Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 275 vom 30. Januar 1997
Inhalt
ECUADOR
GUATEMALA
KUBA/USA
KUBA
ARGENTINIEN
BOLIVIEN
HAITI/USA
BRASILIEN
NICARAGUA
MEXIKO
CHILE
HONDURAS
PARAGUAY
PERU
ECUADOR
CONAIE bewahrt ihre Selbstständigkeit
(Quito, 20. Januar 1997, alai-Poonal).- Der außerordentliche Kongreß der Konföderation der Indígena-Nationalitäten Ecuadors (CONAIE) am 16. und 17. Januar setzte mehreren Wochen der Ungewißheit und interner Spannungen ein Ende. Diese waren nach der Einmischung der Regierung in den ordentlichen Kongreß im Dezember entstanden (vgl. Poonal 271). Damals beendete das alte Präsidium der CONAIE das Treffen in der südlichen Stadt Saraguro vorzeitig. Das Ministerium für Ethnien und Kultur hatte versucht, eine der Regierung ergebene neue Führung der Indígena-Organisation durchzusetzen. José María Cabascango, die bis dahin wichtigste Persönlichkeit der CONAIE, beschuldigte den zuständigen Minister Rafael Pandam, dafür große Geldsummen ausgegeben zu haben. Jetzt wurde auf dem Folgekongreß zu einem Schulterschluß für dem Kampf um Autonomierechte sowie der Bekräftigung der Einheit aufgerufen.
Seit die Regierung die Bildung des Ministeriums für Ethnien und Kultur plante, wandte sich die CONAIE öffentlich gegen solche Vorschläge. Sie wies darauf hin, daß es sich um einen Versuch handele, die Indígena-Bewegung zu vereinnahmen und die Autonomie ihrer Organisationen zu anullieren. Allerdings fand der Regierungsplan ein günstiges Echo unter den Indígena-Führer*innen aus dem Amazonasgebiet. Aufgrund geschichtlicher Gründe gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Indígenas der Amazonasregion und denen des Hochlandes. Diese wurden von der Regierung auf dem Kongreß im Dezember geschürt und schafften eine Atmosphäre der Konfrontation zwischen beiden Gruppen. Ein weiterer „Erfolg“ war die Blockade der Diskussion über das politische Projekt der Organisation, einer der zentralen Punkte auf der Tagesordnung. Als der Vorstand das Treffen für beendet erklärte, wiedersetzten sich die Delegiert*innen aus dem Amazonasgebiet dieser Entscheidung. Obwohl sie nicht über das erforderliche Stimmenquorum verfügten, wählten sie einen neuen Vorstand mit Antonio Vargas von der Organisation der Indígena-Völker aus Pastaza (OPIP) als Präsidenten.
Faktisch hatte sich die CONAIE damit gespalten. Die Entscheidung von Vargas, sein Amt nicht anzutreten, solange der Konflikt anhalten würde, war jedoch der Schlüssel für einen Dialogbeginn in den nachfolgenden Tagen. Dabei spielten die OPIP und die Hochlandorganisation Ecuarunari eine wichtige Rolle, um die Krise zu bewältigen und sich auf den aussenordentlichen Kongreß zu einigen. Da die Regierung durch diesen internen Verhandlungsprozess an Terrain verlor, versuchte sie, die Neuauflage des Treffens mit Gewalt zu verhindern. Sie scheiterte jedoch mit der Besetzung der CONAIE-Einrichtungen und der Entsendung von Sicherheitskräften an den Tagungsort. Der Kongreß verlief normal. Es nahmen 202 Delegiert*innen und 66 Beobachter*innen der verschiedenen Indígena-Nationalitäten teil. Sie wählten Antonio Vargas zum neuen CONAIE-Präsidenten. Mit Arturo Yumbay besetzt ein Quechua aus dem Hochland die Position des stellvertretenden Präsidenten.
Ein Jahr des Schmerzes
Von Osvaldo Leon
(Quito, 24. Januar 1997, alai-Poonal).- In Ecuador fiel die traditionelle Neujahrsbotschaft des Präsidenten aus. Abdalá Bucaram zog knappe Presseerklärungen vor. Darin kündigte er 1997 als ein Jahr des Schmerzes an. Alles deutet darauf hin, daß es auch ein stürmisches Jahr wird. Den Worten des Regierungschefs folgte ein hartes Maßnahmenpaket und diesem der soziale Protest. Gleichzeitig wird in der Politik von erneuten Verfassungsreformengesprochen.
Die Wirtschaftsmaßnahmen, die die Regierung ergriffen hat, schließen Preiserhöhungen zwischen 300 und 500 Prozent bei Gas, Strom, Telefon und anderen Diensten ein, die zudem monatlich der Inflation angepaßt werden sollen. Beim Treibstoff ist dies bereits der Fall – in seiner Wahlkampagne hatte Bucaram das noch kritisiert und versprochen, dies bei seiner Amtsübernahme abzuschaffen. Dazu kommen erhöhte Transporpreise, keine kostenlose staatliche Gesundheitsversorgung und andere staatliche Dienstleistungen mehr. Die Wirtschaftsexpert*innen erwarten einen heftigen Inflationsanstieg. Allein im Januar könnte er zehn Prozent erreichen, die Hälfte der gesamten Inflation im Vorjahr.
Die Regierung, die die Maßnahmen ausheckte, weil sie sie unter anderem als unabdingbar für ihr Projekt einer konvertiblen einheimischen Währung ansah, will sie die Rechnung nun dem Parlament präsentieren. Dieses hat sich bisher geweigert, einigen von der Regierung eingereichten Steuerreformen zuzustimmen. Das Steuerargument hat jedoch nicht überzeugt und eher dazu beigetragen, daß sich die soziale und politische Opposition gegen das Regime eint. Seit der zweiten Januarwoche sind die hauptsächlich von den Student*innen getragenen Strassenproteste stärker geworden. Für den 5. Februar ist ein BürgerInnen- Nationalstreik angekündigt, zu dem die Koordination der Sozialen Bewegungen, die Einheitsfront der Arbeiter*innen, die Volksfront und andere Gesellschaftsgruppen aufgerufen haben.
Wenn diese gesellschaftliche Zusammenfassung von Kräften bis vor kurzem überhaupt nicht auf der Tagesordnung stand, so war das, was sich im politischen Bereich tut, vorher einfach undenkbar: im Parlament ist ein Pakt zustande gekommen, der alle Oppositionskräfte umfaßt. Angefangen von der rechten Sozialchristlichen Partei bis hin zur Bewegung Pachakutik-Neues Land der sozialen und Indígena-Organisationen und den Mitte-Links- Kräften. Sie wenden sich zusammen gegen die beabsichtigte Konvertibilität, die Erhöhungen der Steuern und der Preise der staatlichen Dienstleistungen, gegen das autoritäre Verhalten der Regierung. Bezüglich der Steuern und anderer Punkte wollen sie gemeinsame Initiativen entwickeln. Fünf Monate nach dem Amtsantritt der neuen Regierung hat sich die politisch-soziale Szenerie in Ecuador polarisiert. Der Handlungsspielraum des Regierungschefs Bucaram wird immer enger.
Um dieser Tendenz entgegenzuwirken und die Auseinandersetzung auf ein Feld zu bringen, auf dem er sich geschickt bewegt – die Beziehung zum Wahlvolk – hat Bucaram drohend verkündet, zu einer Volksbefragung aufzurufen. Darin, so ließ er durchblicken, würde er die Auflösung des Parlamentes vorschlagen. In den Reihen der Opposition wird der Präsident inzwischen jedoch nicht nur aufgefordert, die Befragung wirklich durchzuführen, um die Kräfte zu messen und ihr den Charakter eines Plebiszits über seine Regierung oder zumindest über ihr neoliberales Programm zu geben. Einige finden, den Amtsmißbrauch durch Bucaram so weitgehend, daß es ausreichende Beweise für einen politischen Prozeß gegen den Präsidenten gibt.
GUATEMALA
Friedensabkommen verletzt
(Puerto Barrios, 18. Januar 1997, cerigua-Poonal).- Soldaten halfen eine Ölgesellschaft, etwa 400 Bauernfamilien von einem Grundstück zu vertreiben, auf dem sie fast ein Jahr lebten. Der Einsatz des Militärs erfolgte, obwohl die unterzeichneten Friedensabkommen die Aufgaben der Streitkräfte auf die Verteidigung der Grenzen beschränkt. Zwei Kommandos von der Atlantik-Marinebasis, zusätzliche Soldaten von der Militärbase Nummer 6 und Dutzende von Polizisten zur Aufruhrbekämpfung räumten das Grundstück von den dort lebenden Personen. Bereits zwei Tage zuvor, waren die Hütten der Familien im Auftrag der Industrial Bank Corporation, Eigentümerin der Ölraffinerie auf dem Gelände, mit Bulldozern zerstört worden. Soldaten und Polizei schlugen bei der Aktion mehrere Campesinos und verhafteten zehn.
Die Campesinos bezeichneten die Räumung als illegal. Der gerichtliche Befehl habe weder eine Siegel noch eine Unterschrift getragen. Sie wiesen ebenfalls auf die Verletzung der Friedensakbommen hin. In dem Abkommen über die „Stärkung der Zivilgewalt und die Rolle der Armee in einer demokratischen Gesellschaft“ wird wörtlich von der Verteidigung „der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität“ als einzigem Aufgabengebiet der Militärs geschrieben. Für die 400 Familien handelte es sich um den zweiten Vertreibungsversuch innerhalb einer Woche. Am 14. Januar hatten sie nach Verhandlungen mit den Behörden jedoch einem friedlichen Abzug zugestimmt, falls ihnen Zeit zum Sammeln ihrer Habe gegeben werde. Doch die Industrial Bank entschied sich für die Bulldozer.
Erster Geldsegen
(Brüssel, 23. Januar 1997, cerigua-Poonal).- Die Entscheidung der guatemaltekischen Regierung, dem Friedensprozeß im Land Vorrang zu geben, zahlt sich im wahrsten Sinne des Wortes aus. Am 22. Januar bewilligte das in Brüssel tagende Beratungsgremien internationaler Geldgeber ein Hilfspacket im Volumen von 1,9 Milliarden US-Dollar für die kommenden vier Jahre. Dies übertraf die Erwartungen der Regierung. Präsident Alvaro Arzú hatte das Gremium dem Vernehmen nach um 1,4 Milliarden Dollar an Billigkrediten, Spenden und technischer Hilfe gebeten. Das sind 70 Prozent der Summe, die nach Regierungsauffassung nötig sind, um die mit der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) vereinbarten Friedensabkommen umzusetzen. „Wir werden Veränderungen unternehmen, die im Land vorher undenkbar waren“, erklärte Arzú, nachdem er von der Höhe der bewilligten Summe erfuhr.
Die Interamerikanische Entwicklungsbank wird mit 800 Millionen Dollar den größten Part des Geldpakets übernehmen. Die Europäische Union hat 260 Millionen zugesagt und die USA einen gleichlautenden Betrag. Nahezu 50 Prozent der Hilfe werden als Spende vergeben. Der Großteil der Mittel wird über die guatemaltekische Regierung kanalisiert werden. Allerdings ist die URNG an der Verwaltung der Hilfe für die Demobilisierung und die Wiedereingliederung ihrer Mitglieder in das zivile Leben beteiligt. Die Bitte ziviler guatemaltekischer Organisationen, an der Überwachung der Geldmittelverwendung mitwirken zu können, blieb bisher unbeachtet. Die ehemaligen Kriegsgegner empfingen dagegen eine Auszeichnung. Die UNESCO übergab Arzú und Guerillakommandant Rolando Morán einen Scheck von 10.800 Dollar und verlieh ihnen den Huphuet-Boigny Preis für Friedenssuche als Anerkennung für die erfolgreichen Friedensverhandlungen von Regierung und Guerilla, um den internen bewaffneten Konflikt zu beenden.
Kriegsentschädigung
(Colotenango, 17. Januar 1997, cerigua-Poonal).- Die Regierung legte Entschädigungszahlungen für den Tod des Campesinoführer Juan Chanay Pablo und die Verwundungen anderer Bewohner des Ortes Colotenango fest. Es ist der erste Fall dieser Art in Guatemala, in dem den Opfern von Menschenrechtsverletzungen ein Schadensersatz zugestanden wird. Stillschweigend wird die Mitverantwortung der Regierung beim Angriff einer paramilitärischen Zivilpatrouille (PAC) auf eine friedliche Demonstration gegen die PAC eingestanden. Im August 1993 kam dabei Chanay, Mitglied des Komitees für BäuerInneneinheit (CUC), um. Drei weitere Personen, darunter ein belgischer Fotograf, erhielten Schußwunden.
Mit der „gütlichen“ Lösung des Falles vermeidet die Regierung, die Angelegenheit vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof in Costa Rica verhandeln zu müssen. Marta de Altolaguirre von der präsidentiellen Menschenrechtskommission (Copredeh) nannte die Einigung „positiv, weil es die Regierungsabsicht ist, Menschenrechtsfälle durch Verhandlung statt durch Streit zu lösen“. Die Regierung wird 300.000 Quetzales (50.000 US-Dollar) zahlen, die zu gleichen Teilen an die drei überlebenden Opfer sowie die Witwe Chanays verteilt werden. Als Bestandteil der Vereinbarung sollen weitere 2,14 Millionen Quetzales für öffentliche Arbeiten in dem Gebiet von Colotenango ausgegeben werden. Zudem versprach die Regierung, die verantwortlichen PAC-Mitglieder zu verurteilen und zu bestrafen. Derzeit stehen zehn Mitglieder wegen des Vorfalls in Colotenango unter Mordanklage. Die gütliche Einigung wurde unter der Vermittlung durch die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (CIDH-ÖA) erreicht. Dort hatte das erzbischöfliche Menschenrechtsbüro den Fall vorgebracht, nachdem die Strafverfolgung in Guatemala selbst nicht vorankam.
Verkauf von Staatsunternehmen
(Guatemala-Stadt, 22. Januar 1997, cerigua-Poonal).- Guatemalas Eisenbahn, der Flughafen und zwei Häfenkais sollen innerhalb der kommenden sechs Monate internationalen Käufern angeboten werden. Fritz Garcia-Gollont, Minister für Kommunikation, Transport und öffentliche Arbeiten, erklärte, im Fall der Bahngesellschaft FEGUA sei bereits zu Geboten aufgerufen worden. Die Nutzung des Bahnnetzes wird für vorerst 50 Jahre verkauft. In einem ähnlichen Verfahren werden ab Februar die Gebote für einen Vertrag mit 15jähriger Laufzeit für die Flughafenbetreibung in Guatemala-Stadt entgegengenommen. Zwei Docks in Puerto Quetzal sollen bald darauf den Meistbietenden übergeben werden. Für April ist laut dem Minister die Bekanntgabe der Ausschreibungsgewinner vorgesehen. Für Beteiligungen an der guatemaltekischen Elektrizitätsgesellschaft (EEGSA) wird bereits auf dem internationalen Markt geworben. Anzeigen erschienen im Wall Street Journal, in der Financial Times und in Energy World. Auf dem einheimischen Markt beginnt die Kampagne dagegen erst in diesen Tagen. Es soll 60 potentielle Investoren für die EEGSA geben.
KUBA/USA
Noch eine eiserne Lady
(Washington, 23. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Die designierte neue us-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright hat die „Förderung“ eines Wandels auf Kuba zu einer der „höchsten Prioritäten“ in ihrer Amtsführung erklärt. Sie versprach Mittel für DissidentInnenorganisationen sowie die Überprüfung und Bestrafung ausländischer Unternehmer*innen, die auf Kuba investieren und damit das Helms-Burton-Gesetz mißachten. Die Ministerin sprach sogleich eine Warnung an die panamaische Firma „Motores Internacionales S.A.“ aus, die ein Verkaufsbüro für Mitsubishi auf Kuba führt. Albright drückte ihre Unterstützung für die castrofeindlichen Radiostationen „Radio Martí“ und „TV Martí“ aus, die von den USA aus senden.
KUBA
Südafrika am Bildungssystem interessiert
(Havanna, 27. Januar 1997, prensa latina-Poonal).- Eine südafrikanische Parlamentsdelegation befindet sich auf einem einwöchigen Kubabesuch, um das einheimische Bildungssystem näher kennenzulernen. Be Nzimande, Vorsitzender der Kommission für Bildung, Kultur und Wissenschaft im südafrikanischen Kongreß, ist der Delegationsleiter. Er wird unter anderem mit dem kubanischen Bildungsminister Luis I. Gómez, dem Minister für Hochschulerziehung, Fernando Vecino und dem Kulturminister Armando Hart Gespräche führen. Die Delegation ist aus Mitgliedern von Regierungs- und Oppositionsparteien zusammengesetzt.
ARGENTINIEN
Journalist ermordet
(Buenos Aires, 27. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Die Ermordung des Fotojournalisten José Luis Cabezas von der Zeitschrift „Noticias“ hat in der argentinischen Gesellschaft Empörung und Unruhe ausgelöst. Die Leiche von Cabezas wurde Samstagnacht in seinem verbrannten Auto gefunden. Die Hände waren mit Handschellen zusammengekettet und der Kopf wies einen Einschuß an der Schläfe auf. Die Art und Weise, wie der Mord durchgeführt wurde, erinnert an das Vorgehen der sogenannten Gruppe „Triple A“, einer rechtsradikalen Organisation, die in den Jahren vor dem Militärputsch im März 1976 agierte. Für die Mehrheit der Medien kann die Tat nur als Rache für die ständigen Berichte der Zeitschrift über die Regierungskorruption interpretiert werden. „Noticias“ gehört zu den Wochenzeitschriften mit der höchsten Auflage. Der Tod von Cabezas wird auch als Warnung an den kritischen Journalismus verstanden. Man spricht ebenso von einem weiteren Glied im Krieg niedriger Intensität im Innern der Regierungspartei oder von der „Alarmstufe Rot der Mafia“, die den kritischen Journalismus zum Schweigen bringen will.
BOLIVIEN
Staatsterrorismus
(La Paz, 27. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Der Vorsitzende der Menschenrechtsvereinigung Boliviens, Waldo Albarracín, wurde am Samstagmorgen von Polizisten entführt. Sie brachten ihn an einen unbekannten Ort, folterten, schlugen ihn und ließen ihn schließlich in einer Haftzelle der Gerichtspolizei zurück. Informationsminister Mauricio Balizara widmete sich direkt nach dem Vorfall der Verteidigung der Regierung. Inzwischen ist der Chefkommandant der bolivianischen Polizei, Willy Arriaza, abgesetzt worden. Die Gerichtspolizei erklärte, die Verhaftung von Waldo Albarracín sei ein Irrtum gewesen, sie habe sich gegen eine andere Person gleichen Namens gerichtet. Albarracín gibt die Auskunft, daß seine Häscher während der Folterung Befehle über Funk von einem Vorgesetzten erhielten. Kurz bevor er hingerichtet werden sollte, hätten die Polizisten, die ihre Gesichter mit Masken verdeckten, einen anderslautenden Befehl bekommen und ihn daraufhin bei der Gerichtspolizei abgeliefert. Anfangs hätten sie sich als peruanische „Terroristen“ ausgegeben, jedoch bald mit bolivianischem Akzent gesprochen.
HAITI/USA
Kein Ende der Proteste
(Washington, 27. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Wenn die internationalen Finanzinstitutionen weiterhin die Bedürfnisse der Menschen ignorieren, werden die Konflikte auf Haiti sich noch verstärken und zwar insbesondere in den ländlichen Gebieten. Dies ist die Schlußfolgerung von verschiedenen Entwicklungsgruppen in den USA. Sie machten für die sozialen Spannungen und Zusammenstösse in dem Land den Ausschluß des haitianischen Volkes von der ihre Leben betreffenden Politik verantwortlich. In den vergangenen Wochen haben eine Reihe von Streiks Haiti erschüttert. Mit ihnen wurde der Rücktritt des Premierministers Rosny Smarth gefordert. Vom Präsidenten Rene Preval wird die Aussetzung der Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank verlangt. Diese und andere Institutionen haben mit der Regierung ein Sparpacket als Bedingung für die Auszahlung von etwa 2 Milliarden Dollar im Zeitraum von 1994 bis 1999 vereinbart. Unter anderem ist darin die Entlassung von 43.000 Staatsangestellten in den kommenden 18 Monaten beinhaltet. Bereits jetzt erreicht die Arbeitslosigkeit ungefähr 80 Prozent der potentiell wirtschaftlich aktiven Bevölkerung.
BRASILIEN
CIA immer dabei
(Rio de Janeiro, 27. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Die brasilianischen Todesschwadronen, die in den 60er und 70er Jahren linke Oppositionelle ermordeten, wurden von Polizisten geschaffen, die ihre Ausbildung vom US-Geheimdienst CIA erhielten. Die erklärte zumindest die nordamerikanische Soziologin Martha Huggins gegenüber der Tageszeitung „O Estado de Sao Paulo“. Sie gab an, etwa 1.500 Dokumente über die Aktionen von CIA, FBI und dem US- Aussenministerium in Brasilien gesammelt zu haben. Diese beweisen laut der Wissenschaftlerin eindeutig die Beteiligung des CIA an der politischen Unterdrückung in Brasilien einschließlich gemeinsamer Aktionen. Als das wichtigste Werk des CIA im Land bezeichnete Huggins die Gründung einer 40köpfigen Elitetruppe in Rio de Janeiro, aus der später die Todesschadronen hervorgingen. Ihre Dokumentation beschreibt auch, wie mehrere politische Häftlinge von einem Hubschrauber aus über dem Amazonasfluß abgeworfen wurden.
NICARAGUA
Wenig Chancen für den Dialog
(Managua, 27. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Die Frage des unter der sandinistischen Revolutionsregierung (1979 bis 1990) beschlagnahmten Eigentums blockiert die Verhandlungen zwischen der neugewählten Regierung und der Nationalen Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN). In der vergangenen Woche wurden die vorgesehenen Gespräche wegen dieses Streitpunktes dreimal vertagt. Ein Konsens scheint kaum möglich und die Zusammensetzung der Verhandlungsdelegationen trägt das ihrige zu der Situation bei. Die Gesandten der rechtsgerichteten Regierung von Arnoldo Alemán werden von Vizepräsident Enrique Bolanos angeführt. Dieser fordert für sich selbst vier Baumwollplantagen zurück, die die sandinistische Regierung in den 80er Jahren beschlagnahmte. Bolanos ist als radikaler Anti-Sandinist bekannt. Die FSLN- Delegation steht unter dem Vorsitz des sandinistischen Kommandanten Bayardo Arce. Seine Partei hat wiederholt deutlich gemacht, daß von ihr keine großen Zugeständnisse in der Eigentumsfrage zu erwarten sind.
MEXIKO
Straßenkehrerkonflikt überraschend beigelegt
(Mexiko-Stadt, 23. Januar 1997, Poonal).- Drei Tage nach der gewaltsamen Räumung des Camps, daß die hungerstreikenden Straßenkehrer aus dem Bundesstaat Tabasco monatelang in der Hauptstadt errichtet hatten (vgl. Poonal 274), kam es zu einer unerwartet schnellen Einigung. Auf Druck der Zentralregierung stimmte die Regierung von Tabasco der Wiedereinstellung von 190 der 300 im letzten Jahr entlassenen Straßenkehrer zu. Die übrigen 110 sollen die ihnen bisher verweigerten, aber gesetzlich vorgesehenen Abfindungszahlungen erhalten. 45 Haftbefehle gegen die Straßenkehrer werden „überprüft“. Das Abkommen enthält weitere finanzielle Zugeständnisse der Regierung.
Zapatisten wollen Aktionstag
(Chiapas, 24. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) hat für den 16. Februar einen internationalen Aktionstag für den Frieden vorgeschlagen. An diesem Tag jährt sich zum ersten Mal die Unterschrift unter die sogenannten Abkommen von San Andrés, in denen die mexikanische Regierung eine Reihe von Reformen bezüglich der Indígena-Rechte und -Kultur zusagte. Erst kürzlich hatte Präsident Ernesto Zedillo den von der parteiübergreifenden Parlamentskommission COCOPA erarbeiteten Kompromißvorschlag für entsprechende Verfassungsänderungen im Gegensatz zu den Zapatist*innen abgelehnt. Die EZLN möchte daher den 16. Februar nicht zum Feiern nutzen, sondern auf die Menschenrechtsverletzungen in Mexiko und die weiter zunehmende Militarisierung des Bundesstaates Chiapas aufmerksam machen. Sie wirft der Regierungspolitik vor, den Diktaten des Großkapitals zu folgen, um das internationale Image wieder aufzubessern.
Bis auf weiteres keine Angriffe der EPR
(Mexiko-Stadt, 28. Januar 1997, Poonal).- Die Guerillabewegung Revolutionäre Volksarmee (EPR) und die mit ihr verbundene klandestine Volksdemokratische Revolutionäre Partei (PDPR) haben angekündigt, vorerst keine Angriffe auf Polizei- und Militärstationen sowie „Einheiten in Bewegung“ durchzuführen. Mit dem 26. Januar habe die zweite Etappe der Propagandakampagne der Organisation begonnen. Im Rahmen dieser Kapagne sollen die politischen Ideen von EPR und PDPR bekannter gemacht werden. Der Charakter sei im wesentlichen politisch, daher seien keine militärischen Aktionen gegen Polizei und Militär vorgesehen.
CHILE
Umstrittenes Scheidungsrecht verabschiedet
(Santiago, 24. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Nach vielstündigen Debatten entschied sich das chilenische Abgeordnetenhaus mit 53 gegen 40 Stimmen für einen Gesetzentwurf, der ab dem Jahr 2000 die Scheidung von Ehepaaren erlaubt. Chile ist das einzige Land in der westlichen Hemisphäre, das diese Art der Eheauflösung bisher nicht erlaubt. Paare, die sich trennen, können nur um die Annullierung der Ehe bitten. In durchschnittlich 6.000 Fällen pro Jahr wird dies gewährt. Aber mehreren tausend weiteren Paaren bleibt diese Möglichkeit verschloßen, weil sie die Anwälte nicht bezahlen können, die die Formalitäten vor Gericht erledigen. Die Kirche hat sich offen in die Diskussion eingemischt und versucht, Druck, auf die Abgeordneten auszuüben. Der Abgeordnete Eugenio Munizaga von der rechtsgerichteten Partei der Nationalen Erneuerung (Renovación Nacional) wurde nach seinen Worten vom Bischof Francisco Cox aus der nördlichen Stadt La Serena persönlich aufgefordert, zu erklären, warum er für das Scheidungsprojekt sei. Eine andere Gesetzesinitiative hatten die chilenischen Parlamentarier*innen einen Tag zuvor nach neunstündiger Diskussion mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Mit 53 gegen 32 Stimmen bei vier Enthaltungen wendeten sich sich gegen einen Entwurf, der vorsah, nur die Gründe für die Annullierung einer Ehe zu erweitern.
HONDURAS
Ex-Präsident nicht mehr immun
(Tegucigalpa, 23. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Eine Sonderkommission des honduranischen Parlamentes wird das System der Immunität überprüfen, von der hohe zivile und militärische Staatsfunktionär*innen profitieren. Die Kommission wird Reformmöglichkeiten der bestehenden Regelungen diskutieren. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem der Oberste Gerichtshof beschlossen hat, vom Parlament die Aufhebung der Immunität des ehemaligen Staatspräsidenten Rafael Callejas zu erbitten. Callejas sowie sein ehemaliger Minister für Kommunikation, Öffentliche Arbeiten und Transport, Mauro Membreno, sollen wegen Korruption vor Gericht erscheinen. Auch Familienangehörige und andere Personen aus dem Umkreis des Ex-Präsidenten sind vor Gerichten wegen verschiedener mutmaßlicher Korruptionsfälle in der Regierungsperiode von 1990 bis 1994 angeklagt. In gesetzgeberischen und politischen Kreisen wird auf Lücken in der Verfassung und anderen Gesetzen hingewiesen, die eine angemessene Regelung der Immunität bisher verhindern. Der honduranische Bundesstaatsanwalt Edmundo Orellana tritt ebenfalls für eine Reform ein. Er möchte die Staatsdiener*innen ausschliesslich bei der Ausübung ihrer Aufgaben durch die Immunität geschützt sehen.
PARAGUAY
Punkte für Wasmosy
(Asunción, 24. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Präsident Juan Carlos Wasmosy kann aufatmen. Die Justiz des Landes bestätigte die Rechtmäßigkeit seiner Entscheidung, 207 Militärs ihrer Funktionen zu entheben. Diese Mitglieder der Streitkräfte werden beschuldigt, den Putschversuch von General Lino Oviedo im vergangenen Jahr gerechtfertigt zu haben. Noch wenige Tage zuvor hatte derselbe zuständige Richter dem Antrag der entlassenen Soldaten auf eine einstweilige Verfügung vorläufig stattgegeben. Wasmosy hatte erklärt, sich der richterlichen Anordnung zu beugen. Das Oberkommando der Streitkräfte befahl den Militärs daraufhin, bis auf weiteres an ihren Wohnsitzen zu verbleiben. Es kündigte an, den „wiedereingegliederten“ Soldaten bis zur endgültigen Gerichtsentscheidung keine festen Posten zuzuweisen. Mehrere der im Dezember abgesetzten Militärs sind aktive Mitglieder in der Nationalen Vereinigung der Ethischen Colorados (Union Nacional de Colorados Eticos). Das ist die politische Strömung in der Regierungspartei, die von General Oviedo angeführt wird.
PERU
Verschärfte Lage
(Lima, 28. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Die am Montag durchgeführten Übungen von Eliteeinheiten vor der durch die Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru (MRTA) besetzten Botschaft haben die angespannte Lage weiter verschärft. Die Guerillamitglieder gaben als Antwort auf eine obzöne Geste eines Soldaten mehrere Schüsse ab, von denen mindestens einer die Außenverkleidung eines Panzerfahrzeuges traf. Zuvor hatten die Rebell*innen bei verschiedenen Gelegenheiten ausschließlich Warnschüsse in die Luft abgegeben. Kurz zuvor hatte der japanische Premierminister Ryutaro Hashimoto in Tokio die Machtdemonstrationen von Militär und Polizei in den vergangenen Tagen indirekt kritisiert. Die Sicherheitsmaßnahmen könnten negative Effekte produzieren und „einen gegenteiligen Effekt“ haben, so Hashimoto. Das Internationale Rote Kreuz hatte Tage zuvor seine Versorgungshilfe für die noch 72 Geiseln in der Botschaft vorübergehend ausgesetzt, nachdem es sich durch die peruanischen Sicherheitskräfte zu stark in der Arbeit beeinträchtigt fühlte. Die peruanische Regierung zeigt sich allerdings nach wie vor für Kritik wenig empfänglich. Sie kritisierte ihrerseits das Internationale Rote Kreuz dafür, mit weisser Farbe eine „neutrale Zone“ markiert zu haben, die die Sicherheitskräfte nicht betreten sollen. Die Regierung kündigte über einen Sprecher neue Demonstrationen der Stärke an. Sie bekräftige auch das Besuchsverbot für die inhaftierten MRTA- Mitglieder in Perus Gefängnissen. Trotz einiger Vorbereitungen für Direktverhandlungen zwischen MRTA und Regierung zeichnen sich Gespräche nicht ab. Lob bekam die peruanische Regierung aus den USA. Im dortigen Außenministerium wurde ihr Vorgehen als „sehr effektive“ Strategie bezeichnet.
Poonal Nr. 275 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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