Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 357 vom 16. Oktober 1998
Inhalt
KUBA
HAITI
MEXIKO
GUATEMALA
HONDURAS
ECUADOR
KOLUMBIEN
BOLIVIEN
URUGUAY
KOLUMNE – Von Eduardo Galeano
CHILE
PERU
LATEINAMERIKA/EUROPA
LATEINAMERIKA
KUBA
Zufriedenheit angesichts erfolgreicher UNO-Generalversammlung
(New York, 14. Oktober 1998, pl-Poonal).- Nach Abschluß der UNO- Generalversammlung in New York äußerte sich der kubanische Außenminister Roberto Robaina dort sehr zufrieden gegenüber der internationalen Presse über die Verurteilung des seit Jahrzehnten bestehenden US-Embargos gegen sein Land. Zum siebten Mal hintereinander sprach sich der Großteil der UNO-Mitgliedsländer gegen die Blockadepolitik der USA aus, nie zuvor jedoch mit einer derart überwältigenden Mehrheit: 157 Länder unterstützten die Resolution zum Ende des Embargos, zwölf enthielten sich und nur zwei – USA und Israel – stimmten dagegen. Das bereits deutliche Abstimmungsverhalten des vergangenen Jahres (143:17:3) wurde damit – aus kubanischer Sicht – noch erfreulich übertroffen.
„Das ist ein sehr wichtiges Votum“, so Robaina. „Auch wenn die USA nichts auf die internationale öffentliche Meinung geben, weil sie sich ausreichend mächtig und stark genug fühlen, (ihre) Entscheidungen durchzusetzen, bleibt doch abzuwarten, wie selbst dieses Land reagiert, wenn ihm klar wird, daß es die internationale Gemeinschaft gegen sich hat.“ Darüberhinaus wies Robaina auf die starke Diskussionsbeteiligung an der Debatte hin: 31 UNO-Delegierte, so viel wie nie zuvor, hatten das Wort ergriffen und ihr Abstimmungsverhalten erklärt.
HAITI
Gewerkschafter verlangen Krisenlösung
(Port-au-Prince/Wiesbaden, 6. Oktober 1998, haiti info-Poonal).- Die Gewerkschaft =84Confédération des Travailleurs Haitiens“ (CTH) hat alle politische Kontrahenten zur Einigung auf einen Minimalkonsens aufgerufen. Alle Einrichtungen des Landes seien von der politischen Krise betroffen, erklärte ein Sprecher der CTH. Falls kein Mindestmaß an staatlicher Infrastruktur aufrechterhalten werde, würden sich die ohnehin dramatischen Lebensbedingungen der Bevölkerung noch weiter verschlimmern. =84Wir beklagen die Gleichgültigkeit der politisch Verantwortlichen gegenüber den haitianischen Arbeitern sowie der gesamten Bevölkerung“, so der Sprecher.
Maroder Justizapparat und florierende Straffheit unter Beschuß
(Port-au-Prince/Wiesbaden, 6. Oktober 1998, haiti info-Poonal).- Anläßlich des 7. Jahrestag des Putsches gegen den damals demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, erklärte der amtierende Präsident Préval am 30. September, es sei die Pflicht aller Haitianer das Andenken an die Opfer zu bewahren. =84Wir dürfen keinesfalls in Vergessenheit geraten lassen, daß viele Opfer des Putsches nach wie vor auf Gerechtigkeit warten müssen, „, so René Préval. Er erinnerte daran, daß der Putsch bis heute negative Auswirkungen auf das öffentliche Leben hätte.
In Les Cayes hat die Ortsgruppe der „Stiftung vom 30. September“ – eine Organisation der Putschopfer- zur Mobilisierung aller Betroffenen aufgerufen, um die Regierung zu juristischen Maßnahmen gegen die Putschisten zu veranlassen. Mit Gottesdienst, Mahnwache und Demonstrationen erinnerten sie an den Putsch gegen Präsident Aristide. Insgesamt äußerte sich die Stiftungsgruppe zufrieden zu den Bemühungen der Regierung. Sie machte ihr jedoch konkrete Vorschläge bezüglich einer landesweiten Politik zur sozio- ökonomischen Integration der Opfer. Dreißig Organisationen beteiligten sich an diesem Entwurf.
Die Stiftungsgruppe forderte darüber hinaus gesetzliche Grundlagen, die den Opfern gerichtliche Schritte gegen ihre Peiniger ermögliche. Wie auch eine gleichzeitige Informationspolitik, die die Bevölkerung über die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in Kenntnis setzten würde. Ebenso müsse die gesundheitliche Versorgung der Opfer von Seiten des Staates übernommen werden. Der Dachverband der haitianischen Menschenrechtsorganisationen, der mit der Stiftungsgruppe eng zusammengearbeitet hat, präsentierte seinerseits eine Strategie zur Bekämpfung der Straffreiheit. Sie forderte Reformen des haitianischen Strafgesetzbuches sowie die Entlassung der als korrupt entlarvten Richter. Des weiteren wies der Dachverband auf die Notwendigkeit hin, kreolisch als Amtssprache in den Gerichtsälen zu verwenden, um der breiten Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, die Verhandlungen zu verfolgen.
Auch die Zivilmission von UNO und OAS (MICIVIH) richtete in einem Kommuniqué den dringenden Appell an die Regierung, gegen die herrschende Straffreiheit anzugehen. Der beklagenswerte Zustand des Justizapparates habe stark zu den herrschenden Verhätlnissen beigetragen. Die Mission führte ebenfalls an, daß die von den USA unter Verschluß gehaltenen Dokumente hinsichtlich der paramilitärischen Terrororganisation FRAPH und haitianischen Streitkräfte, im Kampf gegen die Straffreiheit helfen könnten, wenn sie an die haitianische Regierung übergeben würden.
Care International protestiert gegen „falsches Profil“
(Port-au-Prince/Wiesbaden, 6. Oktober 1998, haiti info-Poonal).- Claudine Gourgue, leitende Angestellte von Care International hat in einer Stellungnahme die Vorwürfe von Bauernorganisationen aus dem Nordwesten des Landes zurückgewiesen (vgl. Poonal 354). Sie gab die Sichtweise ihrer Organisation wieder: Care leiste nicht nur humanitäre Hilfe, sondern einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Landes. Seit 44 Jahren unterhalte Care im Nordwesten Haitis ein Entwicklungsprogramm, in dessen Rahmen unter anderem Straßen und Städte infrastrukturell verbessert würden. Gourgue erwähnte in diesem Zusammenhang Baumpflanzungenen sowie Reparaturarbeiten an alten Bewässerungskanälen, die so wieder funktionstüchtig gemacht worden seien. Das Lebensmittelprogramm von Care sei für die Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Kindern aufgebaut worden. Mindestens 27 andere Organisationen seien an dem Programm beteiligt. Die Mitarbeiterin von Care wies unter anderem auch auf die Unterstützung von über 500 Bauernfamilien hin, die über das Frauenförderungsprogramm der Organisation einen Kleinkredt erhielten.
Care wird von den USA, Kanada, Holland und der Weltbank finanziert. Die haitianischen Bauernorganisationen aus dem Nordwesten hatten von Ausbeutung bei den „Food for Work“-Projekten gesprochen und geklagt, die Abhängigkeit werde durch Care- Programme verstärkt statt abgebaut.
MEXIKO
Konsens gegen US-Atommüll an der Grenze
(Mexiko-Stadt, 11. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Umweltschützer*innen und Mitglieder aller fünf Parlaments-Parteien zogen am Wochenende vor die US-Botschaft in Mexiko-Stadt. Die etwa 2.000 Menschen protestierten gegen die Pläne der USA in Texas, nahe der Grenze zu Mexiko, eine Atommülldeponie zu errichten. US- Botschafter Jeffrey Davidow soll die diesbezügliche Besorgnis des Nachbarlandes an Präsident Bill Clinton übermitteln, so die Forderung. Unter den Demonstrant*innen befanden sich auch der mexikanische Greenpeace-Sprecher Alejandro Calvillo und Cristina Alcayaga, Vorsitzende der Menschenrechtskommission der Regierungspartei PRI. US-Präsident Clinton hat im September ein Dekret unterschrieben, daß den Bau des Atommüllagers in der texanischen Wüste erlaubt. Expert*innen weisen auf Erdrisse in der Region hin. Eine Erdverschiebung könne das Lager zerstören und die Verseuchung der gesamten Zone zur Folge haben. In Mexiko wächst der Widerstand gegen das nur 20 Kilometer von der eigenen Grenze gelegene Projekt.
GUATEMALA
Übergriff gegen Journalisten
(Mazatenango, 12. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Mitglieder von Armee und Polizei sind offenbar gezielt gegen den Journalisten Luis Emilio de León Cabrera vorgegangen. Cabrera, der heute einen lokalen alternativen Fernsehsender besitzt und Redakteur einer Fernsehnachrichtensendung ist, war Mitglied der ehemaligen Guerilla URNG. Er wurde auf der Straße von Soldaten festgenommen, beschimpft, geschlagen und zur Polizeistation von Mazatenango geschleppt. Dort wartete nach Cabreras Aussage bereits der Polizeichef auf ihn und wies seine Untergebenen an, den Journalisten so zu behandeln, wie es sein lockeres Maul verdiene. Nachdem wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, wurde Cabrera mitgeteilt, er sei wegen der Erregung öffentlichen Ärgernisses und Amtsbeleidigung angeklagt. Nach Aussagen von Zeugen, die bei der Verhaftung anwesend waren, ist dies völlig falsch. Cabrera teilte mit, daß er in der Vergangenheit bereits mehrfach Morddrohungen erhalten habe. Mitarbeiter*innen seines Senders seien bei verschiedenen Gelegenheiten beinahe von Streifenwagen der Nationalpolizei überfahren worden.
Minenräumung
(Guatemala-Stadt, 11. Oktober 1998, pulsar-Poonaal).- In einer konzertierten Aktion haben die Armee, die ehemalige Guerilla URNG, die Regierung sowie internationale Einrichtungen mit dem zweiten Teil des nationalen Plans zur Minenräumung begonnen. Die Such- und Räumarbeiten werden nun in der Provinz Quiché, 163 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, durchgeführt. Weite Teile des Quiché=82 gehörten zu Hauptkriegsschauplätzen des vor knapp zwei Jahren beendeten, 36 Jahre währenden Bürgerkriegs. In der Provinz sind schätzungsweise 70.000 Menschen dem Minenrisiko ausgesetzt. Der Plan zur Minenräumung soll sich auf die neun Hauptkriegsprovinzgebiete der insgesamt 22 guatemaltekischen Provinzen ausgedehnt werden. Zu den Aufgaben gehört nicht nur die Desaktivierung von etwa 20.000 Anti-Personenminen, sondern genauso die Aufklärung der Bevölkerung über die im Boden lauernde Gefahr.
Telefongesellschaft endgültig privatisiert
(Guatemala-Stadt, 6. Oktober 1998, cerigua-Poonal).- Mehr als anderthalb Jahre stand die staatliche Telefongesellschaft TELGUA zum Verkauf an. Anfang Oktober bekam nach nur 30minütigen Verhandlungen ein einheimisches Konsortium für 700 Millionen Dollar den Zuschlag. Luca S.A. wird 95 Prozent der Telefonaktien kaufen und die Verantwortung für die etwa 240 Millionen Dollar Verbindlichkeiten der Gesellschaft übernehmen. Luca-Chef Ricardo Bueso gibt zu, daß der Konzern „nicht viel Erfahrung in Telekommunikation hat“. Die Behörden hätten dem Verkauf aber zugestimmt, weil es schon Gespräche mit internationalen Telefonkompanien gegeben habe, die das Management von TELGUA übernehmen könnten. Bueso weigerte sich jedoch, Namen zu nennen. Das Kaufinteresse an dem guatemaltekischen Telefonsystem hielt sich von Anfang an in Grenzen. Das letzte Angebot vor Luca machte Ende 1997 die mexikanische Telefongesellschaft TELMEX. Die 529 Millionen Dollar, die die Mexikaner zu zahlen bereit waren, reichten der guatemaltekischen Regierung aber nicht.
Den nun zustande gekommene Verkauf stößt in Guatemala auf Widerstand. Die Oppositionspartei Demokratisches Bündnis Neues Guatemala (FDNG) hat eine Verfassungsklage angekündigt. „Das Verfahren war von Anfang bis Ende fehlerhaft“, so die FDNG. Die Partei wird nach den Worten ihres Generalsekretärs Rafael Arriaga vor Gericht damit argumentieren, daß der Verkauf „illegal, illegitim und undurchsichtig“ vonstatten gegangen sei. Möglicherweise würden führende Regierungsfunktionäre davon profitieren. Der FDNG ist zudem die Geschwindigkeit, mit der das Geschäft am Ende abgewickelt wurde, nicht geheuer. Der ehemalige Generalbundesanwalt Acisclo Valladares Molina hat ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich der Privatisierung. Er hält eine Gesetzesänderung aus dem vergangenen Jahr für nicht verfassungskonform, die Privatisierungen ohne die Zustimmung des Parlamentes möglich macht. Das Verfassungsgericht erklärte die Reform allerdings für zulässig.
Truppenabbau im Rahmen der Friedensvereinbarungen
(Guatemala-Stadt, September 1998, cerigua-Poonal).- Die guatemaltekische Armee hat ihre Truppen um ein Drittel reduziert. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der 1996 abgeschlossenen Friedensvereinbarungen mit der Guerilla. Verteidigungsminister General Hector Barrios erklärte, in den vergangenen zwei Jahren seien 15,477 Soldaten demobilisiert, 19 Bataillone aufgelöst und fünf Militärzonen abgeschafft worden. Die Aufgabe der verbleibenden Truppe von 31.500 Soldaten werde darin bestehen, die Souveränität des Landes und dessen territoriale Integrität zu verteidigen. Barrios Verlautbarungen wohnten Präsident Alvaro Arzú, Friedensministerin Raquel Zelaya, Vertreter der ehemaligen Guerilla URNG und der Chef der UNO-Überprüfungsmission (MINUGUA), Jean Arnault.
Laut MINUGUA ist mit der Truppenreduzierung die erste Phase des Abkommens über die Stärkung der Zivilgewalt und die Rolle der Streitkräfte in einer demokratischen Gesellschaft abgeschlossen. Die Mission erinnerte an andere durchgeführte Reformen wie den reduzierten Militäretat, die Auflösung der mobilen Militärpolizei und die Abschaffung und Entwaffnung der paramilitärischen Zivilpatrouillen. Dennoch machte die UNO-Einrichtung deutlich, daß weitere wichtige und vielleicht schwierigere Änderungen innerhalb der Streitkräfte nötig sind, um eine Friedenskultur zu gründen und die Demokratie zu stärken. MINUGUA zitierte in einer Stellungnahme ein neues Bildungs- und Ausbildungssystem für die Soldaten sowie die Reform des Verfassungsartikels, der die Pflichten der Armee festlegt. Außerdem wurde auf die notwendige Neustrukturierung interner Regeln, der Geheimdienste und der Truppenverbände verwiesen. Das alles soll die guatemaltekische Armee auf die Doktrin der nationalen Verteidigung ausrichten. Die zuvor gültige Doktrin der inneren Sicherheit gab der Unterdrückung der Opposition im eigenen Land den eindeutigen Vorrang.
HONDURAS
Kolumbus hingerichtet – Indígenas nehmen späte Rache
Von Iván Castro
(Tegucigalpa, 12. Oktober 1998, npl).- Auf den Tag genau vor 506 Jahren entdeckte er für die spanische Krone fast aus Versehen den amerikanischen Kontinent, den er für Asien hielt. Für die Folgen seiner Entdeckung mußte Christoph Kolumbus am Montag, den 12. Oktober 1998 büßen. In Tegucigalpa, der Hauptstadt des kleinen mittelamerikanischen Staates Honduras, wurde er gegenüber dem Parlamentsgebäude hingerichtet. Zwei Indígenas der Lenca-Ethnie schossen acht Pfeile auf das zwei Meter hohe, auf Leinen gebannte Portrait des Weltreisenden. Etwa 1.000 Indígenas der verschiedenen Ethnien des Landes forderten lautstark den Tod von Kolumbus. Dagegen ließen sie mit dem Ruf „Lempira vive“ den Indígenaführer hochleben, der im heutigen Honduras gegen die spanischen Eroberer kämpfte und dabei sein Leben verlor. Während es für Kolumbus nur Schimpf und Schande gab, erhielt Lempira auf dem Platz ein kleines Denkmal.
In dem symbolischen Prozeß, der am 20. Juli begonnen hatte, gab es für Kolumbus von Anfang an wenig Hoffnung, der Todesstrafe zu entgehen. Der Admiral der spanischen Krone wurde von den Indígenas unter anderem wegen „Völkermord, Raub und der Zerstörung eingeborener Kulturen“ angeklagt. Weitere Anschuldigungen lauteten auf „Entführung, Vergewaltigung, Invasion, Mord, Sklavenhandel und Kulturimperialismus“. Einwände, Kolumbus sei nicht für alle Verbrechen verantwortlich zu machen, die in den Jahrzehnten und Jahrhunderten nach seiner Reise begangen wurden, fanden vor dem Richter und den zehn Geschworenen aus den Ältestenräten der honduranischen Indígenas kein Gehör.
Das zum Jahrestag seiner Ankunft auf dem Kontinent vollstreckte Urteil umfaßt allerdings auch die Aufforderung an Spanien als Nation, für die Schäden der Eroberung aufzukommen und um Vergebung zu bitten. Bis zu 70 Millionen der indigenen Einwohner Amerikas kamen im Gefolge der spanischen Eroberung um – durch Kämpfe gegen die Eindringlinge, durch Sklavenarbeit und vor allem durch eingeschleppte Krankheiten. Manuel Gómez, der spanische Botschafter in Honduras, zeigte sich gegenüber der Presse aber wenig zur Reue bereit. „Die Geschichte ist nun einmal da und kann nicht geändert werden. Man muß sie tief analysieren, ihre Lektionen lernen und nach vorne schauen“, kommentierte er.
In Honduras sind die Spuren der Kolonialisierung immer noch deutlich. Die acht Ethnien der Lencas, Pech, Chortís, Xicaques, Tolupanes, Garífunas, Tahuakas und Miskitos gehören zu den ärmsten Bevölkerungsschichten. Von ihren ingesamt über 400.000 Angehörigen haben die wenigsten Zugang zu Land, Gesundheitsversorgung, Arbeit und zweisprachiger Erziehung. Doch nicht nur sie sind von ungerechten Besitzverhältnissen betroffen. Nach Angaben der katholischen Kirche haben in Honduras über eine halbe Million Campesinos kein eigenes Land. Die fruchtbaren Böden konzentrieren sich in den Händen weniger Großgrundbesitzer und transnationaler Unternehmen. Der Bauernführer Rafael Alegría spricht von 88 Familien und den US-Fruchtkonzernen, die das bebaute Land kontrollieren.
So ist es kein Wunder, daß 80 Prozent der knapp sechs Millionen Honduraner in Armut leben. Und während Kolumbus in der Hauptstadt unter den Pfeilen der Lencas starb, besetzten 270 Kilometer entfernt mehrere hundert Chortís die Maya-Ruinen von Copán. Land und Gerechtigkeit fordern sie. Ihnen kann die späte symbolische Rache an Kolumbus eine gewisse Genugtuung verschaffen. Doch sie warten noch immer auf die Bestrafung der Verantwortlichen, die 1996 zwei ihrer Führer ermorden ließen.
ECUADOR
Präsident wirbt im Ausland um Vertrauen – Im eigenen Land trifft
er auf keins
Von Blanca Diego
(Quito, 4. Oktober 1998, npl).- „Ecuador braucht einen starken Staat, der die Wirtschaft im Lande fest im Griff hat und ausländischen Anlegern die Türen öffnet“, verkündete der ecuadoreanische Präsident Jamil Mahuad auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Washington. Mahuad, der im August sein Amt angetreten hatte, hat allen Grund, um Vertrauen für sein Reformprogramm zu werben. Die weltweite Finanzkrise, das Klimaphänomen El Ninnnno und der Verfall des Ölpreises haben den Staat an den Rand des Bankrotts getrieben. Lehrer, Soldaten und Polizisten haben schon seit Monaten keine Löhne mehr erhalten. Das Haushaltsdefizit ist auf 1.400 Milliarden US-Dollar angestiegen, die Auslandsverschuldung hat ein alarmierendes Ausmaß von 15 Milliarden US-Dollar erreicht. Immer mehr Investoren ziehen sich aus Ecuador zurück, zumal seit Beginn des Monats auch die politische Stabilität erneut ins Wanken geraten ist.
Die Sofortmaßnahmen, die Jamil Mahuad kurz nach seinem Amtsantritt eingeleitet hat, treffen die Bevölkerung hart. Die Aufhebung der Subventionen für Gas, Strom und Treibstoff haben die Preise für Transport und Nahrungsmittel um ein Vielfaches in die Höhe schnellen lassen. Mit der Abwertung des Sucre um 15 Prozent hat die Regierung in Kauf genommen, daß der Preisanstieg zunimmt. Zum Jahresendes wird mit einer Inflationsrate von 46 Prozent gerechnet. Mit einer Anhebung der Mehrwertsteuer und Einsparungen im öffentlichen Sektor soll das Haushaltsdefizit verringert werden. Befürchtet wird allerdings, daß sich zuallererst die Armut weiter verschärft. Offiziellen Angaben zufolge lebt mehr als ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.
Mit einem Generalstreik protestierten am Monatsanfang Arbeiter, Bauern und Indígenas gegen die Sparmaßnahmen. Die Erdölraffinerien standen still, es wurden Straßenblockaden errichtet und in Quito, Guayaquil und Esmeraldas kam es zu Plünderungen und gewalttätigen Ausschreitungen. Wie die Zeitung „El Comercio“ berichtete, kamen bei den Auseinandersetzungen fünf Menschen ums Leben, es gab zahlreiche Verletzte und rund 100 Personen wurden festgenommen.
Für Zündstoff sorgt auch der Plan der Regierung, mit einem sogenannten „Notgeld für die Armen“ die schlimmsten Auswirkungen des Sparprogramms zu lindern. Die Idee ist, daß sich beispielsweise Familien, die mit weniger als umgerechnet 165 US- Dollar im Monat auskommen müssen, einmal im Monat beim nächstgelegenen Pfarramt 16,50 US-Dollar abholen dürfen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer „entwürdigenden Maßnahme“, und auch Teile der katholischen Kirche zeigten sich kritisch. „Wir lassen uns nicht zum Instrument einer Regierung machen, die Almosen vergibt, anstatt die Armut zu bekämpfen“, erklärte der Priester Luna Tobar. Ein Ende September verübtes Bombenattentat auf den Sitz der ecuadoreanischen Bischofskonferenz in Quito am vergangenen Dienstag wird damit in Verbindung gebracht, daß das oberste Gremium der Kirche sich dennoch zur Durchführung der Maßnahme bereit erklärt hat.
Konnte Präsident Mahuad auf internationalem Parkett für seine Wirtschaftspolitik werben, so steht ihm nun die Auseinandersetzung mit der eigenen Bevölkerung bevor. Nach der Eskalation der Proteste in den vergangenen Tagen hat das Regierungsministerium jetzt Zusammentreffen mit Vertretern von Gewerkschaften und Indigena-Organisationen anberaumt, in denen über die weitere Umsetzung der Stabilisierungsmaßnahmen diskutiert werden soll. Die Sprecherin des Ministeriums, Dolores Padilla, kündigte jedoch an, die Regierung werde „auf keinen Fall vom Reformkurs abrücken“.
KOLUMBIEN
Beginn der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla:
Maßnahmen gegen Paramilitärs und sichere Rückführung der
Flüchtlinge Von Donata Dröge
(10. Oktober 1998, npl).- In Barrancabermeja im Norden Kolumbiens warten Tausende von Flüchtlingen seit Monaten darauf, in ihre Dörfer zurückkehren zu können. Über 8.000 Menschen aus den umliegenden Provinzen hatten in der Stadt Schutz vor den Überfällen von Paramilitärs und den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Armee und Guerilla gesucht. Unter Geleitschutz der Armee sind nun die ersten Rückkehrertrecks unterwegs. Die planmäßige Rückführung der Flüchtlinge soll dem Friedensprozeß in Kolumbien Nachdruck verleihen.
Das Treffen zwischen dem Friedenskommissar der Regierung, Victor Ricardo und Kommandant Santos von der Guerillaorganisation Nationales Befreiungsheer (ELN) am 7. Oktober war ein erster Schritt zur Beilegung des Bürgerkrieges, der Kolumbien seit 30 Jahren erschüttert. Zuvor hatte es nie direkte Kontakte von Angehörigen der ELN mit Regierungsvertretern gegeben. Gegenstand des Gesprächs waren die Bedingungen für das Zusammentreten eines Nationalkonvents aus Vertretern von Guerilla, Regierung und Zivilgesellschaft, der die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung vorbereiten soll.
Mit der zweiten Rebellenorganisation, den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC), sollen die Friedensverhandlungen im November beginnen. Mehr als 400 Personen sollen gegenwärtig von der FARC als Geiseln gehalten werden, im Gegenzug für ihre Freilassung fordert die Rebellenorganisation die Entlassung inhaftierter Mitglieder. Eine Verfassungsänderung, die eine Aufhebung der Anklagen gegen die Rebellen ermöglichen würde, soll in der kommenden Woche im Parlament diskutiert werden.
Präsident Andres Pastrana hatte im Vorfeld der Friedensgespräche mit der ELN einige Maßnahmen angekündigt, die die Lage im Norden Kolumbiens entspannen sollen. In den Provinzen Antioquia, Bolivar, Boyaca und Sucre sollen Suchtrupps der Armee eingesetzt werden, die die rechtsgerichteten paramilitärischen Einheiten aufspüren und entwaffnen sollen. Auch soll, so der Präsident, „jegliche Verletzung der Menschenrechte durch Armeeangehörige streng geahndet werden und zur Entlassung aus dem Staatsdienst führen“.
Pastrana begegnet damit Vorwürfen, die Armee arbeite mit rechten Todesschwadronen zusammen und sei an den Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt. Das Mißtrauen der Guerillaorganisationen gegenüber Regierung und Armee bleibt dennoch groß. Das Treffen mit Vertretern der ELN wäre beinahe abgebrochen worden, als ein Hubschrauber der Luftwaffe das Gebiet überflog. Der zweite Kommandant der ELN, Antonio Garcia, erklärte gegenüber der kolumbianischen Zeitung „El Mundo“, es könne nicht zugelassen werden, daß „Militärhubschrauber einen Ort umkreisen, an dem Verhandlungen stattfinden, und das Leben der Delegierten in Gefahr bringen.“
BOLIVIEN
Vom Minister zum Kidnapper
(La Paz, 13. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Vor 30 Jahren war Antonio Arguedas Mendieta Innenminister der Regierung von René Barrientos Ortunnnno. Damals wurde er beschuldigt, mit dem Tagebuch Che Guevaras Geschäfte gemacht zu haben. Heute ist sich die bolivianische Polizei sicher, daß Mendieta seit mindestens 12 Jahren sein Geld mit der Entführung von reichen Unternehmern verdient. Drei seiner nächsten Komplizen wurden nach Aussagen der Polizei gefaßt, als sie eine neue Entführung vorbereiteten. Der gleichen Quelle zufolge, gelang Mendieta gelang zwar die Flucht, seine Verhaftung soll jedoch bevorstehen. Die bolivianischen Behörden glauben, die Spuren des Ex-Ministers bis 1986 zurückverfolgen zu können. In dem Jahr soll Mendieta Drahtzieher einer Entführung sein, bei der er 20.000 Dollar von den Angehörigen des Opfers erpresste. Die Aussagen der jetzt festgenommenen drei Kompagnons könnte eine Reihe von Fällen aufklären, mit denen der Flüchtige in Zusammenhang gebracht wird.
Korruptionsanklagen gegen Regierung
(La Paz, 9. Oktober 1998, comcosur-Poonal).- Eine wahre Welle von Korruptionsbeschuldigungen ging in den vergangenen Tagen über der Regierung von Präsident Hugo Banzer nieder. Die Vorwürfe reichen von Vetternwirtschaft des Präsidenten selbst bis hin zu Schmiergeldzahlungen beim Zoll. Bei diesen Anklagen, die in der Bevölkerung Empörung ausgelöst haben, spielte die Presse eine entscheidende Rolle. Am Pranger steht unter anderem der Gesundheitsminister. Er soll Impfeinheiten zu einem überhöhten Preis eingekauft haben. Der Verlust für die Staatskasse des südamerikanischen Landes wird auf eine halbe Million Dollar geschätzt. Demgegenüber richtet sich beim Zoll das Augenmerk auf einen Familienmitglied Banzers, der sich offenbar beim Import von Gebrauchtwagen nicht gemäß der allgemeingültig Einfuhrregeln verhielt. Nutznießer des daraus resultierenden günstigen Imports, sind dem Vernehmen nach in der Mehrheit Familienangehörige wichtiger politischer Persönlichkeiten.
URUGUAY
Brücke zwischen Montevideo und Buenos Aires wird vom Präsident
gestützt
(Montevideo, 14. Oktober 1998, comcosur-Poonal).- In seiner wöchentlichen Radioansprache machte sich Präsident Julio María Sanguinetti ungewöhnlich deutlich für die Mega-Brücke zwischen dem uruguayischen Hauptstadtvorort Colonia und der argentinischen Metropole Buenos Aires stark. Fertiggestellt würde es sich um die längste Brücke der Welt handeln, doch auf beiden Seiten des Río de la Plata gibt es eine starke Opposition gegen das Projekt. Sanguinetti versuchte mit dem Hinweis auf 50.000 neue Arbeitsplätze Stimmung für den Brückenbau zu machen. Das uruguayische Parlament, das den Vertrag zwischen den beiden Staaten absegnen muß, damit die Arbeiten beginnen können, forderte der Präsident zu einer Entscheidung noch in diesem Jahr auf. „Wir warten auf die Zustimmung“, erklärte er. Sanguinetti nahm positiven Bezug auf andere Großprojekte in der Region wie den Ausbau des Flusses Paraná, die Konstruktion von Gaspipelines und die Ausschachtung des Río de la Plata. Die Gegner*innen sehen die Mega-Projekte als überflüssig und vor allem als große Gefährdung der Umwelt an.
Ehrung für Che Guevara
(Montevideo, 10. Oktober 1998, comcosur-Poonal).- Am 10. Oktober wurde in Montevideo der“Ernesto Che Guevara“- Platz eingeweiht, auf dem in baldiger Zukunft eine Büste des argentinisch- kubanischen Revolutionärs stehen soll. Zu dem Platz in dem belebten Stadtviertel El Cerro führt die Kubastraße. Die Entscheidung für den Platz fiel in der Ratsversammlung von Montevideo auf Initiative des linken Abgeordneten und ehemaligen Tupamaro-Guerilleros Jorge Zabalza. Die Zustimmung zu diesem Vorschlag wurde aber nicht nur von der linken Mehrheitsfraktion, sondern gleichermaßen von den übrigen politischen Gruppierungen im Stadtrat getragen.
KOLUMNE – Von Eduardo Galeano
Die schiffbrüchigen Wörter
In der Nacht erfüllte Avel de Alencar seine verbotene Mission. In einem Büro in Brasilien versteckt, fotokopierte er Nacht für Nacht die geheimen Papiere der militärischen Sicherheitsdienste: Berichte, Karteikarten und Akten, in denen die Folterungen Verhöre, und die Morde Konfrontationen hießen. In drei Jahren Untergrundarbeit fotokopierte Avel eine Million Seiten. Diese Dokumente waren der komplette Beichtspiegel der Militärdiktatur, deren absolute Macht über Leben und Wunder in ganz Brasilien zuende ging.
Eines Nachts entdeckte Avel zwischen den dem Militärarchiv entrissenen Seiten einen parfümierten Brief. Der Brief war zehn Jahre zuvor geschrieben worden, aber das Papier hatte den Parfümgeruch nicht vollständig verloren und der Kuß, der den Brief unterzeichnete, war intakt. Der Abdruck der geöffneten Lippen unter den Wörtern schien frisch zu sein. Seit jener Nacht unterbrach Avel jedesmal seinen Gang zum Kopiergerät, wenn er irgendeinen Brief fand. Er entdeckte viele Briefe. Neben den Briefen lagen die von den Militärs geöffneten Briefumschläge.
Er wußte nicht, was tun. So viel Zeit war vergangen. Niemand erwartete diese Briefe mehr. Sie waren von Personen geschrieben worden, sie waren an Personen geschrieben worden, aber jetzt waren es Botschaften von Gespenstern an Gespenster. Und doch konnte Avel sie nicht lesen, ohne das Gefühl zu haben, eine Vergewaltigung zu begehen. Waren diese Wörter nicht etwa lebendig, obwohl sie vielleicht von Toten und Vergessenen kamen und für nicht mehr existierende Orte und Personen bestimmt waren? Avel konnte sie nicht in die Militärarchive zurücklegen. Es war, als ob er sie ins Gefängnis zurückbringen würde. Er versuchte, sie zu zerreißen und fühlte sich dabei als Verbrecher.
Am Ende einer jeden Nacht legte Avel die gefundenen Briefe in ihre Umschläge, versah sie mit neuen Briefmarken und warf sie in den Briefkasten.
CHILE
Schatten der Vergangenheit
(Santiago, 9. Oktober 1998, comcosur-Poonal).- Der Sonderrichter Hugo Dolmestch führte ein langes Verhör mit dem Armeeoffizier Iván Cifuentes Martínez, der mit dem Massaker an 12 Mitgliedern der Widerstandsgruppe Patriotisches Bündnis Manuel Rodríguez unter der Pinochet-Diktatur in Verbindung gebracht wird. Wegen dieses Verbrechens sind bereits andere Mitglieder des berüchtigten früheren Geheimdienstes DINA verurteilt worden. Martínez galt seit Ende Juli als flüchtig, hatte sich vor kurzem jedoch in einer Militäreinrichtung gestellt. Auch ein prominenter Weggefährte Martínez' wurde mit seiner Vergangenheit konfrontiert: die französische Regierung verweigerte Ex-Diktator Augusto Pinochet das Einreisevisum. Die chilenische Regierung zog es vor dazu schweigen. Dazu befragt beschränkte sich Kabinettsminister Jorge Arrate beschränkte auf den lakonischen Kommentar: „Ich vermute, es liegt an seinem Lebenslauf.“
„Zu Befehl, Frau General“ – eine Errungenschaft?
(Santiago, Oktober 1998, fempress-Poonal).- Der Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte hat angekündigt, daß Frauen demnächst bis in die oberste Militärhierarchie aufsteigen können. Dies solle im Programm für die Entwicklung und institutionelle Modernisierung der Armee festgelegt werden. Noch bedeutet der Rang einer Oberstleutnantin den Karrierestopp für Frauen bei den Streitkräftenr. Bald wird es wohl Generälinnen geben. Bei den Carabineros, der nach militärischem Vorbild strukturierten chilenischen Polizei, ist es nach einem vom Parlament kürzlich verabschiedeten Gesetz ebenfalls möglich, daß Frauen den Generalsrang erreichen.
Verfassungsgericht verschärft Kandidatenkrise der
Regierungskoalition
(Santiago, 13. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- In der chilenischen Regierung kriselt es. Grund sind die Präsidentschaftswahlen im Dezember 1999. Die Christdemokraten, größte Partei im Land, wollen mehrheitlich mit ihrem Kandidaten Andrés Zaldívar antreten. Die Sozialisten dagegen können mit Ricardo Lagos den derzeit beliebtesten Politiker des Landes aufbieten, dem auch die Sympathie eines Teiles der Christdemokraten gilt. Um eine drohende Spaltung der Koalition zu verhindern, sprach sich die Regierung zuletzt für gesetzlich vorgeschriebene demokratische parteiinterne Wahlen aus, die die Kandidatenfrage klären sollte. Doch das Verfassungsgericht machte den Plänen, dieses Prinzip in die chilenische Gesetzgebung aufzunehmen, einen Strich durch die Rechnung. Es erklärte eines solches Vorgehen für unzulässig.
Aus Regierungskreisen wird dem Gericht vorgeworfen, den Interessen der rechten Opposition in die Hände zu spielen. In der Tat kann diese darauf hoffen, daß sich Lagos und Zaldívar beim Kampf um die Kandidatur gegenseitig beschädigen. Ein Machtwort des amtierenden Präsidenten, dem christdemokratischen Präsidenten Eduardo Frei, beruhigte vor einigen Wochen zwar ein bißchen die Lage, führte aber zu keiner klärenden Entscheidung. Beide Kandidatenbewerber haben erklärt, keinesfalls die Einheit der Koalition aufs Spiels setzen zu wollen. Andrerseits haben andererseits beide keinerlei Ambitionen ihre Ambitionen aufgegeben.
PERU
Schwere Schlappe für Alberto Fujimori bei Kommunalwahlen
Von Raúl Rodríguez Chalco
(Lima, 12. Oktober 1998, pulsar-Poonal).- Bei den letzten Kommunalwahlen Perus in diesem Jahrhundert gewannen vor allem die von der Regierung und den traditionellen Parteien unabhängigen Gruppen. Die Ergebnisse könnten ein Hinweis darauf sein, daß sich das autoritäre Regime von Präsident Alberto Fujimori seinem Ende zuneigt. „Der große Verlierer ist die Regierung mit ihren verfassungswidrigen und undemokratischen Praktiken“, sagte der wiedergewählte Bürgermeister von Lima, Alberto Andrade. Der mögliche Gegenkandidat von Fujimori bei den kommenden Präsidentschaftswahlen erhielt weit über die Hälfte der in der Hauptstadt abgegebenen Stimmen. In Lima wohnt ein Drittel der Wahlbevölkerung.
Nach den ersten Auszählungen hat die von der Regierung für die Kommunalwahlen geschaffene Organisation „Vamos Vecino“ (Los geht's Nachbar) in keiner der Provinzhauptstädte gewinnen könnne. Das Ausmaß des Popularitätsverlustes der Regierung ist enorm und nicht ganz erwartet. Beobachter stimmen überein, daß es für den seit 1990 herrschenden Präsidenten der schwerste Schlag bei Wahlen ist.
Andererseits ist es bekannt, wie Alberto Fujimori für sich ungünstige Situationen umgekehrt hat. Ein Beispiel ist die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 1994. Bei damaligen Referendum siegte das JA nur knapp. Doch in der Provinz Puno, wo 70 Prozent der Bevölkerung gegen die neue Verfassung stimmte, gaben Monate später die gleiche Anzahl Personen ihre Stimme für die Wiederwahl des Präsidenten ab. Fujimori nutzte die ganze Kraft des Regierungsapparates für den Meinungsumschwung. Nichts deutet darauf hin, daß er sich bei einer Kandidatur für eine dritte aufeinanderfolgende Amtszeit anders verhalten würde.
LATEINAMERIKA/EUROPA
Europaweite Zusammenarbeit gegen Militäramnestie und Straffreiheit
in Chile und Argentinien geplant
Von Donata Dröge
(Berlin, 13. Oktober 1998, npl).- Einen Englandaufenhalt des chilenischen Ex-Diktators ausnutzend, hat der spanische Untersuchungsrichter Manuel Garcia-Castellon via Interpol Augusto Pinochet aufgefordert, eine Aussage über die Menschenrechtsverletzungen während seines Militärregimes zu machen. Der 82-jährige General ist in Spanien des Völkermordes, der Folter und des Verschwindenlassens von Personen in der Zeit von 1976 bis 1990 angeklagt. Am vergangenen Freitag hatte er sich in London einer Leistenoperation unterzogen und hält sich noch in Großbritannien auf.
Wie die spanische Zeitung El Pais berichtet, hätten die spanischen Richter die britischen Behörden aufgefordert, Pinochet am Verlassen des Landes zu hindern und in diesem Zusammenhang von einem „Prüfstein für die Regierung Tony Blairs“ gesprochen. Pinochet, der in Chile als Senator auf Lebenszeit im Parlament sitzt, hatte sich für seine Reise vorsorglich einen Diplomatenpaß ausstellen lassen. Gegenüber der Nachrichtenagentur EFE habe der chilenische Außenminister José Miguel Insulza die Vorladung des Ex-Diktators unter Berufung auf den Diplomatenstatus zurückgewiesen. In Chile schützt eine Amnestieregelung die Armeeangehörigen, die am Militärregime beteiligt waren, vor einer Strafverfolgung.
Der spanische Gerichtshof hatte 1996 Ermittlungen gegen Pinochet und weitere hochrangige Militärs aufgenommen, nachdem die Angehörigen von spanischen Staatsbürgern, die während der Militärdiktaturen in Chile und Argentinien verschleppt, gefoltert und ermordet wurden, eine Aufklärung der Vorfälle gefordert hatten. Unter den Angeklagten befindet sich auch der ehemalige argentinische Diktator Leopoldo Fortunato Galtieri. Zuvor hatte ein französisches Gericht bereits den argentinischen Marinekapitän Alfredo Astiz in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er 1977 für das Verschwinden zweier französischer Ordensschwestern in Argentinien verantwortlich sein soll.
Inzwischen wurden auch anderen europäischen Ländern Ermittlungen eingeleitet, unter anderem in Italien, Österreich, der Schweiz und seit Juli dieses Jahres auch in Deutschland. Schätzungen des Menschenrechtszentrums in Nürnberg zufolge sind allein in Argentinien unter der letzten Diktatur von 1976 bis 1983, mehr als 500 Ausländer*innen verschwunden. Seit Anfang Oktober soll nun die Untersuchung dieser Fälle europaweit koordiniert werden. Wie Esteban Cuya vom Nürnberger Menschenrechtszentrum erläuterte, soll im kommenden April eine öffentliche Anhörung im Europaparlament stattfinden, ein Weißbuch mit den Biographien der Verschwundenen wird derzeit vorbereitet. Im November soll eine Delegation der „Europäischen Koordination gegen Straffreiheit“ nach Argentinien reisen und mit dortigen Menschenrechtsgruppen, unter anderem den „Müttern der Plaza de Mayo“, zusammentreffen.
Zwar wurden auch in Argentinien Amnestiegesetze erlassen, die den verantwortlichen Militärs Straffreiheit garantieren, doch können die Ermittlungen im Ausland auch vor Ort Wirkung zeigen. Im Zuge der Untersuchungen in Spanien und der Schweiz waren etwa Geheimkonten argentinischer Offiziere zutage getreten, auf denen auch Vermögen von „Verschwundenen“ liegen sollen. Einer der Offiziere, der spätere Provinzgouverneur Antonio Bussi, wurde deshalb in diesem Jahr vom argentinischen Parlament abgesetzt.
LATEINAMERIKA
Die Mythen der „Globalisierung“, Teil II
Von Paulo Nogueira Batista Jr.
(Brasilia, September 1998, alai-Poonal).- Die aktuellen Tendenzbewertungen der internationalen Wirtschaft sind voller Übertreibungen und Mythen und entbehren jeglicher historischer Grundlage, meint der brasilianische Ökonom Paulo Nogueira. Im zweiten Teil seines Artikels, versucht er weitere Mythen der „Globalisierung“ zu entkräften.
Mythos Nummer 3
„Als Konsequenz der „Globalisierung“ und der Dominanz der neoliberalen Wirtschaftspolitik werden die Nationalstaaten unvermeidlich an Legitimation verlieren und sehen sich gezwungen, ihre Präsenz im Wirtschaftsgeschehen einzuschränken.“
Die Dominanz der Ideologie des Neoliberalismus – die trotz der Vorsilbe „neo“ das Wiederaufleben der Wirtschaftstheorie des 19. Jahrhunderts darstellt – hat die Rolle des Staates in der Mehrzahl der entwickelten Ökonomien nicht grundlegend und dauerhaft verändert. Sie hat es nicht einmal geschafft, die Tendenz der stärkeren Einflußnahme des Staates zu brechen. Diese stärkere Einflußnahme wird beispielsweise deutlich an dem Verhältnis zwischen Staatsausgaben und Bruttosozialprodukt. Untersucht man die makrókonomischen Daten genauer, stellt man in den Ländern, in denen der Neoliberalismus entwickelt wurde, eine starke Diskrepanz zwischen neoliberalem Diskurs und der realen Politik fest.
Mythos Nummer 4
„Weltwirtschaftliches Handeln geht immer stärker von transnationalen Unternehmen aus, die keinen nationalen Bezug und keine nationale Identität haben.“
Die große Mehrheit der Unternehmen läßt sich sehr wohl einem Land zuordnen. Wirklich transnationale Kooperationen bilden eher die Ausnahme. Dies gilt vor allem für größere Ökonomien, in denen der interne Markt noch immer eine wichtige Rolle spielt. Zweifelsohne haben in den letzten Jahrzehnten immer mehr Firmen aus entwickelten Ländern, aber auch aus Schwellenländern, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ausgedehnt und auch im Ausland investiert. Das heißt aber nicht, diese Firmen hätten den Bezug zu ihrem Land verloren. Die große Mehrheit dieser Firmen hält weiterhin einen Großteil ihrer Aktivitäten, Verkäufe und Arbeitsplätze in ihrem Stammland. Mehrwert schaffende Bereiche sowie solche mit strategischer Bedeutung wie Forschung und Entwicklung sind noch immer im Ursprungsland der Unternehmen angesiedelt. Im allgemeinen sollten internationale Kooperationen nicht als „transnational“ oder „multinational“ bezeichnet werden, sondern eher als Aktivitäten einer nationalen Firma im internationalen Bereich.
Mythos Nummer 5
„Die Ausweitung der internationalen Finanztransaktionen hat einen außerordentlich mächtigen Kapitalmarkt geschaffen. Aus diesem Grund tendieren dezentrale nationalstaatliche Politik und nationale Zentralbanken auch in einflußreicheren Ländern hin zum Verschwinden.“
Der Grad der Internationalisierung der Finanzmärkte ist weitaus geringer als es der unkritische Gebrauch des Ausdruckes „Globalisierung der Finanzmärkte“ glaubhaft machen will. Der erwähnten Ausweitung der internationalen Finanzmärkte zum Trotz sind die lokalen Kapitalmärkte noch immer wesentlich dominanter. Das Verhalten der Investoren in den Einrichtungen der entwickelten Länder – hier vor allem der Rentenfonds und Versicherungsunternehmen – tendiert zugunsten der lokalen Märkte. Die Dominanz der nationalen Märkte zeigt sich auch deutlich im Aktienhandel. Aus diesen Gründen ist es verfrüht, von einem globalen Kapitalmarkt zu sprechen. Sicherlich sind Volumen und Geschwindigkeit der Finanztransaktionen gestiegen. Das verursacht bisher unbekannte Situationen. Beispielsweise wird dadurch die Aufrechterhaltung eines bestimmten Wechselkurssystems erschwert. Dies gilt vor allem für ein System von flexiblen Wechselkursen mit einer eingeschränkten Schwankungsbreite wie es in Brasilien vor kurzem eingeführt wurde.
Nicht zufällig wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten sowohl in den entwickelten Ländern als auch in den Schwellenländern regulierte Wechselkurssysteme installiert. Mit dieser Art Wechselkurssystem kann das Ansteigen der internationalen Finanzoperationen mit den nationalen Interessen vertreten durch die autonomen Zentralbanken in Einklang gebracht werden. Die Zentralbanken sind weit davon entfernt, sich in die zweite Reihe drängen zu lassen. Sie halten weiterhin an ihrer Autonomie fest und haben großen Einfluß auf die Devisenmarkte. Sie greifen entweder alleine oder in Absprache mit anderen Zentralbanken ein.
Zusammengefaßt: Man sollte sich vor den falschen oder übertriebenen Beschreibungen hüten. „Globalisierung“ ist ein Mythos, der den Einfluß und die Ausdehnung der wirtschaftlichen Kräfte auf internationaler Ebene übertreibt.
Die Nationalstaaten vor allem in den reichen Industrienationen sind in keinster Weise unfähig, sich gegen diese angeblich weltweit unkontrollierbaren und unaufhaltsamen Enwicklungen der Wirtschaft zu wehren. Das Gegenteil von dem, was die Ideologie der Globalisierung verbreitet, ist der Fall: Die Verantwortung der Wirtschaft und der Handlungsspielraum der Regierungen hängt weiterhin von nationalen Entscheidungen ab. Hinter der Globalisierung steckt die Idee, den Staat zum Nachtwächterstaat umzufunktionieren und ein intellektuelles Verkümmern zu verursachen – wie es in Brasilien bereits geschehen ist. Um diese Situation zu verändern, müßten wir uns die weltweite Lage noch einmal genau anschauen, uns überlegen, welche Rolle Nationalstaaten innehaben und uns über die Interessen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen klarwerden.
Poonal Nr. 357 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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