(Montevideo, 3. August 2016, comcosur/poonal).- Ernesto Cardenals politische Gedichte, wie „La hora Cero“ („Die Stunde Null“), das er dem Kampf des sandinistischen und antiimperialistischen Helden Augusto César Sandino widmete, dienten als Inspiration für die Komposition von Liedern, die den damaligen revolutionären Kampf in Nicaragua befeuerten. Heute bedauert Cardenal, der von 1979 bis 1987 Kultusminister Nicaraguas war, mit Wehmut, dass die sandinistische Revolution von Präsident Daniel Ortega verraten worden sei. Dieser habe sich an der Macht unvorstellbar bereichert.
Schon 1994 Bruch mit dem FSLN
Der 91-jährige, zwischenzeitlich für 30 Jahre vom Vatikan suspendierte katholische Priester und Befreiungstheologe, erklärt in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP im nicaraguanischen Schriftstellerzentrum in Managua: „Es war eine sehr schöne Revolution. Sie wurde aber verraten. Heute herrscht in Nicaragua eine Familiendiktatur von Daniel Ortega. Das ist nicht das, was wir seinerzeit unterstützt hatten.“. Er bedauere es jedoch nicht, den revolutionären Prozess seinerzeit mit getragen zu haben. Seit langem gilt Ernsto Cardenal als scharfer Kritiker des sandinistischen Anführers, der von 1979 bis 1990 an der Spitze der Revolution stand und 2007 an die Macht zurückkehrte. Cardenal verließ den FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional – Sandinistische Nationale Befreiungsfront) bereits 1994.
Sanktionierung von Papst Franziskus rückgängig gemacht
Der Befreiungstheologe wurde 1983 weltberühmt, als Papst Johannes Paul II ihn während eines Besuchs in Nicaragua ermahnte und Anfang 1984 schließlich von seinem Priesteramt enthob, weil er die Revolution unterstütze. Papst Franziskus sollte dies 30 Jahre später rückgängig machen. Cardenal hat zwar nicht mehr die Energie von früher, erfreut sich aber einer guten Gesundheit, so seine MitarbeiterInnen. 1965 war er in Managua zum Priester geweiht worden. Um sich dem Kampf des FSLN gegen die Diktatur der Familiendynastie Somoza anzuschließen, die Nicaragua seit fast einem halben Jahrhundert beherrschte, verließ Cardenal seinerzeit die kontemplative Gemeinschaft des Trappistenordens, die er auf dem Archipel Solentiname im Nicaraguasee gebildet hatte.
Glaube Auftrag zur politischen Einmischung
Ein religiöser Mensch könne sich nicht aus den politischen Kämpfen heraushalten, so Cardenals Überzeugung. So feierte er Messen in den Lagern der Guerilleros und half dabei, ein internationales Netzwerk der Solidarität mit der Guerilla aufzubauen. Außerdem trat Ernesto Cardenal als Sprecher des FSLN auf, als dessen Anführer*innen im Untergrund waren. Den triumphalen Einzug der Sandinist*innen in Managua im Juli 1979 erlebte er an der Seite von Daniel Ortega. In seinem 2004 erschienen Buch „La Revolución perdida“ („Die verlorene Revolution“) erinnert Cardenal sich: „Es war das Fest eines Volkes, das in den 500 Jahren seiner Geschichte niemals etwas Ähnliches erlebt hatte.“ Der uruguayische Schriftsteller Mario Benedetti sagte einmal über die politischen Gedichte von Ernesto Cardenal:„Es sind die kraftvollsten und wirksamsten der gesamten politischen Dichtung Lateinamerikas.“.
Scharfe Kritik an der Entwicklung des FSLN
Nachdem Cardenal aufgrund seiner Ablehnung der politischen Führung durch Daniel Ortega in den 1990er Jahren mit dem FSLN brach, schloss er sich den sandinistischen Dissident*innen an. Er übte heftige Kritik an der einstigen Bewegung, die zu einer auf Wahlen fixierten Partei geworden sei, die Ortega erneut an die Macht gebracht habe und ihn mit aller in Nicaragua zur Verfügung stehenden Macht ausgestattet habe. Der einstige Kampfgefährte war zum Gegner geworden.
Kampf gegen das Kanal-Projekt
Nach wie vor mischt der Dichter sich in die Politik ein. So bekämpft er den Kanal, der den Pazifik mit dem Atlantik verbinden und durch den Nicaraguasee führen soll, die größte Süßwasserquelle Mittelamerikas. Für Cardenal auch wegen der Erinnerungen an die glücklichen Jahre auf dem Solentiname-Archipel ein Unding. Den Auftrag für den umstrittenen Kanalbau hat die Regierung Ortega dem chinesischen Konsortium HKND erteilt. Cardenal warnt: Der Kanal werde das Ende sowohl für den Archipel als auch für den Nicaraguasee bedeuten. Und zuletzt werde auch Nicaragua als Ganzes vor die Hunde gehen.
Hinweis: Der Artikel erschien bereits im Januar 2015 anlässlich des 90. Geburtstags Cardenals in mehreren Medien, unter anderem in La Jornada. Comcosur hat den Artikel neu aufgelegt, ohne das zu kennzeichnen.
Cardenal: Daniel Ortega hat eine Familiendiktatur errichtet von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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