Afro-Uruguayer*innen: Die unsichtbare Bevölkerung

(Berlin, 16. Januar 2016, npl).- Montevideo Anfang des 19. Jahrhunderts: Der Hafen boomt, aber nicht nur mit dem Export von Trockenfleisch und Leder, und Import von Textilien, Alkohol und Tabak. Auch für den Sklavenhandel war Montevideo ein Hafen von großer Bedeutung. Am 18. Juli 1830 wurde die erste uruguayische Verfassung verabschiedet und der Staat Uruguay gegründet. Doch auch wenn die neue Konstitution das blutige Geschäft mit dem Handel mit afrikanischen Sklav*innen verbot, wurde der Menschenhandel noch über zehn Jahre weiter betrieben. Auch für die indigenen Gruppen brachte die Staatsgründung keinerlei Fortschritt. Knapp ein Jahr nach der Staatsgründung war das letzte indigene Volk der Region, die Charrúas, vollständig vernichtet. Erst 1842 wurde mit einem offiziellem Gesetz die Sklaverei endgültig abgeschafft.

Keine Frage: Ohne den hundertjährigen Sklavenhandel hätten sich der Hafen und der Wirtschaftsboom in der Hauptstadt Montevideo nicht so weit entwickelt. Heute leben nach offiziellen Angaben etwa 350.000 Afro-Uruguayer*innen in der kleinen Stadt am Río de la Plata. Das sind 8,1 Prozent der Bevölkerung. Bis heute lebt der größte Teil in marginalisierten Verhältnissen, in den armen Vierteln am Rande der Stadt und in der Nähe der brasilianischen Grenze.

Nico Reinoso kam 1993 im Alter von vier Jahren von Kuba nach Montevideo. Inzwischen lebt er in Berlin. Er berichtet, was es heißt, als Schwarzer in Uruguay aufzuwachsen: „Es ist viel einfacher, rassistisch zu einem Kind zu sein als zu jemandem, der erwachsen ist, weil Erwachsene eher Konsequenzen ziehen können; Kinder nicht. Das ist aber schlimmer, weil es den Charakter prägt. Und wenn Leute nicht nett zu Kindern sind, wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft oder egal was, das kann jemanden durchaus sehr prägen.“ Weiter berichtet Nicolas Reinoso: „Ich muss sagen, ich habe echt keine schöne Erinnerung an Uruguay. Ich habe krasse Sachen erlebt als kleines Kind; der Rassismus in Uruguay war immer sehr präsent. Ich wurde aus Bussen rausgeschmissen. Ich würde schon sagen: So was wie Apartheid im kleinen Stil.“

Apartheid im kleinen Stil

Im Parlament, in den Bildungseinrichtungen, in den klassischen bürgerlichen Berufen wie Ärzte, Anwälte oder Bankiers ist die afro-uruguayische Bevölkerung nur sehr vereinzelt anzutreffen. Sichtbar wird die schwarze Bevölkerung in Uruguay eigentlich nur beim afro-uruguayischen Trommelrhythmus Candombe oder im Fußball.

Einer der bekanntesten Vertreter des uruguayischen Candombe ist Ruben Rada. Auch er berichtet von unangenehmen Erlebnissen im Alltag. Da ist zum Beispiel sein Freund Arrascaeta, ebenfalls schwarz. „Er ist Arzt“, erzählt Rada, „und fing an, im städtischen Krankenhaus zu arbeiten. Und da kommt eine Krankenschwester und sagte ihm: ‚Bring mir bitte drei Kompressen und das Desinfektionsmittel.‘ Er sagte ihr, such Dir die Sachen selber, ich bin Arzt. Sie wollte ihm nicht glauben.“

Rassistische Übergriffe und Beschimpfungen

Im Oktober 2012 wurde im uruguayischen Senat ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Dieses sieht unter anderem auch eine höhere Inklusion der afro-uruguayischen Bevölkerung in den Bildungssektor sowie in den Arbeitsmarkt vor.

Im Dezember 2012 kam es zu einem Übergriff, der Schlagzeilen machte. Tania Ramirez, Mitarbeiterin des Ministeriums für soziale Entwicklung sowie Aktivistin eines afro-uruguayischen Frauenkollektivs, wurde vor einer Disko von drei Frauen aus rassistischen Gründen niedergeschlagen und schwer verletzt. Im selben Jahr wird der uruguayische Fußballspieler Luis Suarez bei der Premier League im Fußball in England wegen rassistischen Äußerungen gegen einen französischen Spieler zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Staatspräsident Mujica höchstselbst legt ein Wort für die Spieler ein, sie seien keine Rassisten.

Doch wie kommt es zu solchen Äußerungen? Nico Reinsoso berichtet, wie er die Reaktionen in Uruguay erlebt hat: „die Uruguayer waren entsetzt über die Geldstrafe, es sei doch nicht so schlimm. Auch Freunde von mir und Leute, die ich kenne, die verstehen halt nicht, dass das in Europa strafbar ist. Ich glaube bis der uruguayische Staat rassistische Beleidigungen nicht verbietet, wird es Alltag bleiben.“

„Die Hauptsache ist: kämpfen“

Dem rassistischen Übergriff auf Tania Ramirez folgten einige große Demonstrationen gegen Rassismus in der Hauptstadt und einige Diskussionen. Seit dem Antidiskriminierungsgesetz gab es nach staatlichen Angaben in den letzten drei Jahren 178 Anzeigen. Die Hälfte davon wurden wegen rassistischer Diskriminierung gestellt. Die meisten Anzeigen wurden im Arbeitskontext oder am Ausbildungsplatz gestellt. Alltägliche Veränderungen passieren vor allem, weil sich Afro-Uruguayer*innen selbst organisiert haben und in die Öffentlichkeit gehen, meint Ruben Rada und erzählt von einem Lied, das er geschrieben hat:

„Biafra ist ein Lied, über dessen Text sich die schwarzen Uruguayer sehr geärgert haben, weil ich singe: ‚Negro Du lebst vom Singen, Negro Du träumst, wach doch auf!‘ Ich sagte, sie sollten sich nicht auf dem Rassismus ausruhen. Man müsse es machen wie Malcolm X, Mensch hat schließlich nur ein Leben und kein zweites, in dem die Weißen dich endlich akzeptieren. Dein Leben ist jetzt, du musst kämpfen, auch wenn sie Dich rausschmeißen, dann fang neu an und lehne Dich auf, wie es die schwarzen Amerikaner, Brasilianer und Kolumbianer tun. Die Hauptsache ist Kämpfen.“

Für einen großen Teil der afro-uruguayischen Bevölkerung besteht der eigentliche Kampf darin, den Kindern eine höhere Schulbildung zu ermöglichen, um besser qualifizierte Berufe zu erlangen. Bildung ist der Schlüssel, mit dem Uruguay zu einer pluralen Gesellschaft finden kann, die frei von jeder Art von Diskriminierung ist.

 

Zu diesem Artikel gibt es hier auch einen Radiobeitrag zum Anhören.

 

 

 

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