in Sachen staatlicher Unabhängigkeit, die immer, wenn auch mit knapper Mehrheit, abgelehnt worden war. Ein am 27. Juli des vergangenen Jahres durchgeführtes Referendum auf Puerto Rico brachte eine Drei-Viertel-Mehrheit für die Einstellung der Militärübungen und den Abzug der Marine aus Vieques.

Ergebnis des Referendums war eine mündliche Zusage des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton, ab dem Jahre 2003 keine Militärübungen der US-Marine mehr in Vieques durchzuführen. Das internationale Militärszenarium hat sich jedoch seit dem 11. September 2001 erheblich verändert. Zwar erklärte Clinton-Nachfolger Georg W. Bush anfänglich, „wir haben viel Schaden angerichtet. Wenn uns die Leute nicht wollen, dann gehen wir“. Inzwischen deutet jedoch alles darauf hin, dass die US-Marine auch über das Jahr 2003 hinaus das Truppenübungsgelände von Vieques als Bombenabwurfsplatz benutzen will.

Der Verteidigungsausschuss hat nach wie vor dem US-Präsidenten keine Empfehlung zur Aufgabe des Übungsgelände gegeben und inzwischen wurde bekannt, dass die US-Marine eine Bauerlaubnis für „Camp García“ beantragt haben soll, die bis ins Jahre 2007 reicht. Die Gegner des Bombenabwurfsgelände haben schon immer der US-Zusage misstraut. Mitglieder der Protestbewegung, die sich auf einer Informationsreise in der Dominikanischen Republik befanden, kündigten an, dass der „Kampf weiter geht“, auch wenn die Öffentlichkeit den Widerstand in Vieques derzeit kaum zur Kenntnis nehme.

GUATEMALA

Der Fall Mack: nur ein Zeuge klagte Militärs direkt an

(Guatemala-Stadt, 20.September 2002, cerigua).- Bis zum Ende der ersten Verhandlungsphase gegen drei hochrangige Militärs wegen Mordes an der Anthropologin Myrna Mack Chang beschuldigte nur einer der Zeugen offen und direkt die Verdächtigen, das Verbrechen an der Akademikerin geplant zu haben.

Vor der dritten Strafkammer belastete der ehemals überführte Jorge Lemus Alvarado im Zeugenstand den General Edgar Godoy und den Oberst Juan Valencia Osorio. Er berief sich dabei auf die Gespräche, die er mit dem Militärspezialisten Noel de Jesús Beteta Álvarez geführt hatte. Die Gespräche hatte der Zeuge aufgenommen und gefilmt.

Beteta ist zu 25 Jahren Haft wegen des Mordes verurteilt. Bei Gesprächen mit dem Gefängnisinsassen Lemus versicherte der Ex-Militärspezialist auf Anordnung von Oberst Valencia, mehr als 30 Morde begangen zu haben. Er erzählte ihm auch Details des Mordes an der Anthropologin und seine Flucht vom Ort des Verbrechens.

Seit Beginn der mündlichen Verhandlungen am 3.September hörten sich die Richter der Dritten Strafkammer die Zeugenaussagen von 13 Zeugen, die vom Innenministerium und von der Verteidigung geladen worden waren, sowie die Erklärung von fünf Gutachtern an.

Nach der Zeugenaussage von Lemus begann das Gericht das Beweismaterial zu sichten. Darunter befanden sich vier Kassetten und ein Videoband, in denen Beteta zugibt, am 11. September 1990 mit Messerstichen die Anthropologin Myrna Mack ermordet und damit höhere Befehle befolgt zu haben.

Des weiteren wurden 61 Dokumente in das Verfahren eingebracht, darunter auch Schreiben aus dem Verteidigungsministerium und dem Innenministerium. Hinzukommen die Berichte „Guatemala nie wieder“ und „Guatemala – Gedächtnis des Schweigens“ sowie die Bücher „Soldaten an der Macht“ von Héctor Rosada und das Buch „Vom Krieg zum Krieg“ des Generals Héctor Alejandro Gramajo.

Die Zeugenaussagen und die Dokumente stellten ausreichend Beweismaterial dar, um die Beteiligung der Militärs als geistige Urheber am Verbrechens zu zeigen, versicherte Carmen Aída Ibarra, die Sprecherin der Stiftung Myrna Mack. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass es zu einer Verurteilung der Militärangehörigen komme.

Ibarra wiederholte, dass die Geständnisse Betetas vor dem Gericht einen großen Schritt bedeuteten, da er die Echtheit der aufgenommenen Gespräche anerkannt habe, selbst wenn er versichert habe, diese unter der Wirkung von irgendeiner Art Betäubungsmittel geführt zu haben.

Die Anklage hofft, dass Ende September oder spätestens Anfang Oktober das Gericht seinen endgültigen Urteilsspruch im Fall der Militärangehörigen Edgar Godoy, Juan Valencia und Guillermo Oliva verkündet.

Fehlende Beteiligung der Linken im Kampf gegen Rassismus

(Guatemala-Stadt, 24 September 2002, cerigua).- Die quiche Anthropologin Irma Alicia Velásquez Nimatuj kritisierte die fehlende Haltung der Linken Guatemalas im gemeinsamen Kampf gegen den Rassismus. Sie erklärte, dass diese sich nicht gegen die Unterdrückung der sechs Millionen Maya äußern würde.

In einem in der Zeitung „Debate“ veröffentlichten Artikel schrieb Velásquez über die Uneinigkeit zwischen der indigenen Bevölkerung und linken Organisationen. Sie verglich die Situation Guatemalas mit den vergangenen Wahlen in Bolivien, bei denen der indigene Kandidat Evo Morales nicht die Präsident geworden sei, weil die Opposition den rechten Kandidaten Gonzalo Sánchez unterstützt habe.

Velásquez war vor einigen Monaten selbst Opfer von Diskriminierung geworden, als ihr Angestellte eines Restaurants den Zugang zum Lokal verweigerten, weil sie eine indigene Tracht getragen hatte. Verschiedene Organisationen forderten daraufhin vom Kongress der Republik, das seit letztem Jahr fertiggestellte Antirassismusgesetz endlich zu verabschieden.

Die Anthropologin berichtete, dass die Mehrheit der führenden Mayas des Landes eine eindeutige Aussprache gegen den Rassismus und Verletzungen der indigenen Rechte vermisse. Bisher kam diese Initiative nicht zustande, weil sich Mitglieder der Partei Nationale Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) weigerten, sich daran zu beteiligen. Sie begründeten ihre Ablehnung mit dem Argument, dass nur Mayafrauen, Bauern und Armen damit geholfen würde, aber nicht den Berufstätigen.

Velásquez wirft ihnen vor, die Realität des Landes zu ignorieren. Sie erklärte, dass in Guatemala sowohl Berufstätige wie Bauern und sowohl Männer als auch Frauen diskriminiert würden.

Außerdem bemerkte sie, dass die fehlende Unterstützung durch die Linke eine Trennung zwischen dem Kampf von armen Mayas und Mayas der Mittelschicht vornähme und dass die Linke vergesse, dass es sich um ein einheitliches Problem handle. Mit ihrem Verhalten würden sie die derzeitige Möglichkeit verstreichen lassen, ein Thema auf die Tagesordnung zu bringen, das von der Elite, die das Land regiert und kontrolliert, verneint und ignoriert würde.

Abschließend forderte Velásquez von Gruppen der Linken, ihre Haltung zu überdenken und aus den während des Krieges gemachten Fehlern zu lernen. Damals habe man rassistische Übergriffe auf alle sozialen Schichten ignoriert. Weiterhin forderte sie, dass man heute die Probleme der Frauen, die das Privileg einer Ausbildung genießen, nicht ausschließen dürfe. Dies sei ebenfalls Teil der kollektiven Entwicklung.

COSTA RICA

Furcht vor Privatisierung des Energie- und Kommunikationsbereichs

(San Jose, 19. September 2002, sem).- Die begonnenen Haushaltskürzungen beim staatlichen costaricanischen Instituts für Energie und Telekommunikation (Instituto Costarricense de Energía y Telecomunicaciones de Costa Rica – ICE), die auch die Entlassung von 1.200 Zeitarbeitern beinhaltet, haben verschiedene Kreise der Bevölkerung erneut in Alarmzustand versetzt. Es wird befürchtet, dass das in Lateinamerika einzigartige Institut zuerst geschwächt und dann privatisiert werden soll.

Die Kürzung erfolgte, nachdem die Regierung von Präsident Abel Pacheca der Institution Mehreinnahmen von zehn Miliarden Colones auferlegte. Sie ist Teil eines Maßnahmenpaketes der Regierung, das das geschätzte Finanzdefizit in Höhe von 236 Milliarden Colones in zweiten Jahreshalbjahr verringern soll. Der Regierungsbeschluss betrifft unter anderem geothermische und hydroelektrische Projekte der öffentlichen Einrichtung. Dadurch wird sich auch die Verlegung wichtiger Verbindungslinien und im Bereich der Telekommunikation die Ausweitung des Telefonnetzes verzögern. Dabei wurden bereits 50.000 Anträge auf eine Telefonleitung Leitungen gestellt.

 

Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
Yorckstr. 59, 10965 Berlin, Tel.: 030/789 913 61, Fax.: 789 913 62
E-Mail: poonal@npla.de, Internet: http://www.npla.de/

Redaktion in Mexiko: Kristin Gebhardt, Gerold Schmidt, Wolf-Dieter Vogel
Tel./Fax.: 0052-55-55541480, E-Mail: poonalmex@npla.de

Koordination in Berlin: Birgit Marzinka, Andreas Behn
Übersetzungsteam: Verena Rassmann, Uli Dillmann, Thomas Guthmann, Stefanie Kron, Sebastian Landsberger, Nina Frank, Natalie Mutlak, Mark Schindler, Mareike Hagemann, Lea Hübner, Kristina Vesper, Katharina Braig, Juan Gehring, Inken Mischke, Grit Weirauch, Felix Sperandio, Dorothee Wein, Dinah Stratenwerth, Birgit Marzinka, Angela Isphording, Andreas Behn

Bankverbindung: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
Postbank Berlin, Kto.Nr. 16264-108, BLZ 10010010

POONAL gibt's Online bei www.npla.de, in den newsgroups APC/REG/SAMERICA
und CL/REGIONEN/SUEDAMERIKA sowie als E-Mail-Abo, das gegen Überweisung
einer einmaligen Schutzgebühr von EUR 20,- bei uns zu bestellen ist.

Spenden an uns als gemeinnütziges Projekt sind von der Steuer absetzbar
Auf Anfrage stellen wir gerne Quittungen aus

Nachdruck der Poonal-Artikel mit vollständiger Quellenangabe und gegen
Überweisung des entsprechenden Zeilenhonorars erwünscht

Poonal gehört zur Federación Latinoamericana de Periodistas FELAP

Erstellung der Beiträge durch die POONAL-Mitgliedsagenturen:
Actualidad Colombia (Kolumbien)
Alai (Ecuador)
ALC (Peru)
AlterPresse (Haiti)
Cerigua (Guatemala)
Comcosur/Recosur (Uruguay)
Noticias Aliadas (Peru)
NPL (Berlin)
Oficinainforma (Brasilien)
Poonal-Coordinacíon (Mexiko)
Prensa Latina (Kuba)
SEM (Costa Rica)

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 542 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert