Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 360 vom 6. November 1998
Inhalt
HONDURAS
EL SALVADOR/HONDURAS
VENEZUELA
CHILE
HAITI
MEXIKO
GUATEMALA
GUATEMALA/EU
GUATEMALA/USA
PARAGUAY
ARGENTINIEN
BRASILIEN
LATEINAMERIKA
KOLUMBIEN
KOLUMNE – Von Eduardo Galeano
HONDURAS
Das Land ist ein Trümmerfeld – Mitch und Newton fordern Tausende
Menschenleben in Zentralamerika
Von Marina Pedroni
(Tegucigalpa, 3. November 1998, npl).- Am Montag schien erstmals wieder die Sonne über Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras. Eine unwirkliche Ruhe nach dem Sturm. Acht Tage lang, von Sonntag bis Sonntag, gab es keinen Himmel mehr über der Stadt, über keinem Land Zentralamerikas. Nur Regen, Regen, Wasser überall.
Der Blick aus dem Hotel – es liegt in einem höher gelegenen, besseren Stadtviertel – zeigt ein Bild der Zerstörung. Die Straßen Richtung Zentrum sind Schlammbahnen, überall liegen Mauerteile, Bäume und Autos wild durcheinander. Der kleine Bach ist ein reißender Strom, keine der Brücken steht mehr. Viele Häuser auf der gegenüberliegenden Seite sind ins Flußbett gerutscht, andere können nie mehr betreten werden.
Doch das wirkliche Ausmaß der Katastrophe ist nicht mit einem Blick zu fassen. 700.000 Menschen sollen allein in Honduras ihr Obdach verloren haben, Präsident Carlos Flores sagt, nicht Hunderte, sondern viele Tausend Mitbürger seien von der Sintflut in der Tod gerissen worden.
Am schlimmsten traf des den Norden des Landes. Die meisten Städte und Dörfer sind von der Außenwelt abgeschnitten, keine Straße ist mehr befahrbar, da so gut wie alle Brücken eingestürzt sind. Die Menschen flüchteten sich auf die Dächer der Häuser, die aus dem gelbbraunen Wasser herausragen. Es ist kalt und viele haben nichts zu essen, nur aus der Luft können sie versorgt werden. Bloß nicht an die nahe Zukunft denken: Es wird dieses Jahr keine Ernte geben, und keine Arbeit mehr auf den Plantagen; großen Plantagen, wo Bananen, Kaffee und anderes Obst für den Export produziert wird. Die Telefonleitungen sind zerstört, ja die gesamte Infrastruktur im Land ist um Jahre zurückgeworfen.
Das Fernsehen zeigt erste Bilder von der Insel Guanaja, kein Baum steht mehr, es sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Die Schäden, die überhaupt nicht kalkulierbar sind, gehen in die Milliarden. Die USA sagten am Montag schnelle Hilfe zu, erste Hilfsflüge von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen sind bereits unterwegs. Auch die Europäische Union wurde von den betroffenen Ländern um Hilfe gebeten. Doch selbst wenn Geld da wäre: wo und wie anfangen. Wie neue Häuser bauen, wenn schon der Brückenbau Monate dauert. Honduras ist eines der ärmsten Länder des Kontinents.
Die Universität von Tegucigalpa ist jetzt eine Notunterkunft. 7.000 Menschen, die Hälfte von ihnen Kinder, belegen die Räume und Gänge. Viele, die nicht alles verloren haben, kommen vorbei und bringen Essen, Kleidung und Medizin. Über Radio wurde zu Spenden aufgerufen, die spontane Hilfe tut gut und macht Mut. Doch bald werden auch in der Hauptstadt die Lebensmittel knapp. Wer Geld hat, kauft ein, Nachschub aus dem zerstörten Land wird es sobald nicht geben. Hamsterkäufe sind vor allem in den besseren Vierteln zu beobachten. Trotz der Wetterberuhigung herrscht Weltuntergangsstimmung, so muß es vor einem Krieg sein.
Am Sonntag Abend wurde bekannt, daß der Bürgermeister Cesar Castellanos bei einem Hubschrauberabsturz über der Stadt ums Leben kam. Der Dicke, wie er sich selbst nannte, galt als einer der Menschen, die die Ärmel hochkrempeln, wenn es was zu tun gibt. Sein Tod kam für viele als ein weiterer Schock, er war ein Hoffnungsträger in der Not. Castellanos hatte gute Aussichten, nächster Präsident des Landes zu werden, da die Menschen Vertrauen zu ihm hatten. Amtsinhaber Flores hingegen war dieser Tage kaum zu sehen oder zu hören, nur sein Pressesprecher gab Erklärungen von sich. Erst am Montag sagte Flores in einer dramatischen Fernsehrede, daß 70 Prozent der Wirtschaftskraft des Landes verloren sei und bat um internationale Hilfsmaßnahmen. „Unser Land wurde tödlich getroffen“.
Die Katastrophe trägt den Namen Mitch. Der Hurrikan, einer der stärksten dieses Jahrhunderts, näherte sich der Atlantikküste des mittelamerikanischen Isthmus vor über einer Woche. Mit Winden von über 300 Stundenkilometern – da waren sich die Meteorologen sicher – sollte er nach Norden, in Richtung Belize und Cancun, des Touristenzentrums in der mexikanischen Karibik, ziehen. Am Wochenende wurde Entwarnung gegeben, die Touristen aus Europa kommen noch einmal mit dem Schrecken davon.
Eine fatale Vorhersage. Mitch verfing sich zwischen der Insel Guanaja und dem Festland, wo er sein Zerstörungswerk fortsetzte. Zu spät stellten die Meteorologen fest, daß Mitch einen tropischen Sturm, den sie nun Newton nennen, hinterließ, der sich mit unvorstellbaren Regenmengen auf den Weg ins Landesinnere aufmachte. Noch im Mai hatte eine Hitzewelle diese Region heimgesucht, der Boden verdorrte und Wälder brannten über die Ländergrenzen hinweg bis nach Mexiko. Der steinharte, rissige Lehmboden hätte auch weniger Niederschlag nicht aufnehmen können. Jetzt sind weiter Teile des Landes mit Wasser bedeckt, und es reißt alles mit sich, was nicht niet und nagelfest ist.
Die schlimmste Katastrophe dieses Jahrhunderts in Mittelamerika traf fast alle Länder der Landenge, die Nord- und Südamerika miteinander verbindet. Am schwersten sind Honduras und Nicaragua betroffen, doch auch in Guatemala, El Salvador und Belize sind viele Menschenleben und riesige materielle Schäden zu beklagen. Chiapas im Süden Mexikos, das schon vor zwei Monaten von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht wurde, bereitet sich derzeit auf weitere Regenfälle vor.
In Norden und Westen Nicaraguas regnete es am Wochenende das Hundertfache der sonst üblichen Niederschlagsmenge. Der Kratersee des Vulkans Casitas lief über und ergoß eine Kilometerbreite Schlammlawine über die fünf Dörfer am Fuß des Berges. Hier kam jede Hilfe zu spät, an die 2.000 Menschen wurden begraben. Auch diese Region gleicht einem unermeßlichen See, zwischen den Städten gibt es keinerlei Kommunikation mehr. In der Hauptstadt Managua wird jetzt eine Hungersnot befürchtet, da sie auf Tage hinaus nur aus der Luft zu erreichen sein wird. Es fehlt an ärztlicher Versorgung für die Verletzten, und da die Latrinen allerorts übergelaufen sind, besteht die Gefahr von Seuchen.
Inzwischen sind internationale Hilfsmaßnahmen angelaufen, nach den USA haben auch Europa und Japan finanzielle Unterstützung zugesagt. Humanitäre Verbände riefen zu Spenden auf. In allen betroffenen Ländern herrscht Ausnahmezustand, um Plünderungen zu vermeiden, sind nächtliche Ausgangssperren verhängt worden. Die Menschen hoffen, daß der Regen nicht wieder stärker wird. Doch sie wissen, daß ihnen das Schlimmste noch bevorsteht. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Nicht einmal die Toten können betrauert werden, da die Leichen schon vergraben oder verbrannt werden, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern.
EL SALVADOR/HONDURAS
Streitkräfte geraten immer mehr unter Rechtfertigungsdruck –
Militärs tun sich schwer mit ihren neuen Rollen
Von Juan José Dalton
(San Salvador, November 1998, Poonal).- 17 katholische Pfarrgemeinden in der salvadoreanischen Hauptstadt machten der Nationalen Entwicklungskommißion Ende des vergangenen Monats einen Vorschlag: Sie traten für die schrittweise Abschaffung der Armee in dem kleinen mittelamerikanischen Land ein. Der Militäretat solle besser der zivilen Polizei, der Menschenrechtsbehörde und der Armutsbekämpfung zugute kommen, befanden die Kirchen.
Die Initiative hat kaum Chancen auf sofortige Umsetzung, doch zeigt sie, daß die Streitkräfte in der Region immer mehr unter Rechtfertigungszwang für ihre Existenz geraten. In den 80er Jahren standen die salvadoreanischen und honduranischen Streitkräfte ihren guatemaltekischen Vorbildern an Brutalität und Grausamkeit gegen die Opposition im eigenen Land kaum nach. In den 90er Jahren hat ihr alles entscheidender Einfluß auf die Politik ihrer Länder jedoch nach und nach abgenommen, wenn auch manchmal fast unmerklich langsam.
Nach dem Ende des internen Krieges (1980-1992) wurde die Armee in El Salvador bereits deutlich reduziert. Die frühere Truppenstärke von 60.000 Soldaten – bei nur sechs Millionen Einwohnern – ist um mehr als die Hälfte reduziert worden. Erstreckten sich die Aufgabenbereiche damals auch auf noch öffentliche Ordnung und Sicherheit, so ist die Funktion heute auf die Bewahrung der Souveränität und den territorialen Schutz beschränkt.
In einem Land, in dem 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, wird die Armee zunehmend als eine unproduktive Einrichtung betrachtet. Immer noch verschlingt sie mehr Geld als für den Gesundheits- und den Bildungsetat angesetzt sind. Der Militärhaushalt von gut 100 Millionen Dollar übertrifft den des Umweltministeriums um das 36fache, den des Wohnungs- und Bauministeriums um das 28fache.
Sandra Barraza, die Koordinatorin für den Nationalplan, der die Zukunftsvorstellungen der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen aufnehmen soll, sagte, die Vorschläge der Kirche hätten es in sich. Gleichzeitig erklärte sie sie aber im Einklang mit dem Streben der Salvadoreaner, ein entwicklungsfähiges Projekt für das Land zu entwerfen.
Für die Streitkräfte kommt die Initiative der Pfarrgemeinden zu einem denkbar ungünstig Zeitpunkt. Zum einen wird derzeit ein hochrangiger Militär und ehemaliger Präsidentenberater, General Ernesto Vargas, sowohl mit dem 1994 an einem reichen Unternehmer verübten Mord als auch der Ermordung der Journalistin Lorena Saravia im vergangenen Jahr in Verbindung gebracht. Zum anderen bringt die Diskussion um die Auslieferung von Chiles Ex-Diktatur Augusto Pinochet auch die Greueltaten der salvadoreanischen Armee wieder ins Gespräch. Während des Bürgerkrieges brachten Soldaten unter anderem etwa 30 Priester, Nonnen und Mönche um. Von den sechs Jesuiten, die das Militär 1989 ermordete, waren vier spanischer Nationalität.
Ihre Abschaffung müßen die Streitkräfte in Honduras nicht befürchten. Doch für sie ist nach 50 Jahren Autonomie die Unterordnung unter die zivile Gewalt ab Anfang 1999 schon eine Katastrophe. Die Armee hat jedoch vorgesorgt: von der militärischen Macht wechselt sie zur ökonomischen Macht. Vor wenigen Tagen weihte sie ein eigenes 5,5 Millionen Dollar teures Gebäude ein, in dem die Bank der Streitkräfte ihren Sitze haben wird. Kurz zuvor kauften die Militärs einen der vier wichtigsten Radiosender des Landes. Insgesamt werden 18 Unternehmen von ihnen kontrolliert.
Beobachter gehen von einem Geschäftsvermögen von 100 Millionen Dollar aus, mit dem die honduranische Armeespitze jongliert. In keinem anderen mittelamerikanischen Land haben die Streitkräfte eine so starke wirtschaftliche Stellung. Andere einheimische Unternehmer beklagen sich über unlauteren Wettbewerb. Sie weisen darauf hin, daß die Mittel, die die Militärs benutzen, im wesentlichen Staatsgelder sind.
Auch die Politiker äußern zunehmend Kritik an dem Gebaren der Offiziere. Der Oppositionsabgeordnete Matías Funes warnt: „Die Macht der Waffen, auch wenn sie derzeit geschwächt ist, kann mit den Geschäften kombiniert einen Frankenstein in Honduras schaffen, vor dem man sich fürchten muß.“ Sein Parlamentskollege Heriberto Flores sorgt sich um die Streitkräfte als Medienbetreiber. Sie wollten so die Klagen kontern, die gegen die Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen oder Korruptionsfällen erhoben würden.
Aber wie in El Salvador wird die Armee in Honduras von ihrer Vergangenheit eingeholt. Der US-Geheimdienst CIA gab 211-seitiges Dokument frei, das über den schmutzigen Krieg gegen die linke Opposition im Honduras der 80er Jahre berichtet. Damals verschwanden 184 Personen. In dem sichtbaren Bemühen, die Mitverantwortung von CIA und US-Verteidigungsministerium an politischen Verbrechen zu leugnen, schildern die Berichte besonders Mord- und Folterpraktiken ihrer honduranischen Schüler. Dies verleiht den Argumenten des nationalen Menschenrechtsbeauftragten Leo Valladares und zahlreichen Nicht-
Regierungsorganisationen Nachdruck, die die Streitkräfte zur Rechenschaft ziehen wollen und sich gegen die Konsolidierung ihrer ökonomischen Macht außprechen.
VENEZUELA
Militärs hoch im Kurs bei Präsidentschaftswahlen
Von Salvador Bracho, npl
(Caracas, 2. November 1998).- Während in Chile und Argentinien den Militärs ein heftiger Wind entgegenbläst, setzen sie in Venezuela zum Sprung an die Schalthebel der politischen Macht an. Der ehemalige Putschist Hugo Chavez ist der große Favorit der Präsidentschaftswahl am 6. Dezember. Zwei weitere Kandidaten stammen ebenfalls aus den Reihen der venezolanischen Armee. Auch bei den Parlamentswahlen am 8. November kandidieren acht Militärs für hohe Posten.
Am kommenden Sonntag sind die Venezolaner aufgerufen, 23 Provinzgouverneure, 46 Senatoren und über 200 Abgeordnete zu wählen. Der Urnengang gilt als Plebiszit über die erfolglose Wirtschaftspolitik der 90er Jahre, die das einst wohlhabende Land an den Rand des Ruins getrieben hat. Die traditionellen Regierungsparteien der Christ- und Sozialdemokratie befürchten große Verluste. Beobachter meinen, ein großer Zugewinn für kleine und populistische Parteien werde die demokratischen Institutionen in Frage stellen.
Ende Oktober verlieh die venezolanische Bischofskonferenz ihrer Besorgnis über „autoritäre Tendenzen“ im Wahlkampf Ausdruck. Die Erzbischöfe warnten vor den Risiken des Totalitarismus und forderten die Bevölkerung auf, „mit ihrer Stimme die Demokratie zu verteidigen“. Die Erklärung richtet sich vornehmlich gegen die Kandidatur des Ex-Generals Hugo Chavez, dem auch privat ein militaristischer Habitus nachgesagt wird. Er führt flammende Reden das derzeitige Parteiensystem und verspricht radikale Veränderungen. 1992 führte Chavez einen mißglückten Aufstand des Militärs gegen den damaligen Präsidenten Andres Perez an.
Laut Experten ist eine umfassende Politikverdrossenheit Ursache für die Beliebtheit eines Kandidaten mit autoritärem Führungsstil und das Vertrauen in eine „Law and Order“-Politik. Der Politologe Annibal Romero vergleicht den General im Ruhestand mit dem argentinischen Ex-Präsidenten Juan Peron: Hugo Chavez sei ein „populistischer General, vor dem die Bevölkerungsmehrheit einschließlich der Eliten niederkniet, da er den starken, dominanten Mann verkörpert, der Allheilmittel verspricht“.
Über zwei Dritten der Venezolaner sind heutzutage verarmt. Sie leiden unter den drastischen Maßnahmen, mit denen die Regierung von Präsident Rafael Caldera den desolaten Haushalt saniert. Die Treibstoffpreise haben sich in den vergangenen zwei Jahren vervierfacht, Sozialleistungen wurden gekürzt und die Löhne der öffentlichen Angestellten können kaum noch gezahlt werden. Der Staat ist praktisch bankrott. Die Krise verschärfte sich im Verlauf dieses Jahres, als der Preis für Erdöl, dem wichtigsten Exportgut des Landes, auf den niedrigsten Stand seit über zehn Jahren sank. In den 70er Jahren hatten Ölfunde dem südamerikanischen Land einen Boom und bescheidenen Wohlstand beschert.
Die Popularität von Hugo Chavez paßt jedoch nicht ganz in das Schema vom Wiederaufleben autoritärer Hardliner im Zuge nationaler Wirtschaftskrisen. Sein Wahlbündnis „Patriotischer Pool“ besteht nicht aus den traditionell konservativen Kreisen des Landes. Vielmehr setzt es sich aus sozialistischen und kommunistischen Splitterparteien zusammen. Mit seiner Polemik gegen die großen, landesweit diskreditierten Parteien stößt Chavez nicht nur innerhalb der unteren sozialen Schichten auf große Sympathien, auch Teile der Oberschicht und viele Militärs unterstützen ihn. Die Armeespitze hingegen hat sich – auch aus Angst um die eigene Macht – gegen den unberechenbaren Einzelkämpfer ausgesprochen.
Neuauflage des Amazonaspaktes geplant
(Caracas, Oktober 1998, pulsar-Poonal).- In der venezolanischen Hauptstadt Caracas trafen sich Anfang Oktober die Aussenminister von Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Surinam und Venezuela. Sie sprachen über eine verstärkte Zusammenarbeit und die Wiederbelebung des Amazonaspaktes. Bereits vor 20 Jahren hatte es einen Anlauf gegeben, diesen Pakt, dessen offizielles Ziel der Schutz des riesigen Amazonasbeckens war, zu schließen.
Damals ging allerdings die Initiative im wesentlichen von den brasilianischen Militärherrschern aus. Ihr technikhöriges Entwicklungsprojekt wurde kritisiert und die Absicht, Brasilien als Militärmacht der Region zu festigen, war allzu deutlich. Zudem war der Kontrast zwischen Ländern mit Militärdiktaturen, demokratischen Regierungen in Kolumbien und Venezuela sowie den nicht spanischsprachigen Nationen Surinam und Guyana zu groß. Der Pakt war eine Totgeburt.
Unter den heute veränderten Rahmenbedingungen könnte der Amazonaspakt jedoch eine Chance haben. Die im Pakt angestrebten Ziele sind äußerst erhaben: Schutz der Bevölkerung des Amazonasgebietes, Bewahrung des Regenwaldes, Untersuchung und Schutz der biogenetischen Ressourcen zugunsten der Bewohner*innen des Amazonas.
CHILE
Rechte Unterstützung für Pinochet bröckelt
(Santiago, 2. November 1998, pulsar-Poonal).- Während hunderte von Familienangehörigen der unter der Diktatur von Augusto Pinochet Verschwundenen am Totensonntag rote Nelken auf dem Zentralfriedhof von Santiago de Chile niederlegten, forderte die politische Rechte die Rückkehr des Generals aus England. Desgleichen wurde jedoch deutlich, daß der General sich nicht mehr vorbehaltlos auf seine Anhängerschaft verlassen kann. Joaquín Lavin, Präsidentschaftskandidat der Unabhängigen Demokratischen Union erklärte, Pinochet müsse sein Amt als Senator auf Lebenszeit mit „Grösse“ ausüben und dabei mehr an die Geschichte als an den Augenblick denken. Der Senator Carlos Cantero von der ebenfalls rechten Partei Nationale Erneuerung drückte sich klarer aus. Er bat den Ex-Diktator, sich von der Politik zu entfernen, um die Einigkeit Chiles zu erreichen. Damit schloß er sich der Position von Innenminister Miguel Insulza an. Dieser tritt zwar für die endgültige Freilassung Pinochet ein, fordert aber, in Chile solle er statt in den Senat „nach Hause gehen“.
HAITI
Abgeordnete gegen den Verbleib der UNO
(Port-au-Prince/Wiesbaden, 3. November 1998, haiti info-Poonal).- Der Präsident der Abgeordnetenkammer, Vasco Thernéla, hat sich am 27. Oktober gegen den Verbleib der UNO-Polizeimission im Land ausgesprochen. Das widerspreche der haitianischen Gesetzgebung, sagte er. Thernéla nahm zu Gerüchten Stellung, wonach die Regierung mit den Vereinten Nationen über eine Verlängerung des Mandats verhandele. Gemäß Artikel 10 des Gesetzes über die Justizreform dürften sich keine fremden bewaffneten Kräfte auf haitianischem Boden befinden. Demnach habe der Staatspräsident nicht die Befugnis, einen Antrag auf eine weitere Verlängerung der UNO-Mission zu stellen. Das Mandat für die UNO-Truppen läuft am 30. November ab. Andere Abgeordnete wie beispielsweise Kelly Bastien von der „Pati Louvri Baryè“ haben den vollständigen Abzug aller fremden Polizisten, auch der Soldaten der US-Support Group, gefordert. Es gibt allerdings Gegenstimmen, die meinen, mit den Diskussionen ueber den Truppenabzug solle nur Präsident René Préval in Verlegenheit gebracht werden. Die UNO-Polizisten sind seit dem 31. Mai 1995 in Haiti. Seit einem Jahr ist ihre Aufgabe ausschließlich darauf beschränkt, die Arbeit und Ausbildung der haitianischen Polizisten zu unterstützen.
Bürgermeister der Hauptstadt kündigt Rücktritt an
(Port-au-Prince/Wiesbaden, 3. November 1998, haiti info-Poonal).- Emmanuel Charlemagne hat angekündigt, zurückzutreten. Der Bürgermeister von Port-au-Prince begründete diesen Schritt damit, dann besser in die Opposition zu Staatspräsident René Préval gehen zu können. Er wirft Préval vor, alle nationalen und internationalen Versuche zu boykottieren, eine wirkliche Machtverteilung in Haiti zuzulassen. Charlemagne will aber erst nach der Zahlung aller noch ausstehenden Gehälter für die städtischen Angestellten seinen Job kündigen. Das Geld dafür soll von der Zentralregierung kommen, doch in dieser Frage streiten sich Charlemagne, das Innenministerium und der Verwaltungsrat von Port-au-Prince. Der Bürgermeister verlangt rückwirkende Mittel für die Gehälter von August bis Oktober, das Innenministerium will nur die Gehälter für November überweisen und der Verwaltungsrat ist der Meinung, daß den Stadtangestellten einschließlich November nur drei Monatsgehälter geschuldet werden. Der Rat rief angesichts der konfusen Situation den Obersten Rechnungshof des Landes dazu auf, auf den Konten des Bürgermeisters und seines Amtes Ordnung zu schaffen. Das wiederum will sich Emmanuel Charlemagne nicht gefallen lassen.
MEXIKO
Wieder zwei Medienmitarbeiter ermordet
(Mexiko-Stadt, 29. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- In Mexiko fielen der Reporter Fernando Martínez Ochoa in Ciudad Juárez und der Layoutchef der mexikanischen Ausgabe von „Le Monde Diplomatique“, Claudio Cortez García, in der Hauptstadt, Mordanschlägen zum Opfer. Die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) äußerte ihre Besorgnis und forderte die Aufklärung dieser beiden neuen Verbrechen gegen Medienmitarbeiter*innen in dem Land. In Mexiko seien Journalist*innen besonders leicht angreifbar, so die SIP. Danilo Arbilla, Vorsitzender der Kommission für Pressefreiheit der SIP, wies daraufhin, daß in den zurückliegenden zehn Jahren 25 Journalist*innen in Mexiko umgebracht wurden. In der Mehrheit der Fälle seien die Schuldigen nicht gefunden oder verurteilt worden.
GUATEMALA
Staatsanwalt verläßt nach Drohungen das Land
(Guatemala-Stadt, 1. November 1998, pulsar-Poonal).- Ramiro Contreras, Staatsanwalt im Fall des „Massakers von Xamán“, gibt auf. Nach Morddrohungen und weiteren Einschüchterungen will er das Land mit seiner Familie in Richtung Europa verlassen. Contreras ermittelte drei Jahre lang gegen das Militär, das im Oktober 1995 in der Provinz Alta Verapaz 11 Campesinos erschoß. Während dieser Zeit hatte er wiederholt auf Unregelmäßigkeiten in der Untersuchung hingewiesen und sich über Druck von der Bundesanwaltschaft und dem Generalstaatsanwalt beklagt. So seien ihm zuerst die Reisegelder gestrichen worden, danach habe man ihm zuerst seine Büromöbel in der Hauptstadt weggenommen und schließlich auch noch das Fahrzeug, mit dem er zum Tatort zu fahren pflegte. Es habe auch direkte Drohungen von den Militärs gegeben. Zwar habe er die Inhaftierung von 24 an dem Massaker beteiligten Soldaten erreicht, doch seine Ermittlungen führten ihn zu dem Schluss, diese hätte auf Befehl von oben gehandelt. Ausserdem habe es noch keine endgültige Verurteilungen gegeben. Sein Eindruck sei, die Soldaten sollten freigelassen werden, wenn das Verbrechen in Vergessenheit geraten sei.
Zugang zu Geheimdienstarchiven gefordert
(Guatemala-Stadt, 28. Oktober 1998, cerigua-Poonal).- Verschiedene Menschenrechtsorganisationen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der staatliche Stellen zwingen soll, Informationen über Personen die während des internen Krieges „verschwunden“ sind, preiszugeben. Dabei geht es vor allem um die Archive, die Armee, Paramilitärs und Geheimdienste in den 80er Jahren anlegten. Familienangehörige der verschwundenen und ermordeten Opfer sollen die Möglichkeit haben, die näheren Umstände der Verbrechen zu erfahren. Die Organisationen hoffen, so auch noch Verantwortliche für die Taten ausfindig zu machen und strafrechtlich verfolgen zu können.
Gesetzgewordene Initiativen dieser Art gibt es bereits in Chile und in Argentinien. Die guatemaltekische Version umfaßt 20 Artikel und legt Strafen für Regierungsfunktionär*innen fest, die die Informationsfreigabe verweigern. Menschenrechtsgruppen wie die Organisation der Familienangehörigen der Verschwundenen (GAM) oder die Nationale Menschenrechtskoalition berufen sich mit ihrem Vorschlag auf die Verfassung. Diese schreibt die Offenlegung von Regierungsaktionen und das Recht der Öffentlichkeit auf offizielle Dokumente vor. Die GAM verspricht sich zudem eine Zügelung der Geheimdienste, wenn die Initiative als Gesetz angenommen würde. Der Vorschlag soll über die Oppositionspartei Demokratisches Bündnis Neues Guatemala in das Parlament eingebracht werden.
US-Botschaft will Adoptionen stärker kontrollieren
(Guatemala-Stadt, 27. Oktober 1998, cerigua-Poonal).- US- Brger*innen, die guatemaltekische Kinder adoptieren wollen, werden ab dem 1. Oktober besser kontrolliert. Die US-Botschaft schreibt nun DNA-Tests vor, die nachweisen, daß es sich bei der Person, die ein Kind zur Adoption freigibt, tatsächlich um dessen Mutter oder Vater handelt. Die Maßnahme will „öffentliches Vertrauen für den internationalen Adoptionsprozeß in Guatemala herstellen“, heißt es in einer Stellungsnahme der Botschaft. Der Kinderhandel hat in Guatemala immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt. So häuften sich Berichte, denenzufolge Babies gestohlen, gekauft oder ihren Eltern durch Androhung oder Anwendung von Gewalt weggenommen wurden.
Mit den ausländischen „Käufer*innen“ – den Adoptiveltern – können skrupellose Kinderhändler vorzügliche Geschäfte machen. In 95 Prozent aller Adoptionsfälle in Guatemala werden die Kinder an Ausländer*innen vermittelt. Diese zahlen jährlich etwa 20 Millionen Dollar. Das meiste Geld davon geht an Anwält*innen, die Vermittlung und Formalitäten übernehmen. Laut UNICEF werden pro Jahr zwischen 1.000 und 1.500 Kinder aus Guatemala „exportiert“. Dies „bringt einer kleinen Gruppe von Fachleuten und hochrangigen Regierungsfunktionär*innen grosse Profite ein“, konstatiert ein Bericht des Kinderhilftswerkes.
Allein die US-Botschaft hat mit jährlich etwa 1.000 Adoptionsgesuchen zu tun. Bisher wurde der DNA-Test nur verlangt, wenn es Verdachtsmomente für eine illegale Adoption gab. Die Organisation Casa Alianza, die hauptsächlich mit Straßenkindern arbeitet, begrüßte die Entscheidung der Botschaft. „Die USA folgen jetzt dem Beispiel Kanadas, wo der DNA-Test bereits vor mehreren Jahren obligatorisch eingeführt wurde. Wir freuen uns, daß die Vereinigten Staaten – der grösste Markt für guatemaltekische Babies – diesen wichtigen Schritt unternommen hat“, erklärte Bruce Harris, der Leiter von Casa Alianza in Lateinamerika.
GUATEMALA/EU
URNG trifft internationale Beratungsgruppe
(Brüssel, 24. Oktober 1998, cerigua-Poonal).- Die ehemalige Guerilla- Organisation Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) kam in Brüssel zwei Tage lang mit Vertreter*innen der sogenannten Beratungsgruppe internationaler Geldgeber für den Friedensprozess in Guatemala zusammen. Die Gruppe sagte die Fortsetzung ihrer Hilfe zu, forderte aber gleichermaßen Verbessungen in Schlüsselbereichen des mittelamerikanischen Staates.
Die Berater*innen, die für 25 Regierungen und Finanzinstitutionen stehen, monieren vor allem eine zu langsame Steuerreform und Probleme in der Rechtssprechung. Das vor zwei Jahren gegebene Versprechen, insgesamt 1,9 Milliarden Dollar an Spenden und Krediten für die Friedensanstrengungen in Guatemala zur Verfügung zu stellen, werde aber nicht gebrochen. Bisher ist von dieser Summe weniger als die Hälfte ausgezahlt worden.
GUATEMALA/USA
Doppelte Staatbürgerschaft gefordert
(Guatemala-Stadt, 28. Oktober 1998, cerigua-Poonal).- Fast 1,2 Millionen Guatemaltek*innen leben in den USA. Das sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung des mittelamerikanischen Landes. Der Nationalkongress der Guatemaltekischen Organisationen in den USA (GUATENET) fordert Gesetzesänderungen im Heimatland, die die doppelte Staatsangehörigkeit erlauben und im Ausland lebenden Guatemaltek*innen die Möglichkeit geben, an Wahlen teilzunehmen.
Der GUATENET-Vorsitzende Cesar Orantes äusserte sich enttäuscht, dass das Thema nicht Gegenstand der zahlreichen kürzlich verabschiedeten Verfassungsreformen war. Gleichzeitig kündigte er eine Initiative beim Obersten Wahlgericht an, damit in Übersee wohnende Guatemaltek*innen wählen dürffen. Die guatemaltekische JuristInnenvereinigung (AGJ) hat sich bereits für den Vorstoß ausgesprochen. Sie bietet Rechtsberatung an und schlägt vor, bei bestimmten Abgeordneten gezielte Lobbyarbeit zu leisten. Nach GUATENET überweisen in den USA lebende Guatemaltek*innen täglich mehr als drei Millionen Dollar in ihr Heimatland. Das ist der zweitgrösste Posten bei den Deviseneinnahmen Guatemalas.
PARAGUAY
Parlament und eigene Partei gegen Präsidenten
(Asunción, 30. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Präsident Raúl Cubas hat weiterhin kaum Chancen, seine politischen Vorstellungen in Paraguay durchzusetzen. Innerhalb kürzester Zeit wies der Vorstand seiner Colorado Partei eine Gesetzesinitiative zur Sanierung der Staatsfinanzen ein zweites Mal zurück. Damit ist ein Scheitern in Abgeordnetenhaus und Senat sicher. Die Mehrheit der Regierungsabgeordneten stimmt regelmäßig zusammen mit der Opposition gegen die Vorschläge des Präsidenten. Dieser wird nur als Strohmann des Putschgenerals Lino Oviedo angesehen.
Im konkreten Fall führten die Colorado-Mitglieder eine ungenügende Klarheit des Sanierungskonzeptes an. Cubas will dem maroden Staat mit der Ausgabe von Staatspapieren flüssige Mittel verschaffen. Unabhängig vom politischen Machtkampf vor und hinter den Kulissen, ist die Sanierung des Finanzsystems im Land eine Notwendigkeit. Seit 1995 mußten 45 Banken, Geldunternehmen, Wechselstuben und Spar- und Darlehensvereinigungen Konkurs anmelden. Um einen völligen Zusammenbruch des paraguayischen Finanzsystems zu verhindern, mußte der Staat mit erheblichen Summen eingreifen, die jetzt in der Kasse fehlen.
Torwart zeigt General rote Karte
(Asunción, Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Als einer der weltbesten Torhüter hat José Luis Chilavert keine Angst vorm Elfmeter, wohl aber vor der Person des Generals Lino Oviedo. Er kritisierte die Entscheidung der Regierung von Raúl Cubas, Oviedo zum Koordinator des Amerika-Cups zu ernennen. Ein General, der einen Staatsstreich gegen den vorherigen Präsidenten versucht habe, dürfe nicht zur sportlichen Autorität werden.
Bereits zuvor hatte sich der Torwart gegen die Ausrichtung des Cups in Paraguay gewandt. Die Ausgaben für ein neues Stadion und die Renovierung der bestehenden Fußballarenen seien zu hoch. Wenn dafür Geld da sei, dann müssten zuvor Mittel in die Gesundheit und Bildung der Bevölkerung investiert werden. Chilavert drohte damit, nicht mehr mit der Nationalmannschaft anzutreten.
ARGENTINIEN
Landlosenproblematik nimmt an Schärfe zu
(Buenos Aires, 30. Oktober 1998, comcosur-Poonal).- Ein Zusammenstoß, wie er in Brasilien schon die Regel geworden ist, hat für heftige Spannungen in der Provinz Santiago del Estero gesorgt. Drei Unternehmen, die zusammen mehr als 100.000 Hektar Land besitzen, nahmen nach Angaben der argentinischen Argrarvereinigung (FAA) bewaffnete private Sicherheitsdienste unter Vertrag, um arme Familien vertreiben zu lassen. Die FAA, in der sich Kleinproduzent*innen organisiert haben, befürchtet Schlimmstes, wenn die Vertreibung nicht gestoppt wird. „Es existiert das Risiko von bewaffneten Auseinandersetzungen, denn die Leute werden nicht erlauben, dass ihre Ranchos ohne Gegenwehr niedergerissen werden. Und da sie auch als Jäger ihren Unterhalt verdienen, besitzen sie Waffen.“ Bei dem umstrittenen Land handelt es sich um 7.000 Hektar. Die Unternehmen kauften es, nahmen es aber nie in Besitz und scheinen auch jetzt keine Produktionsabsichten zu haben. Offenbar geht es um Grundstückspekulationen. Die Siedlerfamilien produzieren auf je sieben bis zehn Hektar Baumwolle oder verfügen nur über eine kleine Ziegenzucht. Der bisher noch friedlich gebliebene Konflikt begann, als zwei Bulldozer Bäume und Umzäunungen niederwalzten.
BRASILIEN
Unterschiedliches Geschichtsverständnis
(Brasilia, 30. Oktober 1998, comcosur-Poonal).- Die brasilianischen Indígena-Organisationen haben eine Gegenveranstaltung zu den offiziellen Feierlichkeiten zur 500jährigen „Entdeckung“ des Landes im Jahr 2000 angekündigt. Sie wollen in erster Linie an die Massaker gegen die eingeborenen Völker in den zurückliegenden fünf Jahrhunderten erinnern. Mitglieder des Artikulationsrates der indigenen Völker und Organisationen Brasiliens stellen sich ein grosses Treffen vor, auf dem die Autoritäten von Ethnien im ganzen Land über die Situation in ihren Gemeinden sprechen. Von den fünf Millionen brasilianischen Ureinwohner*innen überlebten nur 330.000 in 215 verschiedenen Völkern.
Katholiken und Lutheraner fordern politische Reform
(Florianapolis, 2. November 1998, alc-Poonal).- Nach einer Analyse der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von Anfang Oktober stimmten Persönlichkeiten der katholischen und evangelischen Kirchen überein, daß das Land Wahlreformen und politische Reformen dringend nötig habe. Der Landeskoordinator der Lutherschen Volkskirche wies in einem Brief an seine Gemeinden besonders auf die Rolle der Medien hin. „Nie zuvor gab es eine solche Manipulation in den Umfragen, einen so offensichtlichen Einsatz politischer Machtmittel und so großen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht“, heißt es in seinem Kommentar. Eine Kommission der katholischen Bischofskonferenz Brasiliens wies auf einem Treffen Ende Oktober auf die hohe Wahlenthaltung sowie die Zahl der ungültigen und unausgefüllt abgegebenen Stimmzettel hin. Mehr als 30 von 106 Millionen Wahlberechtigen stimmten für überhaupt keine Kandidat*innen, nach Ansicht der Kommission zeigt das „eine gefährliche Enttäuschung über die Politik“. Die Zeitschrift Istö geht sogar von 38 Millionen Nicht-Wähler*innen – 36,17 Prozent – aus. Für seine deutliche Wiederwahl reichten Präsident Fernando Henrique Cardoso knapp 36 Millionen Stimmen.
Die PPL sieht in dem Wahlergebnis eine Stärkung der neoliberalen Politik, verhehlt aber nicht die Genugtuung darüber, daß die Opposition im Abgeordnetenhaus, im Senat und in Regionalparlamenten dazugewinnen konnte und damit den breiten Bevölkerungsschichten näherstehende Projekte einen Fortschritt verzeichneten. Dennoch „ist es angesichts der erschreckenden Geldmenge, die einige Kandidaten als Vertreter mächtiger Wirtschaftsinteressen und der Elite ausgaben, unmöglich, die Demokratie zu erreichen“, meint die lutheranische Volkskirche.
Für die katholischen Bischöfe muß jede Wahl als „Bestätigung der Demokratie“ begrüßt werden. Die Bischofskonferenz ruft die Brasilianer*innen aber auf „sich in einer unabdingbaren Anstrengung für eine politische Reform zusammenzutun, die die demokratische Debatte unserer Probleme erlaubt, die Chancengleichheit der Kandidat*innen garantiert und Wahlkampagnen fördert, die das politische Bewußtsein der Bevölkerung auf ein höheres Niveau bringen“. Die Kirchenmänner äußern angesichts des verkündeten drastischen Wirtschaftsprogrammes ihre Besorgnis darüber, daß es sich um „im Ausland inspirierte Entscheidungen“ handelt, die „fragwürdige politische Richtungen bekräftigen“. Vorrangig müsse eine Politik verwirklicht werden, die sich mit Arbeitslosigkeit, der Landreform und einer Erholung der Landwirtschaft beschäftige.
LATEINAMERIKA
Latente Grenzkonflikte auf dem ganzen Subkontinent
(Brasilia, 27. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Mit dem Friedensschluss zwischen Ecuador und Peru am 26. Oktober endete eines der schwersten Grenzprobleme in Lateinamerika, das in einem Zeitraum von 50 Jahren Anlaß für drei Kriege gewesen ist. Doch noch warten zahlreiche andere Grenzstreitigkeiten in Lateinamerika auf eine Lösung. Dazu gehören die nicht geklärten Ansprüche die sowohl Chile wie auch Argentinien auf das Kontinentaleis erheben, der jüngst auf agressive Art ausgetragene Konflikt zwischen Nicaragua und Costa Rica um die Schiffahrt auf dem Grenzfluss Rió San Juan sowie die nicht verstummende Forderung Boliviens gegenüber Chile, dem Andenland einen direkten Zugang zum Meer zu gewähren.
Damit nicht genug. Venezuela wird sich mit Guyana nicht wegen der Region Esequivo einig, Kolumbien und Venezuela debattieren über die Nutzungsrechte im Golf von Coquibacoa, mit Nicaragua konkurriert Kolumbien um die Insel San Andrés. Honduras und Belize streiten sich um den Teil der Atlantikküste, in dem die Misquitos leben.
In der Mehrheit der Fälle gibt es eine gewisse Stabilität. Die Staaten sind sich einig, ihre Meinungsverschiedenheiten auf diplomatischem und friedlichem Weg zu lösen. Es ist dennoch eine trügerische Ruhe, wie das Beispiel von Nicaragua und Costa Rica zeigt. Dort schlugen die Wellen im wahrsten Sinne des Wortes hoch, als die Nicaraguaner eine costarikanische Polizeipatrouille auf dem Río San Juan beschossen. Mit Mühe wurde eine weitere bewaffnete Auseinandersetzung vermieden. Eine der kuriosesten Fälle ist sicherlich der Boliviens. Seit das Land 1879 im sogennanten Pazifikkrieg seine Küste an Chile verlor, ist ihm der Zugang zum Meer versperrt. Immer wieder haben bolivianische Regierungen und Parlamente versucht, die Weltöffentlichkeit auf diesen als schmerzlich empfundenen Verlust aufmerksam zu machen. Symbolisch wurde eine eigene Marine unterhalten. Den Friedensvertrag zwischen Peru und Ecuador nahmen die bolivanischen Abgeordneten zum Anlaß für eine Sondersitzung, auf der die „unnachgiebe Forderung“ nach dem Meereszugang bekräftigt wurde.
Wie beim Grenzproblem zwischen Ecuador und Peru sollen andere lateinamerikanische Länder nach der Idee der Parlamentarier eine Lösung vorschlagen. Entsprechende internationale Abkommen und Verträge könnten überprüft, aktualisiert und miteinander vereinbar gemacht werden, so das bolivianische Parlament in seiner Erklärung. Dies werde dem Integrationsprozess der Region und ihrer Entwicklung dienen.
Forum von Sao Paulo: „Wir haben Prinzipien, keine Rezepte“
(Mexiko-Stadt, 2. November 1998, Poonal).- Die transformierende Kraft der demokratischen Kräfte in Lateinamerika wird von ihrer Fähigkeit abhängen, die aktive Unterstützung der „großen Mehrheiten“ zu gewinnen. Darin waren sich die Teilnehmer*innen des VIII. Forums von Sao Paulo (vgl. Poonal 359) in ihrer Abschlußerklärung in der mexikanischen Hauptstadt einig. Ebenso sehen sie die Solidarität und die lateinamerikanische Einheit als Voraussetzung dafür an, ein alternatives Gesellschaftsprojekt zu verwirklichen, daß die (schädlichen) Folgen der neoliberalen Globalisierung rückgänig machen kann. Nach viertägigen Diskussionen zeigte sich im Titel der Abschlußerklärung auch ein Eingeständnis: „Wir haben Prinzipien, keine Rezepte.“
Im Text heißt es: „Die Kritik, die wir an der herrschenden internationalen Ordnung üben soll nicht bedeuten, uns in dieser widersprüchlichen, konfliktiven und sich globalisierenden Welt isolieren zu wollen, sondern die Gelegenheiten und Vorteile nutzen, die uns unsere Epoche für die Entwicklung bietet.“ Die Erklärung wurde einstimmig verabschiedet. Es gab jedoch Stimmen, die den Inhalt als zu konservativ bewerteten. So liege der Schwerpunkt auf den Wahlen und nehme nicht die Vielfalt der politischen Kämpfe auf, die durch die Teilnehmer*innen des Forums repräsentiert würden. Gleichfalls wurde bedauert, daß an keiner Stelle ein explizit sozialistische Politik gefordert wird. Die Mitglieder des Forums schlichteten den sich anbahnenden Streit, indem die Vorschläge, die auf den Kampf der Linken über die Wahlkämpfe hinaus eingehen, in das Abschlußdokument aufgenommen wurden.
Das Forum verabschiedete ebenfalls das Manifest von Mexiko. Darin wird der Neoliberalismus als „eine Bedrohung der Demokratie, die kulturelle Identitäten verzerrt, die Umweltkrise vertieft, die Feminisierung der Armut potenziert und die Würde der Menschen in Gefahr bringt“, dargestellt. Konkret erwähnt das Manifest die Gewalt im mexikanischen Bundesstaat Chiapas und den stagnierenden Verhandlungsprozeß dort ein, ohne die Regierung dabei allzu scharf anzugehen. Positiv werden die Gespräche zwischen Guerilla und Regierung in Kolumbien hervorgehoben.
KOLUMBIEN
Einigung nach härtestem Streik in der Landesgeschichte
(Bogot , 28. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Vierzigstündige Verhandlungen zwischen Regierung und Gewerkschaftsbewegung beendeten den zwanzigtägigen Streik der kolumbianischen Staatsangestellten. Es war der längste und teuerste Arbeitskampf, den der öffentliche Dienst des Landes jemals erlebte. Dabei konnten die Gewerkschaften nur geringfügige Verbesserungen durchsetzen. Die Lohnerhöhung für das kommende Jahr wird 15 Prozent betragen, ursprünglich hatte die Regierung den 800.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst 14 Prozent angeboten. Das mehr gezahlte Geld wird voraussichtlich gerade die Inflation ausgleichen, also die Kaufkraft erhalten, aber nicht erhöhen. Die Regierung versprach ebenfalls, keine Repressalien gegen die Streikteilnehmer*innen zu unternehmen. Die während des Arbeitskampfes nicht gezahlten Löhne können durch zusätzliche Schichten verdient werden.
Das Ziel, eine Änderung der staatlichen Wirtschaftspolitik und ein Ende der Privatisierungen durchzusetzen, erreichten die Streikenden nicht. Der Privatisierungsstopp hatte zu den Hauptforderungen des Gewerkschaftsdachverbandes CUT gehört. Deren Vorsitzender Luis Garzón bewertete den Arbeitskampf dennoch positiv. Nie zuvor sei die Arbeiterklasse so „präsent“ gewesen. Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana erklärte, es gebe weder Sieger noch Besiegte. Beide Seiten hätten Positionen aufgeben müssen. Für die Gewerkschaften wurden die kleinen Erfolge bitter erkauft. Während der 40 Streiktage brachten Unbekannte mehrere Gewerkschafter*innen um, darunter den stellvertretenden CUT- Vorsitzenden Jorge Ortega.
KOLUMNE – Von Eduardo Galeano
Symbole
Sylvia Murninkas ging an der Küste Montevideos spazieren. Es war ein klarer heller Nachmittag, wolkenloser Himmel, kein Lüftchen bewegte sich, als sie Kriegsgeschrei hörte. Sie warf einen Blick ins Hotel Rambla und wich erschrocken zurück.
Der Luftkampf fand im Erdgeschoß statt. Das Erdgeschoß des zur Renovierung anstehenden Hotels war voll mit Schutt und über dem Müll aus Ziegelstücken, Glas- und Holzsplittern gab es einen Teppich blutverschmierter Federn. Die beiden letzten Kriegerinnen waren gerade dabei, sich mit Schnabelhieben umzubringen: sie stürzen sich aufeinander, verfingen sich in der Luft, stießen gegen die Fensterscheiben und gingen in Blut gebadet erneut zur Attacke über.
Sylvia kannte diese Gewohnheiten der Tauben bis dahin nicht.
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